Ausreichend Lebensmittel für eine wachsende Weltbevölkerung auf zunehmend nachhaltige Weise erzeugen: Mit dieser großen und wichtigen Aufgabe sehen sich Landwirtinnen und Landwirte an Gunststandorten wie Deutschland konfrontiert. Bisweilen erscheinen zunehmende gesellschaftliche und politische Forderungen nach einer nachhaltigen „Transformation“ der Landwirtschaft wie die sprichwörtliche Quadratur des Kreises. Diesen Zielkonflikten geht die Nachwuchsforschungsgruppe AgriScape am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig nach.
Die Landwirtschaft in Deutschland und Europa ist zunehmend gefordert, neben der Produktion von Nahrungsmitteln, Futter, Biomasse und Energie weitere Ökosystemleistungen zu erbringen. Dazu zählen unter anderem Hochwasserschutz, Biodiversitätserhalt und -förderung sowie Klimaregulierung und die Pflege der Landschaftsästhetik. Insbesondere vor dem Hintergrund spürbarer Auswirkungen des Klimawandels wird auf politischer und gesellschaftlicher Ebene eine Transformation der Landwirtschaft zu einer noch nachhaltigeren und gleichzeitig effizienten Produktionsweise gefordert. Die geforderte Ausrichtung läuft auf eine multifunktionale Gestaltung der Landwirtschaft hinaus. Diese verlangt Landwirtinnen und Landwirten ab, immer vielfältigere Aufgaben zu übernehmen.
Kein Landwirt kann alles leisten
Doch kein Landwirt und keine Agrarlandschaft kann alles leisten. Wer die Ökologie optimiert, macht Abstriche bei der Ernte. Wer sich in der Freiwilligen Feuerwehr engagiert, kann nicht auch noch den Kindergarten unterstützen. Wer den Fokus auf Artenvielfalt legt, muss vielleicht darauf verzichten, das Klimaschutzpotenzial voll auszunutzen. Und wer durch geringe Bodenbearbeitung Erosion vermeiden möchte, muss das möglicherweis stärkere Aufkommen von ungewollten Beikräutern intensiver mechanisch und/oder chemisch bekämpfen.
Kurzum: Bei den wachsenden Anforderungen an eine multifunktionale Gestaltung der Landwirtschaft treten Zielkonflikte zutage. Mit eben diesen Zielkonflikten beschäftigt sich die Nachwuchsforschungsgruppe des AgriScape-Projektes am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Förderprogramms sozial-ökologische Forschung (SÖF) finanziert wird.

DLG-Experte Prof. Nils Borchard: AgriScape liefert wissenschaftlich fundierte Lösungen für komplexe Aufgaben
Prof. Dr. Nils Borchard, Bereichsleiter Forschung und Innovation im Fachzentrum Landwirtschaft und Lebensmittel der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) und Beirat im Projekt AgriScape, weist auf den lösungsorientierten Ansatz der Nachwuchsforschungsgruppe hin: „Die heutige Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen: Sie muss nicht nur ausreichend Nahrungsmittel produzieren, sondern auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, die Artenvielfalt erhalten und die Wasserqualität schützen. Das Projekt AgriScape untersucht, wie diese verschiedenen Ziele miteinander in Einklang gebracht werden können“, unterstreicht Borchard.
Der DLG-Experte betont zudem, dass die zunehmend geforderte nachhaltige Transformation der Landwirtschaft eine diffizile Aufgabe sei, der AgriScape wissenschaftlich fundiert zu begegnen bestrebt ist: „Es gibt keine einfachen Lösungen: Die Entwicklung zu einer nachhaltigen Landwirtschaft ist ein komplexer Prozess, der viele verschiedene Interessen berührt. AgriScape entwickelt wissenschaftlich fundierte Lösungsansätze, um Landwirte, Politik und Gesellschaft bei diesem Wandel zu unterstützen.“
Durch eine nachhaltige Landnutzung können wir die Lebensgrundlage für zukünftige Generationen sichern.
AgriScape könne somit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Landwirtschaft zukunftsfähig aufzustellen mit Blick auf den Klimawandel, unterstreicht Borchard. Im Hinblick auf die weitere ökologische Sphäre der Nachhaltigkeit weist er auf den Anspruch des Projektes, den Weg zu gesunden Ökosystemen weiter zu ebnen, hin: „Durch eine nachhaltige Landnutzung können wir gesunde Ökosysteme erhalten und die Lebensgrundlage für zukünftige Generationen sichern.“

Über das AgriScape-Projekt
Wie passen Landwirtschaft und Umweltschutz in Deutschland zusammen? Was ändert sich durch den Klimawandel? Anhaltende Trockenheit, extreme Wetterereignisse, aber auch die Forderungen aus Gesellschaft und Politik nach mehr Nachhaltigkeit bedeuten neue Anforderungen für die Landwirtschaft und werden Änderungen in der Bewirtschaftung mit sich bringen. Die BMBF-finanzierte Nachwuchsforschungsgruppe AgriScape untersucht Zielkonflikte, die bei einer solchen Transformation auftreten können und ermittelt Lösungsansätze zum Umgang mit diesen. AgriScape arbeitet interdisziplinär und verbindet umweltökonomische, verhaltenswissenschaftliche und landschaftsökologische Beiträge miteinander. Das Projekt arbeitet eng mit Landwirtinnen und Landwirten, Naturschützern und anderen Interessengruppen zusammen, um die Praxisrelevanz zu gewährleisten. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert dieses Projekt im Rahmen der Strategie „Forschung für Nachhaltigkeit" (FONA) .
Neben den Ökosystemleistungen haben die Forschenden im Projekt AgriScape auch den gesellschaftlichen Nutzen einer multifunktionalen Landwirtschaft im Blick: „Eine multifunktionale Landwirtschaft bietet zahlreiche Vorteile für die Gesellschaft, wie zum Beispiel eine hohe Lebensqualität, regionale Wertschöpfung und den Erhalt der Kulturlandschaft“, betont Borchard.
AgriScape-Nachwuchswissenschaftlerin Malin Gütschow befragt im Rahmen ihrer Promotion Landwirte zu ihrer idealen gesellschaftlichen Rolle
AgriScape-Nachwuchswissenschaftlerin Malin Gütschow untersucht neben den zunehmend geforderten ökologischen Funktionen der Landwirtschaft auch soziale, kulturelle und wirtschaftliche Beiträge, die die Landwirtschaft zur Gesellschaft leistet. In einer Studie in Ostdeutschland hat sie Landwirtinnen und Landwirte nach ihrer Meinung zur idealen gesellschaftlichen Rolle von Landwirten gefragt – und drei verschiedene Perspektiven identifiziert, die im Folgenden kurz und kompakt zusammengefasst werden:
Perspektive 1
Ein guter Landwirt nutzt seine langjährige Erfahrung, um Lebensmittel oder die Rohstoffe für die Herstellung von Lebensmitteln zu produzieren. Mit seiner Arbeit trägt er täglich dazu bei, die Menschen in Deutschland und darüber hinaus mit den gewünschten Lebensmitteln in hoher Qualität zu versorgen. Dabei hat er stets die Kontinuität auf seinem Betrieb im Blick. Die Sicherung der Hofnachfolge, die Ausbildung von Nachwuchs und die Pflege der Flächen liegen ihm am Herzen.
In der Gemeinde, in der er wirtschaftet, nimmt er eine wichtige Rolle ein. Ehrenamtliches Engagement und Unterstützung lokaler Initiativen gehören für ihn zum Landwirt-Sein dazu. Als guter Landwirt ist der Schutz seiner natürlichen Produktionsgrundlage seit jeher Teil seiner Arbeit, die zunehmende staatliche Regulierung ist dabei eher hinderlich. Bürokratie und Umweltauflagen stellen eine Gefahr für die Landwirtschaft und die Selbstversorgung in Deutschland dar.
Perspektive 2
Ein guter Landwirt nutzt wissenschaftliche Erkenntnisse und Innovationen, um die Produktion von Nahrungsmitteln und Rohstoffen noch effizienter zu gestalten. Bei der Optimierung der Bewirtschaftung hat er neben der Wirtschaftlichkeit stets auch Umweltbelange im Blick. Eine gute Kenntnis seiner Flächen und innovative Technologien, zum Beispiel in der Präzisionslandwirtschaft, ermöglichen es ihm, die Zielkonflikte zwischen Umweltschutz und Produktion zu minimieren. Um hochqualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten, ist er stets bemüht, wettbewerbsfähige Arbeitsbedingungen zu schaffen. Regionale Nährstoffkreisläufe liegen ihm am Herzen, aber sozial und wirtschaftlich sieht er sich eher weniger in der Region verankert. Die bäuerliche Landwirtschaft ist seiner Meinung nach ein überholtes Konzept.
Perspektive 3
Ein guter Landwirt erhält mit seinem Hof die bäuerliche Landwirtschaft, die angesichts der zunehmenden Industrialisierung bedroht ist. Für ihn ist Landwirtschaft auch Sorgearbeit. Er richtet einen großen Teil seiner Entscheidungen danach, seine Tiere, seinen Boden und die Kulturlandschaft zu pflegen und dabei hohe Tierwohl- und Umweltstandards einzuhalten, welche oft auch über gesetzliche Verpflichtungen hinausgehen. Dafür ist er bereit, bei der Wirtschaftlichkeit Abstriche zu machen. Staatlich geförderte Umweltschutzmaßnahmen sind dabei eine willkommene Möglichkeit, seine Arbeit mitzufinanzieren.
Er ist stets bemüht, ein gutes Verhältnis zur lokalen Bevölkerung zu pflegen und sieht es als Teil seiner Aufgabe als Landwirt, positive Beziehungen zwischen Menschen und Natur zu fördern. Dem globalen Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen steht er kritisch gegenüber, lieber würde er nur regional und/oder direkt vermarkten.
Die drei im Rahmen des AgriScape-Projekts herausgearbeiteten Perspektiven zur idealen gesellschaftlichen Rolle der Landwirtschaft zeigen vor allem eines: Landwirtinnen und Landwirte reflektieren ihre Rolle in der Gesellschaft und ihre damit verbundenen, über die reine Produktion von Nahrungsmitteln herausgehenden Aufträge bereits stark. Die Zielbilder unterscheiden sich beispielsweise im Hinblick darauf, inwieweit sie das Konzept der bäuerlichen Landwirtschaft als schützenswertes Gut betrachten und wie stark Landwirte in ihrer jeweiligen Region verwurzelt und durch ehrenamtliches Engagement involviert sein sollten.
Text: Stefanie Pionke (DLG-Newsroom), Malin Gütschow (AgriScape-Projekt)