“Eine Renationalisierung führt zu dramatischen Wettbewerbsverzerrungen”

Michaela Kaniber, Agrarministerin in Bayern zu den Vorschlägen der EU-Kommission zur Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2028

Die EU-Kommission hat in dieser Woche ihre Vorschläge zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für die Jahre 2028 bis 2034 vorgelegt. Der EU-Haushalt soll ein Volumen von 2 Billionen € umfassen. Darin enthalten sind rund 293 Mrd. €, die die EU-Kommission als Direktzahlungen für Landwirte vorgesehen hat. Insgesamt schrumpft der EU-Agrarhaushalt um ein Viertel. Die bisherige Zwei-Säulen-Struktur der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) gerät ins Wanken. Die geplanten Kürzungen haben in Deutschland große Empörung ausgelöst. Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) gibt exklusiv im DLG-Interview Auskunft darüber, in welche Richtung die Verhandlungen über die EU-Vorschläge im Sinne der Landwirtschaft und des ländlichen Raums geführt werden müssen.

Die EU-Kommission will den EU-Agrarhaushalt in einen Strukturfonds überführen und kürzen. Können Sie die Gründe nachvollziehen? 

Michaela Kaniber: Die von der EU-Kommission präsentierten Vorschläge zur Gemeinsamen Agrarpolitik, kurz GAP, sehe ich sehr kritisch. Eine Kürzung des gesicherten Haushalts der GAP um 20 Prozent missachtet die Bedeutung der Landwirtschaft in der EU als die Sicherung der eigenen Ernährungsgrundlage. Die GAP hat ja damals in den Anfängen der 1960er Jahre ein klares Ziel gehabt: die Ernährungssicherung und die Steigerung der Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Betriebe. Daran hat sich doch rein gar nichts geändert. Im Gegenteil: es ist wichtiger denn je. Wir dürfen dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren. Und schon gar nicht darf Brüssel die Unterstützung für die Lebensmittelproduktion runterfahren und gleichzeitig neue Auflagen für die Betriebe schaffen. Es geht um nicht weniger als die Ernährungssicherung unserer Bevölkerung. Wir müssen uns geopolitisch und -strategisch als Europäische Union stark aufstellen. Länder wie Russland oder auch China halten beträchtliche Getreidevorräte zurück. Sie setzen Hunger als Druckmittel und Waffe ein. Gleichzeitig stellen wir fest, dass durch den Klimawandel Produktionsstandorte in Südeuropa massive Ernterückgänge erleiden. In den aktuellen Krisenzeiten darf kein Platz für finanzielle Experimente sein. Natürlich verstehe ich, dass die Kommission Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit große Priorität einräumt. Aber es geht nicht um die Wahl zwischen Sicherheit oder Ernährung. Beides gehört zusammen. 

Was halten sie von den Plänen, den EU-Mitgliedsstaaten mehr Spielraum bei der Verteilung der Gelder aus Brüssel zu geben?

Die Vorschläge der Kommission müssen in der Praxis Freiräume schaffen und umsetzbar sein. Es ist gut, dass die EU-Kommission offenbar wieder stärker den Mitgliedstaaten und Regionen Gestaltungsspielräume einräumen will. Das ist ein wichtiges Signal, denn die hochbürokratischen Verfahren der aktuellen Förderperiode mit nationalen Strategie- und Umsetzungsplänen taugen nicht für die Zukunft. Denn eins muss klar sein: wenn weniger Ausgleich aus Brüssel kommt, muss das auch mit weniger Vorgaben einhergehen. Brüssel muss weitere Verschärfungen unterlassen. Deshalb muss die EU-Kommission die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR), die Wiederherstellungs-Verordnung und das Bodenüberwachungsgesetz stoppen. Weniger Geld und mehr Auflagen einhergehend - das funktioniert nicht. Und bringt viele Betriebe in Gefahr.

Wenn wir unsere Landwirte mit überzogenen Forderungen in die Aufgabe treiben, gefährden wir nicht nur die regionale Versorgung – sondern am Ende auch die Ernährungssouveränität Europas. Dann steht nicht weniger als unsere Unabhängigkeit auf dem Spiel. 
 

Was trifft die deutsche Landwirtschaft mehr: die Kürzung des EU-Agrarhaushaltes oder die Einbettung in einen Strukturfonds?

Kürzungen sind  immer mit Problemen verbunden. Ganz besonders in diesen Zeiten. Und ganz klar, der Single Fund schmerzt mich als Agrarministerin selbstverständlich auch. Die Förderung der ländlichen Räume muss weiterhin einen festen Platz und ein ausreichendes Budget bekommen. Denn die ländlichen Räume sind das Herz unserer Gesellschaft. Wir brauchen gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und auf dem Land. Darauf muss die Bundesregierung in Zukunft achten. Ein Abhängen der ländlichen Räume wäre fatal. 

Was ich für einen fatalen Fehler halte: Die EU-Kommission plant kein eigenständiges Budget für die Gemeinsame Agrarpolitik. Das fügt der Verlässlichkeit für unsere bäuerlichen Familienbetriebe einen schweren Schlag zu. Eine solche Entwicklung bedeute faktisch eine Renationalisierung der ländlichen Entwicklung. Wenn der ländliche Raum künftig nicht mehr verlässlich abgesichert ist, dann ist das nicht nur finanzpolitisch problematisch – es schwächt auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Deshalb appelliere ich an die Bundesregierung, sich in Brüssel klar für die Interessen der ländlichen Räume einzusetzen. Es braucht einen fairen Umgang mit dem ländlichen Raum in Deutschland – sonst droht ein gefährliches Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land. Und das macht nur die politischen Ränder jenseits der Mitte stark.

Eine nationale Verteilung der Gelder, wie es die EU-Kommission vorschlägt, könnte passgenau für die deutsche Landwirtschaft ausgerichtet werden. Warum lehnen Sie diesen Vorschlag ab? 

Viele reden über „ablehnen“ oder „zustimmen“. Wir sollten einfach auch mal die mit einer nationalen Verteilung der Gelder einhergehenden Probleme erwähnen. Eine Renationalisierung könnte zu dramatischen Wettbewerbsverzerrungen führen. Zudem hat eine nationale Verteilung einen entscheidenden Nachteil, den viele übersehen: man überlässt die Schwerpunktsetzungen dann den künftigen Bundesregierungen. Die Ausgestaltung und vor allem das Ausreichen dieser Gelder würde dann immer von der jeweiligen Bundesregierung entschieden. Im schlimmsten Fall käme das einem „Hü“ und „Hott“ gleich. Wenn ich an die Ampel denke und die jetzige Bundesregierung sehe, dann merken wir, welchen unterschiedlichen Stellenwert die Landwirtschaft haben kann. Jede politische Veränderung in unserem Land würde also eine neue Situation für unsere landwirtschaftlichen Betriebe bedeuten. Eine Entwicklung, die genau das Gegenteil von Planungssicherheit für unsere Landwirte bedeutet. Diesem Risiko dürfen wir die heimische Landwirtschaft nicht aussetzen.

Die EU will künftig mehr auf Instrumente zur Krisenbewältigung setzen. Das ist vor dem Hintergrund der Prognosen von Klimaforschern, die viel häufiger Extremwetterereignisse voraussagen, ein zwingend notwendiger Schritt.

Die Agrarministerkonferenz hat sich am 10. Juli 2025 für eine grundlegende Neuausrichtung der GAP ab dem Jahr 2028 – praxistauglich, flexibel und zielgerichtet – ausgesprochen. Werden diese Forderungen an die neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ab 2028 reichen, die künftigen Aufgaben der Landwirtschaft zu meistern?

Ich sage seit Langem – im Übrigen schon vor den Bauernprotesten – dass die derzeitige GAP für die landwirtschaftlichen Betriebe zu komplex und unpraktikabel ist. Das kam auch immer wieder im direkten Gespräch mit den Landwirten zur Sprache. Genau aus diesem Grund habe ich bereits Anfang 2024 den bayerischen Praktikerrat ins Leben gerufen. Aus den Ergebnissen dieses einzigartigen Gremiums mit rund 30 Vertreterinnen und Vertretern aus Landwirtschaft, Umwelt- und Waldbesitzerverbänden, Lebensmittelhandwerk, Verwaltung und Staatsregierung haben wir die bayerischen Forderungen zur GAP 28 entwickelt. Diese flossen nun in die länderübergreifende Position zur GAP ein. Für mich ist klar: nur wenn die bäuerlichen Familien auch künftig eine Perspektive haben, bleibt unser Land lebendig und unsere Lebensmittelversorgung sicher.

Was mich besonders freut, ist, dass in den Vorschlägen der KOM zur künftigen Agrarpolitik viele wichtige Forderungen des Praktikerrats mit aufgenommen worden sind. Nennen möchte ich die Rückführung der vielen Konditionalitätsauflagen, aber auch die Zusammenlegung von Öko-Regelungen und Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen in der 2. Säule.


Die Mehrgefahrenversicherung in Bayern ist ein Erfolgsmodell. Welche Unterstützung erwarten Sie von der EU-Kommission im Hinblick auf die Anpassung an den Klimawandel in der Landwirtschaft. 

Um unsere Landwirte bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen, bietet Bayern als erstes Bundesland die Mehrgefahrenversicherung an. Damit leistet es Hilfe zur Selbsthilfe. Neben Obst- und Weinbau kann die Versicherung auch für Grünland, Ackerland, Hopfen und Baumschulen abgeschlossen werden. Die Förderung wird in Bayern bereits sehr gut angenommen. 2025 haben mehr als 6.500 Landwirte mit fast 250.000 Hektar einen Antrag auf Unterstützung für die Mehrgefahrenversicherung gestellt. Die EU will künftig mehr auf Instrumente zur Krisenbewältigung setzen. Das ist vor dem Hintergrund der Prognosen von Klimaforschern, die viel häufigere Extremwetterereignisse voraussagen, auch ein zwingend notwendiger Schritt. Aus bayersicher Sicht braucht es hier verstärkt Mittel seitens der EU für Anpassungsmaßnahmen, um Landwirten die Möglichkeit zu geben, sich besser gegen Extremwetterereignisse abzusichern.

Das Bundeskartellamt hat die Übernahme der Vion-Standorte in Bayern durch die Premium Group, früher Tönnies, untersagt. Kann die Politik die Schlachthofstruktur in Bayern sicherstellen?

Mit der Entscheidung des Bundeskartellamts, die Übernahme süddeutscher Vion-Standorte durch Tönnies zu untersagen, wurde aus meiner Sicht leider ein wichtiger Schritt zur Sicherung ausreichender Schlachtkapazitäten und kurzer Transportwege verpasst. Und es ist ja auch nicht so, dass die Investoren Schlange stehen, die Schlachthöfe modernisieren wollen. Anstatt froh zu sein, dass ein deutsches Unternehmen Schlachthöfe übernimmt und in die Zukunft investiert, schiebt das Kartellamt den Riegel vor. 

Unsere bayerischen und süddeutschen Rinderbetriebe stehen mit der Entscheidung des Bundeskartellamts erneut vor der Frage, wo ihnen in Zukunft die Tiere abgenommen werden. 

In seiner Rolle als Wettbewerbsinstanz hat das Bundeskartellamt ausschließlich wettbewerbsrechtliche Vorgaben berücksichtigt. Letztlich kommt es nun aber zu erheblichen Unsicherheiten für Erzeuger, Verarbeiter und Abnehmer. Und am Ende auch für die Verbraucher: wir wollen kurze Transportwege, die Wertschöpfung möglichst im eigenen Land behalten und vor allem eine sichere Ernährungsversorgung. Ich sage es immer wieder: der Sektor steht unter enormem internationalen Wettbewerbsdruck. Wir dürfen nicht vergessen: bei unseren Schlachtstätten handelt sich um kritische Infrastruktur, die es zwingend zu erhalten gilt! Die vorhandenen und bisher funktionierenden heimischen Verarbeitungsketten vom Hof bis zum Verbraucher dürfen wir nicht leichtsinnig gefährden. Nur so können wir den Markt sicher und zuverlässig mit heimischer Ware versorgen.

Wir sind stolz darauf, in Bayern mit 1.600 nach EU-Recht zugelassenen Schlachtstätten immer noch über eine gut ausgeprägte regionale Schlachtstruktur zu verfügen. Der überwiegende Teil davon entfällt auf selbst schlachtende Metzger, die einen wichtigen Beitrag zur Nahversorgung gerade im ländlichen Raum leisten. Bayern steht auch in Zukunft fest zur Fleischwirtschaft und wird weiterhin bestmögliche Rahmenbedingungen für eine Weiterentwicklung in Richtung „Qualität“ und „Regionalität“ leisten, etwa über unsere Investitionsförderprogramme „Marktstruktur“ und „VuVregio“.

Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) bei der Erntefahrt im Landkreis Erding. Foto: da

Jede politische Veränderung in unserem Land würde also eine neue Situation für unsere landwirtschaftlichen Betriebe bedeuten. 

Zur Person

Michaela Kaniber (47, CSU) ist seit 2013 Mitglied des Bayerischen Landtags und wurde im März 2018 von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zur Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten berufen. Seit 2023 ist sie auch für Tourismus zuständig.

Nach dem Abschluss der Mittleren Reife absolvierte sie eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten und arbeitete mehrere Jahre in diesem Beruf sowie im elterlichen Gastronomiebetrieb. Politisch engagierte sie sich zunächst auf kommunaler Ebene, unter anderem als Gemeinderätin in Bayerisch Gmain und als Kreisrätin im Berchtesgadener Land. Die Mutter von drei Töchtern ist der Landwirtschaft sehr verbunden und überzeugt mit ihrer praxisnahen Umsetzung eines Tierwohlkennzeichens in Bayern oder der Mehrgefahrenversicherung. 

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