Stakeholder aus der Landwirtschaft stellen Praxisnähe sicher“

Prof. Katharina Riehn über Nachhaltige Produktivität in der Lebensmittelwirtschaft

Die DLG schlägt einen neuen Fortschrittsbegriff vor: „Nachhaltige Produktivitätssteigerung“. Vor den DLG-Unternehmertagen am 2. und 3. September 2025 mit dem Thema „Nachhaltige Produktivitätssteigerung – Betrieb, Markt, Umwelt“ in Erfurt beantworten die Vorstandsmitglieder der DLG vorab Fragen, wie sie diesen Ansatz unter Berücksichtigung von Klimaschutz und Biodiversitätserhalt in ihrer landwirtschaftlichen Praxis umsetzen oder überführen wollen.  DLG-Vizepräsidentin Prof. Dr. Katharina Riehn von der HAW, Hamburg, gibt im folgenden DLG-Interview Impulse aus Sicht der Ernährungsindustrie. 

Welche  Chancen sind mit einer nachhaltigen Produktivitätssteigerung in der Lebensmittelwirtschaft verbunden? Betrieb?

Prof. Katharina Riehn: Eine nachhaltige Produktivitätssteigerung eröffnet die Möglichkeit, Ressourceneffizienz, Umwelt- und Klimaschutz sowie soziale Verantwortung systematisch in die betriebliche Wertschöpfung zu integrieren – ohne die ökonomische Tragfähigkeit aus dem Blick zu verlieren. In der Lebensmittelwirtschaft bedeutet das konkret: Prozessinnovationen entlang der Kette, Reduktion von Verlusten und Lebensmittelabfällen, sowie die Etablierung neuer Rohstoffe und Technologien, die sowohl resilient als auch marktgerecht sind. Der Verbraucher fordert zunehmend Transparenz und Nachhaltigkeit – wer diese Herausforderung klug adressiert, gewinnt Vertrauen und Wettbewerbsfähigkeit.

TrDie Lebensmittelwirtschaft setzt auf schnelle Innovationszyklen neuer Produkte. Welche Trends in der Lebensmittelwirtschaft setzen sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen durch? ?

Wir beobachten derzeit drei robuste Trends: Erstens: Alternativen zu tierischen Produkten – etwa durch Präzisionsfermentation oder zelluläre Landwirtschaft – gewinnen an technologischer Reife und gesellschaftlicher Relevanz.  Zweitens: Die digitale Transformation – von KI-gestützter Rückverfolgbarkeit bis zu personalisierter Ernährung – eröffnet neue Potenziale in Produktion und Konsum. Drittens: Die Nachhaltigkeitsbewertung von Lebensmitteln anhand von Umweltkennzahlen oder Planetary Health Diet-Prinzipien beeinflusst die Produktentwicklung zunehmend. Diese Entwicklungen sind wissenschaftlich gut dokumentiert und beeinflussen Investitionsentscheidungen auf Hersteller- wie Handelsseite.

Erfolg entsteht durch das Zusammenspiel von Forschung, interdisziplinärer Zusammenarbeit und marktorientierter Kommunikation.

Wie lassen sich Innovationen erfolgreich in marktfähige Produkte und Prozesse übersetzen??

Erfolg entsteht durch das Zusammenspiel von Forschung, interdisziplinärer Zusammenarbeit und marktorientierter Kommunikation. Innovationspartnerschaften zwischen Wissenschaft und Wirtschaft – zum Beispiel im Rahmen von Reallaboren oder Public-Private-Partnerships – beschleunigen die Umsetzung. Erfolgreiche Produkte adressieren klare Verbraucherbedürfnisse, berücksichtigen regulatorische Rahmenbedingungen und setzen auf ein konsistentes Nachhaltigkeitsnarrativ. Nicht zuletzt ist es entscheidend, frühzeitig auch Stakeholder aus der landwirtschaftlichen Primärproduktion einzubinden, um Skalierung und Praxisnähe sicherzustellen.

Wie können Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft Nachhaltigkeit zusammen gestalten?

Der Schulterschluss zwischen Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung muss über rein technische Kooperationen hinausgehen. Es braucht gemeinsame Nachhaltigkeitsziele, transparente Bewertungskriterien und faire Vergütungsmodelle für nachhaltige Leistungen – etwa im Hinblick auf Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität oder CO₂-Bindung. Digitalisierung kann hier eine verbindende Rolle spielen, indem sie Daten zu Herkunft, Qualität und Klimaeffekten verfügbar macht. Verbraucherorientierte Kommunikationsstrategien wiederum helfen, den gemeinsamen Beitrag der Wertschöpfungskette sichtbar zu machen und Wertschätzung zu fördern.

Wie könnte die Einsparung von Treibhausgasemissionen wie der C02-Fußabdruck in Lebensmitteln dem Verbraucher vermittelt werden? Anders gefragt, wo wäre der Verbraucher aus wissenschaftlicher Sicht bereit, den Aufwand zu bezahlen? 

Der Verbraucher ist bereit, einen Mehrwert zu honorieren – vorausgesetzt, er versteht ihn. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass einfache, transparente und vertrauenswürdige Umweltkennzeichnungen – wie z. B. CO₂-Ampelsysteme oder kombinierte Nachhaltigkeitslabels – das Entscheidungsverhalten positiv beeinflussen können. Allerdings: Die Zahlungsbereitschaft ist stark segmentspezifisch. Konsumentengruppen mit hoher Umweltorientierung oder Gesundheitsbewusstsein sind offener, während Preisorientierung nach wie vor dominiert. Eine klare, glaubwürdige Kommunikation über Mehrwert, Wirkung und Herkunft ist daher unerlässlich.

Wie können sich Unternehmen sich in einem dynamischen Umfeld erfolgreich positionieren?

Flexibilität, Innovationsfähigkeit und werteorientiertes Handeln sind heute zentrale Erfolgsfaktoren. Unternehmen müssen sich zunehmend als lernende Organisationen verstehen, die auf gesellschaftliche, regulatorische und technologische Veränderungen aktiv reagieren. Wer Trends nicht nur beobachtet, sondern mitgestaltet, wer Daten klug nutzt und seine Mitarbeitenden auf dem Weg mitnimmt, bleibt zukunftsfähig. Eine klare Positionierung in puncto Nachhaltigkeit und ein belastbares Netzwerk über Branchengrenzen hinweg stärken die Resilienz – und schaffen Relevanz bei Kunden, Partnern und Öffentlichkeit.

Zur Person

Dr. med. vet. Katharina Riehn ist Fachtierärztin für Lebensmittelsicherheit und Fleischhygiene und seit November 2014 Diplomate des European College of Veterinary Public Health (ECVPH) in der Fachrichtung „Food Science“. Nach ihrer Promotion an der FU Berlin nahm sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an Qualitätsprüfungen der DLG teil. Nach ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Assistentin, welche sie seit 2006 in den Instituten für Lebensmittelhygiene der Freien Universität Berlin und der Universität Leipzig ausübte, ist sie seit 2012 als Professorin für Lebensmittelmikrobiologie und -toxikologie im Department Ökotrophologie der Fakultät Life Sciences der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg tätig. Im Rahmen der Forschung beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit tierschutzrelevanten Aspekten im Bereich der Schlachtung und lebensmittelassoziierten parasitären Zoonosen. Riehn ist seit 2024 im Vorstand der DLG. 

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