Zelluläre Zukunft

Nachhaltige Lebensmittel aus Pilzmyzel
 

Auf einem Teller angerichteter Salat mit Mykoprotein. Foto: Kynda
Salat mit Mykoprotein: Pilzmyzel lässt sich zu eiweißreichen, fleischähnlichen Produkten verarbeiten – hier in einem frischen Salat mit saisonalem Gemüse. Foto: Kynda

Zelluläre Landwirtschaft: Tierische Produkte ohne Tierhaltung

Zelluläre Landwirtschaft bezeichnet die Herstellung tierischer Produkte wie Fleisch, Milch oder Eier, ohne dass dafür Tiere gehalten oder geschlachtet werden müssen. Stattdessen werden Zelllinien in kontrollierten Umgebungen wie Bioreaktoren kultiviert. Die Technologie basiert auf bewährten Verfahren aus der Biotechnologie und verspricht eine deutlich ressourcenschonendere Lebensmittelproduktion. 

Pilzbasierte Lebensmittel (z. B. Myzel-Produkte wie bei Kynda Biotech) basieren auf der Fermentation von Pilzmyzel – also nicht-tierischen Zellen. Sie fallen nicht unter Zellkultivierung tierischer Zellen, sondern gehören zur mikrobiellen Fermentation. Damit sind pilzbasierte Produkte zwar keine klassische zelluläre Landwirtschaft – sie nutzen jedoch verwandte biotechnologische Prinzipien und werden oft als Teil eines größeren alternativen Produktionsansatzes betrachtet.
 

Die Landwirtschaft steht vor gewaltigen Aufgaben: Sie muss eine wachsende Weltbevölkerung ernähren, Klima und Umwelt schützen, Ressourcen effizient nutzen – und dabei wirtschaftlich bestehen. Ein innovativer Ansatz, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist die sogenannte zelluläre Landwirtschaft. Gemeint sind damit biotechnologische Verfahren zur Herstellung von Lebensmitteln – jenseits von Ackerbau und klassischer Tierhaltung.

„Zelluläre Landwirtschaft spielt eine zentrale Rolle für ein nachhaltiges Ernährungssystem der Zukunft“, sagt Florentine Zieglowski, Mitgründerin und Direktorin von RESPECTfarms – einer Organisation, die erforscht, wie Landwirte aktiv an dieser Entwicklung teilhaben können. Sie ist zudem Mitglied im DLG-Ausschuss New Feed & Food. Wichtig sei, betont Zieglowski, dass es dabei nicht um eine Verdrängung der traditionellen Landwirtschaft gehe: „Zelluläre Landwirtschaft soll ein überlastetes System entlasten und neue Wege der Co-Existenz eröffnen.“ RESPECTfarms arbeitet deshalb an innovativen Geschäftsmodellen, um Landwirtinnen und Landwirte als aktive Produzenten auch im zellulären Bereich zu etablieren. Derzeit plant die Organisation den Aufbau der ersten Pilotfarm für kultiviertes Fleisch in den Niederlanden.
 

Porträtfoto: Florentine Zieglowski, Mitgründerin und Direktorin von RESPECTfarms: Foto: Ada Magdalena Drazek
Florentine Zieglowski, Mitgründerin und Direktorin von RESPECTfarms: Foto: Ada Magdalena Drazek
Benjamin Schramm-Völkening, Head of Business Development bei Kynda Biotech GmbH. Foto: Kynda
Benjamin Schramm-Völkening, Head of Business Development bei Kynda Biotech GmbH. Foto: Kynda

 

Wir sehen viel Potenzial dafür, regionale Kreisläufe zu stärken. 

Benjamin Schramm-Völkening, Kynda Biotech         

Einordnung in die Debatte um nachhaltige Landwirtschaft

Die konventionelle Tierhaltung hat über Jahrzehnte zuverlässig zur Ernährungssicherheit beigetragen – dabei leistet sie in vielen Regionen einen wichtigen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft. Gleichzeitig wächst aber der Anspruch, natürliche Ressourcen wie Land, Wasser und Futtermittel noch effizienter zu nutzen und Emissionen weiter zu senken. Genau hier setzen innovative Ansätze wie Mykoprotein an. Es kann auf wesentlich weniger Fläche und, wenn Reststoffe im Fermenter genutzt werden, mit minimalem Ressourceneinsatz erzeugt werden.

So betont etwa Professor Philipp Benz von der TU München im Rahmen einer Veranstaltung des Forschungskreises der Ernährungsindustrie die Vorteile der Pilzbiotechnologie: „Die Pilzbiotechnologie bietet Lösungen zur Sicherung, Stabilisierung und Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung einer wachsenden Weltbevölkerung bei gleichzeitiger Senkung der Treibhausgasemissionen.“ Doch funktioniert das in der Praxis?
 

Tacos befüllt mit Fleischersatz aus Mykoprotein. Foto: Kynda
Mykoprotein zeichnet sich durch eine fleischähnliche Textur und hohe Nährstoffdichte aus und eignet sich daher als funktionelle Zutat für vielseitige Anwendungen in der Lebensmittelverarbeitung – wie hier in pflanzenbasierten Tacos. Foto: Kynda

Kynda Biotech: Myzel aus Nebenströmen

Ein Unternehmen, das dieses Potenzial bereits nutzt, ist das niedersächsische Start-up Kynda Biotech GmbH: „Wir ermöglichen ein resilientes, effizientes und nachhaltiges Ernährungssystem, in dem wir lebensmitteltaugliche Nebenströme dezentral dort aufwerten, wo sie entstehen“,  erklärt Benjamin Schramm-Völkening, Head of Business Development im Unternehmen. Das bedeutet: Statt neue Rohstoffe anzubauen, nutzt Kynda vorhandene Nebenströme – etwa aus der Verarbeitung von Milch oder der Zuckerproduktion - und schafft daraus ein marktfähiges, funktionales Proteinprodukt. 

Aus wirtschaftlicher Perspektive  liegt der Vorteil insbesondere darin, dass sich die Fermentationsmodule nahtlos in bestehende Betriebe integrieren lassen – sie helfen dabei, Entsorgungskosten zu reduzieren und ungenutzte Wertschöpfungspotenziale gezielt zu erschließen. Selbst der Fermentationsrückstand kann vor Ort genutzt werden – etwa als Dünger für den Boden. „Wir sehen viel Potential dafür, regionale Kreisläufe zu stärken und die Bodengesundheit zu verbessern“, so Schramm-Völkening. Die Mykoproteine haben dabei noch einen weiteren Vorteil etwa gegenüber tierischem Eiweiß.

Standortfaktor Deutschland: viel Potenzial, viel Bürokratie

Deutschland biete laut Kynda als Forschungsstandort gute Voraussetzungen – durch exzellente Forschungseinrichtungen, eine wachsende Rohstoffverfügbarkeit und eine zunehmend innovationsfreundliche Gesellschaft. Allerdings sieht das Unternehmen Verbesserungsbedarf bei Förderinstrumenten: „Förderprogramme sind oft schwer zugänglich und zu bürokratisch. Wir brauchen einfachere Verfahren, schnellere Zulassungen und echte Entlastung für innovative Unternehmen“, fordert Schramm-Völkening.
 

Markteinführung in Vorbereitung

Derzeit arbeitet Kynda an der Einführung erster Produkte auf Myzelbasis. Entscheidend für den Erfolg im Massenmarkt sind aus Sicht des Unternehmens Faktoren wie Geschmack, Funktionalität und ein wettbewerbsfähiger Preis. „Pilzbasierte Produkte werden massenmarktfähig, wenn sie schmecken, funktionieren – und preislich konkurrenzfähig sind“, so Schramm-Völkening. Viele dieser Voraussetzungen sieht man im eigenen Verfahren bereits erfüllt. Wann genau die Produkte in den Handel kommen, ist noch offen – die Vorbereitungen laufen jedoch auf Hochtouren.

Marktgröße und -anteil von Pilzproteinen

Laut Global Market Insights wächst der Markt für pilzbasierte Lebensmittel (Fungal Protein) dynamisch und wird voraussichtlich bis 2032 ein Volumen von rund 9 Milliarden US-Dollar erreichen. Als zentrale Wachstumstreiber gelten der weltweite Trend zu pflanzlichen Ernährungsweisen, ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein und die Suche nach nachhaltigen Proteinquellen. Europa zählt dabei zu den führenden Absatzregionen.

Laut einer Umfrage von Plant Futures Collective, HarrisX und dem Good Food Institute Europe aus dem Jahr 2025 zeigt sich in Deutschland ein wachsendes Interesse an pflanzenbasierten Lebensmitteln – ein Trend, der auch pilzbasierten Produkten zugutekommt. Rund 40 % der Befragten haben pflanzenbasierte Alternativen bereits ausprobiert, und etwa ein Drittel konsumiert sie regelmäßig. Zudem zeigt die Studie, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher offen für Innovationen im Lebensmittelbereich sind – vorausgesetzt, Geschmack, Preis und Verfügbarkeit stimmen. 
 

Wie Kreislaufwirtschaft und Ernährungssicherheit zusammenfinden

Kynda Biotech ist nur ein Beispiel für eine neue Generation von Food-Tech-Unternehmen, die Technologie, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit vereinen wollen. Mit seiner dezentralen Fermentationstechnologie, der Nutzung von Lebensmittel- und landwirtschaftlichen Nebenströmen und einem klaren Fokus auf Kreislaufwirtschaft zeigt es Möglichkeiten, wie zelluläre Landwirtschaft in der Praxis funktioniert – und Beiträge für eine zukunftsfähige, nachhaltige und resiliente Lebensmittelproduktion leisten kann.

Welche Potenziale in innovativen Ansätzen wie diesen stecken und wie sich die Agrar- und Ernährungswirtschaft der Zukunft gestalten lässt, darüber diskutieren Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft und Praxis auf der Inhouse Farming – Feed & Food Convention 2025. Die DLG lädt dazu vom 30. September bis 1. Oktober ins Congress Center Hamburg ein. Im Fokus stehen u. a. Algen, alternative Proteine, Aquakultur, Energiekonzepte, High-Value Crops, Insekten – und zelluläre Landwirtschaft.
 

Inhouse Farming - Feed & Food Convention 

Controlled Environment Agriculture – die weltweite Ernährungssicherung durch neue landwirtschaftliche Produktionssysteme ist eine der zentralen Aufgaben der Zukunft. 

Der Brand „Inhouse Farming - Feed & Food“ ist die Plattform der DLG für die Agrar- und Food-Systeme der Zukunft. Eng vernetzt mit der landwirtschaftlichen Praxis, bietet sie fachliche Informationen, Perspektiven, Innovationen und Business – von Feed bis Food. Die Inhouse Farming Feed & Food Convention 2025 am 30. September und 1. Oktober im Congress Center Hamburg bringt alle Stakeholder der Wertschöpfungskette zusammen: Vom Landwirt bis zum Lebensmitteleinzelhandel - von “A” wie Aquakultur bis “Z” wie Zelluläre Landwirtschaft. 

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Text: 

Agnes Michel-Berger
freie Autorin DLG-Newsroom

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