Warum wir einen modernen Pflanzenschutz brauchen
Ein Positionspapier des DLG-Ausschusses für Pflanzenschutz
Kulturpflanzen werden von zahlreichen Schaderregern befallen und konkurrieren mit Unkräutern um Standraum. Um die dadurch verursachten Schäden einzudämmen, ist es unerlässlich, die Kulturen zu schützen, auch durch den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel. Letztere werden von der Bevölkerung zunehmend skeptisch betrachtet. Hierzu tragen auch Forderungen aus der Politik bei. So will die EU-Kommission beispielsweise im Rahmen ihrer „Farm to Fork“-Strategie den Einsatz gefährlicher oder schädlicher Pflanzenschutzmittel bis 2030 um die Hälfte senken.
Warum Pflanzenschutzmittel wichtig sind
Es ist wichtig und richtig, darüber zu diskutieren, wie die Risiken beim Einsatz von Chemikalien verringert werden können. Dies aber pauschal an der eingesetzten Menge der Mittel festzumachen oder ganz auf den chemisch-synthetischen Pflanzenschutz zu verzichten, wird den komplexen Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft heute steht, nicht gerecht. Pflanzenschutzmittel helfen, die Kulturpflanzen vor Pilzbefall, Insektenfraß oder Konkurrenz durch Unkräuter zu schützen. Beispielsweise können sie den Befall mit Schimmelpilzen verhindern, die eine erhebliche Gefahr für die menschliche und tierische Gesundheit darstellen. Effektive Pflanzenschutzstrategien sorgen also nicht nur dafür, dass ausreichend Lebensmittel erzeugt werden und die Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe gesichert wird; sie sind auch entscheidend, um die Kontamination von Nahrungs- und Futtermitteln mit gesundheitsgefährdenden Giftstoffen zu vermeiden. Damit tragen sie wesentlich dazu bei, gesunde, qualitativ hochwertige und sichere Nahrungsmittel zu erzeugen.

Risiken im Realitätscheck
Laut Umfragen sind Verbraucherin- nen und Verbraucher besorgt über mögliche Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebens- und Futtermitteln sowie im Trinkwasser. Doch zählt das Genehmigungsver- fahren für Pflanzenschutzmittel in Deutschland zu den strengsten welt- weit, und auch das Trinkwasser wird strengstens kontrolliert. So kommen alle Institutionen, die in Deutschland die gesundheitliche Qualität von Lebensmitteln überwachen und bewerten (etwa das Bundesinstitut für Risikobewertung und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit), zu dem Ur- teil, dass von Lebensmitteln (auch) aus konventioneller Landwirtschaft keinerlei Risiko für die menschliche Gesundheit ausgeht. Und das Bundesumweltamt meldet, dass die Trinkwasserqualität in Deutschland in den meisten Fällen „sehr gut“ ist. Nach Angaben der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Trinkwasser hat die Belastung des Grundwassers mit Pflanzenschutzmittelwirkstoffen und deren Abbauprodukten in den vergangenen drei Jahrzehnten deutlich abgenommen; nur bei 3,6 Prozent der Messstellen wurde der gesetzliche Schwellenwert von 0,1 µg/Liter überschritten.
Ein weiterer Punkt, der die Öffentlichkeit als potenzielles Risiko des Pflanzenschutzmitteleinsatzes besorgt, ist der Rückgang der Biodiversität. Es steht außer Frage, dass Pflanzenschutzmittel Auswirkungen auf die Umwelt haben. In die Veränderung des Artenspektrums fließen allerdings zahlreiche Faktoren ein, etwa die veränderte landwirtschaftliche Produktionsweise mit größeren Flächen und abnehmender Weidetierhaltung oder die zu- nehmende Versiegelung der Böden durch Häuser- und Straßenbau. Nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen spielt der Pflanzenschutz ebenfalls eine Rolle, gesamtheitlich betrachtet jedoch eine untergeordnete. Zudem setzen mittlerweile viele Landwirte auf ihren Betrieben freiwillige Maßnahmen zur Verbesserung der biologischen Vielfalt um oder nehmen an entsprechenden Agrarumweltprogrammen teil.
Ein Blick auf den modernen Pflanzenschutz
In Deutschland ist seit 1987 der sogenannte integrierte Pflanzenschutz als Leitbild des modernen Pflanzenschutzes etabliert. Dabei handelt es sich um einen systemischen Ansatz, der vorbeugende Maßnahmen – wie den Anbau krankheits- oder schädlingsresistenter Sorten oder die Förderung nützlicher Insekten – mit direkten Bekämpfungsmaßnahmen verbindet. Zu Letzteren zählen mechanische Verfahren wie das Hacken von Unkräutern, biologische Verfahren wie der Einsatz von Lockstoffen für Schadinsekten und – als letzte Option – der chemische Pflanzenschutz. Dieser sollte erst zum Einsatz kommen, wenn die vorbeugenden Maßnahmen sowie mechanische und/oder biologische Maßnahmen nicht ausreichend wirksam waren oder es keine entsprechen- den Alternativen gibt. Auch gilt das sogenannte Schad- schwellenprinzip: Der Schaderreger oder das Unkraut wird erst dann reguliert, wenn der Befall so hoch ist, dass der Schaden (zum Beispiel durch Ernteeinbußen) voraus- sichtlich höher sein wird als die Kosten für die Behandlung.
In den vergangenen Jahren wurde zudem eine Reihe neuer Methoden und Verfahren entwickelt, um den Pflanzenschutz umweltfreundlicher zu gestalten, und weitere sind in der Pipeline. So können Pflanzenschutzmittel durch den Einsatz moderner Technologien wie hochauflösender Kameras heute punktgenau und damit effizienter und sparsamer ausgebracht werden; durch biotechnologische Verfahren können – schneller als durch herkömmliche Pflanzenzüchtung – Sorten hervorgebracht werden, die gegenüber Schaderregern tolerant oder resistent sind (wobei ein verlässlicher Rechtsrahmen für deren Nutzung noch fehlt); und auch im Bereich der sogenannten Biologicals, also von Substanzen auf der Basis von Pflanzenextrakten, Mikroorganismen (wie Pilze und Bakterien) oder Kommunikations- und Botenstoffen, hat die Forschung vielversprechende Lösungen hervorgebracht, die zunehmend eingesetzt werden. Auf absehbare Zeit können diese neuen Stoffe die Aufgaben des chemisch-synthetischen Pflanzenschutzes in seiner ganzen Breite allerdings nicht übernehmen.


Warum weitere Einschränkungen im Pflanzenschutz problematisch sind
Ebenso, wie bestimmte Kulturpflanzensorten gegen einen Befall mit spezifischen Krankheitserregern oder Schädlingen resistent sind, gibt es auch zahlreiche Schaderreger, die gegenüber Pflanzenschutzmittelwirkstoffen eine Resistenz entwickelt haben. Sie lassen sich also mit den praxisüblichen und zugelassenen Mengen eines Mittels nicht mehr bekämpfen. Resistenzen werden gefördert, wenn wieder- holt Pflanzenschutzmittel angewendet werden, die über den gleichen Wirkungsmechanismus verfügen. Um die Entwicklung dieser Resistenzen zu verhindern beziehungsweise zu verlangsamen, ist es entscheidend, eine Vielfalt an Wirkstoffgruppen zu erhalten. Schon heute gibt es durch den Wegfall wichtiger Pflanzenschutzmittelwirkstoffe Lücken in der Bekämpfung von Schaderregern, etwa im Obst- und Gemüsebau.
Der politische Druck, Pflanzenschutzmaßnahmen noch sicherer zu gestalten und den Einsatz der Mittel im Rahmen der europäischen „Farm to Fork“-Strategie weiter zur reduzieren, darf daher nicht dazu führen, dass in Deutschland und Europa weitere Wirkstoffe und Wirkstoff- gruppen verloren gehen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass viele Kulturpflanzen gegen- über Krankheiten und Schädlingen nicht mehr ausreichend geschützt werden können und am Ende womöglich Pflanzen wie Kartoffel oder Wein, Hopfen oder Zuckerrübe, Raps oder Erdbeere von unseren Äckern verschwinden.
In der Vergangenheit wurden im Pflanzenschutz zweifelsfrei Fehler begangen. Nicht überall wurden die Prinzipien des integrierten Pflanzenschutzes gleichermaßen beachtet, und lange stand der Einsatz chemisch-synthetischer Mittel im Fokus, ohne dass deren langfristige Auswirkungen immer vollständig berücksichtigt wurden. Doch mit dem wachsenden Bewusstsein für eine nachhaltige Wirtschaftsweise wird zunehmend nach Lösungen gesucht, mit denen wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Anforderungen in Einklang gebracht werden. Gleichzeitig haben sich sowohl das Wissen als auch die technischen Möglichkeiten erheblich weiterentwickelt. Moderne Pflanzenschutzmittel sind effizienter und weisen geringere unerwünschte Nebenwirkungen auf als frühere Generationen von Wirkstoffen.
Angesichts der weiteren Entwicklung und Ausbreitung von Schaderregern und der zunehmenden Herausforderungen durch den Klimawandel bleibt ein effektiver Pflanzenschutz essenziell, um die Erzeugung gesunder und qualitativ hochwertiger Lebensmittel in ausreichenden Mengen zu gewährleisten. Dafür braucht es einen Werkzeugkasten mit einem breiten Spektrum an Instrumenten, zu dem auch eine ausreichende Vielfalt an modernen Pflanzenschutzmittelwirkstoffen gehört.

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Autorenschaft:
DLG-Ausschuss für Pflanzenschutz mit redaktioneller Unterstützung
von Silvia Richter, mediamondi.
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