Nachhaltigkeit macht sich bezahlbar
DLG-Kolloquium 2024 rückt den nachhaltigen Business Case in den Fokus
Business Case Nachhaltigkeit: Unter dem Titel stand das DLG-Kolloquium 2024 am Dienstag, den 3. Dezember in Berlin. Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen der Wertschöpfungskette Agrar und Ernährung sowie der Beratung analysierten, wie nachhaltige Produktionsweisen in der Landwirtschaft durch tragfähige Geschäftsmodelle und neue Technologien wirtschaftlich rentabel aufgebaut werden können. Eine hohe Bedeutung kamen dabei der Standardisierung und Benchmarking-Systemen für Nachhaltigkeitsindikatoren zu. Außerdem lautete ein klarer Appell an die Teilnehmenden, Nachhaltigkeit nicht als zusätzliche Belastung, sondern auch als Chance für tiefere Wertschöpfung zu begreifen.
Eine zukünftig wieder positive Entwicklung der Wirtschaft in Deutschland sei dann möglich, wenn es gelinge, nachhaltigen Fortschritt durch gute Prozesse und Benchmarking-Systeme zu entwickeln: „Die aktuelle Wirtschaftskrise in Deutschland ist einerseits verursacht durch eine verfehlte Wirtschaftspolitik, die nachhaltigen Fortschritt mit ungeeigneten Instrumenten und auch handwerklichen Fehlern in die Ordnungspolitik zu integrieren versucht hat“, sagte DLG-Präsident Hubertus Paetow zur Eröffnung des Kolloquiums. Andererseits begrenze die Wirtschaftskrise die Möglichkeiten von Staat und Wirtschaft, nachhaltige Verfahren einzuführen und zu fördern, so Paetow weiter. Die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland hänge nicht zuletzt davon ab, ob es gelingen werde, ein Nachhaltigkeits-Benchmarking-System zu entwickeln, das sämtliche Regularien und Berichtspflichten aus dem Bereich Nachhaltigkeit vereine. Durch ein solches System würden auch die landwirtschaftlichen Betriebe in die Lage versetzt, besonders nachhaltige Praktiken nachzuweisen und beim Verkauf ihrer Erzeugnisse zu monetarisieren.
Paetow verwies in dem Zusammenhang auf die Empfehlungen des Strategischen Dialogs zur Zukunft der EU-Landwirtschaft für ein solches EU-weit harmonisiertes Nachhaltigkeits-Benchmarking – eine Empfehlung, die auch im jüngsten Bericht der Zukunftskommission Landwirtschaft aufgegriffen wurde.
Treiber für Multistakeholder-Initiativen
Ob Nachhaltigkeit im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ein Treiber oder Auslaufmodell sei, erörterte Kordula Wick, Director der Systain Consulting GmbH. Nachhaltigkeit sei ganz klar ein Treiber, der stetig an Bedeutung gewinne für die Unternehmen des LEH, beantwortete Wick die Frage. Aufseiten der Regulatorik habe die EU-Richtlinie zur Unternehmensnachhaltigkeitsberichterstattung CSRD den LEH in den vergangenen eineinhalb Jahren stark beschäftigt, sagte Wick. Die Risiken, die durch die CSRD sowie auch durch die Lieferketten-Regulatorik auf deutscher und europäischer Ebene entlang der Wertschöpfungskette begrenzt werden sollen, betreffen in erster Linie nicht den LEH selbst, sondern die Lieferanten, unterstrich die Beraterin. Dadurch wiederum wachse die Erkenntnis, dass Nachhaltigkeit eine Aufgabe für die gesamte Wertschöpfungskette sei und am besten durch Multistakeholder-Initiativen adressiert werden könne.
Wick sprach sich für eine Standardsetzung bei Nachhaltigkeits-Indikatoren aus und appellierte an Landwirte, das Thema nicht bloß als zusätzlichen Verwaltungsaufwand zu begreifen, sondern als Chance für vertiefte Wertschöpfung. Verbrauchertrends, die die Bedeutung von Nachhaltigkeit für den LEH untermauerten, seien die wachsende Beliebtheit von veganen Alternativprodukten bei jungen Konsumentinnen und Konsumenten, Regionalität und auch Bioprodukte, wobei Letztere mittlerweile im Mainstream angekommen seien. Diese Trends hätten auch eine wachsende Bedeutung im Bereich der Handelsmarken, so Wick.
Hohe Erwartungen bei der jungen Konsumenten-Generation
Einblicke in die Perspektive der Ernährungsindustrie gab Anke Stübing, Leiterin des Bereichs Nachhaltigkeit bei Nestlé Deutschland. Sie arbeitete in ihrem Vortrag heraus, dass die Erwartungshaltung der Konsumenten in Bezug auf verantwortungsvolles Handeln und Nachhaltigkeit in der Ernährungsindustrie gegenwärtig hoch sei: Die Nachfrage nach entsprechend erzeugten Waren sei in den vergangenen fünf Jahren um rund 1,7 Prozent jährlich gewachsen. Mehr als 80 Prozent der Millenials und Generation Z würden Nachhaltigkeit als „extrem wichtig“ bewerten, so Stübing weiter. Auch Investoren am Kapitalmarkt würden zunehmend Wert auf die Erfüllung der ESG-Kriterien, also der Nachhaltigkeitsindikatoren in den Bereichen Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung, legen – und in Bewerbungsgesprächen würden Kandidaten den Grad der Nachhaltigkeit des Unternehmens kritisch hinterfragen. Nestlé reagiere auf diese Anforderungen mit Nachhaltigkeitsprogrammen für Lieferanten sowie mit Reportings von Nachhaltigkeitskennzahlen, wie Ziele hinsichtlich der prozentualen Reduktion der Treibhausgas-Emissionen, des prozentualen Anteils von Rohstoffen aus verantwortungsvoller Beschaffung sowie der prozentualen Reduktion des Wasserverbrauchs und – bei den Kriterien der guten Unternehmensführung – des avisierten Anteils von Frauen in Führungspositionen.
Kreislaufwirtschaft mit Strohschweinen
Aufseiten der Primärproduktion gab Landwirt Jörg Struve einen Einblick in das Nachhaltigkeitskonzept auf seinem Hof. Struve führt mit seiner Familie den Betrieb Struve Agrar im schleswig-holsteinischen Nübel in mittlerweile fünfter Generation. Im Jahr 2020 hat der Familienbetrieb ein tierwohlorientiertes und regionales Haltungskonzept mit Stroh in der Schweinehaltung entwickelt. Den Tieren stehen unter anderem 40 Prozent mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben zur Verfügung sowie strukturierte Bereiche zum Schlafen, Spielen, Fressen, Trinken, Wühlen und Misten, ein Wintergarten mit Außenklimareiz, eine automatische Stroheinstreu und eine Dusche zur Abkühlung im Sommer. Die Schweine werden seit dem Jahr 2021 im Gutfleisch Strohschwein-Programm der Region Edeka Nord vermarktet. Für Jörg Struve gehört neben Regionalität, der Kreislaufwirtschaft und dem Tierwohl auch klar die wirtschaftliche Sphäre zu einem erfolgreichen Business Case Nachhaltigkeit: Alle, die Landwirte für ihre Erzeugnisse und deren Arbeitskräfte, müssten von ihren Partnern in der Wertschöpfungskette „vernünftig bezahlt werden“ – das sei schon per se nachhaltig, sagte er auf dem DLG-Kolloquium.
Andreas Engemann vom Biolandhof Engemann in Willebadessen setzt Nachhaltigkeit um als möglichst flächendeckende, in der Region verankerte landwirtschaftliche Erzeugung nach ökologischen Standards. Nachhaltigkeit bedeutet für ihn auch Know-how-Transfer mit Landwirten aus der Region und das Schaffen von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum. „Nachhaltigkeit ist mehr als bloß ein CO2-Fußabdruck“, betonte Engemann anknüpfend an seine ganzheitliche Betrachtung des Konzepts.
Zentrale Bedeutung von Technologie und Technologieoffenheit
Das Potenzial von Technologie und die Notwendigkeit der Technologieoffenheit für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen in der Landwirtschaft wiederum rückte Prof. Till Meinel, Institut für Bau- und Landmaschinentechnik an der TH Köln und DLG-Vizepräsident, in den Fokus. Meinel untersuchte verschiedene Technologien und Ansätze in der Landwirtschaft auf ihr Potenzial, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Vielversprechend seien demnach alternative Antriebe für Landmaschinen. Biodiesel könne je nach Herkunft und Art des verwendeten Rohstoffs die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft erheblich senken – Potenzial, das aktuell, da gut 99 Prozent der Landmaschinen mit fossilem Diesel betrieben würden, kaum ausgeschöpft werde, betonte Meinel.
Einen Beitrag zur Einsparung von Dünger leistet – dokumentiert durch entsprechende Versuchsergebnisse – die punktgenaue Startdüngergabe in Mais. Denn bei diesem Ansatz wird nur dort Dünger ausgebracht, wo sich auch ein Maiskorn befindet: Mindestens 25 Prozent Dünger könnten so eingespart werden, unterstrich der DLG-Vizepräsident. Autonom fahrende und über Solarenergie betriebene Landmaschinen, wie sie beispielsweise zum Hacken und zur Einzelkornsaat bei Rüben oder Zwiebeln bereits seit einigen Jahren im Einsatz seien, zahlten auf den Business Case Nachhaltigkeit ein, indem sie Ressourcen bei Arbeitskräften sparten und durch ihre leichte Bauweise den Boden schonten.
Profitabilität und Nachhaltigkeit lassen sich vereinen
Prof. Peter Strohschneider, ehemaliger Vorsitzender der Zukunftskommission Landwirtschaft und Leiter des Strategischen Dialogs zur Zukunft der Landwirtschaft der EU, analysierte in seinem Vortrag die agrarpolitische Dimension des Themenkomplexes Nachhaltigkeit. Er legte zu diesem Zwecke dar, wie der Strategische Dialog in der EU, dessen Empfehlungen im September 2024 vorgestellt wurden, die nachhaltige Ausrichtung der EU-Landwirtschaft im Konsens verschiedener Stakeholder und über die Mitgliedstaaten hinweg perspektivisch prägen könne. Profitabilität und Nachhaltigkeit lassen sich integrieren, laute eine Erkenntnis aus dem Strategischen Dialog. Das im Bericht empfohlene Nachhaltigkeits-Benchmarking mache Nachhaltigkeit auf EU-weit einheitlicher Basis bewertbar, messbar und somit auch bezahlbar – und zwar auf Basis robuster Indikatoren. Robust heiße in dem Fall: belastbar und praktikabel auf Einzelbetriebsebene, betonte Strohschneider.
“Die neue, konstruktive Gesprächskultur über agrarpolitische Themen muss gepflegt werden.”
Prof. Peter Strohschneider
Als positives Signal wertet der Leiter des europäischen Nachhaltigkeitsdialogs, dass sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung der Empfehlungen die Idee zur Gründung eines Beratergremiums für die Weiterentwicklung des EU-Agrarsektors, des European Board on Agrifood, zu eigen gemacht habe. Dadurch würde die interessengruppenübergreifende Auseinandersetzung über die zukunftsfähige Ausrichtung der Agrarpolitik hoffentlich verstetigt, betonte Strohschneider. Sowohl die Zukunftskommission Landwirtschaft als auch der Strategische Dialog hätten eine neue, konstruktivere Gesprächskultur über agrarpolitische Themen in der Gesellschaft geprägt – ein Erfolg, der gepflegt werden müsse, um fortzubestehen.
Wandel als Chance begreifen
Dr. Klaus Hollenberg von der Landwirtschaftlichen Rentenbank in Frankfurt am Main schilderte in seinem Impuls auf dem DLG-Kolloquium aus Sicht der Finanzwirtschaft die Faktoren, die im Spannungsfeld Nachhaltigkeit den Transformationsprozess in der Landwirtschaft vorantreiben: Dazu zählten politische Maßnahmen, Regulatorik beispielsweise zur nachhaltigen Finanzierung im Bankenwesen, Klimawandel und Biodiversitätsschutz sowie Erwartungen der Gesellschaft und Marktmechanismen. All diese Faktoren würden die landwirtschaftlichen Geschäftsmodelle beeinflussen, folgerte Hollenberg.
Der Rentenbank-Experte empfiehlt Landwirten, den Wandel hin zur Nachhaltigkeit als Chance zu begreifen, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und sich zusätzliche Absatzmärkte zu erschließen. Die Landwirtschaftliche Rentenbank wiederum unterstütze den Aufbau neuer nachhaltiger Geschäftsfelder gezielt durch beispielsweise die Förderung von Start-ups.