
Thomas Lück ist einer von zwei Geschäftsführern der Agrarprodukte Dedelow GmbH. Er ist hauptverantwortlich für die Tierproduktion und damit Manager von derzeit 2.603 Kühen und 1.939 Rindern Nachzucht. Gegründet wurde der Betrieb 1969 in der damaligen DDR als ZBE (zwischenbetriebliche Einheit). Teile der 2020er-Anlage sind immer noch in Betrieb, der 2013 mit einem neuen Laufstall erweitert wurde. Wie sich ein derartiger Milchviehbetrieb für die Zukunft rüstet, erfährt die Milch-praxis-Redaktion bei einem Betriebsbesuch.
Der Straßenname ist Programm – An der Milchviehanlage. Die Agrarprodukte Dedelow GmbH ist kurz hinter Prenzlau gelegen, noch in Brandenburg, kurz vor Mecklenburg-Vorpommern. Rund hundert Mitarbeiter beschäftig der Betrieb in seinen Sparten Pflanzenproduktion, Milchviehanlage und Biogasanlage.
Es ist Anfang März und der Schrecken des MKS-Falles in Brandenburg Anfang Januar steckt dem Betrieb noch in den Knochen. Der Betrieb hatte alte Biosicherheitsmaßnahmen und -strukturen wieder aktiviert, wie zum Beispiel die Durchfahrtswanne zur Desinfektion von Lkws und Pkws. Ein so großer Viehbestand, darunter viele sehr gute Zuchttiere, muss geschützt sein. Generell wird hier auf Hygiene und Biosicherheit viel Wert gelegt, in diesen Tagen umso mehr.
Mich begleitet der Kundenbetreuer der Firma smaXtec. 2024 hat die Dedelow GmbH, maßgeblich unter Leitung von Thomas Lück, alle Färsen und Kühen also gut 3.500 Tiere, mit dem Bolus der österreichischen Firma ausgestattet. Nach rund einem Jahr kann Thomas Lück ein erstes Fazit ziehen, was dieses digitale Assistenzsystem zur Gesundheits- und Brunstbeobachtung auf dem Betrieb beitragen konnte und in den Köpfen der Mitarbeiter verändern könnte.
Betriebsspiegel Agrarprodukte Dedelow und dem Schwesternbetrieb Quillowtal Agrar GmbH
- Betriebsgröße: 5.615 ha, lS, sL, Bodenpunkte 42/43
LN: 830 ha Grünland, 2.087 ha Getreide, 2.370 ha Ackerfrüchte
BGA: 2.075 kW elektrische Leistung - Tierzahlen:
Kühe: 2.338 Kühe laktierend, 2.603 Gesamtbestand Kühe
Nachzucht: 1.939 Rinder
Durchschnittliche Milchleistung (305 Tage): 10.326 kg LKV-Leistung Milch
Milchinhaltsstoffe: 4,06 % Fett sowie 3,53 % Eiweiß
Lebensleistung: 32.000 kg, 38,2 Monate Nutzungsdauer
EKA: 25,1
FWZ: 60 Tage
Brunstnutzungsrate: 45 % im Schnitt Steigerung angestrebt - Technische Ausstattung:
2020er-Anlage (1969 Altanlage), gespiegelt im Jahr 1973, weiterer Boxenlaufstall 2013, mit Vollspalten und Hoch- und Tiefboxen Erweiterungsstall
72er-Melkkarussell von BouMatik sowie 2x 12er-Fischgräten-Melkstand
Fütterung: Voll-TMR, überwiegend hofeigener Anbau, über Bandfütterung - Molkerei: Müller-Milch
Klimastress im Abkalbebereich
Die Stallanlagen von Dedelow sind gut durchdacht, kommen aber in die Jahre. Sie sind als Kompaktstall gebaut. Durch die Bandfütterung erübrigten sich breite Futtertische. Zwar sind selbst in den Bereichen des Altstalles Lüftungssysteme verbaut, aber der Betriebsleiter wusste, dass das Stallklima in den Sommermonaten ein Problem darstellen könnte. „Wenn die Temperatur auch in den Nächten nicht mehr unter 20 Grad Celsius geht, dann haben die Kühe hier in den Altgebäuden Hitzestress“, so Lück. Mehrere Climate Sensors der Firma smaXtec sind nun seit der Einführung des Sensorsystems an strategisch wichtigen Stellen im gesamten Stallkomplex installiert und messen Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck. Daraus errechnet wird der THI (Temperature-Humidity-Index). Bei einem THI-Wert von 72 beginnt bei Kühen der Hitzestress. Das System sendet einen Alarm aus, wenn dieser Wert erreicht wird. Zudem gibt es eine Kopplung mit den Daten, die der Bolus im Netzmagen der Kuh misst. D. h., das System ermittelt das tierindividuelle Empfinden von Hitzestress sowie seine Auswirkungen wie zum Beispiel eine Erhöhung der inneren Körpertemperatur etc. Bei einer gruppenmetrischen Auswertung zeigen Grafiken, welche Tiere z. B. in einer Gruppe mehr unter Hitzestress leiden als andere. Dies ist zum Beispiel für rangniedrigere Kühe typisch, da sie häufig weniger Zugang zur Tränke haben als ranghöhere. Für den Landwirt sind diese detaillierten Informationen wichtig, weil er so gezielt die Lüftung an- und abstellen kann und damit Energie einspart oder Schwachstellen im Tränkesystem erkennt. Für Lück interessant war, dass die Altgebäude gar nicht so schlecht abschneiden, wie er dachte, da sie gedämmt sind. Was ursprünglich als Kältedämmung gedacht war, schützt bei den immer häufiger auftretenden heißen Sommerperioden jetzt vor Hitze. Was der Betrieb aber nicht im Auge hatte, ist der Abkalbebereich. Dieser, direkt am Altgebäude angebaut, besitzt nur ein einfaches Blechdach. Was zunächst nach einer viel freundlicheren, helleren Umgebung aussieht als die dunkleren Altgebäude, erweist sich im Sommer als wahre Hitzefalle – und das für die besonders sensible Phase der Trockensteher! Noch in diesem Frühjahr will der Betrieb Abhilfe schaffen mit Ventilatoren.
Bewirtschaftung 24/7
Ein so großer Betrieb wie Dedelow mit guten Organisationsstrukturen arbeitet tatsächlich durch – mit einer Tag- und einer Nachtschicht in fast sämtlichen Betriebsbereichen, z. B. in der Futterzentrale für die Bandfütterung. Fütterer verladen die einzelnen Futterkomponenten mehrmals nach Menge der Futterkomponente in verschiedene Dosierer, die dann ein Bandmischer vermischt. Die Bandfütterung verbringt die Voll-TMR in die einzelnen Stallabteile. Der Fütterer bonitiert den Abfressgrad der einzelnen Bänder visuell, um Rückschlüsse auf die Futteraufnahme der einzelnen Gruppen zu ziehen. Restfuttermengen kommen in der Biogasanlage zur Verwertung. Das Fressplatzverhältnis von 1:1 Altanlage, in manchen Gruppen allerdings auch 1:1,6 (Erweiterungsbau), gibt Gelegenheit zur ausreichenden Futteraufnahme. Lück ist zufrieden mit der Leistung seiner Herde von im Schnitt 10.326 kg Milch, die hauptsächlich aus dem Grundfutter generiert ist und Inhaltsstoffe von 4,06 % Fett sowie 3,53 % Eiweiß aufweist. Um der Fütterung aber noch mehr auf den Grund zu gehen, hat Lück bei 10 % der Herde einen pH-Bolus eingegeben. Dieser misst in den ersten 150 Tagen seiner Verwendung den Pansen-pH. Zeitlich besonders interessant sind die sensiblen Phasen des Trockenstehens und der Frischabkalber. Mittels der pH-Boli hat die Betriebsleitung jetzt viel mehr den Eindruck, Futterumstellungen oder den Anbruch einer neuen Silage begleiten zu können, als viel zu spät Pansenazidosen zu erkennen.
Denn selbst wenn der Betrieb derzeit gut mit Mitarbeitern aus dem Umland bestückt ist, weiß Lück, dass sich das schnell ändern kann. Mit dem Bolus hat er jetzt das Frischabkalbemanagement dahingehend geändert, dass das Fiebermessen in den ersten zehn Tagen nach Abkalbung der Bolus übernimmt und nicht mehr seine Mitarbeiter. Die Tiergesundheit der Herde betreut ein lokaler bestandsbetreuender Tierarzt sowie ein Team aus drei fest angestellten, z. T. tiermedizinischen Fachangestellten.
Diese Organisationsstruktur ist angelehnt an das System der Veterinäringenieure aus der DDR. Die TFAs untersuchen die Rinder sachkundig in den kritischen Phasen (Fiebermessen, Ketosetest, Schalmtests etc.) und sind geschult, die Daten des Bolus auszuwerten. Die Kontrolle der Parameter bzw. Signale am PC gehört zum täglichen Geschäft. Die erhobenen Daten sieht Lück vornehmlich als technische Hinweise, die vom Mensch überprüft werden müssen. „Ein Alarm bedeutet für mich nicht, dass ich sofort losrennen und handeln muss“, erklärt der Betriebsleiter entspannt vor dem Stallcomputer sitzend seinen Ansatz. Er sieht die Daten eher als strategische Unterstützung, um Ursachen von Erkrankungen und Leistungseinbußen auf den Grund zu gehen. Die Bolus-Daten fließen ein in das Herde-plus-Herdenmanagementprogramm. Wichtige Parameter sind die innere Körpertemperatur, aufgenommene Wassermenge und Trinkzyklen, Wiederkäuen, Aktivität sowie bei den pH-Boli der pH-Wert in den ersten 150 Tagen der Anwendung. Eine Schnittstelle existiert auch zu dem Programm des Melkkarussells von BouMatic. Zugriff zu den Daten hat der Bestandstierarzt (mit Leseberechtigung).
Drei PCs im Stall zeigen die Daten zusätzlich an. Lück selbst sowie mehrere Herdsmen und -women haben die smaXtec-App auf ihrem Smartphone. Derzeit, so sagt Lück, sei der Betrieb noch ganz gut mit sachkundigen Mitarbeitern ausgestattet. Bei Neubesetzung einer Stelle werde es für ihn immer schwieriger, geschultes Personal zu bekommen. Während es im Pflanzenbereich immer viele Bewerber gebe, werde es im Milchviehbereich immer schwieriger, Menschen mit Kuhverstand zu bekommen.
„Gab es früher mehr Menschen, die Kuhverstand hatten, so gibt es heute einen Bolus, der als Sprachrohr zwischen Mensch und Tier dient“, so beschreibt Lück pragmatisch seinen Ansatz zum digitalen Assistenten.
Besonders wichtig auf Dedelow ist das im Bereich der Fruchtbarkeitsüberwachung. Bis vor einem Jahr wurde die Brunstüberwachung nur visuell durchgeführt. Aber das Stallpersonal wurde immer rarer in der riesigen Stallanlage und so achteten zuletzt nur die Treiber zum Melkstand hin auf brünstige Kühe.
Die Treiber wählten eine denkbar ungünstige Situation – das Zutreiben zum Melkstand –, um dennoch einen entscheidenden Grundstein für eine erfolgreiche Milchproduktion zu legen. Klug war es, hier ein automatisches Brunsterkennungssystem zu installieren. Und so war es anfänglich die Brunstüberwachung, die Lück automatisieren wollte. Dass er sich schließlich für das smaXtec-System entschied, lag am guten Leumund in der Nachbarschaft und an der Überlegung, dass die kontinuierliche 24/7-Messung der inneren Körpertemperatur – direkt im Netzmagen der Kuh – wertvolle Einblicke in Gesundheit, Zyklus und Abkalbung liefert. SmaxTec erkennt Brunstanzeichen über veränderte Bewegungsmuster und Wiederkaudauer über einen längeren Zeitraum.
Fruchtbarkeitsmanagement
Die Jungrinder sind in Dedelow ausgelagert auf einer anderen Betriebsstätte. Lück möchte sie in den nächsten Jahren in einem Neubau auf der Betriebsstätte integrieren, um Arbeitsabläufe zu vereinfachen und die Jungtieraufzucht zu verbessern. Die Mindestanforderung, um in die Besamungsgruppe zu kommen, ist für das Jungrind ein Mindestgewicht von 370 kg Körpergewicht.
Je nach Wiegetermin (gewogen wird zweimal im Monat), erreichen das die Rinder mit einem Alter von ungefähr elf Monaten. Das ist der Startschuss für den ersten Klauenschnitt und das Eingeben des Bolus. Derzeit haben die Färsen ein Erstkalbealter von 25,1 Monaten, das Ziel ist 24 Monate. Im 3. Trächtigkeitsmonat kommen die Färsen dann auf die Hauptbetriebsstätte, um dort eingegliedert zu werden. Probleme mit dem Abkalben in Richtung Schwergeburt hat der Betrieb nicht, ist aber trotzdem froh über die Abkalbealarme des Bolus.
Sie sind auch für ein gutes Kolostrummanagement von Bedeutung, das auf diesem Betrieb besonders wichtig ist, da sich die Herde in einem Para-TB-Sanierungsprogramm befindet und unter anderem deshalb keine Kolostrumbank aufgebaut hat. Die Kälber sind in den ersten Tagen in Einzelboxen aufgestallt und gehen dann meistens nach 10 Tagen in die Gruppenhaltung an den Automaten. Bullkälber, teilweise Kreuzungskälber (beef on dairy) verkauft der Betrieb nach vier Wochen.
Die freiwillige Wartezeit hat Lück derzeit auf 60 Tage angesetzt, die Zwischenkalbezeit liegt aktuell bei 430 Tagen. Sein Ziel ist es nicht, sie zu verkürzen, sondern die Kühe individuell nach Leistung länger laufen zu lassen, d. h. die Laktationen zu verlängern und die gute Persistenz seiner Tiere auszunutzen. Insofern ist für ihn die Frage nach der durchschnittlichen Laktationsanzahl seiner Herde (derzeit 2,7 Lakationen) nicht sehr aussagekräftig, sondern die Lebensleistung zum Abgang hin. Zur Besamung werden die Tiere angemeldet, die in der App als brünstig angezeigt werden. Ein Besamer der RinderAllianz nimmt dann die kB vor.
Fazit
Mit Blick auf die Betriebsleitung und die Historie des Betriebes ist der Ansatz, ein Sensorsystem als große Investition anzuschaffen, bevor Investitionen in die Gebäudestrukturen getätigt werden, genau richtig. Dedelow war schon zu DDR-Zeiten ein Betrieb, der in der Ausbildung und Forschung tätig war und immer fleißig Daten gesammelt und genutzt hat. Dass Dedelow heute an Studien des Fachbereichs Veterinärmedizin an der FU Berlin, bei dem Projekt KuhVision und vielem mehr teilnimmt, zeigt, dass diese Nutzung des Bolus zu dem Betrieb passt. Hinzu kommt der Fachkräftemangel. Zwar ist die GmbH derzeit noch ein beliebter Arbeitsgeber in der Region, aber Menschen mit Kuhverstand gibt es immer weniger.
Für das tägliche Geschäft nutzt der Betrieb die Sensordaten bereits intensiv, da die Komplexität der Anlage immens ist und die tägliche Tierbeobachtung durch die verhältnismäßig wenigen Arbeitskräfte mit dem Sensor deutlich verbessert wird. Große Betriebe wie dieser profitieren von automatischen Arbeitslisten, die der digitale Assistent für die Landwirte erstellt.