„Meine Mutter als eigenständige Frau hat mich sehr geprägt“

Unternehmerin Dr. Anna Catharina Voges zur Hofübergabe
 

Porträt von Dr. Anna Catharina Voges. Foto: S. Valentin
Dr. Anna Catharina Voges hält es für wichtig, dass der Seniorchef oder die Seniorchefin sich ihrer impliziten Macht bewusst sind. Foto: S. Valentin

DLG-Newsroom: Wann ist ihr Entschluss gereift, den Familienbetrieb zu übernehmen? 

Dr. Anna Catharina Voges: Das kann ich nicht wirklich an einem Zeitpunkt festmachen, das war ein Prozess. Als Jugendliche, mit etwa 15 Jahren, wollte ich gerne Trecker fahren lernen. Mein Vater hat sich darüber gefreut, mein vier Jahre älterer Bruder musste mir das Trecker fahren dann beibringen. Ab dem Zeitpunkt ist meine Begeisterung für die Landwirtschaft geblieben – ich habe ja auch ein agrarwissenschaftliches Studium ergriffen, Betriebspraktika gemacht und eine landwirtschaftliche Karriere verfolgt. Diese Begeisterung und das Interesse für die Branche kamen aber aus mir selbst, meine Eltern haben keinerlei Druck auf meinen Bruder und mich ausgeübt, einen landwirtschaftlichen Beruf zu ergreifen oder unseren Betrieb zu übernehmen. Ich wurde auch als Heranwachsende nie aktiv durch meine Eltern in betriebliche Arbeitsabläufe eingebunden, sondern habe das aus eigenem Antrieb getan. 

Nun haben Sie das Familienunternehmen, Saat-Gut Plaußig mit knapp 2.500 ha landwirtschaftlicher Fläche und die dazugehörige Unternehmensgruppe, übernommen – und nicht Ihr älterer Bruder. War das ungewöhnlich für Ihre Familie? 

Für meine Eltern war das überhaupt kein Thema. Wie eingangs erwähnt, haben meine Eltern sowohl mich als auch meinen Bruder ohne jeden Erwartungsdruck, die Hofnachfolge anzutreten, erzogen. Mein Bruder und ich sind auch nicht mit den klassischen Rollenbildern aufgewachsen. Zwar hat mein Vater überwiegend unseren Hof in der Nähe von Hameln geführt und später dann auch unseren Betrieb in Sachsen bei Leipzig. Meine Mutter war in unserer Erziehung und unserem Alltag deutlich präsenter. Aber sie hatte auch einen eigenen Forstbetrieb, um den sie sich selbst gekümmert hat – und war immer finanziell eigenständig. Außerdem hat meine Mutter im Ehrenamt deutlich höhere Position innegehabt als mein Vater, sie war unter anderem Kreisvorsitzende bei den Landfrauen. Meine Eltern waren und sind gleichberechtigt – mit diesem Rollenbild bin ich ganz selbstverständlich aufgewachsen. Deswegen denke ich, dass wir in der Landwirtschaft die ganze Hofübergabe-Thematik viel zu sehr auf Väter und Söhne fokussieren.

Wie meinen Sie das konkret?

Heute ist es weiterhin so, dass die Mehrheit der Betriebe von Männern geführt und die Mehrheit der Höfe von Söhnen übernommen wird. Damit sich das ändert und auch mehr Töchter es sich zutrauen, diese Aufgabe zu übernehmen, spielt das Vorbild der Mutter meiner Einschätzung nach eine sehr wichtige Rolle. Mich selbst hat meine Mutter als eigenständige und selbständige Frau in der Hinsicht sehr geprägt. 

Und Ihr weiteres familiäres und geschäftliches Umfeld: Wie hat das darauf reagiert, dass Sie als Frau den Betrieb übernehmen?

Da waren die klassischen Rollenklischees zum Teil deutlich präsenter. Meine Oma hat meinen Bruder immer gefragt, wann er denn wieder ‚nach Hause auf den Betrieb kommt‘. Dabei hatte mein Bruder zu dem Zeitpunkt, anders als ich, kein besonders ausgeprägtes Interesse an der Landwirtschaft und hat Jura studiert. Ein Steuerberater und Bekannter meiner Eltern, der selbst aus der Generation meiner Eltern stammt, hatte bei einem Gespräch über eine mögliche Betriebsübergabe an mich das Szenario vor Augen, dass eines Tages sowieso mein Ehemann den Betrieb übernehmen würde. Den tatsächlichen Übernahmevertrag, als die Hofübergabe an mich einige Zeit später konkret wurde, hat allerdings ein anderer Steuerberater übernommen. Ich kann mir zudem sehr gut vorstellen, dass auch das weitere Umfeld meiner Eltern, also Freunde, weitere Bekannte und Geschäftspartner, unsere Konstellation der Generationennachfolge zunächst eher ungewöhnlich fanden. 
 

Es heißt oft, dass Väter ihren Töchtern gegenüber eine Beschützerrolle einnehmen, wenn diese die Hofnachfolge antreten – und sich die Töchter erst als eigenständige Geschäftsfrau gegenüber ihren Vätern behaupten müssen. Wie ist da Ihre persönliche Erfahrung?

Mein Vater hat eher die Erwartungshaltung gehabt, dass ich meine Aufgaben alleine bewältige. So gesehen bin ich eher ins kalte Wasser geworfen als beschützt worden. Bei uns sind eher nach und nach dadurch Konflikte entstanden, dass mein Vater weiterhin sehr stark auf dem Betrieb präsent war und allein durch diese Präsenz weiter Einfluss genommen hat. Auch wenn der Seniorchef oder die Seniorchefin versuchen, nicht in den Verantwortungsbereich der übernehmenden Generation einzugreifen, ist dies nach meiner Erfahrung quasi unmöglich. 

Wie meinen Sie das?

In unserem Fall war mein Vater auf der rationalen Ebene durchaus bestrebt, nicht in meine Entscheidungen als Chefin einzugreifen – und hat das auch aktiv nie getan. Aber die Mitarbeitenden auf dem Betrieb waren ihn als Führungskraft und Tonangebenden zum Teil Jahre lang gewohnt. In der Konstellation spüren sie auch ohne Worte, ob der Seniorchef wirklich von einer Entscheidung der Juniorchefin überzeugt ist – oder eben nicht. Das kann mitunter zu Reibungen im Tagesgeschäft führen, auch wenn das der Senior nicht beabsichtigt. Ich denke, bei einem Generationenwechsel muss sich die abgebende Generation ihrer impliziten Macht, oder wie immer man es nennen mag, sehr bewusst sein. Und ich denke, dass daher auch die Empfehlungen nach klaren Aufgabenverteilungen und einem konkreten ‚Fahrplan‘ für die Übergabe rühren. 

Wann hat sich das denn gezeigt, dass die implizite Macht des Seniors zu Reibungen führt: Schon bald nach Ihrer Übernahme – oder erst nach und nach?

Als ich frisch nach meiner Promotion angefangen habe als Betriebsleiterin, war das für mich weniger ein Problem. Aber als ich immer mehr in meine Rolle reingewachsen bin und mehr und mehr Entscheidungen absolut selbständig getroffen habe, hat das zu Auseinandersetzungen geführt. 

In welchen Punkten?

Ich habe sowohl thematisch, also beim Legen betrieblicher Schwerpunkte, als auch in der Führung der Mitarbeiter andere Ansätze verfolgt als mein Vater. Und ich habe auch eine andere Vorstellung von meiner Rolle als Unternehmerin und meinen zukünftigen Tätigkeitsbereichen und Aufgabenfeldern über die enge Betriebsführung hinaus gehabt beziehungsweise im Laufe der Jahre entwickelt. 

Rückblickend betrachtet, hatten mein Vater und ich keine wirklich grundsätzlichen Kontroversen in der Betriebsausrichtung. Die teilweise Umstellung auf ökologische Landwirtschaft beispielsweise, die ich auf Saat-Gut Plaußig vorangetrieben habe, war zwischen meinem Vater und mir unstrittig. Vielmehr hatte er dahingehend eine andere Philosophie der Betriebsführung, dass er sich stärker und detaillierter in die technischen Arbeitsabläufe eingebracht hat, als ich das für mich selbst in meiner Rolle als geschäftsführende Gesellschafterin wollte. Für meinen Vater war es beispielsweise immer eine Leidenschaft, zu überlegen, wie man eine Maschine immer weiter optimieren und das Maximum an Effizienz aus ihr herausholen kann. Er hat wohl erwartet, dass ich diese Leidenschaft teile – doch ich persönlich brenne eher für die strategischen Aspekte der Betriebsführung. Aber das ist aus meiner Sicht kein klassischer Vater-Tochter-Konflikt, sondern eher ein typischer Generationen-Konflikt.
 

Auf dem Hof die eigene Rolle finden

Eine klare Arbeitsteilung und offene Aussprache darüber, was sich Mann und Frau, Eltern und Kinder für den landwirtschaftlichen Betrieb wünschen, ist Grundvoraussetzung für einen gelungenen Generationenwechsel. Wie vor allem Töchter, Ehefrauen und Mütter ihre Rolle auf dem Betrieb finden, darüber spricht Beraterin Metta Steenken auf dem Female Agri Fellows Summit am 13. und 14. Mai 2025 in Münster - und hier im Magazin auf dlg.org. 

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Wie haben Sie diesen Konflikt gelöst? 

Ein wichtiger Teil der Lösung war, dass wir uns im familiären Gesellschafterkreis bewusst gemacht haben, dass ich mehr Freiheitsgrade für meine persönliche Entwicklung benötige. Ein wichtiger Schritt dahin war die Bestellung eines externen Geschäftsführers. Das war einerseits eine gute Möglichkeit, die Leitung des operativen Geschäfts an eine Person außerhalb der Familie zu übertragen, die sozusagen einen neutralen Führungsanspruch verkörpert und außerhalb jedweder familiärer Generationenkonflikte steht. Außerdem war das anderseits ohnehin mein Wunsch für die weitere Arbeitsteilung auf dem Betrieb, da ich in meiner Position in erster Linie die übergeordnete strategische Verantwortung trage – und erst nachgeordnet die Verantwortung für das operative Tagesgeschäft. Aber ganz wichtig bei dieser Entscheidung war: Dadurch wurden klare Verhältnisse in der Arbeitsteilung geschaffen.
 

Frau in Feld: Dr. Anna Catharina Voges. Foto: S. Valetntin
Dr. Anna Catharina Voges hat als Jugendliche aus eigener Motivation angefangen, sich für Landwirtschaft zu begeistern - und die Leidenschaft ist geblieben. Foto: S. Valentin

Zur Person: Dr. Anna Catharina Voges

Dr. Anna Catharina Voges wuchs auf einem landwirtschaftlichen Familienbetrieb in der Nähe von Hameln auf. Sie absolvierte ein Studium der Allgemeinen Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim. Anschließend folgte ein vierjähriges Promotionsstudium am Imperial College London, Wye Campus, welches sie mit einem PhD in Economics abschloss. Dr. Anna Catharina Voges sammelte zudem praktische landwirtschaftliche Erfahrung auf verschiedenen Betrieben im In- und Ausland und ist heute leitende Gesellschafterin des Familienbetriebes Saat-Gut Plaußig Voges KG mit rund 2.500 ha am Stadtrand von Leipzig. Die Unternehmensgruppe Saat-Gut Plaußig Voges KG vereint unter anderem einen konventionellen landwirtschaftlichen Betrieb, biologische Landwirtschaft sowie mit der Voges Kaufmannsladen GmbH & Co, KG die Produktion von eigenen Mehlerzeugnissen („Leipziger Weizen Mehl“ und „Leipziger Dinkel Mehl“), die in Supermärkten in der Region um Leipzig verkauft werden. Dr. Anna Catharina Voges ist seit Herbst 2024 Mitglied des Vorstands der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft e.V.). Sie ist zudem in verschiedenen Gremien und Ausschüssen der DLG engagiert, unter anderem als Vorsitzende im DLG-Ausschuss für Betriebsführung und als Vorsitzende des Fachbeirats der DLG-Feldtage.

Was würden Sie rückblickend anderen Familien zur Regelung der Generationennachfolge empfehlen?

Man sollte sich frühzeitig klar und offen über seine Wünsche und Erwartungen sowie Vorstellungen der Betriebsführung austauschen. Zudem sollten sich die übergebende und die übernehmende Generation von vornherein auf einen Fahrplan zur Übergabe mit klaren Aufgabenverteilungen verständigen. Auch nach der erfolgten Übergabe sollte ein enger und kontinuierlicher Austausch stattfinden, da sich Wünsche, Ziele und Erwartungen mit zunehmender Verantwortung auch ändern können. Das gilt vor allem immer dann, wenn zwischen übernehmender und übergebender Generation kein „harter Cut“ gezogen wird, sondern beide Parteien noch am Betrieb beteiligt bleiben. 

Wie erleben Sie den Alltag als leitende Gesellschafterin der Unternehmensgruppe Saat-Gut Plaußig Voges KG: Müssen Sie sich gegenüber männlichen Geschäftspartnern anders oder härter behaupten als Männer in vergleichbaren Positionen?

In meinen unmittelbaren Geschäftsbeziehungen erlebe ich das nicht so, da treffe ich auch zunehmend auf Menschen aus jüngeren Generationen, die nicht mehr so traditionelle Rollenvorstellungen haben. Aber im Branchenkontext gibt es schon Situationen, in denen ich als Frau anders wahrgenommen werde. Besuche ich zum Beispiel gemeinsam mit meinem Partner die Agritechnica, spricht das Standpersonal häufig zunächst meinen Partner an – offenbar in der Annahme, dass er derjenige ist, der sich für die Technik interessiert und über deren Anschaffung entscheidet. Das hat für mich allerdings den angenehmen Nebeneffekt, dass ich mir quasi inkognito erst einmal in Ruhe alle Lösungen anschauen kann, ohne direkt in ein Verkaufsgespräch verwickelt zu werden. 
 

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