„Das System ist für Verbraucher leichter nachvollziehbar“ 

Landwirt Tom Martin zum „Englischen Modell“

Flag in the wind: Union Jack.
Since Brexit, the United Kingdom has been taking its own path in agricultural policy: area-based direct payments are to be completely abolished in favor of environmental programs. Photo: Logga Wiggler on Pixabay

Das Vereinigte Königreich hat sich nach dem Brexit vorgenommen, die Zahlung von Subventionen an die Landwirtschaft gänzlich unter das Leitprinzip „Öffentliches Geld für öffentliche Güter“ zu stellen. Direktzahlungen nach EU-Vorbild sollen in wenigen Jahren Geschichte sein; stattdessen soll Geld ausschließlich für Agrarumweltleistungen fließen. Wie Landwirte diesen Paradigmenwechsel in der Praxis erleben, ist Thema des Forums „Das Englische Modell – Welche Erfahrungen machen die EU-Aussteiger mit dem Geschäftsmodell Umwelt- und Naturschutzleistungen?“ auf den DLG-Unternehmertagen am 11. September in Oldenburg. Farmer Tom Martin aus der Nähe von Cambridge wird dort seine Erfahrungen teilen – und gibt vorab im Bericht einen kleinen Vorgeschmack. 

Seit dem Brexit, dem vollständigen Austritt des Vereinigten Königsreichs (VK) aus der EU, gehen die Briten in der Agrarpolitik neue Wege. Davon betroffen ist vor allem die Subventionierung der Landwirtschaft. Im Vereinigten Königreich sollen flächenbezogene Direktzahlungen nach dem Modell der 1. Säule der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) bis 2028 schrittweise ausgesetzt und durch Vergütungen von Leistungen für Umweltschutz und Nachhaltigkeit durch landwirtschaftliche Betriebe ersetzt werden. Dieser Prozess ist in den vier Ländern des VK in unterschiedlicher Weise bereits im Gange: Während England klar daran festhält, die Direktzahlungen zugunsten von Umweltleistungen abzuschaffen, sehen Beobachter in Nordirland, Schottland und Wales hier noch Fragezeichen. 
 

Mehr als 100 Einzelmaßnahmen

An die Stelle der GAP sind in England, dem größten Agrarsektor innerhalb des VK, die Environmental Land Management Schemes (ELM) getreten. Den ELM-Schemes, die sich sinngemäß mit Umwelt-Land-Management-Programmen übersetzen lassen, ist wiederum die Sustainable Farming Incentive (SFI) untergliedert. Die SFI als Anreizprogramm für nachhaltige Landwirtschaft bietet Farmern mehr als 100 Einzelmaßnahmen an, die sie für ihre Betriebe passend auswählen können. Zu ihnen zählen etwa der Anbau von Leguminosen, Modelle des integrierten Pflanzenschutzes oder Grünlandbewirtschaftung mit sparsamem Düngereinsatz. Landwirte bekommen eine an die Einzelmaßnahmen angepasste Vergütung sowie eine Management-Pauschale dafür, dass sie SFIs auf ihrem Betrieb durchführen. 
 

Für Verbraucher ist es leichter nachvollziehbar, dass Landwirte für Umweltleistungen an die Gesellschaft entlohnt werden. 

Doch wie erleben Landwirte dieses „Englische Modell“ in ihrer Arbeitspraxis? Aus seinen Erfahrungen berichtet Landwirt Tom Martin auf den DLG-Unternehmertagen 2024 im Forum „Das Englische Modell – Welche Erfahrungen machen die EU-Aussteiger mit dem Geschäftsmodell Umwelt- und Naturschutzleistungen?“ am 11. September in Oldenburg. Tom Martin, auch bekannt als Landwirtschafts-Influencer „Farmer Tom“, bewirtschaftet 400 Hektar in der Nähe von Cambridge mit unter anderem Weizen, Gerste, Canola, Bohnen und Buchweizen und hält zudem Schafe. Er hält den neuen agrarpolitischen Ansatz im VK nach dem Brexit unter dem Schlagwort „öffentliches Geld für öffentliche Güter“ grundsätzlich für zielführend.
 

Beratungsbesuche statt Kontrollen

Für Verbraucher sei es leichter nachvollziehbar, dass „Landwirte für Umweltleistungen an die Gesellschaft entlohnt werden, als dass, wie bei den Direktzahlungen in der GAP der Fall, Geld schlicht nach Umfang der landwirtschaftlichen Nutzfläche fließt“, meint Landwirt Martin. Das neue System sei darüber hinaus mit dem Anspruch angetreten, einfacher in der Umsetzung zu sein als die GAP. Zwar seien auch ELM und SFI „sehr komplex“, lautet die Erfahrung von Tom Martin. Doch unter dem Strich sei das neue System flexibler und angenehmer in der Umsetzung – etwa dadurch, dass SFI-Maßnahmen mit einer Laufzeit von überwiegend drei Jahren kürzer seien als viele Agrarumweltprogramme aus der GAP. Zudem würde die Umsetzung der Maßnahmen nicht durch „Inspektionen“ und „Überprüfungen“ mit drohenden „Bußgeldern“ gewährleistet – sondern durch „Beratungsbesuche“, was eine wohlwollendere Herangehensweise darstelle. 

Landwirte in England seien zwar durch den Systemwechsel nicht schlagartig auf die Einführung von Umweltmaßnahmen umgestiegen, so Martin, weiter, „aber es ist eine deutliche Zunahme von Praktiken wie der Anbau von Begleitkulturen, Direktsaatverfahren oder der Verzicht auf Insektizide zu beobachten aufgrund der Anreize durch die SFI.“ Dadurch würde generell ein „sanfter Paradigmenwechsel“ zu einer nachhaltigeren Ausrichtung der Landwirtschaft vorangetrieben, ist der Betriebsleiter aus Cambridgeshire überzeugt.  

Direktsaat, CO2-Einsparung und Wasserreservoirs

Martin selbst setzt auf seiner Farm mehrere nachhaltige Praktiken um: So praktiziert der Betrieb CO2 sparende Wirtschaftsweisen und veräußert die Treibhausgas-Einsparungen als Carbon Credits. Außerdem prüft Martin Praktiken zum Aufbau von Wasserreservoiren oder zur Bereitstellung von Polderflächen, um Gewässern in Anpassung an den Klimawandel und zunehmende Starkregenereignisse Überlaufareale zur Verfügung zu stellen. Zudem hat sich sein Betrieb der Bodenschonung verschrieben und setzt auf Direktsaatverfahren. 

„In Deutschland wird derzeit viel über die Neuausrichtung des agrarpolitischen Systems diskutiert. Eine Vereinfachung der administrativen Prozesse und des Kontrollwesens sowie eine nachhaltigere Ausrichtung der Agrarumweltpolitik stehen dabei im Mittelpunkt“, sagt Erik Guttulsröd, stellvertretender Geschäftsführer des DLG-Fachzentrums Landwirtschaft und Bereichsleiter Ökonomie und Betriebsführung bei der DLG. „Auf den DLG-Unternehmertagen im September in Oldenburg freue ich mich daher sehr auf die Diskussion mit Tom, der aus erster Hand über den Systemwechsel in England berichten kann“, unterstreicht Guttulsröd.  

Banner-Werbung für DLG-Unternehmertage 2024

Das englische Modell auf den DLG-Unternehmertagen 2024

Auf den DLG-Unternehmertagen 2024 am Mittwoch, den 11. September in Oldenburg, schaut das englischsprachige Forum „Das Englische Modell – Welche Erfahrungen machen die EU-Aussteiger mit dem Geschäftsmodell Umwelt- und Naturschutzleistungen?“ auf die Entwicklungen jenseits des Ärmelkanals. Denn seit dem Brexit knüpft das Vereinigte Königreich die finanzielle Unterstützung für die Landwirtschaft zunehmend an Umweltleistungen. Der englische Landwirt Tom Martin aus der Nähe von Cambridge (auch bekannt unter dem Social-Media-Namen „Farmer Tom“) wird in einem Impulsvortrag die Auswirkungen der grundsätzlichen Änderung der Subventionspraxis schildern. Gemeinsam mit Constantin-Cord Paeschke (LUF Veltheimsburg GbR), einem deutschen Landwirt mit England-Erfahrung, wird in einer intensiven Diskussion ein Vergleich zwischen der deutschen bzw. EU-Subventionspraxis und der neuen britischen Vorgehensweise herausgearbeitet.

Mehr Informationen zu den DLG-Unternehmertagen sowie Möglichkeiten zur Anmeldung finden Sie hier

Weitere Informationen zum Betrieb von Tom Martin in Cambridgeshire finden Sie hier
 

Porträt von Mann: Farmer Tom.
Tom Martin alias "Farmer Tom" beobachtet eine wachsende Akzeptanz von Umweltmaßnahmen in der Landwirtschaft. Foto: Lisa Martin
Porträt von Mann: Erik Guttulsröd.
Erik Guttulsröd, stellvertretender Geschäftsführer DLG-Fachzentrum Landwirtschaft, erhofft sich vom Blick über den Tellerrand nach England Impulse für die agrarpolitische Diskussion in Deutschland. Foto: DLG

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