Die Zahlen sind nicht neu, aber man muss sie sich doch immer wieder vor Augen führen: Seit dem Jahr 2010 sind in Deutschland gut 44.000 landwirtschaftliche Betriebe aus der Produktion ausgestiegen. Also etwa jeder siebte Betrieb. Es ist bekannt, wo das geschieht: Allein 37 Prozent dieses Rückgangs entfallen auf Bayern, jeweils rund 17 Prozent auf Baden-Württemberg und Niedersachsen. Nehmen wir noch Rheinland-Pfalz dazu, dann entfallen auf diese vier Bundesländer zusammen vier von fünf Betriebsaufgaben. Und wir wissen, in welchen Größenklassen sich diese Entwicklung konzentriert: Es sind Höfe mit 10 bis 50 ha Nutzfläche, die der Strukturwandel am stärksten trifft. Ihre Zahl schrumpfte seit 2010 um 30.000 – sei es durch Ausstieg oder das Aufrücken in eine höhere Größenklasse. Doch wohin geht die Reise? Nach Einschätzung der DZ-Bank ganz klar in Richtung 100.000 aktive Betriebe, deren Flächenausstattung das heutige Niveau im Schnitt um das Zweieinhalbfache übersteigt. Markus Wolf schrieb im DLG-Mitgliedernewsletter # 3 2024 folgendes Editorial zum Strukturwandel in der Landwirtschaft.
Betriebe mit mehr als 100 ha bewirtschaften heute fast zwei Drittel der Agrarfläche
Die Marke von 100 ha war und ist also die Schwelle, ab der nicht nur die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe wächst (seit 2010 um 5.400 auf 39.000). Dort konzentriert sich auch zunehmend die landwirtschaftlich genutzte Fläche. Die von Betrieben mit mindesten 100 ha bewirtschaftete Fläche wuchs seit 2010 um etwa 1,3 Mio. ha, der auf sie entfallende Anteil der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche legte von 55 auf 63 Prozent zu. Weil es heute so viel Acker und Grünland gibt wie damals, wirkt sich der Strukturwandel nicht negativ auf die pflanzliche Erzeugung aus – die aktiven Betriebe werden „nur“ größer.
Anteil der Tierhalter deutlich rückläufig
Ganz anders sieht das in der Tierhaltung aus. Nicht nur absolut schrumpft die Zahl der Nutztierhalter (seit 2010 minus 55.000) schneller als die Zahl der Unternehmen insgesamt. Auch der Anteil der Betriebe mit Tierhaltung befand sich zwischen 2010 und 2023 auf dem Rückzug: Fanden sich vor 14 Jahren in jedem vierten Betrieb keine Nutztiere, traf das 2023 auf jeden dritten zu. Anders als im Pflanzenbau geht mit den Tierhaltern zunehmend auch die Produktion verloren. Bei der Milch kompensierte eine steigende Leistung pro Tier den Abwärtstrend bei den Kuhzahlen im vergangenen Jahrzehnt zum größten Teil. Zuletzt näherte sich die Erzeugung aber mehr und mehr dem Niveau des Jahres 2010.
Deutlicher wird der Abwärtstrend beim Fleisch. Seit dem Rekordjahr 2016 geht es kontinuierlich abwärts. Das seitdem über alle Fleischarten aufgelaufene Minus beträgt 1,5 Mio. t. Das geht nahezu vollständig zulasten des Schweinefleischs, dessen Erzeugung 2023 mit 4,2 Mio. t mittlerweile ein Viertel unter dem Rekordjahr 2016 liegt. Beim Rindfleisch vollzieht sich diese Entwicklung deutlich langsamer, einzig das Geflügelfleisch übertraf im vorigen Jahr die 2016 angefallene Menge leicht.
Gestiegene Anforderungen durch Bürokratie und Betriebswirtschaft steigerten zusätzlich die Belastungen der Betriebe.
Der Fleischverzehr bleibt unter Druck
Ein Ende der Betriebsaufgaben in der Veredlung ist nicht absehbar. Eher das Gegenteil ist der Fall. Dabei geht es nicht nur um den fortgesetzten Kostendruck in der tierischen Erzeugung. Auch die Politik setzt mit immer strikteren Umwelt- und Tierwohlauflagen die Tierhaltung insgesamt unter Druck. Dazu kommt die fehlende Zahlungsbereitschaft der Verbraucher, die allen Umfragen zur Zahlungsbereitschaft für Tierwohlfleisch zum Trotz am liebsten bei den Billigangeboten der Discounter zuschlagen. Und natürlich die Verurteilung des Fleischverzehrs als schlecht für Umwelt und Gesundheit. Die Gesellschaft für Ernährung halbierte zuletzt ihren empfohlenen Fleischverzehr auf 300 g pro Kopf und Woche.
Die Begründung dafür hat aber nichts mit ernährungsphysiologischen Aspekten zu tun. Im Interview mit der Tagesschau erläuterte eine der Mitautorinnen, dass ohne die Grenze von 300 g Fleisch pro Woche die von der Bundesregierung gesteckten Nachhaltigkeitsziele für 2030 nicht eingehalten werden könnten. Zu all dem gesellt sich eine überbordende Bürokratie, die natürlich auch reine Pflanzenbauer trifft. Ob die aktuell diskutierten Erleichterungen daran viel ändern werden, bleibt abzuwarten. Der Erfahrungsbericht eines Schweinehalters auf der diesjährigen DLG-Wintertagung, dessen Genehmigungsverfahren für einen neuen Stall sich über rund sieben Jahre und 56 Aktenordner hinzog, steht beispielhaft für den Status quo. Doch wie geht es weiter?
Auf dem Weg zu 100.000 Betrieben
Vor dem Hintergrund der aktuellen Daten zur Entwicklung der Betriebszahlen in Deutschland erscheint die Schauervision der DZ-Bank durchaus realistisch. Schon 2020 prognostizierte das Geldinstitut, dass 2040 nur noch 100.000 landwirtschaftliche Betriebe für die Agrarproduktion in Deutschland verantwortlich sein werden. Im Januar dieses Jahres bekräftigten die Analysten der DZ-Bank diese Einschätzung. Dabei verweisen sie auf den schon viele Jahre währenden „tiefgreifenden Strukturwandel“. Aufgrund des gestiegenen Wettbewerbs und der zunehmenden Abhängigkeit von Weltmarktpreisen hätten sich die kleinen Höfen immer mehr zu mittelständischen Wirtschaftsunternehmen entwickeln müssen. Gestiegene Anforderungen durch Bürokratie und Betriebswirtschaft steigerten zusätzlich die Belastung der Betriebe. Die Landwirtschaft ist laut der VR-Mittelstandsumfrage die Branche mit dem höchsten Anteil der Betroffenen: Demnach werteten 91 Prozent der Befragten Landwirte Bürokratie als großes Problem.
Die DZ-Bank sieht im Strukturwandel eine Chance
Die langfristig wachsende Durchschnittsgröße ist „eine Folge der zunehmenden ökonomischen Herausforderungen, denen sich ein modernes Agrarunternehmen heute stellen muss.“ Anders gesagt: Größere Betriebe arbeiten effizienter und sind wettbewerbsfähiger. Der weitere Umbau der landwirtschaftlichen Betriebe „hin zu wirtschaftlich effizienten, digitalisierten Unternehmen, die darüber hinaus die zunehmenden Anforderungen aus Umwelt- und Tierschutz erfüllen, wird ein hohes Investitionsvolumen erfordern“. Auch das spricht für einen anhaltenden Zwang zur Bildung immer größerer Betriebseinheiten.
Auch weist das Geldinstitut auf die sich verschärfende Nachfolgeproblematik hin. Außerhalb der Landwirtschaft setze die Verrentung der in den 1960er Jahren geborenen geburtenstarken Jahrgänge bereits Mitte der 2020er Jahren ein. Selbstständige Landwirte arbeiten jedoch häufig deutlich länger als Arbeitnehmer, entsprechend verschiebt sich der Start der “Verrentungswelle“ in der Landwirtschaft, die vorwiegend in den 2030er Jahren stattfinden wird. Auch das trage zur rückläufigen Zahl der Agrarbetriebe bei.
Die DZ-Bank schließt mit dem Ausblick, dass Digitalisierung, Nachfolgeprobleme, Regulierungsmaßnahmen für Umwelt- und Tierschutz und ein intensiver Preiswettbewerb dafür sorgen, dass sich der landwirtschaftliche Strukturwandel fortsetzen wird. Dazu seien auch hohe Investitionen in Maschinen und Technik notwendig, so dass die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland noch kapitalintensiver als heute werde. Durch die Digitalisierung der Landwirtschaft sinke zwar der Arbeitskräftebedarf. Gleichzeitig erforderten neue Techniken und größere Betriebe jedoch eine hohe fachliche Qualifikation. Auch wenn viele Landwirte darauf bereits reagierten und für eine gute Ausbildung des Nachwuchses sorgten, drohe langfristig die Abkehr vom Modell des bäuerlichen Familienbetriebes.
Die Nische als Perspektive für kleine Betriebe
Künftig dürften zunehmend große, kapitalintensive und betriebswirtschaftlich organisierte Agrarunternehmen die Branche prägen, heißt es in der Studie weiter. Diese neue Generation landwirtschaftlicher Unternehmen werde intensiv moderne Technik nutzen. Der traditionelle bäuerliche Familienbetrieb hingegen hat nach Einschätzung der DZ-Bank eine Chance vor allem in der Spezialisierung und in der Öko-Landwirtschaft. So weit, so optimistisch.
Eine Prognose für die weiteren Entwicklung in der tierischen Erzeugung gibt die DZ-Bank nicht. Nimmt man alle Aspekte zusammen, die derzeit auf die Branche und das Image von Fleisch(erzeugung) einwirken, ist ein Ende des Abwärtstrends bei Produktion und Verzehr kaum vorstellbar. Zumindest nicht bei der „klassischen“ Fleischerzeugung. Ob sich durch neue Techniken wie kultiviertes Fleisch Chancen auch für landwirtschaftliche Erzeugerbetriebe bieten, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen.