Geradezu adventlich besonnen und sogar vor der im Programm vermerkten Zeit beginnt der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz (CDU,) mit seiner Rede zur künftigen Agrarpolitik vor 150 Landwirten in Olsberg/NRW.
In vorweihnachtlicher Stille spricht der Kanzlerkandidat der CDU knapp eine Stunde darüber, wie er den Politikwechsel in Deutschland gestalten will. Dabei verliert er sich nicht in Details, wie es vielleicht die anwesenden Landwirte und Vertreter des Westfälisch Lippischen Landesbauerverbandes (WLV) gerne hören möchten. Zuvorderst geht es dem ehemaligen Abgeordneten im Europaparlament um das große Ganze. Die EU reguliert im Kleinen zu viel und im Großen macht sie zu wenig. Die Details ausarbeiten, können die EU-Mitgliedsstaaten viel besser.
Das Publikum verfolgt gespannt und für Bauernversammlungen ohne Zwischenrufe die Rede von Merz im bestuhlten Verkaufsraum des ortsansässigen Holzzentrums, umrahmt von Holztüren- und hütten, Werkbänken sowie unter gewaltigen Dachbalken. „Nur eine starke Industrie gibt Deutschland und der EU das Gewicht zurück, um Einfluss in der Weltgemeinschaft zu haben", sagt der überzeugte Europäer. An den Folgen des Klimawandels hegt er keinen Zweifel. Doch gehe Wirtschaft und Umweltschutz nur gemeinsam. Eine Überhebung des Green Deals sei daher in der neuen EU-Kommission nicht mehr vorgesehen.
Der Goldrand muss weg
Der dazu notwendige Bürokratieabbau habe bei ihm erste Priorität. Er möchte für alle Unternehmen - und damit schließt er die Landwirtschaft ein - klare und faire Rahmenbedingungen schaffen, die sowohl den wirtschaftlichen als auch den ökologischen Anforderungen gerecht werden. Dazu gehöre auch, dass in Deutschland die gleichen Standards und Verordnungen gelten wie in anderen EU-Ländern. Es kann nicht sein, dass deutsche Behörden die Umsetzung von EU-Richtlinien immer mit einem zusätzlichen “Goldrand” ausstatten und damit Agrarbetriebe wegen strenger Sonderregelungen Wettbewerbsnachteile gegenüber europäischen Kollegen hätten.
“Wir befinden uns in der Zeitenwende”
greift der Oppositionsführer der Union im Bundestag das von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geprägte Wort nach dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine auf. Erst vor drei Tagen war er in Kiew und führte dort mit dem ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskiy Gespräche.
Wenn sie aus dem vom Krieg geschüttelten Land nach Deutschland zurückkommen, sind unsere Probleme hier ganz klein, gibt Merz zu bedenken. Er nimmt damit den vielen Forderungen, vorgetragen von WLV-Präsident Hubertus Beringmeier zu Wolf, Kontrollen, Bürokratie, Waldbewirtschaftung, Entwaldungsfreies Lieferkettengesetz, Umbruch von Dauergrünlandflächen und Agri PV, etwas den Wind aus den Segeln.
Ernährungssicherheit als Staatsziel
Erneut sei ihm auf der Reise die Bedeutung der Ernährungssicherheit klar geworden, gerade wenn Länder wie die Ukraine als sichere Lieferanten von Nahrungsmittel ausfallen.
Angesichts der weltweiten Krisen und Kriege und der Unsicherheit über Zölle und Steuern, die die künftige US-Regierung unter Donald Trump ankündigt, will Merz zusammen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) die Ernährungssicherheit in Deutschland als Staatsziel im Grundgesetz verankern. Dieser Beschluss sei im Wahlprogramm von CDU/CSU aufgenommen worden, das die beiden Politiker in der kommenden Woche in Berlin vorstellen wollen. Mit diesem Schritt soll eine Balance zwischen der Nahrungsmittel produzierenden Landwirtschaft und dem bereits als Staatsziel verankerten Tierwohl hergestellt werden.
Verhandlungen mit Grünen und SPD
Ferner plant der 68-Jährige im Falle eines Wahlsieges, ein eigenes Ministerium für Digitalisierung zu installieren, um an einem Ort Entscheidungen für eine digitale Transformation zu treffen. So sei die Ampelregierung in diesem Punkt an den vielen Zuständigkeiten von Ministerien gescheitert. Er hofft nach den aktuellen Umfragen, die bis zu 38 Prozent für die CDU/CSU vorhersagen, mit der SPD und den Grünen Koalitionsverhandlungen zu führen, ohne eine Präferenz zu nennen. Eine Zusammenarbeit mit der AfD, die als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, schließt Merz kategorisch aus. Auch über den derzeit amtierenden Bayerischen Bauernpräsidenten und bereits vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) in Aussicht gestellten künftigen Bundesagrarminister Günter Felßner wollte er sich gegenüber der Presse nicht äußern. Von verfrühten Personalentscheidungen vor dem Wahlausgang am 23. Februar 2025 halte er nichts.
Mercosur ist ein großer Erfolg
Als einen großen Erfolg bewertet Merz vor den rund 150 WLV-Vertretern im frostigen Olsberg den Abschluss des Mercosur-Abkommens. Alle Vorbehalte der Landwirtschaft gegenüber geringeren Standards könne der Freund von Handelsabkommen entkräften. Zudem seien beispielsweise die Einfuhren von Rindfleisch mengenmäßig so gering, das sie zu keinen Verwerfungen auf den Märkten führen. Auch den EU-Beitritt der Ukraine sollten deutsche Landwirte entspannt sehen. Bis es dazu komme, stünden mindestens zehn Jahre Verhandlungen zwischen EU und Ukraine bevor.
Kritischer Blick auf Subventionen
„Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken“, ermutigt Merz die Anwesenden. Er verspricht eine Agrarpolitik, die Hand in Hand gehe und sich nicht in Widersprüchen verstricke oder von Ideologien leiten lasse. Sollte es auf EU-Ebene möglich sein, spricht er sich für eine Abschaffung des Klagerechts von Verbänden aus. Nichtregierungsorganisationen (NGO) hätten in den vergangenen Jahren stark bei Entscheidungen an Einfluss gewonnen und blockierten mit Klagen die Wirtschaft. Allerdings äußert er offen seine Bedenken ob der Subventionen und Prämien, die Landwirte aus Brüssel erhalten. Von Förderungen, die schwache Betriebe unterstützen sollen, hält er nichts. Mit der künftigen Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) wolle er sich nach der Bundestagswahl näher beschäftigen.
Nahezu am Schluss verteilt Merz dann noch Wahlgeschenke zum Weihnachtsfest. Der Kanzlerkandidat will die Steuererleichterungen für Agrardiesel wieder einführen. Sollte die Union die künftige Bundesregierung stellen, können sich Landwirte, wie bis Februar 2024 möglich, die Energiesteuer in Höhe von 21,48 Cent/Liter vom Hauptzollamt erstatten lassen. Die Ampelregierung hatte vor einem Jahr beschlossen, den steuerlichen Vorteil beim Agrardiesel bis 2027 abzuschaffen. Vor Heimkulisse löst er damit sein Versprechen, er stehe auf der Seite der Landwirte, ein, das er in seinem Wahlkreis Hochsauerland vor elf Monaten an einem eiskalten Januartag auf der Bauerndemonstration im benachbarten Meschede gegeben hatte. Die Steuerbelastung darf in Deutschland nicht höher sein als in anderen europäischen Ländern. Für den Hochsauerlandkreis kündigt er eine Änderung der Flächenpläne an, um dem Wildwuchs von Windkraftanlagen einen Riegel vorzuschieben.
„ Wir stellen Ziele zur Klimaneutralität nicht in Frage“ stellt Merz klar. Er wirbt aber für eine Technologieoffenheit, sei es Gas, Kohle oder kleine Atomkraftwerke, die zusammen mit den Erneuerbaren Energien die Versorgung mit Strom sicherstellen. Zur Offenheit zählen für ihn auch neue genomische Techniken (NGT), die punktgenaue Veränderungen im Erbgut ermöglichen und die Züchtung von resistenten und klimaresiltenten Sorten bedeuten. Merz möchte in Zukunft mit den Betroffenen und nicht gegen sie regieren. Am Ende gelingt ihm ein staatsmännischer Abgang:
„Bei aller Kritik, die wir haben. Denken Sie immer daran, was für einen großen Schatz wir haben. Wir leben seit 75 Jahre in Freiheit, Grundsatz, Frieden und Demokratie“.
Foto Startseiten-Teaser: CDU / Tobias Koch