Prof. Dr. Dieter Orzessek im DLG-Interview:
„Die Auswinterungsrisiken gehen zurück“
Prof. Dieter Orzessek ist Experte für Anpassungsstrategien im Pflanzenbau an Klimaveränderungen speziell im mitteldeutschen Trockengebiet der Magdeburger Börde. Im Interview spricht der frühere Präsident der Hochschule Anhalt in Bernburg, Sachsen-Anhalt, über das Potenzial von Nischenkulturen in der Einstellung an tendenziell steigende Temperaturen, neue Trockenperioden oder vermehrte Niederschläge im Sommer. Zudem ordnet er die Bedeutung von Pflanzenkohle und Agri-Photovoltaik als aktive Anpassungsstrategien an den Klimawandel ein.
DLG-Newsroom: Welches Potenzial haben Durum, Sojabohnen, Körnerhirse, Quinoa oder Amaranth in Hinblick auf den Klimawandel in der Magdeburger Börde in Zukunft?
Prof. Dr. Dieter Orzessek: Ich würde hier zunächst einen Schritt zurückgehen und auf grundsätzliche Aspekte in der Anpassung an den Klimawandel eingehen.
Welche wären das?
Bei der Entwicklung von Anpassungsstrategien im Pflanzenbau an die Klimaveränderungen konkret im mitteldeutschen Trockengebiet sind vor allem drei Tendenzen zu beachten: Erstens steigen, wie überall, die Temperaturen. Damit werden die Winter wärmer und Auswinterungsrisiken gehen auch bei bisher wärmeliebenden Kulturen wie zum Beispiel Winterhafer, Wintererbsen und Winterackerbohnen, zurück. Zweitens entsteht eine neue Trockenperiode.
Wann findet diese neue Trockenperiode statt und was hat das für Auswirkungen auf die Pflanzenentwicklung?
Neben der lange bekannten Vorsommertrockenheit entsteht diese neue Trockenperiode bereits im Monat April. Da durch die Vorverschiebung des Vegetationsbeginns der Monat April für das Wintergetreide mittlerweile dieselbe Rolle wie in früheren Zeiten der Mai spielt, entstehen sehr schnell deutliche Reduktionen in der Schossphase des Getreides.
Was ist die dritte Tendenz neben den generell steigenden Temperaturen und der neuen Trockenperiode, die auf die Anpassungsstrategien an Klimaveränderungen im Pflanzenbau einen Einfluss hat?
Die Niederschläge im Sommer nehmen langfristig etwas zu, wobei diese meist als Schauer beziehungsweise Gewitterregen auftreten und damit örtlich erhebliche Unterschiede entstehen. Das eröffnet aber auch Chancen für Kulturen, die relativ spät ausgesät werden und ihren Hauptwasserbedarf erst in den Sommermonaten haben.
Kommen wir nun auf die einzelnen neuen beziehungsweise bislang weniger verbreiteten Kulturen zurück: Welches Potenzial hat denn Durum für den Anbau in der Magdeburger Börde?
Der Durum ist eine wärmeliebende Kultur. Gerade beim Winterdurum mit einer Winterhärte vergleichbar mit der Wintergerste ist das Ertragspotenzial hoch. Da Teigwaren wie Nudeln, für die Durum verwendet wird, einen Wachstumsmarkt darstellen, könnte der einheimische Durum, so wie es zum Beispiel die Erzeugergemeinschaft „Qualitätshartweizen im Vorharz“ seit Jahren demonstriert, eine viel stärkere Bedeutung erlangen.
Wieso ist die Sojabohne vorteilhaft mit Blick auf Klimaveränderungen?
Die Sojabohne ist eine Kultur, die zwar nicht weniger Wasser braucht als die anderen Leguminosen. Da aber die Aussaatzeit erst im Mai liegt, sind frühere Trockenzeiten nicht so problematisch. Der höchste Wasserbedarf entsteht hier erst Ende Juni zur Blüte. Wenn die Sommerniederschläge ausbleiben, bleibt natürlich ein Ertragsrisiko bestehen.
Wirkt sich dieses Restrisiko nach Ihrer Beobachtung negativ auf die Entscheidung der Landwirte aus, Sojabohnen anzubauen?
Leider haben solche Ertragsrückschläge nicht dazu geführt, die Anbaufläche nennenswert auszudehnen. Wir sehen für die Sojabohne aber ein Potenzial vor allem für gentechnikfreie einheimische Partien für die Humanernährung.
Kommen wir zum Potenzial der Körnerhirse.
Die Körnerhirse ist eine sehr interessante Kultur mit sehr gutem Ertragspotenzial. Der Transpirationskoeffizient ist geringer als bei allen anderen bisher angebauten Kulturen. Auch hier spielt die Frühjahrstrockenheit auf Grund der späten Aussaat eine untergeordnete Rolle. Der höhere Wasserbedarf setzt erst in den Monaten Juli/August ein. Obwohl die züchterische Bearbeitung noch ziemlich am Anfang steht, zeigen sich in den Versuchen zum Teil sehr hohe Erträge. Wichtig wäre jetzt einen Absatzmarkt für die Körnerhirse aufzubauen.
Wir sehen für die Sojabohne ein Potenzial vor allem für gentechnikfreie einheimische Partien für die Humanernährung.
Wie schätzen Sie die Bedeutung von Amaranth und Quinoa als Anbaukulturen in der Magdeburger Börde vor dem Hintergrund des Klimawandels ein?
Quinoa und Amaranth gehören zum sogenannten Pseudogetreide. Sie sind aus ernährungsphysiologischer Sicht sehr interessante Kulturen, bleiben aber weiter Nischenkulturen. Mit solchen „kleinen“ Kulturen kann im Pflanzenbau selbst die Biodiversität erhöht werden und bei einer guten Vertragsproduktion können auch Nischenkulturen zum positiven Ergebnis des Betriebs beitragen.
Kommen wir zu einem anderen Aspekt des Klimawandels, dem Klimaschutz. Pflanzenkohle wird unter anderem Potenzial dabei zugeschrieben, Kohlenstoff im Boden zu speichern und gleichzeitig die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern. Wie schätzen Sie das Potenzial der Pflanzenkohle ein?
Mit Pflanzenkohle kann sehr wirksam Kohlenstoff langfristig im Boden gespeichert werden. Es gibt gerade in Kommunen viele pflanzlichen Abfallstoffe, die über die Pyrolyse, also die Verkohlung unter Luftabschluss und starker Erhitzung, zu einer aus der Sicht des Klimaschutzes sehr sinnvollen Verwendung finden könnten.
Aus den Untersuchungen der Hochschule Anhalt geht hervor, dass ein großer Vorteil in der Mischung von Pflanzenkohle und Gülle besteht, weil die immer wieder kritischen mineralischen Stickstoffverbindungen der Gülle erst einmal gebunden sind und somit sowohl Auswaschungen ins Grundwasser wie auch Emissionen in die Atmosphäre vermieden werden. Über die weitere Verbreitung des Einsatzes von Pflanzenkohle wird der Preis entscheiden.
Agri-Photovoltaik findet als Modell, um Solarstromerzeugung und landwirtschaftliche Produktion miteinander zu verbinden, vermehrt Beachtung. Wie beurteilen Sie hier das Potenzial für die Landwirtschaft?
Agri-Photovoltaik ist eine auch für viele Bürger akzeptable Verbindung zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und Gewinnung von grünem Strom. Hier ist die Politik gefragt, entsprechende Rahmenbedingungen festzulegen.
Was meinen Sie damit konkret?
Da die ökonomischen Möglichkeiten der Stromgewinnung ungleich höher als für die landwirtschaftliche Nutzung sind, besteht die Gefahr, dass immer mehr große landwirtschaftlichen Flächen mit den Standardmodulen bestückt werden oder dass eine minimale landwirtschaftliche Nutzung als Feigenblatt bei der Antragstellung eingebaut wird.
Was würde das für die Landwirte bedeuten?
Wie auch schon bei Biogasanlagen werden große Energieunternehmen gemeinsam mit den Bodeneigentümern das Geschäft machen und die Landwirte, die ja vielfach mit gepachteter Fläche arbeiten, außen vor bleiben.
Interview: Stefanie Pionke, DLG-Newsroom
Zur Person: Prof. Dr. Dieter Orzessek
Prof. Dieter Orzessek wurde in den 1980er Jahren im Fachgebiet Pflanzenproduktion habilitiert. Von 1996 bis 2016 war er Präsident der Hochschule Anhalt in Bernburg. Sein Forschungsschwerpunkt sind Anpassungsstrategien in der Pflanzenproduktion an Klimaveränderungen im mitteldeutschen Trockengebiet.
Auf der Jahrestagung Junge DLG 2024 in Bernburg zeigte Prof. Orzessek im Rahmen der Miniexkursionen „Feldgespräche“ den Teilnehmenden ausgewählte Feldversuche auf den Versuchsfeldern der Hochschule Anhalt. Dabei standen Anpassungsstrategien im Pflanzenbau an Klimaveränderungen im Mittelpunkt. Zudem erläuterte Prof. Orzessek den Besucherinnen und Besuchern beim Jahrestreffen des „Netzwerk Zukunft“ Demonstrationen zum Einsatz von Pflanzenkohle zur Kohlenstoffspeicherung im Boden sowie zu Agri-PV.
Mehr Informationen zur Hochschule Anhalt: Studieren, Forschen und Leben (hs-anhalt.de)
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