DLG-Wintertagung 2025: Neuer Wachstumsbegriff als Antwort auf politisch-wirtschaftlichen Wandel
DLG-Wintertagung 2025 am 18. und 19. Februar in der Halle Münsterland in Münster – Leitthema „Produktivität reloaded – Erträge wieder gefragt?“ – Green Deal an globaler politischer Realität gescheitert – Agrarwirtschaft muss neuen nachhaltigen Wachstumspfad definieren – Landwirte überzeugt, dass nachhaltiger Produktivitätsfortschritt gelingt
Die aktuell vielfältigen globalen Krisen markieren nicht nur eine Zeitenwende, sondern verursachen tektonische politisch-kulturelle Verschiebungen weltweit. Die Agrarwirtschaft in Deutschland, Europa und international ist gefordert, auf diese Entwicklung mit fachlich fundierten Konzepten für nachhaltiges Wachstum zu antworten. Hubertus Paetow, Präsident der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft e. V.), setzte den Impuls für die Entwicklung einer neuen Definition des nachhaltigen Produktivitätsfortschritts. Keynote-Speaker Prof. Andreas Rödder, Leiter der Denkfabrik Republik21 und Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, beleuchtete die gegenwärtig in vielen westlichen Gesellschaften stattfindende Ablösung der „grünen Hegemonie“ durch ein nach rechts ausschlagendes Pendel in Diskurs und Politik – und lieferte Denkanstöße zu den Implikationen dieser Entwicklung für die Agrar- und Ernährungswirtschaft. Er skizzierte das positive Szenario einer politisch-gesellschaftliche Kurskorrektur im Dreiklang „Emissionen reduzieren“, „Ressourcen mobilisieren“ und „global denken“ nach der Bundestagswahl am 23. Februar. Übertragen auf die Landwirtschaft laute die Trias: Versorgungssicherheit und Ernährungsqualität, Bezahlbarkeit und Umweltfreundlichkeit. Eine Schweinehalterin, ein Milcherzeuger und ein landwirtschaftlicher Berater diskutierten mit dem Historiker und zeigten Zuversicht, dass sich durch die aktuellen Verschiebungen auf dem politisch-kulturellen Feld vielfältige Wachstumschancen ergeben.
„Der Diskurs über die Bedeutung von Produktivitätssteigerung für den Fortschritt verändert sich.“ Das betonte DLG-Präsident Hubertus Paetow in seiner Ansprache zur Auftaktveranstaltung Plenum auf der DLG-Wintertagung 2025 am Mittwoch, den 19. Februar, in Münster. Paetow verwies zur Begründung auf die im gegenwärtigen globalen politischen Umfeld gescheiterte Idealvorstellung hinter dem Green Deal, nach der die EU eine globale Führungsrolle bei der Entwicklung und dem Export nachhaltiger Technologien erreichen würde. Dies laufe parallel zu einer gegenwärtig schwachen wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland.
Handlungsdruck besteht fort
Auch wenn der finanzielle Spielraum unter den aktuellen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen kleiner geworden ist, bleibe der Handlungsdruck bestehen: Unter dem Eindruck eines sich verstärkenden Klimawandels und des anhaltenden Artensterbens sowie der geopolitischen Krisen zeige sich die Schwäche des bisherigen Verständnisses von nachhaltiger Entwicklung in Deutschland und Europa: „Weder Höchstertrag noch Inputbeschränkung für sich genommen sind die Lösung“, erläuterte der DLG-Präsident.
Benötigt werde ein erweiterter Produktivitätsbegriff, der neben den klassischen Faktoren Boden, Arbeit und Kapital auch den Verbrauch natürlicher Ressourcen, Tierwohl, Biodiversitätsverlust und Treibhausgasemission in die Bewertung einbezieht: Nachhaltiger Produktivitätsfortschritt. Dabei gehe es nicht nur um möglichst hohe Flächenerträge, Tageszunahmen und Milchleistungen oder um möglichst wenig Pflanzenschutzmittel oder Stickstoffdünger. Unter den Bruchstrich gehören auch möglichst geringe Treibhausgasemissionen, Biodiversitätsverluste und Beeinträchtigungen des Tierwohls.
Große Aufgabe – aber machbar
Die Aufgabe sei groß, aber unter Einbeziehung aller Möglichkeiten des Fortschritts und des fachlichen Know-hows machbar, zeigte sich Paetow überzeugt: Die Agrar- und Ernährungswirtschaft muss die zur Verfügung stehenden und zielführenden Innovationen nutzen, um mit Blick auf alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit fortschrittlich zu sein. Dabei ist nachhaltiger Produktivitätsfortschritt nicht nur Grundvoraussetzung für die Wirtschaftlichkeit des landwirtschaftlichen Betriebs im Einzelnen, sondern gleichzeitig für den Beitrag der Landwirtschaft zu einem gesamtgesellschaftlich hohen Wohlstandsniveau.
Das neue Paradigma des nachhaltigen Produktivitätsfortschritts müsse daher durch technische Innovationen und Verfahrensinnovationen flankiert werden: „Die Chancen des digitalen Fortschritts für nachhaltiges Produktivitätswachstum sind vorhanden, werden aber bei Weitem noch nicht ausreichend genutzt“, sagte Paetow dazu.
Auf die kulturell-politische sowie diskursive Dimension des aktuellen Paradigmenwechsels ging Prof. Andreas Rödder, Leiter der Denkfabrik Republik21 und Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, in seiner Keynote zur DLG-Wintertagung 2025 ein. „Wir erleben gerade tektonische Verschiebungen auf politisch-kultureller Ebene. Die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten auf der Münchener Sicherheitskonferenz in der letzten Woche hat gezeigt, dass Kulturkonflikte keine Nebenkriegsschauplätze, sondern ganz zentrale Auseinandersetzungen unserer Zeit sind“, betonte Rödder. „Nach dem Ende der grünen Hegemonie schwingt das Pendel nach rechts, in vielen westlichen Gesellschaften. Die große Frage ist: Kann die gemäßigte rechte Mitte das Pendel abfangen – oder schlägt es nach Rechtsaußen durch?“, stellte Prof. Rödder als Frage in den Raum.
Deindustrialisierung und Wohlstandsverlust versus Ressourcenmobilisierung und globales Denken
Mit Blick auf die Bundestagswahl am kommenden Sonntag entwarf Rödder zwei Szenarien für die weiteren Entwicklungen auf der politisch-kulturellen Ebene: „Der Worst Case wären Deindustrialisierung und Wohlstandsverlust in Deutschland. Sie führen zur Unregierbarkeit diesseits der Brandmauern.“ Ein positives Szenario bestünde in einem Umsteuern in Richtung Emissionen reduzieren, Ressourcen mobilisieren und global denken. Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltfreundlichkeit laute der Dreiklang übertragen auf die landwirtschaftliche Produktion. Der Wunsch nach Veränderung und einem positiven Paradigmenwechsel in der Politik berge durchaus Chancen für die Landwirtschaft. „Landwirte sollen selbstbewusst in der Öffentlichkeit zu ihrer Haltung und dem Konzept einer nachhaltigen Produktionssteigerung stehen“, unterstrich Rödder.
Andreas Lieke, stellvertretender Vorsitzender im DLG-Ausschuss Wirtschaftsberatung und Rechnungswesen, LBB Göttingen – Ländliche Betriebsgründung und Beratungsgesellschaft mbH, beschrieb anschließend in der Diskussion mit dem Keynote-Speaker indessen den Landwirtschaftssektor „als immer schon sehr fortschrittsoffen“. Landwirte seien häufig unter den „Early Adopters“ für digitale Innovationen. Er empfehle seinen Mandaten in der Beratung, „sich keine Denkverbote zu setzen und offen in die Zukunft zu gehen“. Die aktuelle Verschiebung im gesellschaftlichen und politischen Diskurs sei vor dem Hintergrund „begrüßenswert“.
Mehr Zahlungsbereitschaft nur mit mehr Wohlstand
Gesa Langenberg, Mitglied im DLG-Ausschuss Schwein und Landwirtin aus Niedersachsen, versicherte, „begeistert hinter dem zu stehen“, was sie und ihre Familie mit ihrem Betrieb in der Schweinehaltung leisteten. Wichtig ist für die Schweinehalterin, die ihren Stall aktuell auf die Haltungsstufe 4 umstellt, dass die Wirtschaft wieder anspringe: „Wir brauchen in Deutschland wirtschaftliche Stabilität. Denn höhere Haltungsformen erfordern stabile Einkommen, damit Verbraucher das Tierwohl-Fleisch auch kaufen.“
Die Landwirtschaft konkurriere im Bundeshaushalt um Mittel, unter anderem mit Investitionen in Bildung oder Infrastruktur. Die dreifache Mutter zeigte Verständnis dafür, dass „wir öffentlich diskutieren müssen, für welche öffentlichen Güter wir wie viel Geld ausgeben wollen“. Derzeit beobachte Langenberg eine geringere Zahlungsbereitschaft in der Gesellschaft für höherwertiges Schweinefleisch aus höherer Haltungsform. Dies sei aber auch darauf zurückzuführen, dass es derzeit für die Schweinehaltung keine transparente und verständliche Kennzeichnung gebe, wie dies etwa bei Eiern der Fall sei.
Eine nachhaltige und wirtschaftlich tragfähige Produktion steht für den Milcherzeuger Lutz Decker aus Niedersachsen im Vordergrund. Im Unterschied zu Ackerbauern habe er nicht innerhalb eines Jahres den Überblick über die Wirtschaftlichkeit seines Betriebs. „Wir müssen zuerst das Futter produzieren und haben damit eine längere Rückkopplung in der Milchproduktion. Über eine Absicherung an der Börse wie beim Getreide verfügt der Milchproduzent nicht.“
„Gegessen wird immer“, antwortet Decker auf die Frage, wie er in 15 Jahren seinen Betrieb aufstellen will. „Wir müssen uns sachlich und fachlich mit unseren Aufgaben beschäftigen, auf die Stimme des Verbrauchers mit Unternehmergeist reagieren.“ Flexibel und offen wolle er seinen Betrieb wirtschaftlich führen: „Das EEG war ein warmes Nest: Jetzt müssen wir auf den Markt hören und unsere Sache gut machen“, zeigte Lutz, der auch Betreiber einer Biogasanlage ist, sich zuversichtlich.
Mehr Informationen zur DLG-Wintertagung 2025 unter dem Leitthema „Produktivität reloaded – Erträge wieder gefragt“ finden Sie hier: DLG-Wintertagung 2025.
Fotos: DLG
Vorschlag für Bildunterzeilen:
DLG_WiTa2025_Plenum1: Was der gegenwärtige Paradigmenwechsel in der politisch-kulturellen Sphäre für die Landwirtschaft bedeutet, war ein Thema in der Auftaktveranstaltung Plenum auf der DLG-Wintertagung 2025.
DLG_WiTa_Plenum2: Keynote-Speaker Prof. Andreas Rödder lieferte Impulse, was das Ende der "Grünen Hegemonie" im gesellschaftlich-politischen Kurs generell und für die Landwirtschaft bedeutet.
DLG_WiTa_Plenum3: Produktivität reloaded - Erträge wieder gefragt?: Das ist das Leitthema der DLG-Wintertagung 2025.
DLG_WiTa2025_Plenum4: DLG-Präsident Hubertus Paetow rief die Teilnehmenden der Wintertagung dazu auf, den Pfad des nachhaltigen Produktivitätsfortschritts zu gestalten.
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