Lust statt Frust!
Landwirtschaft stärkt Demokratie
Neun Thesen des DLG-Ausschusses Entwicklung ländlicher Räume
Positionspapier
1. Auflage, Stand 04/2025
Autorinnen und Autoren:
- Prof. Dr. Alfons Balmann, Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Halle
- Petra Bentkämper, Präsidentin Deutscher LandFrauenverband (dlv), Berlin
- Udo Hemmerling, Bundesverband der gemeinnützigen Landgesellschaften (BLG), Berlin
- Dr. Klaus Hollenberg, Landwirtschaftliche Rentenbank, Frankfurt am Main
- Dr. Oliver Klein, Agrarsoziale Gesellschaft, Göttingen
- Annegret Langehaneberg, Westfälisch-Lippischer LandFrauenverband e.V., Münster
- Christian Meyer, Pächtergemeinschaft Börde, Westeregeln
- Dr. Arlette Ostermeyer-Wiethaup, Landwirtschaftsbetrieb Ostermeyer, Calbe
- Dr. Achim Schaffner, Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft e.V., Frankfurt am Main
- Andreas Tietz, Thünen-Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen, Braunschweig
- Regine Wiesend, Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus, München
Der DLG-Ausschuss Entwicklung ländlicher Räume dankt zudem für den fruchtbaren Austausch
- Prof. Dr. Matthias Kussin, Hochschule Osnabrück
- Gerhard Langreiter, Landwirtschaftsbetrieb Langreiter, Oberneukirchen
- Dr. Ludger Schulze Pals, Landwirtschaftsverlag Münster
Der deutschen Landwirtschaft kommt die wichtige Aufgabe zu, hochwertige und bezahlbare Nahrungsmittel in einer Weise zu produzieren, die ökologisch wie auch ökonomisch und sozial nachhaltig ist. Bislang wurden Empfehlungen breit aufgestellter Kommissionen, diese Aufgabe durch Politikänderungen zu fördern, nicht umgesetzt. Zugleich haben sich die Rahmenbedingungen für zielgerichtete Veränderungsprozesse verschlechtert. Beispielhaft genannt seien knappere Mittel privater und öffentlicher Haushalte, geopolitische Spannungen, der fortschreitende Klima- und demographische Wandel sowie insbesondere eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung. Auch die Bauernproteste der vergangenen Jahre haben enorme Frustrationen innerhalb der Landwirtschaft aufgezeigt. Dieses Streiten für landwirtschaftliche Interessen ist Ausdruck demokratischer Teilhabe und insgesamt auf positive gesellschaftliche Resonanz gestoßen. Statt also zu resignieren, erscheint es uns als DLG-Ausschuss „Entwicklung ländlicher Räume“ dringend geboten, sich auf das von Immanuel Kant formulierte Postulat der Pflicht zur Zuversicht zu besinnen. Grund für Zuversicht liefern die nachfolgend aufgestellten Thesen.
Landwirtschaft ist Teil der Lösung!
In ihrem Buch „The Conditions of Agricultural Growth” entwickelte die dänische Agrarökonomin Ester Boserup im Jahr 1965 eine Gegenthese zum Pessimismus der Malthusianischen Bevölkerungsfalle. Entgegen der Annahme, dass Bevölkerungswachstum zu vermehrtem Hunger führe, fand sie in ihrer Entwicklungsforschung, dass Bevölkerungswachstum vermehrte Innovationen bei den Anbautechniken und bessere Ernährung auslösen kann. Ester Boserup sollte recht behalten. In den letzten 60 Jahren hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt. Zugleich sank der Anteil der Hungernden von mehr als einem Drittel auf weniger als 10 %. Mit diesem Optimismus sollten wir auch anderen großen Krisen der Welt begegnen, insbesondere der Klima- und Biodiversitätskrise, die durch die erforderlichen landwirtschaftlichen Produktionssteigerungen der vergangenen Jahrzehnte forciert wurde. Die Digitalisierung, insbesondere die Künstliche Intelligenz, und die Biotechnologie eröffnen gerade auch für die Landwirtschaft Möglichkeiten zur Verbindung von Produktivität und Nachhaltigkeit, die vor 10 bis 20 Jahren noch gar nicht absehbar waren. Diese Möglichkeiten für die Bewältigung der Krisen nutzbar zu machen, erfordert Kreativität, Zuversicht und Offenheit für Veränderung. Alle in der Landwirtschaft tätigen Menschen sollten darin Chancen erkennen und zur Lösungssuche in den bevorstehenden Transformationsprozessen beitragen.
Mehr Eigenverantwortung statt überbordender Bürokratie!
Statt die Landwirtschaft in die Pflicht zu nehmen, eigenständig und eigenverantwortlich Produktivität mit ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit zu verbinden, wurden ihr zur Verringerung von Umwelt-, Biodiversitäts-, Klima- und Tierschutzproblemen in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr ordnungsrechtliche Regelungen aufgebürdet. Diese sind teilweise widersprüchlich und können vielfach der Heterogenität der zeitlichen, standörtlichen und betrieblichen Produktionsbedingungen nicht gerecht werden. Dadurch können diese Regulierungen allzu oft weder die gewünschte Wirksamkeit entfalten noch den ökologischen, ökonomischen und sozialen Zwängen des Agrar- und Ernährungssystems gerecht werden. Dafür zahlt die Gesellschaft einen hohen Preis in Form ökologischer Belastungen, hoher staatlicher Kompensationen und Bürokratiekosten sowie letztlich auch teurerer Nahrungsmittel. Vor allem führt überbordende Bürokratie jedoch zu Frustration und Lähmung der in der Landwirtschaft tätigen Menschen. Um eigenverantwortliches Handeln zu stärken und dafür Lösungen anbieten zu können, braucht es neue Regelsysteme, die die Erfüllung gesellschaftlicher Interessen befördern und gewährleisten. Im Bereich der Nahrungsmittelsicherheit ist dies über private, von der gesamten Agrar- und Ernährungswirtschaft entwickelte Standards und Sanktionsmechanismen gelungen. Im Rahmen der Initiative Tierwohl wurden vielversprechende Schritte zu mehr Tierwohl unternommen. Aufgabe der Politik sollte sein, solche Ansätze zu begleiten und zu befördern, nicht auszubremsen. Zugleich setzt die Übertragung von Eigenverantwortlichkeit und das Vertrauen der Gesellschaft die Mitarbeit aller in Land- und Ernährungswirtschaft tätigen Personen voraus. Dazu gehört eine permanente Reflexion der Wirtschaftsweisen sowie auch die Bereitschaft, Probleme zu benennen und dafür einzutreten, diese abzustellen.
Maßstäbe zurechtrücken! Landwirtschaft ist wichtig, aber nicht alles.
Landwirtschaft produziert Nahrungsmittel und ist zugleich ein Teil unserer vielfältigen Ernährungswirtschaft. Landwirtschaft wirtschaftet in ländlichen Räumen und ist ein Teil ländlicher Räume. Landwirtschaftliche Betriebe sind Ort der Produktion von Nahrungsmitteln und Erbringung vielfältiger weiterer Leistungen. Dabei darf das Wohl der Betriebe nicht über das der dort lebenden und arbeitenden Menschen gestellt werden. Tierische Lebensmittel bilden einen wichtigen Teil unserer Ernährung, allerdings bildet der Konsum von Fleisch- und Milchprodukten nur einen Baustein einer ausgewogenen Ernährung, wie auch Landwirtschaft und ländliche Räume nicht nur von der Tierhaltung abhängen. Produktion und Konsum von Nahrungsmitteln sind wichtige und zugleich emotionale Themen, die eine sachliche Auseinandersetzung erfordern. Diese Diskussionen dürfen nicht den Blick auf die vielen anderen wichtigen und drängenden Themen unserer Gesellschaft, der ländlichen Räume oder der Umwelt verstellen. Mit diesem Bewusstsein gelingt es im Streit über landwirtschaftliche Themen auch, den Blickwinkel zu ändern und Bedürfnisse anderer Beteiligter zu verstehen, um gemeinsam Lösungen zu finden.
Landwirtschaft ist vielfältig!
Die deutsche Landwirtschaft zeichnet sich durch eine enorme Vielfalt aus. Nicht nur sind Betriebe unterschiedlich ausgerichtet, unterschiedlich groß, unterschiedlich organisiert, unterschiedlich geführt, sondern auch die innerhalb der Landwirtschaft tätigen Menschen sind vielfältig. Quereinsteiger und zugewanderte Unternehmer und Unternehmerinnen aus anderen Regionen haben Chancen ergriffen, um ihre Ideen in der Landwirtschaft zu verwirklichen und innovative Impulse zu setzen. Die Tierhaltung sowie der Obst- und Gemüsebau in Deutschland stützen sich maßgeblich auf Arbeitskräfte aus dem Ausland. Zahlreiche Unternehmerinnen leiten innovative Betriebe, sei es als Agrargenossenschaft oder als Haupt- oder Nebenerwerbsbetrieb. Diese Vielfalt ist Ergebnis von Freiräumen und Kreativität im Umgang mit den jeweiligen Herausforderungen und Möglichkeiten, die es weiter zu befördern gilt und die neben Toleranz im Umgang miteinander auch die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen und die Überwindung struktureller Benachteiligungen erfordert. So ist in Deutschland der Anteil Frauen in landwirtschaftlichen Betriebsleitungen noch immer äußerst gering. Dringend benötigte Fachkräfte brauchen in ländlichen Räumen Zugang zu funktionierenden Infrastrukturen und eine integrative Willkommenskultur. Umso wichtiger ist es, dass sich die Landwirtschaft Vielfalt, Toleranz und freiheitlich-demokratischen Werten verschreibt und engagiert für diese eintritt.
Demokratie lebt von Kompromissen!
Eine nachhaltige und vielfältige Landwirtschaft muss unterschiedlichsten Zielen und Interessen gerecht werden. Keine Politik und keine marktwirtschaftliche Lösung kann allem optimal und gleichermaßen entsprechen. Die Aufgabe von Politik ebenso wie von marktwirtschaftlichen Lösungen besteht darin, zum Wohle der Betroffenen Chancen zu eröffnen, Risiken zu begrenzen und faire Bedingungen zu schaffen. Dazu gehört die Beteiligung der Betroffenen an der Lösungssuche, wie auch deren Bereitschaft, sich auf Kompromisse und Spielregeln einzulassen. Kompromissbereitschaft ist in Politik und Gesellschaft erforderlich, um den Besonderheiten der Landwirtschaft gerecht werden zu können.
Streiten ist eine gesellschaftliche Aufgabe!
Streit und Diskurse sind eine kulturelle Errungenschaft. Wir sprechen auch von Streitkultur. Im Streit nähern wir uns gemeinschaftlich der Lösung von Zielkonflikten und handeln dabei verschiedenste Positionen aus. Dabei brauchen wir das Einstehen für eigene wie auch gemeinsame Interessen. Die Bauernproteste haben ein enormes Miteinander innerhalb der Landwirtschaft aufgezeigt, befördert und positive Emotionen geweckt. Solches Einstehen für Ideen und Interessen ist Grundlage unserer Demokratie. Streiten ist zugleich anstrengend – emotional wie intellektuell. Es erfordert Zuhören, Reflektieren, Abwägen. Es gewährleistet weder Anspruch auf Erfolg noch auf Zustimmung, sondern provoziert Widerspruch. Um Streitbereitschaft im positiven Sinne zu befördern, braucht es gegenseitige Anerkennung, Wertschätzung, Zuhören und Mut.
Demokratischer Streit braucht Werte!
Wichtigstes Prinzip im demokratischen Streit ist Toleranz als Recht, für die eigene Position eintreten zu können. Ebenso braucht es gegenseitige Wertschätzung, Offenheit und Aufrichtigkeit, sowohl im Umgang mit Argumenten als auch im Umgang miteinander, ungeachtet von Geschlecht, Alter, Herkunft, religiöser oder geschlechtlicher Orientierung und Position. Es ist nicht nur Aufgabe von Streitenden, diese Werte anzuerkennen, sondern ein breites Eintreten für dieses Wertesystem ist Grundlage der Demokratie. Gleiches gilt für die Notwendigkeit des Eintretens für Toleranz, Offenheit und Wahrheit in neuen und traditionellen Medien.
Streiten will gelernt sein!
Streiten findet oftmals nicht in einem idealtypischen Umfeld statt, sondern wird begleitet von Emotionen. Nicht selten kommt es zu Verletzungen eines für fruchtbare Diskurse erforderlichen Wertesystems. Solche Verletzungen umfassen bekannte rhetorische Elemente der Wissenschaftsleugnung, wie das Verweisen auf Pseudoexperten, logische Trugschlüsse, unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei in der Argumentation, Verschwörungsmythen sowie persönliche Angriffe auf das Gegenüber und Unterstellungen. Schulungen und Training der Debattenkultur stärken nicht nur die Fähigkeit, solche Mechanismen zu erkennen und zu entlarven, sondern auch unfruchtbarem Streit sowie der Verbreitung von Unwahrheiten und Hass entgegenzutreten.
Eine zukunftsfähige Landwirtschaft braucht breite Unterstützung!
Die großen Fragen unserer Gesellschaft lassen sich nicht in einer Legislatur lösen. Das gilt auch für die Zukunft der Landwirtschaft, die sich infolge neuer Möglichkeiten und sich ändernder Rahmenbedingungen stetig wandelt. Um sich auf Veränderungen einlassen zu können, braucht es einen verlässlichen Rahmen, der Spielräume eröffnet. Die von der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft erarbeiteten Empfehlungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft wurden bislang nicht umgesetzt. Es wurde versäumt, dafür bereits bei ihrer Einsetzung ein breites Mandat in Politik und Gesellschaft zu schaffen, das von allen demokratischen Parteien und unabhängig von der jeweiligen Regierung getragen und über mehrere Legislaturperioden hinweg befördert würde. Dieses Defizit zu überwinden ist gerade in Zeiten einer zunehmenden Polarisierung innerhalb der Gesellschaft nicht nur für die Politik eine große Herausforderung. Auch die Landwirtschaft muss sich gemeinsam mit ihren Partnern in den vor- und nachgelagerten Bereichen der Ernährungswirtschaft sowie den ländlichen Räumen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Politik und Zivilgesellschaft erarbeiten. Das erfordert auch innerhalb der Landwirtschaft ehrliche Auseinandersetzungen über Kompromisse und Politiken zum Wohle aller, nicht nur der Landwirtschaft.
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