Richtig gelesen: Reis. Gut, die erste Ernte im vergangenen Jahr warf noch nicht den ganz großen Ertrag ab, aber im Teichland Linum probiert man es weiter. Zum Beweis hatten Inhaber Guido Leutenegger und Betriebsleiter Robert Jäkel Mitte Mai zum Reispflanzen ins „nördlichste Reisanbaugebiet der Welt“ geladen.
Aus den Alpen ins Havelland
Leuteneggers Weg zum Reisanbau in Brandenburg ist allerdings ziemlich verschlungen: 1990 hatte der ehemalige Lehrer und Stadtrat der Gemeinde Kreuzlingen im Schweizer Kanton Thurgau begonnen, als Quereinsteiger seine Idee der naturnahen Fleischproduktion zu verwirklichen. Aufgegebene Alpweiden begann er gemeinsam mit Mitstreitern mit robusten und alten Rinderrassen zu beweiden, Streuobstwiesen für Most und Tourismuskooperationen mit umliegenden Gemeinden komplettierten das Konzept. Das ebenfalls 1990 gegründete Fleischlabel Natur Konkret erfüllt sogar strengere Kriterien als das Biolabel Bio-Suisse. Besonderer Clou des Vermarktungskonzeptes: Die Verbraucher können sich über einen Aktienkauf an „ihrer“ Kuh beteiligen.
Gut 25 Jahre später verschlug es Guido Leutenegger dann vom Alpen- ins Havelland. Mit inzwischen drei Ökobetrieben verfolgen er und zwölf Mitarbeiter auch hier das Ziel, Naturschutz, Tierschutz und die Produktion hochwertiger Lebensmittel zu vereinen. Zwei der Betriebe, der Kranichhof in Ribbeckshorst und der Großtrappenhof in Planetal-Lütte, entsprechen dabei in etwa dem Muster, mit dem Leutenegger sein Schweizer Unternehmen Natur Konkret aufgebaut hatte: Mutterkuhhaltung – einmal im Naturpark Hoher Fläming und zum anderen im geschützten Zugvogelrastgebiet bei Fehrbellin – sowie Vermarktung der Produkte über den Online-Shop und Hofläden in der Schweiz und Deutschland.
Brandenburger Bio-Nassreisanbau
Wie kommt nun aber der eingangs erwähnte Reis ins Spiel? Wenige Jahre nach Übernahme des Kranichhofes geriet im benachbarten Linum die traditionsreiche Fischzucht in finanzielle Schwierigkeiten. Leutenegger entschied, sie zu übernehmen und die Fischproduktion fortzuführen. Schnell stellten er und sein Team allerdings fest, dass Karpfen – eine andere Fischart kann in den flachen Linumer Teichen nicht gedeihen – beim Verbraucher derzeit eher nicht so en vogue sind. Auch auf Leuteneggers etabliertem und gut besuchtem Online-Shop waren die Absatzzahlen für Karpfen trotz interessanter neuer Kreationen und Rezeptideen eher mager. Also suchten Leutenegger und seine Leute gemeinsam nach neuen Wegen, um am Ende ein rundes, wirtschaftliches, Natur und Gesellschaft integrierendes (Bio-)Unternehmen auf die Beine zu stellen.
Gestartet im Geheimen
Nachdem nun also für die Karpfenproduktion nur etwa die Hälfte der über 36 Teiche und Seen des Betriebes gebraucht wurden, blieb die Frage, was mit den restlichen gut 12 ha Teichfläche geschehen sollte. „Wir haben ja die ganze Infrastruktur“, erklärt Leutenegger beim Pressetermin Mitte Mai. „Die Teiche, deren Wasserstand flexibel reguliert werden kann und die – wenn einmal leer – sehr gut befahrbar sind. Dazu die Gräben mit den Stauwehren, die die Teiche in wenigen Tagen befüllen. Das wollten wir nutzen.“
Aber wie? Leutenegger hatte in jener Zeit von einem Versuch des schweizerischen Kompetenzzentrums für landwirtschaftliche Forschung Agroscope gehört: In einer Region, deren Meliorationssysteme nicht mehr funktionierten, wurde mit dem Reisanbau experimentiert. Die Schweiz ist auch nicht gerade Vietnam, dachte sich da der findige Unternehmer Leutenegger: „also probieren wir das auch“. Allerdings gestand er schelmisch lächelnd: „Wir haben erst mal niemandem davon erzählt. Wir wollten uns ja nicht blamieren!“
Im ersten Jahr ging dann auch alles schief, was schiefgehen konnte: Das Wassermanagement lief nicht gut, die in Direktsaat gesäten Bestände wurden von zunächst unbekannten „Tätern“ abgefressen und kamen ohnehin nur bis zur Milchreife.
Daraufhin fuhr Betriebsleiter Robert Jäkel in die Schweiz und sah sich den Agroscope-Versuch an. Man tüftelte und plante und bald kam die Aussaat 2023. Dafür wurden zur Sicherung der Abreife aus dem Z-Saatgut der italienischen Sorte Loto Jungpflanzen vorgezogen und gepflanzt. Das Schilf, einziger, aber problematischer Ungrasbildner, wurde beseitigt, das Wassermanagement verbessert. Wiederum allerdings fehlten den jungen Beständen plötzlich die Spitzen. Alsbald waren Gänse und Enten als Übeltäter ausgemacht, die sich den Leckerbissen auf „ihren“ Teichflächen munden ließen. Hin und her überlegten Leutenegger und Jäkel und kamen schließlich auf eine verrückt klingende Idee: Der Teich wurde mit einem Elektrozaun eingezäunt, in dem Jäkels Hündin patroulliert, die sehr gern Vögel verbellt. „Seit wir den Reishund haben, wachsen unsere Bestände wunderbar“, lacht Leutenegger. So erreichten wenigstens Teile des Bestandes die Reife. Die Ernte 2023, stolze 153 kg, konnte als Risotto im Hofladen genossen oder zum Preis von 9,80 €/kg im Online-Shop gekauft werden. „Natürlich ist das ein saftiger Preis, aber es gibt durchaus Leute, die belohnen solch ein Engagement“, rechtfertigt Leutenegger. In der Tat: Die Ernte 23 ist ausverkauft. Das letzte Risotto gab es zum Pressetermin.
Der Reisdrescher ist unterwegs
Nun rollte also am 17. Mai dieses Jahres die Pflanzmaschine über zwei vorher per Kreiselegge vorbereitete Teichflächen mit zusammen 3,5 ha. 326.000 vorgezogene Setzlinge wurden von vier Mitarbeitern sorgfältig in den Boden gebracht. „Direkt danach beginnen wir die Teiche 10 cm hoch zu überstauen“, erklärt Betriebsleiter Jäkel. „Das Wasser senkt den Unkrautdruck und hält die Wärme – in den flachen Becken erwärmt es sich sehr schnell. Und wir haben gleichzeitig ein wunderbares Biotop für viele Amphibien und Vögel.“ Tatsächlich sind Rotbauchunke und Waldwasserläufer regelmäßige Besucher im Teichland Linum.
Weitere Maßnahmen wie Düngung und Pflanzenschutz wird es nicht geben, also denken Leutenegger und Jäkel bereits jetzt an die Ernte: „Wir erwarten in diesem Jahr einen Ertrag von 5 t“, sagt Leutenegger selbstbewusst. „In Japan haben wir einen Reisdrescher gekauft, der ist derzeit unterwegs nach Deutschland. Das Problem mit der Aufbereitung müssen wir noch klären – naturgemäß sind nur wenige Mühlen hierzulande darauf eingerichtet, Reis zu schälen ...“
Leutenegger und Jäkel sind sich inzwischen sicher, dass ihre einst so verrückte kleine Idee tatsächlich funktionieren kann. „Natürlich ist das, was wir hier machen, eine Nische. Und es wird auch eine bleiben. Aber in ihr ist noch eine ganze Menge Platz, also falls jemand ähnliche Bedingungen hat – wir beraten gerne“, mit diesen Worten lädt Leutenegger andere kreative Köpfe ein, seinem Beispiel zu folgen.
Natur-Konkret-Betriebe in der Schweiz und Brandenburg
In der Schweiz bewirtschaftet Landwirt Guido Leutenegger seit 1990 vor allem aufgegebene und verlassene Alpweiden im Kanton Tessin zur naturnahen Produktion von Hochlandrindfleisch. Zudem gibt es Tourismusangebote und Obstproduktion von Streuobstwiesen. Im Online-Shop und über Hofläden können Verbraucher Produkte des Bio-Labels natur-konkret.de kaufen.
In Brandenburg führt Natur Konkret drei Betriebe: den Großtrappenhof (Planetal-Lütte GmbH), derzeit im Modellprojekt Naturschutzberatung. Hier im Naturpark Hoher Fläming lebt die bedrohte Großtrappe und andere Wiesenbrüter, Greif- und Singvögel.
Weiterhin den Kranichhof in Ribbeckshorst, im Kranichhotspot Europas, wo bis zu 150.000 Kraniche während der Zugzeit rasten. Der Landwirtschaftsbetrieb mit 530 ha hält eine Bio-Angus-Mutterkuhherde. Und schließlich die knapp 400 ha große Teichland Linum mit mehr als 36 Teichen und Seen, wo seit 2020 eine nachhaltige Teichwirtschaft und neuerdings auch Reisanbau betrieben wird. Natur Konkret wurde 2023 als Green Innovator für wegweisende Projekte ökologischer Landwirtschaft ausgezeichnet.
www.natur-konkret.ch | Online-Shop: shop.natur-konkret.ch
Naturschutz in allen Abläufen
Weitere Teichflächen und Feuchtbiotope des Linumer Betriebes werden inzwischen von einer Herde Wasserbüffel gepflegt. Fleisch und Käse der robusten Tiere sind im Hofladen und auf der Website ebenfalls erhältlich.
Aber natürlich hört der Naturschutzgedanke in Leuteneggers Brandenburger Betrieben bei Auswahl und Haltung der Tierrassen nicht auf. Auch auf dem Grün- und Ackerland werden Naturschutzmaßnahmen in alle Abläufe integriert. Es gibt Blühstreifen, eine 4,5 ha große mehrjährige Buntbrache, Totholzhaufen und Hecken sowie 10 % überwinternde Altgrasstreifen im Grünland. Pflegemaßnahmen im Grünland finden bis maximal zum 5. April statt. Dem Vogelschutz wird mit einer eigenen Brutvogelkartierung Rechnung getragen und großer Wert auf insektenschonende Mähtechnik gelegt. „Darüber wird viel zu wenig geredet, wie sehr die Mahd Insekten schädigen kann“, betont Leutenegger. „Ein Scheibenmähwerk mit Aufbereiter tötet etwa 38 % aller Insekten im Bestand, ein Balkenmähwerk mit Traktor nur 9 %. Das hat das Institut für Agrarökologie und Biodiversität in Mannheim ermittelt.“ „Und deshalb“, fügt Jäkel an, „mähen wir alle unsere Flächen mit der insektenschonendsten Mähtechnologie. Wir mähen 1.400 ha mit dem Balkenmähwerk. Das ist einmalig in Deutschland.“
Ebenso einmalig wie der Reisanbau. Auf ihrer Suche nach kreativen Wegen für mehr Naturschutz bei gleichzeitig wirtschaftlicher Produktion kann man von Guido Leutenegger und Robert Jäkel sicher noch einiges erwarten.
Erfreuliche Erträge im zweiten Jahr
Anfang Oktober war es dann so weit: Die Reisernte stand an. Wieder hatte Teichland Linum zur Pressekonferenz geladen. Der Reisdrescher war ebenso wie eine Schäl- und eine Poliermaschine, beide ebenfalls aus Japan, in den letzten Wochen eingetroffen.
Nun also ging es ans Bergen der „Rekordernte“, wie Leutenegger mit einem schelmischen Lächeln sagte. Die Vegetationsperiode war gut verlaufen, zwar hatten Gänse und Enten den Beständen etwas mehr als erwartet zugesetzt, aber der Unkrautbesatz hielt sich in Grenzen. Und erst in den letzten Tagen, als das Wasser für die Ernte bereits abgelassen war, hatten auch Wildschweine die Leckereien entdeckt.
Den Ertrag der an einem Tag geernteten 3,5 ha großen Fläche bezifferte Betriebsleiter Jäkel auf 1,8 bis 2 t/ha – deutlich mehr als die 153 kg des Vorjahres. Die werden nun in Linum geschält und poliert und anschließend in kg-Säcken für 9,80 € über die Webseite von Natur Konkret und den Hofladen vermarktet.
Guido Leutenegger weiß, dass fast 10 € für einen Sack Reis eher etwas für Touristen oder passionierte Naturschützer sind. Und er weiß auch, dass das Reisexperiment in Linum nicht unbedingt als Blaupause dient. Er sagt: „Wir wollen nicht, dass jeder hier demnächst Reis anbaut. Aber wir wollen den Landwirten vorleben: Seid flexibel, macht das Beste aus euren Bedingungen. Versucht nicht, die Landschaft euren Ideen unterzuordnen, sondern macht es andersrum.“
Catrin Hahn
freie Agrarjournalistin
catrin.hahn@hahn-agrar.de