„Wir sind nicht die Jusos der DLG“
Wie Felix Hollmann, Vorsitzender Junge DLG, auf den Strukturwandel blickt
Der Vorsitzende der Nachwuchsorganisation der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Junge DLG, Felix Hollmann, über sein ehrenamtliches Engagement, seinen Frust über eine bürokratisierte Agrarpolitik und seine Sicht auf den Strukturwandel. Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit dem DLG-Mitglieder-Newsletter und Agra Europe in der Kalenderwoche 32 im Jahr 2023 nach der Wahl Hollmanns zum neuen Vorsitzenden der Jungen DLG.
Agra Europe: Herr Hollmann, alle Welt redet von Work-Live-Balance und einem Leben abseits von Job und Verpflichtungen. Was veranlasst einen knapp über 30-Jährigen, den Vorsitz der Jungen DLG zu übernehmen?
Felix Hollmann: Das ist eine gute Frage, die ich mir auch schon gestellt habe. Ich hatte in der Vergangenheit immer wieder mal ehrenamtliche Positionen inne und kenne das auch von zu Hause. Im Arbeitskreis der Jungen DLG bin ich seit sechs Jahren tätig. Das lief so nebenbei. Mit dem Amt des Vorsitzenden wird das inzwischen deutlich mehr und geht ganz klar zu Lasten der Freizeit.
Bereuen Sie’s schon?
Nein! Noch hält sich der Aufwand mit sechs bis acht Stunden in der Woche in Grenzen. Aber es macht mir Spaß. Da kommt viel Neues auf mich zu und wenn das einigermaßen klappt, macht mich das zufrieden. Der Vorsitzende wächst mit seinen Aufgaben.
Sie waren in noch jüngeren Jahren in der Landjugend aktiv. Was hat Sie bewogen, Ihre Verbandslaufbahn bei der DLG einzuschlagen und nicht etwa beim Bauernverband?
Das war damals die Katholische Landjugend. Da ging es weniger um Landwirtschaft als generell um Jugendarbeit und Freizeitaktivitäten. Dass ich inzwischen bei der DLG und nicht beim Bauernverband gelandet bin, ist mehr oder weniger Zufall. Ein Bekannter hat mich gefragt, ob ich nicht mal im Arbeitskreis der Jungen DLG vorbeischauen möchte. Das habe ich dann getan und mich mit den Leuten dort gut verstanden. Deswegen bin da so hineingewachsen.
Wie ist die Junge DLG organisiert?
DLG-Mitglieder im Alter bis 36 können sich bei uns einbringen. Da kommen rund 10.000 zusammen. Einen eigenen Aufnahmeantrag müssen sie nicht stellen.
Was ist die Junge DLG, hauptsächlich Stammtisch oder eher Kaderschmiede oder verstehen Sie sich als Speerspitze, also die Jusos der DLG, als die noch wilder waren?
Als Jusos, die die Alten vor sich hertreiben, ist mir die Junge DLG bislang nicht untergekommen. Wir sehen uns vielmehr als diejenigen, die neue Themen aufbringen und die inhaltliche Diskussion in der DLG vorantreiben wollen. Dass uns das gelingt, zeigt die Resonanz, auf die unsere Veranstaltungen auch bei älteren DLG-Mitgliedern stoßen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
In der Landwirtschaft wird traditionell in Ackerbau, Milchvieh und Schweinen gedacht. Wir stellen uns ganz andere Fragen, etwa wie die Vermarktung von erneuerbaren Energien funktioniert oder welche Perspektiven sich außerhalb der klassischen Proteinproduktion ergeben. Wir sind in der Lage, neue und spannende Themen fachlich und vor allem unvoreingenommen zu besetzen.
Was bedeutet das im Hinblick auf Proteine?
Zum Beispiel, dass es Vorteile bringen kann, Wertschöpfungsketten durch Insektenprotein effizienter zu machen. Das darf man auf einer Fachveranstaltung für Schweine nicht unbedingt sagen, weil man da dann ausgebuht wird. Angesichts der globalen Probleme kommt man jedoch zur Einschätzung, dass Insektenprotein vorteilhaft sein kann. Voraussetzung ist, sich unvoreingenommen mit den Sachverhalten auseinanderzusetzen. Das tun wir.
Die DLG ist eine altehrwürdige Gesellschaft, gegründet, um den Fortschritt in die Landwirtschaft zu tragen. Was bedeutet für Sie Fortschritt in der Landwirtschaft?
Für die DLG ist wissensbasierter Fortschritt mit liberalem Unternehmertum verbunden. Jeder Einzelne sollte darüber entscheiden können, welche Innovationen er nutzt und wie er sie einsetzt. Voraussetzung ist aber, dass die Betriebe dazu die Möglichkeit bekommen und sie nicht von vornherein von bestimmten Entwicklungen abgeschnitten sind. Es muss einfach sein, Innovationen zu nutzen, anstatt immer neue und höhere Hürden aufzubauen.
Was meinen Sie?
Wir müssen uns gewaltig anstrengen, die Probleme zu lösen, vor denen wir stehen. Ich nenne nur Ernährungssicherung, Klimakrise, Artenschwund. Zu alldem kann die Landwirtschaft Beiträge leisten. Man muss sie jedoch lassen. Wer meint, jedem Betrieb genau vorzuschreiben, wie er was tun muss, liegt daneben. Viel besser ist es, Ziele vorzugeben und es den Betrieben zu überlassen, wie sie dahin kommen. Die können das nämlich viel besser als Politiker und Beamte.
Was ist die Aufgabe der DLG?
Sie muss sich ebenso wie andere Verbände dafür stark machen, dass wir unbürokratische Lösungen hinbekommen. Wir sind als Branche Teil der Lösung für die multiplen Krisen, von denen immer die Rede ist. Aber das schaffen wir nur dann, wenn man uns Freiraum lässt, anstatt aus Berlin und Brüssel haarklein vorgeben zu wollen, was wir zu tun und zu lassen haben. Damit wird jede Initiative und jeder Fortschritt im Ansatz erstickt.
Die gesellschaftliche Diskussion bewegt sich in der Frage, ob technologische Innovationen in der Nahrungsmittelerzeugung eingesetzt werden sollen, zwischen Fortschrittsverweigerung und Fortschrittsglauben. Wie gehen Sie damit um?
Ich bin grundsätzlich offen gegenüber neuen Technologien und unterstütze erst einmal solche Optionen, die Lösungen für bestehende Probleme ermöglichen könnten. Das heißt nicht, blind jeder neuen Idee nachzulaufen. Stattdessen geht es darum, dem technischen Fortschritt eine Chance zu geben.
Was heißt das für den Umgang mit den neuen Züchtungstechniken?
Ich habe mich noch nicht intensiv mit dem Thema befasst, dass ich mir anmaße zu sagen, was richtig oder falsch ist. Das vorausgeschickt, bin ich dagegen, die Option der Gen-Schere nicht weiter zu verfolgen. Angesichts der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, wäre das nicht zu verantworten. Wie das im Detail geregelt werden kann, so dass Wahlfreiheit für Verbraucher und Produzenten gewährleistet ist, muss ausgehandelt werden. Ich denke, dass sich ein wissensbasierter Standort wie Deutschland nicht leisten kann und sollte, diesen Weg von vornherein auszuschließen.
Wie stehen Sie zur vieldiskutierten Transformation der Landwirtschaft?
Die Landwirtschaft steht unter Anpassungszwängen, auch weil sie in der Vergangenheit einseitig unter ökonomischen Gesichtspunkten gewirtschaftet hat. Man kann es auch anders sagen: Die externen Effekte, die wir in der Produktion haben, sind nicht eingepreist worden. Die Bepreisung von CO2-Emissionen ist ein Weg, das jetzt zu tun. Und sie zeigt Wirkung: Eine Transformation hin zu einer energieeffizienteren Landwirtschaft erfolgt bereits. Da tut sich was. Hier zeigt sich, nicht detaillierte Vorgaben bringen uns weiter, sondern klare Signale, an denen sich die Unternehmen orientieren können. Bei CO2 ist das noch vergleichsweise einfach. Wenn es um Artenvielfalt geht, wird allein die monetäre Bewertung viel schwieriger.
Welcher Weg schwebt Ihnen da vor?
Ich denke, das funktioniert am besten auf regionaler Ebene. Dort müssen Naturschützer und Landwirte gemeinsam erarbeiten, wie bestimmte Ziele im Artenschutz erreicht werden können. Bund und Länder müssen Geld bereitstellen, über dessen Verwendung dann vor Ort entschieden wird. Voraussetzung dafür ist es dann auch, Verantwortung für die Verwendung der Mittel nach unten abzugeben. Das hört sich einfacher an, als es ist, erscheint mir aber erfolgversprechender, als von oben herab Maßnahmen anzuordnen, die gar nicht überall passen können.
Wie steht‘s um die Bereitschaft von jungen Landwirten, sich auf solche Kooperationen einzulassen?
Die Bereitschaft ist da. Das zeigen viele Beispiele. Das Problem ist für viele Landwirte, dass ihre Zeit stark eingeschränkt ist. Daher braucht es auf regionaler Ebene schon jemanden, der die Kooperation zwischen Landwirten und Naturschützern organisiert und sich hauptberuflich darum kümmert. Ich glaube nicht, dass es auf ehrenamtlichen Schultern funktionieren wird.
Junge Landwirte und junge Landwirtinnen müssen investieren, wenn sie den Betrieb weiterentwickeln wollen. Wie viel Planungssicherheit ist dafür notwendig?
Ich halte Planungssicherheit über 20 oder 30 Jahre für eine Illusion. Ich weiß gar nicht, ob es die jemals gegeben hat. Kaum eine andere Branche hat auch nur über zehn Jahre Planungssicherheit. Jeder Unternehmer muss mit kürzeren Planungszeithorizonten klarkommen und sich auch an gesellschaftlichen Veränderungen orientieren, um mit seinen Produkten am Markt bestehen zu können. Ich denke, darauf müssen sich auch Landwirte einrichten, so schwierig das im Einzelfall auch sein mag.
Woran orientieren sich junge Landwirte, die einen Betrieb übernehmen?
Am Markt! Wer in der Schweinehaltung unterwegs ist, muss wissen, dass er es mit einem schrumpfenden Markt zu tun hat. Es wird einfach weniger Fleisch gegessen. Das ist keine vorübergehende Erscheinung. Allein schon, weil weniger Fleischerzeugung aus Klimaschutzgründen notwendig ist. Die Politik darf daher nicht den Fehler machen, am Markt vorbei zu fördern. Wenn es ein Konzept gibt, wie das der Borchert-Kommission, muss gesichert sein, dass es langfristig trägt und höhere Kosten auch langfristig unterstützt werden. Dazu fehlt aber offenbar der politische Wille.
Wie führt die Junge DLG Diskussionen, in denen es um die Zukunft der Tierhaltung geht?
In jedem Fall ehrlich. Jeder Einzelne muss sich ein Bild darüber machen, wo er seinen Produktionszweig zwischen Rindfleischproduktion bis Hähnchenfleisch oder Fischproteinproduktion in Zukunft verorten kann. Er muss sich darüber im Klaren sein, dass Hähnchenfleisch vielleicht auch langfristig das Schweinefleisch in der Wertschöpfungskette verdrängen wird, weil es ressourceneffizienter ist. Er muss sich darauf einstellen, dass es in zehn Jahren möglicherweise In-vitro-Fleisch gibt, das auf ähnlichem Kostenniveau produziert werden kann und ohne jede Form der Tierhaltung auskommt. Wenn jemand auf die Karte setzt, dass In-vitro-Fleisch keine große Rolle im Markt spielen wird, wird er wahrscheinlich mit einem besseren Gefühl in Tierhaltung investieren, als wenn er es anders einschätzt. Das kann ihm aber niemand abnehmen. Wir als DLG können ihm aber Informationen und Expertenmeinungen an die Hand geben, die ihn klarer in die Zukunft blicken lassen.
In welche Richtung wird sich die Landwirtschaft aus Ihrer Sicht in den nächsten zehn Jahren entwickeln?
Ich sehe, dass die Landwirtschaft vor einem ziemlich starken Strukturwandel steht. Das ist nichts Neues. Neu ist, dass er nicht nur ökonomisch getrieben ist, sondern auch durch eine zunehmende bürokratische Überforderung der Betriebe. Dafür trägt die Politik maßgeblich die Verantwortung, obwohl sie gleichzeitig den Strukturwandel beklagt. Die Anforderungen an die Produktion werden höher und anstatt den Betrieben Freiraum zu geben, diesen Anforderungen gerecht zu werden, werden die Vorschriften immer detaillierter.
Was bedeutet für Sie ein beschleunigter Strukturwandel?
Ich sehe das nicht nur negativ, im Gegenteil: Betriebe bekommen die Chance, größere Wachstumsschritte zu machen. Das Wachstum kann über die Fläche, die Tierhaltung oder auch über das Erschließen neuer Geschäftszweige erfolgen. Im Ergebnis werden die unternehmerischen Anforderungen an die Leitung eines landwirtschaftlichen Betriebes immer höher. Auch deshalb wird der Strukturwandel zunehmen. Die Betriebe werden sich auch im Westen mehr und mehr zu mittelständischen Unternehmen entwickeln, die unterschiedliche Geschäftsfelder unter ihrem Dach vereinen. Gerade für Familienunternehmen bedeutet das, dass sie neue Wege finden, Kapital zu mobilisieren. Für die Menschen, die künftig in der Landwirtschaft Verantwortung tragen, heißt das, sie brauchen Know-how, sie müssen in der Lage sein zu kommunizieren, und zwar nicht nur im eigenen Betrieb, sondern auch darüber hinaus, und sie müssen den Blick über den landwirtschaftlichen Tellerrand richten. Es wird anspruchsvoller, Landwirt oder Landwirtin zu sein.
Glauben Sie, dass eine solche Entwicklung gesellschaftlich und politisch akzeptiert würde?
Wenn ich mich mit Leuten aus Umweltverbänden unterhalte, sagen viele, dass große landwirtschaftliche Unternehmen für die Umwelt nicht unbedingt schlechter sind als kleine. Das gilt für das Klima ebenso wie für die Artenvielfalt. Viele wissen, dass gut gebildete landwirtschaftliche Unternehmer ressourceneffizienter wirtschaften als weniger qualifizierte. Ressourceneffizienz findet sich in der Regel in den guten, sehr oft überdurchschnittlich großen Betrieben. Diese Erkenntnis findet auch auf der Umweltseite zunehmend Anklang. Vor diesem Hintergrund dürfte der Strukturwandel eigentlich kein Problem sein.
Wo sehen Sie sich in 20 Jahren - in einem Spitzenamt in der DLG oder einem anderen Verband, in der Politik oder doch lieber auf einem Spitzenschlepper in einem Spitzenbetrieb?
Ich glaube nicht, dass ich in der Politik lande. Die ehrenamtliche Arbeit wird weiterhin Teil meines Lebens sein. Aber der ganz große Funktionär werde ich sicher nicht werden.
Interview: Rainer Münch, Agra Europe (AgE)
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