Welche Chancen bieten alternative Proteine für Landwirte?

Experten-Interview zum Markteinstieg

Mensch führt geröstetes Insekt in Mund. Foto: DLG/S.Pförtner
Der beherzte Biss in geröstete Insekten als Snack ist vor allem in Westeuropa eher noch Zukunftsmusik. Bei Insektenmehl in verarbeiteten Produkten oder Futtermitteln sieht das anders aus. Foto: DLG/S.Pförtner

Die Land- und Ernährungswirtschaft befindet sich im Umbruch. Neben traditionellen Proteinquellen gewinnen Insekten, Algen und weitere alternative Eiweiße an Bedeutung als neue Nahrungs- und Futtermittel. Doch was muss man als Landwirt beim Einstieg in diese Bereiche beachten? Im Interview geben zwei Mitglieder des DLG-Ausschuss New Feed and Food ihre Einschätzungen: Simone Poppe, Inhaberin und Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens NewFood Consulting GmbH in Oldenburg und Prof. Dr. Tilo Hühn vom ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Life Sciences und Facility Management, Zentrum für Lebensmittelkomposition und -prozessdesign.

DLG: Woher kommt die Nachfrage nach neuen Nahrungs- und Futtermitteln und wie stabil ist sie?

Prof. Hühn: Klimawandel, Erhalt der Biodiversität, Schutz vor Umweltkontamination und steigende Gefahr für Ernteausfälle sind große Treiber für Veränderungen in der Landwirtschaft. Daraus entsteht Innovationsdruck. In neuen Nahrungs- und Futtermitteln gibt es marktfähige Produkte, die Lösungen versprechen, deswegen ist der Bereich besonders attraktiv. Ob sich Insekten, Algen oder andere neue Proteinquellen langfristig durchsetzen, hängt an vielen Faktoren, die vom Preis bis zur Regulatorik reichen. Fleisch aus dem Bioreaktor ist aktuell z.B. zu teuer, um sich flächendeckend am Markt zu etablieren. Klar ist, dass Innovation immer schon zu günstigerer Produktion geführt hat. Wer das Potenzial alternativer Proteinquellen als Ganzes unterschätzt, tut es auf eigene Gefahr.

Wie wichtig werden neue Proteinquellen mittelfristig für Landwirte sein?

Poppe: Die Landwirtschaft wie wir sie kennen wird durch Insektenmast oder Mikroalgen auch in 20 Jahren nicht komplett ersetzt werden. Aber Unternehmer müssen sich heute überlegen, wie in 50 Jahren ihre Böden aussehen werden und welche unternehmerischen Möglichkeiten sie ihren Kindern eröffnen möchten. Wer als Landwirt in neue Betriebszweige einsteigen will, sollte das nur peu-a-peu tun, um Erfahrung zu sammeln.

Wie wird sich der Fleischkonsum in Zukunft im Vergleich zu alternativen Proteinen entwickeln?

Prof. Hühn: Exakte Vorhersagen gibt es hier nicht, wir beobachten allerdings verschiedene Entwicklungen: Eine Strömung ist, dass Menschen sagen, man solle auf das Töten von Tieren verzichten, wenn dies möglich sei. Ein großer Anteil der Bevölkerung ernährt sich flexitarisch, verzichtet also manchmal bewusst auf Fleisch und diese Ernährungsform wird auch von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung begrüßt. Allerdings ändern sich Verhaltensmuster hier langsam. Eine Rolle spiel dabei immer auch der Preis.

Wie wettbewerbsfähig sind wir in Europa aktuell bei der Erzeugung alternativer Proteine?

Prof. Hühn: Es gibt ein wenig wettbewerbsfähigen Anbau von Soja und Ackerbohnen, aber Wettbewerber  aus China und Kanada liegen - die Marktpreise betreffend - unter uns, etwa was Fleisch aus Zellkulturen (Asien und Australien), beziehungsweise Soja und Erbsen (China und Kanada) angeht. Für unsere heimischen Landwirte ist es schwer, deswegen wurden verschiedene innovative Projekte bei uns, wie der Bau einer Erbsenprotein-Fabrik durch Nordzucker in Niedersachsen, wieder gestoppt.

Plakat mit der Aufschrift Vertical Farming. Foto: DLG/S.Pförtner
Vertical Farming, vertikale Landwirtschaft, Inhouse Farming oder Controlled Environment Agriculture: Momentan hat der innovative Zweig der Lebensmittelproduktion noch viele Namen. Foto: DLG

Sind alternative Proteinquellen also nur marktferne Träumerei?

Poppe: Nein, denken Sie nur an das klassische Beispiel Rügenwalder Mühle. Die waren vor vielen Jahren sehr mutig, ein First Mover. Heute sind sie Marktführer für pflanzlichen Fleischersatz. Sie haben aber nach wie vor einen klassischen Fleischbetrieb für die Produkte, die sich hier gut verkaufen.

Was muss ein Landwirt bedenken, der in alternative Proteinquellen investieren möchte?

Poppe: Wie jeder andere Unternehmer sollte sie oder er zunächst den eigenen Standort prüfen und überlegen, was dort möglich ist. Ob ich Leguminosen für die Proteingewinnung anbaue, Mikroalgen in Hallen produziere oder Insektenlarven mäste hängt zum Beispiel davon ab, wie geeignet bei mir Böden sind, ob ich alte Hallen habe, die ich umnutzen kann und wie hoch meine Energiekosten sind. Entscheidend ist auch, ob ich einen Absatzkanal in der Region habe, zum Beispiel eine Mühle, die meinen Rohstoff kaufen will.

Wie sollten Landwirte also vorgehen?

Poppe: Landwirte sollten Investitionen kontrolliert und schrittweise angehen – und dabei prüfen, ob sich bestehende Strukturen sinnvoll weiternutzen lassen. Wer etwa eine Hofschlachterei mit eigenem Laden betreibt, könnte perspektivisch mit einem kleinen Bioreaktor Zellmasse erzeugen und direkt vor Ort verarbeiten. Das wäre ein mögliches Modell für regionale Vermarktung.

Für die breite Masse der Landwirtinnen und Landwirte ist die Zellkultivierung allerdings weniger relevant: Wir sprechen von einem hochempfindlichen Rohstoff, der hohe Anforderungen an Hygiene, Technik sowie eine komplexe Supply Chain stellt. Zudem sind kultivierte Lebensmittel in Europa bislang nicht zugelassen – die entsprechenden Verfahren auf EU-Ebene werden noch viel Zeit in Anspruch nehmen.

Wer jedoch heute schon über passende Strukturen und Netzwerke verfügt, kann diese Nutzen und hochwertige Rohstoffe – zum Beispiel Leguminosen – produzieren und an regionale Verarbeiter liefern.

Welche Chancen haben Landwirte, um einen größeren Anteil der Wertschöpfung bei alternativen Produkten zu behalten?

Prof. Hühn: Ein wichtiges Argument ist es, den Wunsch der Verbraucher nach Regionalität zu bedienen. Regionale Erzeugung in der Betriebsphilosophie zu verankern und Informationen darüber an die Lebensmittelindustrie weiterzutragen funktioniert. Wenn jemand sagen kann, „das Brot hier stammt aus einer Bäckerei die zehn Kilometer entfernt ist und das Getreide dafür kommt von Feldern aus der Gegend“, dann klingt das vielleicht etwas idyllisch, schafft aber Vertrauen und damit Mehrwert. Das funktioniert bei klassischen Proteinquellen genauso wie bei alternativen.
 

Professionelle Insektenproduktion: Absieben der gemästeten Larven. Foto: FarmInsect
Professionelle Insektenproduktion: Absieben der gemästeten Larven. Foto: FarmInsect

Gibt es außer Insekten und Algen weitere spannende Möglichkeiten, wo Landwirte von der Erzeugung alternativer Proteine profitieren können?

Prof. Hühn: Viele, ich möchte aber besonders auf die Herstellung regionaler Kulturmedien zur Fermentation hinweisen. Getreide für Bier und als Seitenstrom der Treber sind ein klassisches Beispiel, aber das Feld ist heute viel größer. Pilze beziehungsweise die Erzeugung des Nährbodens für ihre Mycelien sind ein Riesenthema. Zellkulturen brauchen einen Nährboden und es würde aus ökologischen Gründen sehr viel Sinn machen, die Grundstoffe dafür regional zu erzeugen, unter Umständen sogar biologisch. Zusammen mit einer großen schweizerischen Agrargenossenschaft hatten wir hier ein spannendes Forschungsprojekt.

Wohin kann ich mich wenden, wenn ich als Landwirt Partner zur Zusammenarbeit suche?

Poppe: Netzwerken ist ein sehr wichtiges Thema, denn Veränderungsdruck spüren auch viele Partner in der Kette, von den Saatguterzeugern bis zu den Lebensmittelherstellern. Alle verändern ihre Netzwerkstruktur und ihre Wertschöpfungskette und deswegen ist es unheimlich wichtig, auf regionale Veranstaltungen zu gehen. Die DLG bietet viel an, sei es die Wintertagung oder unser Ausschuss New Feed and Food. Ein erster Schritt kann sein, den Anbauberater zu fragen, wenn er das nächste Mal auf den Hof kommt. Viele Informationen findet man aber auch online, zum Beispiel auf der Website des Good Food Institute.

Welche Investitionssummen kommen auf Landwirte zu und gibt es Fördermöglichkeiten?

Poppe: Die Investitionssummen können sehr unterschiedlich ausfallen und hängen stark von der jeweiligen Ausgangssituation ab. Entscheidend ist zunächst ein solider Businessplan. Wer etwa Erbsen anbauen möchte, kann dafür häufig vorhandene Technik nutzen – ein normaler Mähdrescher reicht oft aus.
Was Fördermöglichkeiten betrifft, ist die Lage durch die föderale Struktur etwas unübersichtlich. Es gibt Programme vom Bundeswirtschafts- und vom Bundeslandwirtschaftsministerium, von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), den Bundesländern und teilweise auch von der EU. Zusätzlich bieten auch regionale Förderbanken häufig Unterstützung und Beratung – in Niedersachsen etwa die NBank. Leider führt kein Weg daran vorbei, sich individuell zu informieren. Ein guter erster Schritt ist die Kontaktaufnahme mit der BLE, der zuständigen Förderbank oder dem bekannten Anbauberater vor Ort.

Gibt es auch Ansprechpartner in der Lebensmittelindustrie, die Landwirten helfen können?

Prof. Hühn: Die Tiefkühlindustrie interessiert sich stark für das Thema, man kann sich also an das Deutsche Tiefkühlinstitut wenden. Caterer und Betriebsgastronomen sind ebenfalls sehr aktiv, hier wäre ein Ansprechpartner das Institute of Culinary Art. Es gibt bereits verschiedene gemeinsame Aktivitäten auch von einzelnen Landwirten, ich möchte aber keine Markennamen nennen. Gemeinsam ist allen Fällen, dass die Anforderungen an Qualität sehr hoch sind. 
 

Wie sieht es mit Partnern im Lebensmittelhandel aus? Wie ist hier die Nachfrage nach alternativen Proteinen?

Prof.  Hühn: Die ersten alternativen Fleischprodukte, die in einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, kamen um das Jahr 2012 herum in den Markt. Aktuell legen viele Händler Strategien auf, mit denen sie die Nachfrage der Flexitarier bedienen wollen. Veganerinnen und Veganer sind eine zu kleine Gruppe, aber bei Flexitariern ist es anders. Ein wichtiges Thema für die Supermärkte ist es, dass Fleischprodukte und alternative Proteine ungefähr gleich viel kosten. Verbraucher werden aber künftig wahrscheinlich noch stärker wissen wollen, wo beispielsweise die Ackerbohne für das Ersatzprodukte herkommt. Wenn sie dann hören, dass sie aus China stammt, wollen sie sie es vielleicht nicht mehr kaufen. Spätestens dann wird der Handel reagieren.

Gibt es typische Fehler, die Landwirte beim Einstieg in alternative Proteine machen?

Poppe: Ohne klaren Businessplan einfach loszulaufen – etwa, weil es der Nachbar auch macht – ist riskant. Ein großer Hemmschuh in Europa ist die komplexe Regulatorik für das Inverkehrbringen neuer Lebensmittelrohstoffe. Viele Rohstoffe, die in anderen Regionen der Welt längst genutzt werden, benötigen in der EU eine sogenannte Novel-Food-Zulassung. Maßgeblich ist dabei der Stichtag 15. Mai 1997: Alles, was danach nicht in relevantem Umfang als Lebensmittel verwendet wurde, gilt als „neuartig“ und darf ohne Zulassung nicht vermarktet werden. Es ist wichtig, frühzeitig zu prüfen, ob eine EU-Zulassung für den jeweiligen Rohstoff bereits vorliegt oder noch beantragt werden muss.
Es gibt viele spannende neue Saatgüter – mit Fokus auf Proteingehalt, Trockenheitsresistenz oder Wurzelwachstum. Aber erfolgreich investieren kann der Landwirt nur, wenn er das passende Umfeld hat, seine Hausaufgaben macht und sich Schritt für Schritt weiterentwickelt.

Sind alternative Protein nur ein Hype oder haben sie in der EU langfristige eine Perspektive?

Prof. Hühn: Wenn Länder mit agrarisch geprägten Regionen sagen, wir wollen keine Zellkulturen, dann finde ich das kurzsichtig. Die Zahl der Menschen auf dem Planeten steigt, das Klima verändert sich und wir brauchen sichere Quellen für Nahrung. Mit alternativen Proteinen und einer wieder höheren Verwertung von Pflanzen direkt durch den Menschen, können wir Stoffkreisläufe sogar ohne Tierhaltung schließen. Auch wenn sie sicher nicht alleine die Marktnachfrage nach Eiweiß schließen werden, führt doch kein Weg an ihnen vorbei.

Interview: Agnes Michel-Berger,  freie Autorin
 

Mehr zu Simone Poppe

Simone Poppe ist Gründerin und Geschäftsführerin der NewFood Consulting GmbH. Sie unterstützt unter anderem dabei, geeignete Partner zu finden, Rohstoffe zu sourcen und effiziente Produktionsprozesse aufzubauen. Gleichzeitig berät sie Investoren, die frühzeitig in innovative Start-ups in diesem Bereich investieren möchten. Ihre langjährige Erfahrung in Führungspositionen – u. a. bei der DMK Group und der PHW-Gruppe – kombiniert sie mit praxisnaher Expertise aus Start-ups, etwa als COO eines Unternehmens für Ei-Alternativen. Darüber hinaus ist sie als Mentorin für Start-ups im New-Food-Sektor aktiv. Sie ist Mitglied im DLG Ausschuss New Feed & Food.
 

Porträt von Beraterin Simone Poppe. Foto: Privat
Simone Poppe verfügt über tiefe Kenntnisse der Ernährungsindustrie und berät heute mit ihrer eigenen Firma Unternehmen, die neu in den Bereich Inhouse Farming einsteigen wollen. Foto: Privat

Inhouse Farming - Feed & Food Convention 

Controlled Environment Agriculture – die weltweite Ernährungssicherung durch neue landwirtschaftliche Produktionssysteme ist eine der zentralen Aufgaben der Zukunft. Der Brand „Inhouse Farming - Feed & Food“ ist die Plattform der DLG für die Agrar- und Food-Systeme der Zukunft. Eng vernetzt mit der landwirtschaftlichen Praxis, bietet sie fachliche Informationen, Perspektiven, Innovationen und Business – von Feed bis Food. Die Inhouse Farming Feed & Food Convention 2025 am 30. September und 1. Oktober im Congress Center Hamburg bringt alle Stakeholder der Wertschöpfungskette zusammen: Vom Landwirt bis zum Lebensmitteleinzelhandel - von “A” wie Aquakultur bis “Z” wie Zelluläre Landwirtschaft. 

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Mehr zu Prof. Tilo Hühn

Prof. Tilo Hühn arbeitet am ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Life Sciences und Facility Management, Zentrum für Lebensmittelkomposition und -prozessdesign. Dort erforscht er mit seinem Team Informationswege, um funktionelle Lösungen für die Lebensmittelwelt umzusetzen. Sein Ziel ist es, die Basis für die Entwicklung transformativer Nahrungsmittelprozesse zu schaffen. Prof. Hühn ist außerdem Vorsitzender des DLG Ausschuss für New Feed & Food.
 

Prof. Tilo Hühn spricht auf einer Bühne bei DLG-Wintertagung. Foto: DLG / T.Jaworr
Prof. Tilo Hühn hat eine Grundüberzeugung: Die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren, muss an einigen Punkten neu gedacht werden. Foto: DLG/T.Jaworr

Kontakte & Ansprechpartner 

  • DLG Ausschuss New Feed & Food: www.dlg.org/lebensmittel/new-feed-food Geschäftsführer Dr. Nils Borchard, E-Mail: N.Borchard@DLG.org ; Tel.: +49 69 24788-264 
  • Good Food Institute Europa: gfieurope.org/de E-Mail: deutschland@gfi.org; Tel: +49 (0)151 400 64 530
  • Deutsches Tiefkühlinstitut: www.tiefkuehlkost.de infos@tiefkuehlkost.de; Tel: +49 30 2809 362-0
  • German AgriFood Society (bundesweite, unabhängige Interessensvertretung für Startups und Innovationstreiber im Bereich AgriFood): agri-food.de E-Mail: geschaeftsstelle@agri-food.de; Tel: +49 30 346 494 160
  • Startup-Verband: startupverband.de E-Mail: info@startupverband.de; Tel: +49 30 65 77 14 34
  • Crowdfoods – Food Entrepreneur & Startup Association (Schweiz): www.crowdfoods.com/verband/ E-Mail: hallo@crowdfoods.com; Tel: +49 172 7434309

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