Die Ukraine und Republik Moldau haben Beitrittsverhandlungen mit der EU aufgenommen. Für beide Nationen bietet ein EU-Beitritt viele Chancen, birgt aber auch Herausforderungen: Die Republik Moldau setzt auf einen Professionalisierungsschub in der Tierhaltung. Die Ukraine wiederum, die unter dem russischen Angriffskrieg leidet, sieht sich als wichtige Stütze der Ernährungssicherheit in Europa.
Die Perspektiven, die sich durch einen EU-Beitritt für die Ukraine und die Republik Moldau ergeben, war Thema auf der internationalen Konferenz „Chancen und Herausforderungen der EU-Integration für die Nutztierhaltung in der Republik Moldau und in der Ukraine“ kürzlich auf der EuroTier 2024 in Hannover. Mit der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union in diesem Jahr haben die Republik Moldau und die Ukraine einen wichtigen Meilenstein erreicht. Nun sind beide Länder gefordert, im Zuge der anstehenden Integration in die EU die in der Staatengemeinschaft geltenden Vorschriften umzusetzen. Dabei sind der Agrarsektor und die Nutztierhaltung in der EU durch hohe Anforderungen an Umwelt- und Klimaschutz, umfangreiche Regelungen zur Tiergesundheit, Tierseuchenbekämpfung und zur Lebensmittelsicherheit sowie steigenden Anforderungen an das Tierwohl gekennzeichnet. Chancen für die Ukraine und die Republik Moldau wiederum ergeben sich durch den Zugang zum EU-Binnenmarkt sowie den Fördermaßnahmen innerhalb der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP).
Krieg beeinträchtigt Logistik in der Nutztierhaltung stark
Während die Nutztierhaltung in der Republik Moldau mit Ausnahme der Geflügelwirtschaft von einem drastischen Rückgang der Tierbestände in den vergangenen drei Jahrzehnten gekennzeichnet ist, ist die Nutztierhaltung in der Ukraine durch den russischen Angriffskrieg stark beeinträchtigt. Unterbrechungen der Energieversorgung, logistische Probleme bei der Lieferung von Futtermitteln und Betriebsmitteln, Liquiditätsengpässe und Fachkräftemangel machen den ukrainischen Betrieben sehr zu schaffen.
Vertreter und Vertreterinnen aus beiden Ländern zeigten während der Konferenz die Chancen und die Herausforderungen auf, die sich im jeweiligen Fall durch den EU-Beitritt ergeben. Die Republik Moldau sieht dabei viel Potenzial in der Tierhaltung. „Die Tierhaltung ist die Königin der Landwirtschaft“, sagte Iurie Scripnic, Staatssekretär im moldawischen Landwirtschaftsministerium. Angestrebt sei, den Anteil der Tierhaltung am Bruttoinlandspunkt deutlich zu steigern. Um das zu erreichen, fördere die Republik Moldau den Ausbau der professionellen Tierhaltung in den Bereichen der Milchvieh- und Fleischrinderhaltung sowie Schweinehaltung; das Land exportiere bereits Eier und Geflügelfleisch in die EU.
Ludmila Catlabuga, zum Zeitpunkt der Konferenz auf der EuroTier 2024 noch Geschäftsführerin des Verbands der Milcherzeuger der Republik Moldau und inzwischen dortige Landwirtschaftsministerin, sieht es als eine wichtige Aufgabe, den Milchviehsektor des Landes zukunftsfest aufzustellen. Dazu müssten die Ställe modernisiert und auch Investitionen in die Genetik vorgenommen werden. So brauche der Milchviehsektor in der Republik Moldau Rassen mit einer höheren Milchleistung, sagte Catlabuga. Vom EU-Beitritt erhofft sich die Branchenexpertin und heutige Landwirtschaftsministerin aber auch Know-how-Transfer: In Sachen Forschung und Entwicklung könne die Republik Moldau viel von den EU-Mitgliedstaaten lernen, zeigte sich Catlabuga zuversichtlich.
Potenzial bei verarbeiteten Lebensmitteln
Olga Romanova, Leiterin der Abteilung Tierzucht im ukrainischen Landwirtschaftsministerium, verwies zunächst auf die schwierigen Bedingungen, unter denen Landwirte in der Ukraine angesichts des russischen Angriffskriegs arbeiten müssten. So fehlten Arbeitskräfte und landwirtschaftliche Nutzfläche ginge verloren. Romanova betonte jedoch, dass die Ukraine durch einen EU-Beitritt erheblich zur Ernährungssicherheit in der Staatengemeinschaft beitragen könne.
Vor Kriegsbeginn habe das Land ein Tierwohl-Gesetz verabschiedet, das die ukrainischen Erzeuger auf die Konkurrenzsituation unter EU-Bedingungen vorbereiten sollte, ergänzte der ukrainische Parlamentarier Oleksaandr Starinets mit Blick auf Vorbereitungen zum EU-Beitritt. Potenzial sieht Romanova derweil in der Steigerung des Umsatzes von verarbeiteten Lebensmitteln.
Steigerung der Milchleistung trotz Krieg
Eindrücklich waren die Schilderungen von Hanna Lavrenyuk, Leiterin des Verbands der Milchviehhalter in der Ukraine. In klaren Worten beschrieb sie, was es bedeutet, unter Kriegsbedingungen Landwirtschaft zu betreiben. Mehr als 100 Milchviehbetriebe seien im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zerstört worden, sagte die Branchenexpertin. Den Betrieben fehlte Personal nicht bloß aus Fachkräftemangel, sondern weil die Männer an der Front kämpften und völlig unklar sei, ob sie wieder nach Hause kämen. Trotz Raketenbeschuss und Blackouts in der Energieversorgung hätten es die Spitzenbetriebe in der ukrainischen Milchwirtschaft aber erreicht, die Milchleistung von rund 11.000 Liter per Kuh und Jahr in der Vorkriegsperiode 2020/21 auf heute rund 13.000 Liter zu steigern, betonte Lavrenyuk. Für sie der Beweis, dass die ukrainischen Milchviehhalter es dennoch schafften, den Mut nicht zu verlieren und nach vorne zu schauen. Gefragt seien nun neue Finanzinstrumente im Land, um die Investitionen für den Wiederaufbau und Weiterentwicklung des Sektors bewältigen zu können.
Oksana Yurchenko, Leiterin des Verbands der Schweinezüchter in der Ukraine, wies indessen darauf hin, wie wichtig es sei auf beiden Seiten – also auf Seiten der Ukraine und der EU-Mitgliedstaaten – Sorgen und Ängste in Verbindung mit einem EU-Beitritt abzubauen. Auf EU-Seite bestünden diese Sorgen darin, dass ein großer Teil der EU-Agrarfördermittel an die ukrainischen Betriebe fließen könne. Eine Sorge, die die Branchenexpertin zu entkräften bestrebt war: Die Landwirte in der Ukraine seien es gewohnt, ohne staatliche Unterstützung zu wirtschaften, betonte sie.
Text: Stefanie Pionke, DLG-Newsroom