Seit Beginn des Ackerbaus werden Kulturpflanzen von Wildpflanzen begleitet. Diese Ackerbegleitflora, auch Segetalflora von lateinisch seges = ‚Saat‘ oder segetalis = ‚zur Saat gehörig‘ genannt, bildet eine Unkrautgemeinschaft, deren Zusammensetzung sich mit den Jahren ändert. Gründe dafür gibt es viele: veränderte Fruchtfolgen, eine Umstellung der Bodenbearbeitung, der Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln, die Saatgutreinigung oder die Einwanderung neu-er Arten. Den meisten Landwirten ist das Kommen und Gehen auf ihren Äckern gar nicht bewusst, da es sich oft über einen langen Zeitraum erstreckt und meist mehr oder weniger unbemerkt vor sich geht. Doch es lohnt sich, einmal genauer hinzuschauen, denn was heute auf dem Acker eine Rarität ist, kann sich morgen zum Problemunkraut entwickeln.
Beifang ohne wissenschaftlichen Anspruch
Seit 2019 überprüfen wir bundesweit jährlich auf rund 1.300 ausgewählten Ackerflächen, welche Arten der Ackerbegleitflora dort anzutreffen sind. Dabei werden das Auftreten und die Befallsstärke der Ungräser und Unkräuter dokumentiert und im Anschluss Samenproben von verdächtigen Pflanzen in Gewächshausversuchen auf Resistenzen gegenüber Herbiziden untersucht. So ist es möglich, den Landwirten Empfehlungen an die Hand zu geben, worauf sie bei der Bewirtschaftung achten und welche Unkräuter sie im Auge behalten sollten.
Im Fokus unseres Monitorings standen von Beginn an die Leitunkräuter, also diejenigen, die am dominantesten sind und an denen sich demzufolge auch die Bekämpfungsmaßnahmen der Landwirte orientieren. Allerdings hat sich gezeigt, dass neben Ackerfuchsschwanz, Windhalm, Quecke und Co. zahlreiche weitere Pflanzen Teil der Unkrautgemeinschaft sind. Insgesamt haben wir in den vergangenen fünf Jahren 118 Arten ermittelt und ihr Vorkommen statistisch ausgewertet. Eine Art „Beifang“ des Monitorings, der unter anderem zeigt, dass es auf Deutschlands Äckern sehr viel mehr Diversität gibt als landläufig angenommen.
Nur ein ungefähres Bild
Bei der Interpretation der Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass unser Fokus auf den Problemunkräutern liegt. Dafür erfassen wir, wie die Pflanzenschutzmaßnahmen gewirkt haben. Die Felder werden daher nach Abschluss aller chemischen und mechanischen Be-kämpfungsmaßnahmen untersucht – also von Mitte Juni bis Ende Juli in Getreide und Raps und im August und September in Mais und Zuckerrüben. Die hier erstellten Erhebungen beinhalten also Pflanzenarten, die mechanische und chemische Maßnahmen zum Schutz der Feldkultur überlebt haben, wohingegen Arten, die durch Pflanzenschutzmaßnahmen zu 100 Prozent bekämpft wurden, nicht gefunden werden. Da der ursprüngliche Befall (vor den Bekämpfungsmaßnahmen) nicht bekannt ist, können wir somit nur indirekt auf die tatsächliche Befallssituation schließen. Hinzu kommt, dass es durchaus möglich ist, dass Pflanzen zum Zeitpunkt der Feldbegehungen schon vollständig abgereift oder abgestorben sind; auch diese Kandidaten werden nur selten erkannt. Insgesamt dürften unsere Auswertungen daher die tatsächlichen Zahlen unterschätzen, und es kann mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet werden. Dennoch lassen sich Tendenzen erkennen.
Top Ten der üblichen Verdächtigen
Erwartungsgemäß ist Ackerfuchsschwanz das Gras, das wir bei unseren Feldbegehungen am häufigsten gefunden haben (auf 70 % der Flächen), gefolgt von Flughafer (16 %), Quecke (12 %), Hühnerhirse (10 %), Welschem Weidelgras (10 %) und Windhalm (knapp unter 10 %). Bei den breitblättrigen Arten kamen Ackerkratzdistel (29 %), Weißer Gänsefuß (24 %), Vogelknöterich (20 %), Ackerwinde (19 %) und Geruchlose Kamille (19 %) am häufigsten vor. Die meisten dieser Pflanzen traten jeweils nur in geringer Zahl auf. Was zunächst einmal darauf schließen lässt, dass die Pflanzenschutzmaßnahmen auf der Mehrzahl der Flächen erfolgreich waren.
Die Tatsache, dass diese „Top Ten“ der Unkrautgesellschaft auf mindestens zehn Prozent der Flächen anzutreffen waren, zeigt aber auch, dass sie sich den Bekämpfungsmaßnahmen mehr oder weniger stark widersetzen – weil sie mehrjährig sind und sich auch vegetativ vermehren können (wie Ackerkratzdistel, Ackerwinde oder Quecke), weil sie lange Auflaufperioden haben und sich dadurch Einzelmaßnahmen entziehen können (wie Hühnerhirse, Gänsefuß oder Vogelknöterich) oder weil die Wirkung der Herbizide zum Teil durch Resistenzen vermindert ist (wie bei Ackerfuchsschwanz, Kamille oder Welschem Weidelgras).
Sehr viel seltener sind uns übrigens einige Arten begegnet, die noch vor drei bis vier Jahrzehnten weit verbreitet und schwer zu bekämpfen waren: etwa Klettenlabkraut, Ackerstiefmütterchen, Taubnessel oder Ehrenpreis-Arten.
Newcomer und Wiederkehrer
Wie diese früheren „Sorgenkinder“ kam der Großteil der Unkrautarten, die wir bei unseren Feldbegehungen ermittelt haben, nur auf wenigen Flächen vor. Sie könnten sich aber in Zukunft durchaus zu einem Problem entwickeln (oder haben dies bereits getan). Einige Beispiele:
Trespen sind im Vergleich zu anderen Gräsern mit Herbiziden schwerer in Schach zu halten, resistente Bestände sind bereits bekannt. Dieser Ungraskomplex, von dem wir fünf verschiedene Arten gefunden haben, hat in den vergangenen beim Klettenlabkraut sind seine Früchte mit Widerhaken versehen.
In Sommerkulturen haben wir vermehrt den Vielsamigen Gänsefuß beobachtet. Vor allem im Mais hat er sich zu großen Exemplaren entwickelt. Daneben haben wir zahlreiche weitere Gänsefußarten entdeckt, die oft nicht leicht zu unterscheiden sind. Praktiker verwechseln sie häufig auch mit Melde.
Selten aber nicht unwichtig
Wie bereits erwähnt, kann davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Anzahl der vorhandenen Pflanzen höher ist als unsere Befunde. Zur Einordnung: Bei unseren bisher 7.228 Felduntersuchungen haben wir 46.304-mal einen Befall festgestellt – pro Feld also durchschnittlich 6,4 Beobachtungen. Aus den oben genannten Gründen gehen wir davon aus, dass Landwirte mit mindestens zehn Arten je Feld rechnen können. Etwa die Hälfte aller gefundenen Arten wurde weniger als 70 Mal beobachtet, also bei nicht ein-mal einem Prozent der Feldbegehungen, und dies auch meist mit nur wenigen Exemplaren. Darunter waren auch seltene oder schon fast verschwundene Arten wie Acker-Hohlsame (Bifora radians) und Acker-Steinsame (Buglossoides arvensis), Knollen-Platterbse (Lathyrus tuberosus) und Ackerröte (Sherardia arvensis), Feld-Klettenkerbel (Torilis arvensis) und Feld-Rittersporn (Delphinium consolida L.), Tännelkraut (Kickxia spp.) und Ruhrkraut (Gnaphalium), Gemeine Spitzklette (Xanthium strumarium) und Strahlen-Hohlsame (Bifora radians), Rauhaarige und Viersamige Wicke (Vicia hirsuta und Vicia tetrasperma), Saatwucherblume (Glebionis segetum) und Hohlzahn (Galeopsis).
Ständig in Bewegung
Neben den genannten Beispielen gibt es noch viele weitere für eine sich verändernde Unkrautflora. Mit Veränderung der Bodenbewirtschaftung finden Arten neue Habitate und erlangen Wettbewerbsvorteile gegenüber der Ackerkultur. Pflanzenarten, die auf nährstoffarmen Böden wachsen, verschwinden, weil es diese Standorte kaum mehr gibt. Bodensaure Windhalmflure wurden aufgekalkt, was wiederum kalkliebenden Arten neue Chancen bietet. Mit Verbesserung der Melioration sind Nässeanzeiger aus der Kulturlandschaft verschwunden, bekommen aber mit der Wiedervernässung von Feuchtgebieten und Mooren neue Lebensräume. Auch der Klimawandel sorgt für Veränderungen in der Kultur- und Unkrautflora. Wärmeliebende Pflanzen wandern nach Norden, und milde Winter führen dazu, dass unerwünschte Arten nicht mehr zufriedenstellend abfrieren.
Zudem sorgt der internationale Handel für Verschiebungen in der Ackerbegleitflora, indem er die Verbreitung gebietsfremder Arten fördert. Einige dieser Arten etablieren sich fest als invasive Art – mit negativen Auswirkungen für Natur, Gesundheit und Wirtschaft. Sie können die einheimische Pflanzenwelt verdrängen, allergische Reaktionen beim Menschen hervorrufen (wie die Ambrosie) oder Kosten verursachen, wenn sie als Ungras oder Unkraut bekämpft werden müssen.
Fazit
Für eine wissenschaftlich abgesicherte Bestandsaufnahme der Ackerbegleitflora auf deutschen Äckern wäre es natürlich nötig, die Felder nicht nur kurz vor der Ernte, sondern mehrfach in der Saison und zudem auch an Standorten, an denen keine Behandlungsmaßnahmen vorgenommen wurden, zu begutachten. Dennoch zeigt unser Unkrautmonitoring, dass auf Deutschlands Feldern viel mehr verschiedene Pflanzenarten wachsen als allgemein geschätzt. Viele Arten, die früher häufig anzutreffen waren, sind in den Hintergrund gedrängt worden, aber trotzdem nicht verschwunden, während andere zurückgekehrt oder ganz neu aufgetreten sind.
Das Kommen und Gehen von Arten wird auch weiterhin stattfinden. Was einmal als seltener Fund begann, könnte sich zu einem integralen Bestandteil der Segetalflora entwickeln. Breitet sich eine Pflanzenart auf Kosten der Kulturpflanzen weiter aus, kann sie auch zu einem Problemunkraut im Ackerbau werden. Alle Ackerbegleitkräuter sind den gleichen chemischen (und mechanischen) Pflanzenschutzmaßnahmen ausgesetzt wie die Kulturpflanzen. Je nach genetischen Eigenschaften können sie entsprechend auf die Wirkstoffe reagieren und Resistenzen entwickeln. Pflanzen wie die Schönmalve, der Hundskerbel oder der Mäuseschwanz-Federschwingel scheinen auf der Liste der Kandidaten zu stehen.