„Für den Fall der Fälle sollten alle gewappnet sein“
Interview mit Götz Gärtner, Fachanwalt für Agrar- und Insolvenzrecht
Landwirte und Landhändler führen häufig enge und vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen, die seit Generationen bestehen. Wie beide Seiten auch im Falle von Schwierigkeiten auf Augenhöhe miteinander umgehen und Forderungsausfälle im Idealfall sogar vermeiden, schildert Rechtsanwalt Götz Gärtner. Gärtner ist Mitglied im DLG-Ausschuss für Agrar- und Steuerrecht. Auf der DLG-Wintertagung 2025 am 18. und 19. Februar in Münster gestaltet er das Impulsforum „Landwirtschaft und Agrarhandel: Geschäftsbeziehungen gestalten – Forderungsausfälle wirksam vermeiden“ mit.
DLG-Newsroom: Herr Gärtner, Sie vertreten vorwiegend Landwirte mit ihrer Kanzlei und sind auf Insolvenzrecht spezialisiert. Nun tritt der ‚worst case‘ ein und ein Händler oder Agrarbetrieb geht in die Insolvenz: Was bedeutet das für die Geschäftspartner?
Götz Gärtner: Grundsätzlich löst das zunächst einmal Unsicherheit auf beiden Seiten aus, denn in der Regel ist keiner der Beteiligten auf den Fall vorbereitet – und muss sich auf einmal darum kümmern, dass er gegebenenfalls offene Forderungen noch erfüllt bekommt. Im Falle des Landwirts wäre das beispielsweise Getreide, das bereits geliefert, aber noch nicht bezahlt wurde, beim Händler unter anderem Betriebsmittel.
Unterscheidet sich die Situation, je nachdem, wer in die Insolvenz schlittert – ein landwirtschaftlicher Betrieb oder ein Händler?
Wenn ein bäuerlicher Betrieb zahlungsunfähig wird, mag das Probleme verursachen, aber wenn ein Handelsunternehmen insolvent ist, sind auf einen Schlag hunderte oder tausende landwirtschaftliche Unternehmen betroffen – das ist natürlich eine ganz andere Komplexität. Schwieriger als bei landwirtschaftlichen Einzelunternehmern wird es natürlich auch, wenn ein großes Agrarunternehmen mit mehreren Töchtern, Standorten und einem entsprechend verzweigten Netz an Geschäftspartnern betroffen ist.
In der Regel ist keiner der Beteiligten auf den Fall vorbereitet.
Geschäftsbeziehungen zwischen landwirtschaftlichen Betrieben und Landhändlern bestehen häufig seit Generationen, es herrscht also ein Vertrauensverhältnis. Wie formal sind da überhaupt die Lieferverträge?
Was die aufnehmende Hand, also den Landhandel, angeht, sind die Lieferverträge stark formalisiert. Der Handel gestaltet AGB und hat dafür in der Regel auch die Verwaltungsstrukturen und Mitarbeitenden. Zudem gibt es historisch gewachsene Regelwerke wie die Einheitsbedingungen im Getreidehandel und das Schiedsgerichtswesen. Damit verbundene Institutionen wie die Getreidehandelsbörsen – sei es in Hamburg, Hannover oder Bremen – sind handels- und kaufmännisch geprägt. Landwirtschaftliche Betriebe dagegen – mit Ausnahme von Großunternehmen mit den entsprechenden Verwaltungsstrukturen – suchen eher selten einen Fachanwalt auf, um sich Lieferverträge aufsetzen zu lassen. Sind diese Landwirte die Geschädigten, bewegen sie sich in der Getreidehandelswelt mit ihren hochkomplexen Regeln, in denen sich übrigens auch das eine oder andere Handelsunternehmen bisweilen verliert.
Nun kennen sich Händler und Landwirt in vielen Fällen gut. Wie ist da Ihre Erfahrung: Finden die Partner auch eine Lösung, wenn einer punktuell in Zahlungsschwierigkeiten gerät oder die Ernte witterungsbedingt kleiner ausfällt und der Weizenkontrakt nicht vollumfänglich erfüllt werden kann?
Ja, durchaus. Der Landhandel lässt nach meiner Beobachtung häufiger mal Fünfe gerade sein und kommt seinen treuen Kunden entgegen. Wohlgemerkt: den treuen Kunden. Denn ich beobachte auch: Seit den frühen 2000ern sind gerade die landwirtschaftlichen Großbetriebe im Vertrieb hochprofessionell aufgestellt und vermarkten nach Preis und wirtschaftlichem Erfolg – und nicht beziehungsgetrieben. Unter den Voraussetzungen ist man natürlich von beiden Seiten her auch im Schadensfall nüchterner.
Zurück zu den lange gewachsenen Geschäftsbeziehungen…
…da finden beide Parteien in der Regel einen Weg, um sich gegenseitig zu helfen: Sollte die Ernte witterungsbedingt geringer ausfallen oder die Qualitäten nicht stimmen, werden Kontrakte auf einen späteren Zeitpunkt oder das nächste Erntejahr verschoben oder die Erfüllung über einen längeren Zeitraum gestreckt. Letztlich sind alle in der Lieferkette aufeinander angewiesen und treten daher in der Regel nicht beinhart auf, wenn der Geschäftspartner in Schwierigkeiten gerät.
Der Landhandel lässt nach meiner Beobachtung häufiger mal Fünfe gerade sein und kommt seinen treuen Kunden entgegen.
Trotz dieser gegenseitigen Hilfsbereitschaft: Wie stark sollten sich die Geschäftspartner absichern?
Im Fall einer Insolvenz müssen beide auf ihrem Recht beharren. Um im Insolvenzfall nicht auf einem Großteil der offenen Forderungen sitzenzubleiben, müssen die Details eines Kontraktes, also beispielsweise Menge und Qualität der Ware sowie Lieferzeitpunkt, schriftlich festgehalten werden. Bei Geschäften per WhatsApp, Handschlag oder mündlichen Vereinbarungen per Telefon ist der Beleg, dass eine Schädigung stattgefunden hat und wie groß der Schaden ist, sonst im Einzelfall bisweilen schwer zu erbringen. Diffizil wird es außerdem bei so genannten Kettengeschäften, in denen ein Landwirt beispielsweise an einen Händler verkauft, der wiederum das Getreide an weitere Zwischenhändler veräußert bis die Ware schließlich über einen Exporteur ihren Weg auf einen Schüttgutfrachter findet und dann in das Eigentum eines Importeurs übergeht.
Warum sind gerade solche Geschäfte bei Zahlungsausfällen schwierig?
Rein rechtlich gibt ein Handelspartner das Eigentum an beispielsweise einer Weizenpartie weiter an den jeweils nächsten. Geld fließt aber häufig erst zu einem späteren Zeitpunkt. Und wenn es dann zu Zahlungsausfällen kommt irgendwo in der Kette, ist es beispielsweise für den Landwirt, der ja am Beginn des Prozesses steht, schwer, nachzuweisen, wo sich gerade genau sein Getreide befindet – und auch den Beweis zu erbringen, dass es sich bei einer Menge X genau um sein Eigentum handelt, das er zwar in der Kette weitergegeben hat, das aber noch nicht bezahlt wurde.

Zwischen Landwirt und Landhändlern kommen bisweilen auch Geschäfte zustande, in denen der Landwirt Betriebsmittel beim Handel bezieht und diese zumindest teilweise mit Getreidelieferungen aus der Ernte und somit zu einem späteren Zeitpunkt verrechnet: Wie blicken Sie auf solche Geschäfte?
In manchen Regionen ist der Landhändler der einzige, der noch kreditiert. Die Übernahme dieser Funktion kann man also durchaus positiv beurteilen: Der Händler hilft dem Landwirt über eine punktuelle Liquiditätslücke hinweg. Auch hier empfehle ich, die Rahmenbedingungen solcher Geschäfte schriftlich festzuhalten – damit sich notfalls beide Seiten darauf berufen können.
Sie vertreten hauptsächlich Landwirte: Wie lautet Ihr allgemeiner Rat zur Gestaltung von Geschäftsbeziehungen mit dem Handel auf Augenhöhe?
Sowohl Landhändler als auch Landwirte sind mit steigenden Risiken konfrontiert, durch das geopolitische Umfeld und damit verbundene konjunkturelle Risiken sowie durch ein häufigeres Auftreten von Extremwetterereignissen im Zuge des Klimawandels. Daher sollten alle Unternehmer zumindest grundlegende Formen des Risikomanagements auf ihren Betrieben durchführen.
Was heißt das konkret im täglichen Geschäft?
Auf Kontrakte mit dem Landhandel bezogen bedeutet das für die Landwirte: Wenn ein Geschäft über eine Getreidelieferung per Telefon oder WhatsApp angebahnt wurde und dann die Vertragsbestätigung durch den Händler kommt: Sich die Zeit nehmen diese Bestätigung zu prüfen und im Zweifelsfall auch nachzuhaken, wenn irgendetwas mal nicht stimmen sollte. Das ist vor allem in Zeiten der Ernte nicht immer leicht durchzuhalten, weil Landwirte vor allem dann bekanntlich andere Prioritäten haben als Verwaltungsvorgänge. Und es gilt natürlich der Rat: Details zu einem Geschäft schriftlich zu fixieren. Aber wie schon vorher gesagt: Glücklicherweise gehen die meisten Geschäftspartner in der Wertschöpfungskette Agrar fair miteinander um. Aber für den Fall, dass doch einmal etwas schief läuft, sollten alle gleichermaßen gewappnet sein – auch im Sinne einer Geschäftsbeziehung auf Augenhöhe. Und natürlich gilt immer: Der zeitnahe Austausch Geld gegen Ware löst in der Regel so gut wie alle Probleme.
Interview: Stefanie Pionke, DLG-Newsroom
Zu Person und Unternehmen
Götz Gärtner ist Fachanwalt für Agrarrecht und vertritt hauptsächlich landwirtschaftliche Betriebe. Zu den Schwerpunkten seiner Kanzlei in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) zählen unter anderem Wirtschaftsrecht, Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht, Immobilienrecht und Handelsrecht mit agrarrechtlichem Bezug. Gärtner ist Mitglied im DLG-Ausschuss für Agrar- und Steuerrecht. Zu seinen beruflichen Stationen vor der Niederlassung mit der eigenen Kanzlei zählt die Tätigkeit als Syndikusanwalt für eine landwirtschaftliche Holding mit deutschlandweiten Niederlassungen. Zudem war Gärtner lange Jahre Partner in einer mittelständischen Kanzlei mit agrarrechtlichem Schwerpunkt. Auf DLG-Wintertagung 2025 am 19. Februar in Münster nimmt er teil am Impulsforum des DLG-Ausschusses Agrar- und Steuerrecht: Landwirtschaft und Agrarhandel: Geschäftsbeziehungen gestalten – Forderungsausfälle wirksam vermeiden.

DLG-Wintertagung 2025
Die DLG-Wintertagung 2025, die am 18. und 19. Februar im Messe & Congress Centrum Halle Münsterland in Münster stattfindet, steht unter dem Leitthema „Produktivität reloaded - Erträge wieder gefragt?“. Dabei steht die Fragestellung im Mittelpunkt, wie die Landwirtschaft in eine neue Phase überführt werden kann, die Fortschritt und Nachhaltigkeit bestmöglich miteinander vereint. In insgesamt 18 Impulsforen der DLG-Ausschüsse und Arbeitskreise aus den unterschiedlichen Bereichen der Landwirtschaft werden Fragestellungen unter anderem rund um erneuerbare Energien, die „Proteinrevolution auf dem Acker“, Erfahrungen und Lehren aus der Afrikanischen Schweinepest (ASP) in Hessen sowie die Gräserbekämpfung ohne Flufenacet betrachtet.