„Die Sortenwahl ist ein zentrales Element der Ernährungssicherung“
Cecilia Hüppe, DLG-Ausschuss ViP, im Interview

Die richtige Sortenwahl entscheidet maßgeblich mit über den wirtschaftlichen Erfolg eines landwirtschaftlichen Betriebs. Sie ist ein wirksames Instrument zur Anpassung an den Klimawandel und sichert zudem die Ertragsstabilität. Cecilia Hüppe, Referentin für Marktfruchtbau in der Fachinformation Pflanzenbau beim Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) in Bad Hersfeld und stellvertretende Vorsitzende im DLG-Ausschuss Versuchswesen in der Pflanzenproduktion (ViP), spricht im Interview über die Bedeutung der Landessortenversuche als Orientierungshilfe für Landwirtinnen und Landwirte, über die zentralen Herausforderungen für Pflanzenbauer und Versuchswesen und die Bedeutung von Expertennetzwerken für die Zukunft einer nachhaltigen und produktiven Landwirtschaft.
DLG-Newsroom: Welche Rolle spielt die Sortenwahl bei den drängenden Fragestellungen in der Landwirtschaft zur Anpassung an Klimaveränderungen?
Cecilia Hüppe: Die Sortenwahl stellt einen wichtigen Grundstein im pflanzenbaulichen Handeln dar. Der Klimawandel stellt die Landwirtschaft vor große Herausforderungen - zum Beispiel durch längere Trockenperioden, lokale Wetterextreme, neue Krankheiten und Schädlinge. Sorten reagieren dabei unterschiedlich auf Umwelteinflüsse.
Inwiefern?
Frühreife Winterweizensorten können beispielsweise bei Sommertrockenheit durch eine schnellere Entwicklung die Winterfeuchte besser ausnutzen und durch eine frühere Abreife vor Hitzeereignissen die Ertragsbildung früher abschließen als spätreife Sorten. Frühere Sorten haben aber bei Spätfrösten oft ein erhöhtes Auswinterungsrisiko. Umgekehrt sind in niederschlagsreichen Jahren Sorten mit guter Standfestigkeit und geringerer Auswuchsneigung eher von Vorteil - jedes Jahr hat also andere Anforderungen, ebenso wie jeder Standort.
Welche Rolle spielt hierbei die Züchtung?
Die Züchtung arbeitet kontinuierlich daran, landwirtschaftliche Kulturen diesen Herausforderungen anzupassen und widerstandsfähiger zu machen. Hierdurch kommt jedes Jahr eine Vielzahl von Sortenneuzulassungen mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften auf den Markt. Durch die individuellen Sorteneigenschaften können Ertrag, Qualität, Krankheitsanfälligkeit und andere agronomische Parameter direkt beeinflusst werden. Und das nicht nur im klassischen Ackerbau, sondern auch im Feldfutterbau und Grünland.
Zur Person
Cecilia Hüppe hat an der Georg-August-Universität Göttingen ein Bachelor- und Masterstudium der Agrarwissenschaftenmit Schwerpunkt Nutzpflanzenwissenschaften absolviert. Nach Abschluss des Studiums begann sie ihre berufliche Laufbahn beim Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) in Bad Hersfeld. Dort ist sie Referentin für Marktfruchtbau in der Fachinformation Pflanzenbau. Ihre Hauptaufgabe ist die Beantwortung von praxisrelevanten Fragestellungen auf Basis des Feldversuchswesen und Bereitstellung von Fachinformation für eine unabhängige und neutrale pflanzenbauliche Beratung in Hessen rund um die Kulturarten Getreide, Ölfrüchte und Körnerleguminosen. Darüber hinaus ist Cecilia Hüppe stellvertretende Vorsitzende im DLG-Ausschuss Versuchswesen in der Pflanzenproduktion.
Inwiefern würden Sie Landwirtinnen und Landwirten empfehlen, sich bei neuen, angepassten Sorten stets auf den jüngsten Stand zu bringen – und gegebenenfalls ihre Sortenwahl anzupassen?
Wer einen modernen und angepassten Ackerbau betreiben möchte, der sollte auch auf moderne Sorten setzen. Das ist für jeden landwirtschaftlichen Unternehmer eine sehr wichtige und einfach umzusetzende Maßnahme. Das Saatgut einer angepassten Sorte ist häufig nicht teurer als das einer weniger angepassten Sorte - es entstehen also keine zusätzlichen Kosten für den Landwirt. Zudem sind Klima- und Witterungsextreme inzwischen von Jahr zu Jahr so unterschiedlich, dass eine breite, auch innerbetrieblich vielfältige Sortenwahl zur Minderung des Anbaurisikos beiträgt. Der Anbau regional an Boden, Klima und Witterung angepasster Sorten ist daher ein zentrales Element der Ernährungssicherung für stabile Erträge und Qualitäten, der Risikoabsicherung für den Anbauer und des wirtschaftlichen Erfolges.
Wer einen modernen und angepassten Ackerbau betreiben möchte, der sollte auch auf moderne Sorten setzen.
Welche Bedeutung haben die Landessortenversuche, kurz LSV, für die praktische Landwirtschaft?
In Deutschland gibt es eine wunderbar vielfältige Züchterlandschaft. Dementsprechend bietet der Markt jedes Jahr unzählige Sorten mit vielen unterschiedlichen Vorteilen, mit denen der Landwirt die aktuellen Herausforderungen meistern kann - und das ist gut so! Bedingung dafür, dass neue Sorten an den LSV teilnehmen können, ist eine erfolgreiche bundesweite Zulassung, für die Unterscheidbarkeit, Homogenität, Beständigkeit, ein eindeutiger Name sowie ein landeskultureller Wert die Voraussetzungen sind. Im nächsten Schritt geht es darum, herauszufinden, welche Sorte nach bundesweiter Prüfung unter den regionalen Bedingungen vor Ort zum einen den Anforderungen des Betriebes, und zum anderen auch den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht wird. Bei der Fülle an Informationen für den Anbauer eine mehr als schwierige Aufgabe.
…bei der die Landessortenversuche helfen können…
Richtig. Denn genau hier setzen die LSV an. Ziel der LSV ist es, die Leistungen verschiedener Sorten landwirtschaftlicher Kulturpflanzen in unterschiedlichen Regionen und unter unterschiedlichen Anbaubedingungen zu vergleichen. Gerade die Regionalität spielt dabei eine zentrale Rolle, denn nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch innerhalb der Bundesländer können die Anbaubedingungen sehr unterschiedlich sein. Nicht jede bundesweit neuzugelassene Sorte ist somit für jeden Standort geeignet und relevant. Mit den LSV kann der Züchtungsfortschritt direkt in die Praxis transferiert und dort platziert werden, wo er auch ankommen soll: bei den Landwirtinnen und Landwirten mit ihren Bedürfnissen und Anforderungen in den jeweiligen Regionen.
Zuckerrüben: “Ganz oben steht der Ertrag”
Im Interview mit den DLG-Mitteilungen spricht Nils Stolte, verantwortlicher Rübenzüchter für Deutschland bei KWS, über Züchtungsziele und Merkmale. So viel vorab: Hauptziel der KWS in der Rübenzüchtung ist die Steigerung des Zuckerertrags. Daneben geht es um Resistenzen und Toleranzen, etwa gegen Cercospora, Trockenheit, Rizomania, Nematoden oder die verschiedenen Vergilbungsviren. Zudem steht die Entwicklung von Sorten, die tolerant gegenüber den beiden Krankheiten SBR und RTD sind, im Fokus.
Infobox: Online-Umfrage zur Sortenwahl
Der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) führt aktuell eine Online-Umfrage zur Sortenwahl und Bedeutung der Landessortenversuche in der Praxis durch. Landwirtinnen und Landwirte werden unter anderem dazu befragt, nach welchen Kriterien sie Sorten auswählen, wo sie Informationen zur Sortenwahl beziehen und welche Rolle dabei die Landessortenversuche spielen. Die Antworten werden anonym ausgewertet und helfen dabei, die Unterstützung des LLH zur Sortenwahl in der landwirtschaftlichen Praxis zu optimieren.

Auch Züchtungsunternehmen haben ein Versuchswesen. Wo liegt der Unterschied zu den LSV?
Die LSV sind neutral. Ihr zentrales Leistungsversprechen an die Landwirte ist die Bereitstellung unabhängiger, neutraler und fundierter Daten. Außerdem werden Sorten von verschiedenen Züchterhäusern direkt miteinander verglichen – wenn man so will wie eine „Liga“ wie man es im Sport kennt, bei der sich viele verschiedene Sorten jährlich neu beweisen müssen. Und dafür braucht es ein gutes „Know-how“, um exakte und verlässliche Versuchsdaten zu generieren.
Sie sind stellvertretende Vorsitzende im DLG-Ausschuss Versuchswesen in der Pflanzenproduktion (ViP): Inwieweit fließen die Ergebnisse der LSV in die Arbeit des Ausschusses ein?
Dabei handelt es sich um einen wechselseitigen Know-how-Transfer: Um eine fundierte und sichere Beurteilung der Sortenleistung zu ermöglichen, bedarf es eines guten Handwerks. Der DLG-Ausschuss ViP, in dem führende Experten und Expertinnen des Feldversuchswesens zusammenarbeiten, sorgt dafür, einen hohen Standard in der Versuchsdurchführung zu gewährleisten und diese kontinuierlich zu standardisieren und effizienter zu gestalten. Werden neue Erkenntnisse und Weiterentwicklungen im Versuchswesen generiert, fließen diese auch in den Ausschuss ein. Dies fördert die Innovation im Versuchswesen.
Aber auch Herausforderungen und Probleme können Grundlage für eine gemeinsame Arbeit im Ausschuss sein, um Lösungen zu finden. Gleichzeitig werden Erfordernisse benannt, die direkt an die richtigen Ansprechpartner adressiert werden können, da im Ausschuss alle für das Versuchswesen wichtigen Akteure vertreten sind.
Wo sind künftig die wichtigsten und herausforderndsten Felder für Versuchswesen in der Pflanzenproduktion und wie trägt der DLG-Ausschuss ViP hier zum Know-how-Transfer bei?
Die wichtigste Zukunftsaufgabe ist der Erhalt eines funktionierenden Versuchswesens zur Generierung qualitativ hochwertiger und fundierter Daten. Es geht um nicht weniger als um die Bereitstellung verlässlicher Informationen für den Pflanzenbau und damit letztlich für unsere Ernährungs- und Lebensgrundlagen.
Die Weiterentwicklung sowie die Bewertung neuer Verfahren im DLG-Ausschuss ViP trägt dazu bei, das Versuchswesen auf hohem Niveau zu halten. Viele neue Fragestellungen tauchen auf, die zum Teil andere Methoden erfordern, zum Beispiel nehmen On-Farm-Versuche, also Versuche direkt auf landwirtschaftlichen Betrieben, und sogenannte Reallabore in unserer Versuchslandschaft stark zu. Auch die technische Weiterentwicklung einschließlich der Digitalisierung im Versuchswesen ist ein Dauerthema im Ausschuss, was uns auch in Zukunft im Zeitalter der KI noch maßgeblich begleiten wird. Hier bietet das Gremium eine ideale Vernetzung aller Akteure der Branche.
Gibt es weitere Herausforderungen der Branche, bei deren Lösung das Expertennetzwerk hilfreich ist?
Das Versuchswesen erfordert viel man- und womanpower. In Zeiten knapper Personalressourcen ist dies wohl eine der größten Herausforderungen für das Versuchswesen. Hier setzt sich der Ausschuss für die Entwicklung des äußerst spannenden Berufsbildes Pflanzentechnologe ein. Mittlerweile ist dieses Berufsbild so weit entwickelt, dass sogar eine Weiterbildung zum Meister möglich ist und somit der Nachwuchs gesichert werden kann.
Was macht für Sie persönlich die Ausschussarbeit wertvoll?
Die jährliche Technikertagung, die der Ausschuss durchführt, ist ein echtes Highlight! Die Tagung bietet eine Weiterbildungsmöglichkeit für alle in der Versuchswelt tätigen sowie einen idealen Know-how-Transfer von Versuchspraktikern für Versuchspraktiker. Und dieser Austausch – nicht nur auf der Technikertagung, sondern im Ausschuss generell – unter Versuchspraktikern ist enorm wichtig, da im Versuchswesen immer wieder kreative Lösungen gefragt sind. Durch die breit gefächerte Zusammensetzung des Ausschusses findet man zudem für fast jedes Problem in der Versuchswelt einen Ansprechpartner, das ist äußerst wertvoll.
Interview: Stefanie Pionke, DLG-Newsroom