Drei Mahlzeiten, eingenommen im Kreis der Familie – diese Ernährungsroutine gibt es schon lange nicht mehr. Dezidierte Ernährungs- oder Fastenempfehlungen, aktuelle Ernährungsmedizin, ein immer breiter werdendes Angebot an Powerriegeln, VeggiBurgern, Smoothies to go und ein wachsender Markt an Außer-Haus-Verpflegungen sind die gesellschaftlichen Entwicklungen, mit denen die Lebensmittelbranche konfrontiert ist. Welche Auswirkungen haben diese Strömungen auf die Landwirtschaft und woher kommt die Diskrepanz zwischen dem, was Ernährungsempfehlungen uns nahelegen, und dem, was am Ende tatsächlich auf dem Teller landet?
Diesen Fragen ging die Veranstaltung „Ernährungstrends – Snacking, Alternativprodukte – Ready-to-eat – Einfluss auf die Landwirtschaft?“ nach. Im Rahmen der Agritechnica 2025 im November in Hannover hatten Besucherinnen und Besucher auf der DLG-Expert Stage die Möglichkeit, ihre Wahrnehmung der Lage zu teilen und ihre Fragen mit Experten zu diskutieren. Unter der Leitung von Prof. Dr. Katharina Riehn, DLG-Vizepräsidentin und Professorin für Lebensmittel-Mikrobiologie und -Toxikologie an der HAW Hamburg, stellten vier Fachleute ihre Standpunkte und Fragen an den Anfang der Diskussion.
Ernährung - Essen - Emotion
Den Beobachtungen von Dr. Andrea Lambeck zufolge ist das Thema Ernährung heutzutage vor allem mit Überforderung verbunden. Die promovierte Ökotrophologin und Geschäftsführerin des Berufsverbandes der Ökotrophologie e.V. verknüpft diese Feststellung mit der Aufforderung zu mehr Zusammenarbeit durch die gesamte Lebensmittel-Wertschöpfung hindurch. Nur so könnten Lösungen gefunden werden, um die Lücke zu schließen, die zweifellos zwischen den allgegenwärtigen Ernährungsempfehlungen und unserem tatsächlichen Essverhalten besteht. Diese Diskrepanz führt neben Überforderung auch zu Verzweiflung und dazu, dass Ernährung zu einem emotionalen Streitpunkt geworden ist. Lambecks Frage an das Plenum lautete deshalb: „Ernährung, Essen, Emotionen – Was sollen und was wollen wir essen?“
Die Antwort war vermeintlich schnell gefunden: Unsere Nahrung sollte lecker, regional, gesund und vor allem praktisch sein. Praktisch – eine Anforderung, die die Arbeit der lebensmittelverarbeitende Industrie in wachsendem Maße bestimmt. Diese Thematik lenkte den Fokus auch auf die hoch verarbeiteten Lebensmittel (UPFs). Besonders Convenience-Produkte sind oft hochverarbeitet, um auch für den Verzehr ‚to go‘ brauchbar zu sein. Durch diesen hohen Verarbeitungsgrad gehören sie in den meisten Fällen nicht zu dem, was als ausgewogene Ernährung empfohlen wird. Und doch ist die Nachfrage nach solchen Produkten hoch. Angesichts dieses Spannungsfelds und im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung stellt sich die Frage, wie das, was wir essen sollten wieder zu dem wird, was wir auch essen wollen. Und wie es Konsumentinnen und Konsumenten leichter gemacht werden kann, die gesündere Entscheidung zu treffen in einer Produktlandschaft, die in den meisten Fällen vom Profit der Hersteller und einer daran angepassten Produktplatzierung dominiert ist. Pflanzliche Alternativen zu tierischen Produkten, so die Empfehlung einiger Experten, stellen hierbei eine große Möglichkeit da, mit möglichst wenig Aufwand und Anpassung eine gesündere Wahl zu treffen.
„Make the healthy choice the easy choice“
Was am Beispiel der pflanzlichen Alternativen benannt wurde, lässt sich auch unter die Maxime „Make the healthy choice the easy choice“ ("Mach die gesunde Option zur einfachen Option") fassen, die von Christine Röger vom bayerischen Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn) formuliert wurde. Vor dem Hintergrund ihrer Frage „Was essen wir heute, was morgen?“ stellte die Expertin fest, dass sich Ernährungstrends schnell verändern: Am KErn in Bayern durchgeführte Studien zeigen, dass weniger Fleisch konsumiert wird, dafür mehr Obst und Gemüse und besonders unter den jungen Bevölkerungsgruppen auch vegetarische und vegane Lebensstile eine immer größere Rolle spielen.
Bei dieser zunehmenden Dynamik habe sich jedoch der grundlegende Anspruch an die Ernährung nicht verändert: Im Mittelpunkt steht nach wie vor unsere Gesundheit. Was jedoch hinzukommt und bei vielen Menschen für zusätzliche Überforderung sorgt, ist der Aspekt der Nachhaltigkeit. Die Selbstversorgung kann dabei im Spannungsfeld zwischen ‚Sollen‘ und ‚Wollen‘ und ‚gesund‘ und ‚nachhaltig‘ zum echten Stressfaktor werden. Es gelte daher, gesunde Alternativen einfacher zugänglich zu machen und sichtbarer zu platzieren. Dazu gehört auch eine bessere Konsumentenbildung, zum Beispiel durch entsprechende Online-Angebote.
„Wir müssen überlegen, wie wir mehr Wertschätzung in die Wertschöpfung bekommen, uns verabschieden aus unseren eigenen Bubbles und neue Produkte als Bereicherung erkennen können.“
So formuliert Röger ihren Lösungsvorschlag für eine gesündere Ernährung, die alle Gliedern der Wertschöpfungskette gleichermaßen am Gewinn beteiligt. Denn: „Es ist sicherlich nicht nachhaltig, wenn ernährungstechnische Transformation auf Kosten der Landwirtschaft geschieht.“ Wertschätzung müsse auch in Form von Bildung gefördert werden – denn nur wenn wir wissen, was gut und gesund ist, schätzen wir entsprechende Produkte auch finanziell wert.
Wissen, wo das Essen herkommt
Von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus schaute Dr. Ernestine Tecklenburg auf die Thematik der Wertschöpfung. Die Vertretungsprofessorin am Departement Ökotrophologie an der HAW Hamburg sieht die Problematik allerdings nicht nur in der Wertschätzung der Lebensmittel, sondern viel grundlegender in der Versorgung mit ihnen selbst. Angesichts einer stetig wachsenden Weltbevölkerung beschäftigt sich die Ernährungsforschung mit Fragen rund um die Versorgung der Menschen mit allen relevanten Makro- und Mikronährstoffen, der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen vor diesem Hintergrund und das alles mit der gesamten Wertschöpfungskette im Fokus. Tecklenburg hebt ganz konkret die zunehmende Relevanz von Hülsenfrüchten hervor. Es stellten sich Fragen danach, wo welche Kulturen angebaut werden könnten, welche Mittel die verarbeitende Industrie benötige und welche Erwartungen auf Abnehmerseite bestehen und wie diesen zu begegnen sei. Feststehe, dass es verstärkter Kommunikation zwischen Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Verbrauchern bedürfe, auch in Form von Wissenszirkulation:
„Schon Kinder sollten von klein an wissen, wer für die Ernährung verantwortlich ist, nämlich in erster Linie die Landwirte und nicht die großen Lebensmittelkonzerne.“
Wertschöpfungskette auflockern
Auf die Thematik der Ersatzprodukte und alternativen Proteine im Konkreten ging auch Rick Fischer vom Good Food Institute ein. Dem Politikwissenschaftler war es ein Anliegen, zu klären, wie die Politik den heimischen Markt für den Anbau verschiedener Erbsen und Bohnen stärken kann, wie dies bereits geschieht und wie der Markt in Zukunft ausgebaut werden könne. Denn feststeht: „Staatliche Förderung ist schön und gut, aber eben endlich.“ Für Landwirte müssten gezielt Anreize zum Anbau solcher Kulturen gesetzt werden, die über eine zeitliche begrenzte stattliche Förderung hinausgehen. Eine Möglichkeit sieht Fischer in der stärkeren Einbindung der Erzeuger in die Weiterverarbeitung und in der Aufhebung der strikten Trennung der Wertschöpfungsakteure. Wie können Betriebe, die über gewisse Produkte verfügen, sich vertikal in der Wertschöpfungskette integrieren, sodass Gewinne auch bis zurück zum Ursprung ausgespielt würden und „alle mehr vom ‚Wertschöpfungskuchen‘ abbekommen“? Wenn ein Landwirt sich beispielsweise einen Fermentationstank auf den Betrieb hole und so nicht nur in der Erzeugung, sondern auch zugleich in der Verarbeitung von Lebensmittel tätig werde, nehme er eine stärkere Position innerhalb der Wertschöpfung ein, was sich am Ende ganz praktisch in einer Gewinnsteigerung niederschlagen könnte. Mit einem solchen Umdenken sei es möglich, sich von Förderprogrammen unabhängig zu machen und trotzdem den alternativen Proteinmarkt auszubauen, der in Zukunft ohne Zweifel immer stärker in den Fokus rücken wird, so Fischer.
Text: Charlotte Bromm, DLG-Newsroom