Pflanzenschutz

Schilf-Glasflügelzikade hat enormes Schadpotenzial

Die Schilf-Glasflügelzikade hat in Kartoffeln einen neuen Wirt gefunden. Seit zwei Jahren ist bekannt, dass sie Überträger der Bakteriellen Kartoffelknollenwelke ist. Verschiedene Forschungsprojekte wurden innerhalb kurzer Zeit ins Leben gerufen, um Schaderreger, Symptome und mögliche Lösungsansätze zu erforschen. Auf der BETA-SOL-Tagung Anfang September in Worms wurden erste Ergebnisse vorgestellt.

Zu den Symptomen gehören Rotverfärbungen am Stängel und an den Blättern sowie die Bildung von Luftknollen.

Neben SBR (Syndrom niedriger Zuckergehalte) in Zuckerrüben verursacht die Schilf-Glasflügelzikade auch Schäden in Kartoffeln – die sogenannte Bakterielle Kartoffelknollenwelke. Auslöser für beide Erkrankungen sind das Proteobakterium Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus sowie das Stolbur-Phytoplasma Candidatus Phytoplasma solani. Die Schilf-Glasflügelzikade gilt als Hauptvektor für beide Erreger. Sowohl Kartoffeln als auch Zuckerrüben dienen der Zikade in allen Entwicklungsstadien als Nahrungspflanze. Auch die Nymphen entwickeln sich vollständig an ihnen. Geschädigte Kartoffelpflanzen fallen durch die Bildung von Geiztrieben und Luftknollen, roten Verfärbungen an Stängeln und Blättern sowie Gummiknollen und Nabelendnekrosen auf, der Ertrag ist dort, wo viele Zikaden im Feld sind, reduziert. Dazu trägt auch der höhere Anteil kleiner Kartoffeln unter 35 mm bei. Es kann zu hohen Ertragsausfällen kommen, hinzu kommen Qualitätsverluste. Auf der BETA-SOL-Tagung Anfang September in Worms ging es um die Schadwirkung der Schilf-Glasflügelzikade in Zuckerrüben und Kartoffeln sowie um erste Bekämpfungs- und Züchtungsansätze – zum einen im Rahmen einer wissenschaftlichen Tagung, zum anderen bei einem Feldtag mit Besichtigung verschiedener Versuche. 

Erste Versuche in Kartoffeln angelaufen

In Kartoffeln sind zwei große Versuche angelaufen, die sich unter anderem mit der Sorteneignung beschäftigen: das Projekt SIKAZIKA und das Projekt KARTOZIK.

Das Projekt SIKAZIKA steht für die Sicherung des Kartoffelanbaus in Hessen durch innovatives Zikaden-Management und ist 2023 gestartet. In dem EIP-Projekt werden verschiedene späte Speisesorten auf ihre Toleranz gegenüber den beiden von der Schilf-Glasflügelzikade übertragenen Erregern Stolbur-Phytoplasma solani sowie Arsenophonus phytopathogenicus untersucht. Am Versuchsstandort in Ibersheim nördlich von Worms wurde auf dem Feldtag ein Versuch mit zehn Kartoffelsorten vorgestellt. Beim Vergleich der Jahre 2023 und 2024 hinsichtlich des Auftretens der Zikaden zeigte sich, dass in 2023 die Summe der Schilf-Glasflügelzikadenfänge mit über 900 Exemplaren am Standort Ibersheim deutlich höher war als in diesem Jahr. In diesem Jahr lag der Hotspot der Zikaden in Kartoffeln einige Kilometer weiter nördlich in Hechtsheim bei Mainz. Außerdem wird in dem Projekt untersucht, welche Pathogene übertragen werden. Im Monitoring wurde festgestellt, dass es in 2023 regionale Unterschiede im Infektionsprofil gab. Im Großraum Wiesbaden wurde hauptsächlich Stolbur-Phytoplasma solani nachgewiesen, während in der Pfalz überwiegend Arsenophonus phytopathogenicus gefunden wurde. Erste Analyseergebnisse aus diesem Jahr zeigen, dass der Erreger Arsenophonus dominiert und lediglich in Bellheim in der Pfalz vermehrt Stolbur-Phytoplasma nachgewiesen wurde. Außerdem zeigten sich mehr Doppelinfektionen mit beiden Errregern an allen Versuchsstandorten. Neben der Verhaltensbiologie der Zikade werden in dem Projekt auch Pflanzgutuntersuchungen durchgeführt.

Im Projekt KARTOZIK, das sich mit dem Management der Bakteriellen Kartoffelknollen-Welke zur Erhaltung des Kartoffelanbaus und der Wertschöpfung durch Vermarktung und Verarbeitung beschäftigt, wurden die Versuche in diesem Jahr begonnen. Im Projekt werden Verarbeitungssorten und späte Speisekartoffeln in Exaktversuchen an sechs Standorten in Rheinland-Pfalz und Hessen untersucht und geprüft, ob sie eine Toleranz gegenüber dem Krankheitskomplex haben. Auf dem Versuchsfeld in Ibersheim stehen 24 Sorten, zehn Sorten wurden durch ein Netz vor dem Zikaden-Zuflug geschützt. Deutlich zeigten sich bei einigen Sorten geringere Erträge gegenüber den eingenetzten Pflanzen. Außerdem konnten erste Gummiknollen sowie eine unterschiedliche Abreife beobachtet werden, auch nach der Sikkation. Befallene Kartoffeln weisen weniger Stärke und mehr Saccharose auf, was veränderte Backeigenschaften bei Verarbeitungskartoffeln hervorrufen kann.

Möglichkeiten der Bekämpfung werden ausgelotet

Auch die Technische Hochschule Bingen ist in das Projekt eingebunden. Benjamin Klauk stellte erste Ergebnisse vor. Neben einem Sortenscreening von Speise- und Verarbeitungssorten wird an der Hochschule auch untersucht, wie sich der Anbau unter Transfermulch auswirkt. Die Milchauflage gilt als Strategie für den Klimawandel, könnte aber auch ein vielversprechender Ansatz im Kampf gegen die Zikaden sein. In dem Versuch zeigte sich, dass in den Mulch-Varianten deutlich weniger Gummiknollen zu finden waren als in den Dämmen ohne Mulch. Sowohl Rohertrag als auch der Ertrag marktfähiger Ware war höher. Klauk wagte noch keine Prognose für dieses Jahr, denn auch in 2023 waren die Effekte nicht so stark ausgeprägt wie in 2022.

Welche Möglichkeiten könnte es geben, um die Nymphen der Schilf-Glasflügelzikade im Boden zu bekämpfen? Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich Dr. Dominik Dicke vom Pflanzenschutzdienst Hessen. Er stellte erste Ergebnisse eines Versuchs in Hessen und Rheinland-Pfalz vor, in dem die Nymphen in Töpfen mit verschiedenen Präparaten und Wirkstoffen behandelt wurden. Die Nymphen wurden zuvor auf einem Acker eingesammelt und in 15 cm Tiefe in unbelastete Erde gesetzt. Im Anschluss wurde Weizen gesät und der Schlupf der adulten Tiere dokumentiert. Einzig die Wirkstoffe Chlothianidin (Fraß- und Kontaktinsektizid zur Stallfliegenbekämpfung) und Flupyridafurone, mit dem in Zierpflanzen Blattläuse und Weiße Fliege bekämpft werden, scheinen eine Wirkung zu haben. Weitere Versuche sollen folgen.

Die durch Glasflügelzikaden übertragene Bakterielle Kartoffelknollenwelke zeigt sich unter anderem durch Gummiknollen, die zu hohen Ertragsausfällen führen. Fotos: Verband der Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauer

Die „Bakterielle Welke“ auch Gefahr für Karotten  und Rote Bete

Der Verband der Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauer sieht die Versorgung mit heimischen Nahrungsmitteln in Gefahr. Grund dafür ist, dass Schilf-Glasflügelzikaden nun auch Erreger auf Karotten und Rote Bete übertragen.

Als wichtigste Schadsymptome an Karotten seien Welkeerscheinungen begleitet von Rot- und Gelbverfärbungen der Blätter sowie Missbildungen der Wurzeln zu beobachten, erläuterte der Verband. Bei Roter Bete gebe es bereits einen deutlichen Mangel an gesunder Ware für die verarbeitende Industrie, da sich Geschmack und Lagerfähigkeit nachteilig durch die Krankheit veränderten. Befallene Rote-Bete-Knollen würden schwächebedingt an weiteren Pilzkrankheiten leiden, die zum Verderb der Ware führen könnten.

Laut dem Geschäftsführer des Verbandes der Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauer, Dr. Christian Lang, sind viele kleine Erzeuger und Verarbeiter von regionalem Gemüse durch die Schilf-Glasflügelzikade gefährdet. Die Konsequenzen für Europa seien bisher kaum überschaubar, da sowohl Zuckerrüben als auch Kartoffeln, Rote Bete und Karotten oftmals in den gleichen Betrieben und auch den gleichen Flächen in der Fruchtfolge wüchsen und oft nur durch Winterweizen unterbrochen würden, der der Zikade auch als Nahrungspflanze über den Winter diene. Dem Verband zufolge erwarten Wissenschaftler zudem weitere Anpassungsschritte der Zikaden an andere Ackerbaukulturen. (AgE)

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Schweiz: Probleme mit der Backqualität

Auch in der Schweiz gibt es Probleme mit dem Erregerkomplex der Schilf-Glasflügelzikade, sowohl in Zuckerrüben als auch in Kartoffeln. Seit 2017 gibt es in der Westschweiz Qualitätsprobleme in Kartoffeln, in den Jahren 2022 und 2023 auch in anderen Regionen. 2023 wurde erstmals das Proteobakterium Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus in Kartoffeln nachgewiesen. Stefan Vogel, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Berner Fachhochschule, berichtete über die Versuche in der Schweiz, die Population der Schilf-Glasflügelzikaden und damit auch die Schäden durch die Fruchtfolgegestaltung zu reduzieren. In einer abgegrenzten Region verpflichteten sich die Landwirte, nach Zuckerrüben keine Herbstkultur wie Winterweizen anzubauen und stattdessen eine Sommerung auszusäen. Zusätzlich wurden SBR-unempfindliche Zuckerrübensorten angebaut. „Diese Maßnahmen haben eine gute Wirkung gezeigt“, so Vogel. Allerdings ist die Sortenwirkung deutlich geringer, wenn nur auf der Hälfte der Fläche auf die Aussaat einer Winterung verzichtet wird.

Bei Kartoffeln gab es vermehrt Probleme mit der Backqualität, einige Sorten neigten zu Verbräunungen. 2023 wurden mittels PCR-Analysen 152 Ernteproben untersucht. 74 Prozent der Proben wurden positiv auf das Proteobakterium Arsenophonus getestet, in einer von 75 Proben konnte Stolbur-Phytoplasma nachgewiesen werden, 21 Prozent der Ernteproben zeigten einen ungenügenden Backtest. Hier scheint es eine unterschiedliche Anfälligkeit der Sorten zu geben. „Innovator ist deutlich weniger betroffen“, erklärte Vogel. Fontane werde in der Westschweiz nicht mehr angebaut, weil sie sehr empfindlich reagiere. Vogel berichtete, dass in der Schweiz in diesem Jahr ein Forschungsprojekt zur Backqualität angelaufen ist, in dem es um Ursachenforschung, Standort- und Sortenfragen sowie um die Untersuchung der Krankheitsentwicklung geht. Hierzu sollen jährlich 150 Ernteproben aus dem gesamten Anbaugebiet der Schweiz untersucht werden, ausgewählt nach dem Kartoffel-, Zuckerrüben- und Gemüseanteil. Sie werden mit GPS-Daten versehen, um die Standortfaktoren zu erfassen. Zusätzlich wird auf zwölf Projektbetrieben ein Zikadenmonitoring durchgeführt, auf zwei Betrieben verbunden mit Sortenversuchen.

Links im Bild durch Schilf-Glasflügelzikaden geschädigte Pflanzen, rechts daneben gesunde Kartoffelpflanzen.

Fazit

Seit den ersten Funden von Nymphen in Kartoffelfeldern ist ein enormes Netzwerk innerhalb der Rüben- und Kartoffelbranche geschaffen worden. Viele Projekte sind in beiden Kulturen gestartet worden, um die Schadwirkungen der Schild-Glasflügelzikaden auf vielen Ebenen zu erfassen und zu reduzieren und die Sorten zu finden, die weniger anfällig gegenüber den Erregern sind. Auch in der Schweiz wird zur Schilf-Glasflügelzikade in Kartoffeln und Zuckerrüben geforscht. Dr. Justus Böhm, Vorsitzender des UNIKA-Beirats, zeigte sich erfreut, was in den vergangenen zwei Jahren an Versuchen angelaufen ist. Die Union der Deutschen Kartoffelwirtschaft UNIKA unterstützt die Forschung. „Ich war schockiert über die ersten Berichte über Schilf-Glasflügelzikaden in Kartoffeln“, so Böhm. Seiner Meinung nach muss die Koordination zwischen den Kulturen noch stärker verzahnt werden. „Wir werden das gesamte ackerbauliche System infrage stellen müssen.“ Die Rheinland-Pfälzische Landwirtschaftsministerin Daniela Schmidt betonte, dass inzwischen rund 3 Mio. € an EU-Geldern in die Forschung zur Schilf-Glasflügelzikade in Zuckerrüben und Kartoffeln geflossen sind.

(Imke Brammert-Schröder, Redaktion Kartoffelbau)

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