Greifertechnologie

Feingefühl trifft auf Schnelligkeit

aus: DLG-Lebensmittel 4/2025

Hohe Hygienestandards, schwer zu greifende Produkte: Wer die Lebensmittelproduktion automatisieren will, muss echte Herausforderungen meistern. Roboter müssen hochdynamisch arbeiten, ohne dabei Makel auf Fleischbällchen, Keksen, Pralinen oder Donuts zu hinterlassen. Martina Düngfelder, Local Business Head Life Sciences & Food bei Stäubli, erläutert, wie sich eine optimale Balance zwischen Feingefühl und Schnelligkeit erreichen lässt.  

Frau Düngfelder, zu den Aufgaben an die Robotik gehört das schnelle Sortieren, Portionieren und Verpacken. Wie aber lassen sich Bruch oder Beschädigungen der empfindlichen Lebensmittel verhindern …

Martina Düngfelder: Automatisierung im Lebensmittelbereich ist immer individuell abzustimmen auf das zu handhabende Produkt. Um den effizienten Einsatz von Robotertechnologien im Lebensmittelbereich zu maximieren, ist die Wahl der richtigen Greifertechnologie von zentraler Bedeutung. Stäubli bietet ein sehr offenes System, das die Ansteuerung von vielen Komponenten erlaubt und somit eine hohe Flexibilität in der Robotik gewährleistet.

Martina Düngfelder, Local Business Head Life Sciences & Food bei Stäubli

Welche Technologien kommen dabei beim Greifen sensibler Produkte zum Einsatz? 

Kraftschlüssige Greiftechniken, wie das Vakuumgreifen mit Venturidüsen, bieten besonders in hygienisch sensiblen Bereichen große Vorteile. Diese Technologien ermöglichen eine schonende und präzise Handhabung, die für die Verarbeitung empfindlicher Lebensmittel entscheidend ist. Ein weiterer Aspekt ist die Einbettung von Bildverarbeitungssystemen. Die Kombination aus präziser mechanischer Greifertechnologie und fortschrittlicher Bildverarbeitung mittels Künstlicher Intelligenz ermöglicht eine Automatisierung, die sowohl effizient als auch sicher ist.

Welche Vorteile erschließen sich aus der Kombination von Robotik und Bildverarbeitung konkret? 

Die Systeme lassen sich einsetzen, um Qualitätsprozesse zu überwachen – beispielsweise, um in einer Großbäckerei sicherzustellen, dass nur die Backwaren weiterverarbeitet und verpackt werden, die den erforderlichen Standards tatsächlich entsprechen. Intelligente KI-Kameras eröffnen hier neue Möglichkeiten, insbesondere bei der Handhabung von Naturprodukten, die in Form, Beschaffenheit und Dimension stark variieren. Last but not least: Durch den Einsatz moderner Vision-Technologien lässt sich der Teach-Aufwand der Roboter erheblich reduzieren.

Mit welchen Vision-Systemen lassen sich die Roboter von Stäubli koppeln? 

Unsere offene Controller-Technologie ermöglicht es, eine Vielzahl am Markt angebotener Vision-Technologien, wie 2D-, 3D- und KI-basierten Kameras, einfach zu integrieren. Dadurch können unsere Vier- und Sechsachsroboter die Produkte lagegerecht erkennen und präzise greifen. Mit der selbst lernenden Bilderkennung ermöglichen KI-Kameras eine effizientere und flexiblere Anpassung an die spezifischen Eigenschaften der Produkte, was zu einer verbesserten Automatisierung führt. 

Dies ist besonders in der Lebensmittelindustrie von Vorteil, wo die Vielfalt der Naturprodukte komplexe Anforderungen an die Inspektions- und Kommissionierungsanwendungen stellt ... Das amerikanische Unternehmen Oxipital AI zählt hier als einer unserer Partner zu den Vorreitern und Marktführern. Beim Kommissionieren und Sortieren von Hühnerbrüsten, eine Aufgabe, die bislang ausschließlich manuell durchgeführt wurde, zeigt sich im Übrigen auch, wie wichtig eine partnerschaftliche Zusammenarbeit im Bereich der Lebensmittelsicherheit ist. Zwei Stäubli-Roboter vom Typ TS2-60 he übernehmen diese Aufgabe dank KI-gestützter Bildverarbeitungslösungen Oxipital AI nicht nur schnell, sondern auch mit außerordentlich hohem Output.

Greiferarm
© Stäubli

Die moderne Lebensmittelindustrie erfährt durch die Digitalisierung und Automatisierung einen tiefgreifenden Wandel.

Greifer in einer Produktionsstraße
© Stäubli

Hinzu kommen die Produktionsumgebungen, die oft von hoher Luftfeuchtigkeit und Spritzwasser geprägt sind. Wie wirkt sich dies auf Ihre Roboter aus? 

Ein großer Vorteil ist die Mechanik unserer HE-Roboter, wobei HE für Humid Environment steht. Dank ihrer voll gekapselten Bauweise und ihres Hygienic-Designs sowie ihrer Beständigkeit gegen Reinigungsprozedere setzen HE-Roboter heute den Benchmark in vielen sensiblen Einsätzen – also überall dort, wo hohe Anforderungen an die Hygiene und Sauberkeit der Produktionsumgebungen bestehen. Die hervorragende Reinigbarkeit unserer Roboter stellt einen großen USP dar und ermöglicht eine einfache Instandhaltung wie auch einen lang anhaltenden, hygienischen Betrieb der Anlage.

Gerade wenn rohes Fleisch verarbeitet wird, muss der komplette Prozess unter höchsten Hygienestandards ablaufen ... 

Mit unseren HE-Robotern gelingt das problemlos, was wir auch im Rahmen der vergangenen Anuga FoodTec in Köln gezeigt haben. In einer unserer Demozellen kamen der TS2-60 he und ein TX2-60 he zum Einsatz, die mithilfe der Conveyor-Tracking-Technologie Hähnchenfleisch und Rindfleisch handhabten. Der TX2-60 he schnitt mit einer Wasserstrahleinheit des Schweizer Herstellers Allfi das Hähnchenschenkel- und Steakfleisch. Anschließend wurden die Fleischstücke per Förderband zur nächsten Station transportiert, dort kamerageführt vom TS2-60 he gegriffen und in der Verpackung abgelegt.

Wie einfach lassen sich die Roboter an wechselnde Produkte oder Formate anpassen – etwa bei kleinen Losgrößen oder häufigem Produktwechsel? 

Eine ausgereifte technische Lösung ist entscheidend, um das gesamte Produktspektrum eines Lebensmittelherstellers abzubilden, wobei Sensorik eine wesentliche Rolle spielt, um Präzision und Anpassungsfähigkeit zu garantieren. KI-gesteuerte Kamerasysteme ermöglichen durch Echtzeitanalysen und maschinelles Lernen eine flexible Anpassung der Produktion an wechselnde Produkteigenschaften, was eine dynamische Prozessverarbeitung ohne Effizienzeinbußen erlaubt.

Eine ebenso entscheidende Rolle spielen hochwertige und verlässliche Schnellwechselsysteme ...

Für größtmögliche Multifunktionalität und Vielseitigkeit bietet wir unsere Werkzeugwechselsysteme im Rahmen eines modularen Konzepts an, bei dem Kunden zwischen konfigurierbaren Standardmodulen aus dem bereits existierenden Produktportfolio sowie komplett maßgeschneiderten Lösungen wählen können. Diese Systeme ermöglichen schnelle und unkomplizierte Umstellungen in der Produktionslinie, wodurch Stillstandszeiten minimiert und die Flexibilität maximiert wird. Dies ist besonders relevant, wenn die Nachfrage nach individualisierten Produkten und schnellen Markteinführungszeiten wächst.

Welche technologischen Trends sehen Sie für die kommenden Jahre in der Lebensmittelautomatisierung? 

Die moderne Lebensmittelindustrie erfährt durch die Digitalisierung und Automatisierung einen tiefgreifenden Wandel, wobei Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, Robotik, das Internet der Dinge und Blockchain maßgeblich zur Transformation beitragen. Diese Technologien sind nicht nur für die Optimierung der Produktionsprozesse und die Verbesserung der Transparenz in der Lieferkette von zentraler Bedeutung, sondern spielen auch eine entscheidende Rolle bei der Sicherstellung von Effizienz und Lebensmittelsicherheit.

Das ausführliche Interview ist nachzulesen im Anuga Food Tec Digital-Magazin.

Zum Thema

Überspringen