„Für die allgemeine Bevölkerung besteht ein geringes Infektionsrisiko“

Prof. Dr. Timm Harder vom Friedrich-Loeffler-Institut im DLG-Interview zum Geflügelpestgeschehen  

Die Temperaturen fallen, der Vogelzug beginnt und schon ist sie wieder in aller Munde: Die hochpathogene aviäre Influenza - kurz HPAI, auch Klassische Geflügelpest oder Vogelgrippe genannt - hat auch in dieser Herbst/Winter-Saison schon viele Opfer beim Nutzgeflügel gefordert. Auch Kraniche sind dieses Mal, so scheint es, besonders stark betroffen. Doch sind das nur subjektive Eindrücke? Und wie steht es um das Infektionsrisiko für den Menschen? Diese Fragen beantwortet Prof. Dr. Timm Harder im DLG-Interview.
 

DLG: Herr Prof. Harder, ist der Virustyp der Geflügelpest in diesem Jahr besonders aggressiv?

Prof. Timm Harder: Unsere Untersuchungen des Virus deuten nicht auf eine besondere Aggressivität des Geflügelpestvirus H5N1 hin. Für das Geschehen jetzt im Herbst ist das flächenhafte Auftreten einer H5N1-Stammvariante („DI2.1“) in ganz Europa und Deutschland zeitlich parallel zum Vogelzug zu erkennen. Dabei ist festzuhalten, dass Wildenten und -gänse in dieser Saison weniger von Sterblichkeit betroffen sind, obwohl in diesen Arten dennoch H5N1-Virus zirkuliert. Dies wurde im aktiven Monitoring in Italien und den Niederlanden beobachtet, und auch in Deutschland bei anscheinend gesund erlegten Stockenten. 

Damit ist das Risiko für direkte und indirekte Übertragungen hoch (siehe auch Risikoeinschätzung FLI). Welche Rolle eine Herdenimmunität bei Wildvögeln gegen H5 spielt, kann derzeit nur abgeschätzt werden, sie könnte aber sehr gut erklären, warum viele Wildenten und -gänse die Infektion überleben und dennoch Virus ausscheiden.
 

Ergeben sich daraus besondere Gefahren für Verbraucherinnen und Verbraucher? 

Nein. Aus betroffenen Geflügelbetrieben gelangen keine Erzeugnisse in den Handel. Für eine Infektion des Menschen ist ein intensiver Kontakt mit infiziertem Geflügel oder infizierten Wildvögeln nötig. Dennoch sind umfangreiche Schutzmaßnahmen beim Umgang mit potenziell infiziertem Geflügel, Wildvögeln und Säugetieren erforderlich. 

So müssen Personen, die betroffene Geflügelhaltungen räumen oder tote Wildvögel bergen, geeignete Schutzkleidung tragen. Hierzu gehören neben einem Schutzanzug auch Einmalhandschuhe, Schutzbrille und eine FFP3-Atemschutzmaske sowie desinfizierbares Schuhwerk. Für die allgemeine Bevölkerung besteht ein geringes Infektionsrisiko.

 

Warum hat sich die Lage jetzt so verschärft und was hat es damit auf sich, dass Kraniche scheinbar besonders betroffen sind? 

Das Geschehen bei Kranichen spiegelt eine besondere Situation wider. Wir wissen, dass diese Vogelart sehr empfänglich für H5N1-Infektionen ist. Massensterben von Kranichen traten bereits in den Vorjahren auf, allerdings nicht in Deutschland, sondern 2021 in Israel und 2023 in Ungarn. Wahrscheinlich trafen die Kraniche an ihren großen Sammel- und Rastplätzen insbesondere im Nordosten Deutschlands, auf andere infizierte Wildvögel wie etwa Enten (s.o.). 

Aufgrund der vergleichsweise hohen Kontaktraten der Kraniche untereinander an den Futter- und Schlafplätzen kann sich die Infektion leicht ausbreiten. Nach der initialen Infektion tragen die Kraniche das Virus mit ihrem Zug stafettenartig weiter, momentan vor allem in Richtung Frankreich und Spanien. 

 

Haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch. 

Prof. Dr. Timm Harder. Foto: Privat
Prof. Dr. Timm Harder. Foto: Privat

Zur Person:

Prof. Dr. Timm Harder ist seit 2006 Leiter des OIE- und Nationalen Referenzlabors für Aviäre Influenza am Institut für Diagnostische Virologie, Friedrich-Loeffler-Institut, Insel Riems. Zudem ist Harder Außerordentlicher Professor am Institut für Infektionsmedizin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. die kontinuierliche Weiterentwicklung moderner Multiplex-Methoden zum Erregernachweis sowie der Nachweis von Influenzaviren in Umweltproben. 

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