Das Beziehungsgeflecht im Mittelpunkt

Warum die Hofübergabe viel Arbeit mit Familie, Konflikten und Bedürfnissen voraussetzt

Damit die Generationenübergabe auf dem Hof gelingt, ist vor allen fachlichen und betriebsstrategischen Fragen eine tiefe Auseinandersetzung mit der jeweiligen Familienkonstellation und den ihr zugrunde liegenden Bedürfnissen, Wünschen und Erwartungen aller Beteiligten erforderlich. „Die wichtigste Verantwortung im Familien-Unternehmen: Den Betrieb erfolgreich in die nächste Generation überführen“: Unter diesem Thema steht passend dazu das Impulsforum des Arbeitskreises Junge DLG auf der DLG-Wintertagung 2025 am 19. Februar in Münster. 

Im Jahr 2020 gab es insgesamt 228.000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland. Bei rund 110.000 davon oder knapp der Hälfte war die Betriebsleitung zu diesem Zeitpunkt über 55 Jahre alt. Die Hofnachfolge war bei etwa 63 Prozent der Betriebe ungeklärt. 

Soweit die Zahlen, wie sie das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft aufschreibt. Sie zeigen vor allem eines: Die Frage, wie und ob ein landwirtschaftlicher Betrieb an die nächste Generation übergeben wird, ist in vielen Fällen unbeantwortet. Und das wiederum verweist darauf, dass es rund um den Themenkomplex der Hofnachfolge einiges an Klärungspotenzial gibt. 

Bertram von Czettritz, selbstständiger Berater und Teil des Beratungsteams von entra (entra Beratung Hof Schlamann GmbH) – einer Unternehmensberatung mit Sitz in Lengerich (NRW), betrachtet die Hofübergabe „in allererster Linie als Familienthema: „Landwirtschaftliche Familienbetriebe sind eine extrem komplexe Konstellation. Die rein betrieblichen und formal-organisatorischen Aspekte der Hofübergabe sind im Vergleich zur zwischenmenschlichen Komponente eine leicht zu lösende Aufgabe. Die Dramen spielen sich immer auf der persönlichen Ebene ab.“ Darüber, wie der Betrieb erfolgreich in die nächste Generation übergeben werden kann, wird Bertram von Czettritz mitdiskutieren im Impulsforum der Jungen DLG auf der DLG-Wintertagung 2025 am 19. Februar in Münster. 
 

Bertram von Czettritz vor einem Hofgebäude.
Der Berater Bertram von Czettritz hält die Beschäftigung mit den eigenen Emotionen sowie der Familienkonstellation auf landwirtschaftlichen Betrieben für unentbehrlich. Foto: entra

 Hören Sie Bertram von Czettritz auch 
in unserem Podcast zum Thema Generationenwechsel im landwirtschaftlichen Betrieb.
 

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Hoher Erwartungsdruck und unterschwellige Konflikte

In die Frage der Hofübergabe spielten bei vielen Familienbetrieben unausgesprochene Wünsche, Emotionen und konfliktbehaftete Beziehungsgeflechte hinein, sagt von Czettritz. So laste häufig der Erwartungsdruck auf der Nachfolgegeneration, eine jahrhundertelange Familientradition fortzuführen und die Hofnachfolge anzutreten – auch wenn dies nicht in allen Fällen den inneren Wünschen und Überzeugungen der Kinder entspreche. 
 

Impliziter Erwartungsdruck erzeugt Konfliktpotenzial. 


Auch diejenigen Eltern, die bestrebt seien, den Nachwuchs eben nicht unter Druck zu setzen, tappen nach Erfahrung des Beraters von Czettritz nicht selten in die Falle, die Frage der Hofnachfolge gänzlich zu verdrängen: „Sie wollen ihre Kinder in vermeintlicher Freiheit einen eigenen Lebensweg wählen lassen und konfrontieren sie daher nicht explizit und offen mit dem Thema der Hofübernahme. Doch die Frage, wer irgendwann einmal den Hof weiterführen wird oder ob der Hof überhaupt weitergeführt wird, stellt sich zwangsläufig, ist daher ständig unterschwellig präsent und erzeugt somit implizit Erwartungsdruck und Konfliktpotenzial.“ 

Frühzeitig als Familie Coaching in Anspruch nehmen 

Sein Tipp: Es geht immer um Kommunikation. Und die kann man üben. Deswegen zeige die Erfahrung, dass es es sehr sinnvoll sei, wenn Familien beizeiten und ohne Druck in einem Familien-Coaching zusammenkommen und gemeinsam erarbeiten, was ihnen wichtig ist. Und erst im zweiten Schritt die formalen und organisatorischen Aspekte der Betriebsübergabe und -entwicklung zu betrachten: „Wer zuerst den Fokus auf die Beziehungen der Familienmitglieder zueinander und deren jeweilige Bedürfnisse sowie Wünsche und Erwartungen legt, wird den herausfordernden Weg des Generationswechsels viel besser meistern, weil alle an einem Strang ziehen“, ist von Czettritz überzeugt. 
 

Während verdrängte Emotionen und ungelöste Konflikte kein originäres Problem landwirtschaftlicher Familien sind, sieht Bertram von Czettritz aber bei bäuerlichen Familienbetrieben eine wichtige Besonderheit: „Historisch betrachtet war der landwirtschaftliche Familienbetrieb zur Existenzsicherung auf die Mitarbeit aller angewiesen: Sämtliche Familienmitglieder vom Kind bis zu den Großeltern mussten zum nackten Überleben mitanpacken.“
 

Der Überlebensgedanke kann sich verselbständigen. 


Das habe zwar grundsätzlich auch positive Aspekte und stärke den Zusammenhalt, aber dennoch berge der „tief in der DNA der Mitglieder landwirtschaftlicher Familien verwurzelte Überlebensgedanke die Gefahr, sich zu verselbständigen“, beobachtet von Czettritz in seiner Beraterpraxis. So habe er die Bekanntschaft einer Bäuerin gemacht, die sich „im Wortsinne nicht hinsetzen konnte“: Von klein an habe diese Frau die Erfahrung gemacht, von ihren Eltern angeschrien zu werden, dass sie faul sei und zu arbeiten habe, sobald sie sich einmal ausruhen wollte. Zudem weiß von Czettritz von einer jungen Familie zu berichten, die sich abends bei Taschenlampenlicht ins Wohnzimmer setzte, um gemeinsam den Tag ausklingen zu lassen und sich nicht getraut habe, das Deckenlicht einzuschalten. „Sie hatten zuvor wiederholt die Erfahrung gemacht, dass der Altenteiler an die Tür klopfte, sobald er brennendes Licht sah und den Vorwurf formulierte: ‚Wer noch wach ist, kann auch arbeiten.‘“ – „Das sind natürlich Extremfälle“, betont von Czettritz – „jedoch in ihrem Kern auf den meisten Familienbetrieben in irgendeiner Form wiederzufinden.“
 

Viele Hände greifen ineinander.
Enge Zusammenarbeit in der Familie: Bei der Hofübergabe sind unterschwellige Konflikte bisweilen eine Herausforderung. Foto: Anemone123 auf Pixabay

DLG-Wintertagung 2025

Die DLG-Wintertagung 2025, die am 18. und 19. Februar im Messe & Congress Centrum Halle Münsterland in Münster stattfindet, steht unter dem Leitthema „Produktivität reloaded - Erträge wieder gefragt?“. Dabei steht die Fragestellung im Mittelpunkt, wie die Landwirtschaft in eine neue Phase überführt werden kann, die Fortschritt und Nachhaltigkeit bestmöglich miteinander vereint. In insgesamt 18 Impulsforen der DLG-Ausschüsse und Arbeitskreise aus den unterschiedlichen Bereichen der Landwirtschaft werden Fragestellungen unter anderem rund um erneuerbare Energien, die „Proteinrevolution auf dem Acker“, Erfahrungen und Lehren aus der Afrikanischen Schweinepest (ASP) in Hessen sowie die Gräserbekämpfung ohne Flufenacet betrachtet. 

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Zu Person und Unternehmen

Bertram von Czettritz ist selbständiger Berater und als solcher seit 2017 Teil des Teams der Unternehmensberatung entra / entra beratung hof schlamann mit Sitz im nordrhein-westfälischen Lengerich. Der studierte Betriebswirt und Organisationsberater beschäftigt sich vorrangig mit den Themen Generationswechsel auf Familienbetrieben, Organisationsentwicklung bei Wachstum oder in Phasen der Veränderung sowie Coaching von Führungskräften, Teams und Familien. 
Unter dem Motto „Wir machen Lust auf Zukunft“ hat sich das Team von entra auf die Fahnen geschrieben, landwirtschaftlichen Familien dabei zu helfen, zwischenmenschliche Beziehungskonstellationen zu entschlüsseln und Klarheit über tiefliegende individuelle Wünsche eines jeden einzelnen zu erlangen – um auf diese Weise den Weg in die persönliche und betriebliche Zukunft optimistisch einschlagen zu können. 

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Den Senior bei seinem „Herz als Vater“ packen

In solchen konfliktbehafteten Familiensituationen seien es oft die Mütter, die sich an von Czettritz und seine Kollegen wenden: Häufig gehe es dabei um Vater-Sohn-Konflikte mit „ständig eskalierendem Streit“. Oder die Angst, dass Vater oder Sohn in eine Depression rutschten. Die Mütter würden häufig ähnliche Konfliktmuster wiedererkennen, wie sie der eigene Ehemann bereits mit seinem Vater hatte. Der Schlüssel zum Erfolg liege darin, in den Beratungssitzungen den Senior nicht in seiner Rolle als Betriebsleiter anzusprechen, sondern „bei seinem Herz als Vater zu packen“, wie es von Czettritz formuliert: „Als Vater will er ja auch, dass es seinen Kindern gut geht.“ 

Generell nehme bei den Familienworkshops, wie sie entra beratung hof schlamann anbietet, die Beschäftigung mit der eigenen Gefühlswelt der jeweiligen Personen, ihren Wünschen, Erwartungen und Konflikten eine zentrale Rolle ein. Dieser Prozess sei nicht einfach und emotional zunächst überaus herausfordernd, so von Czettritz, verschaffe letztlich aber allen Beteiligten Erkenntnis darüber, was sie im Grunde ihres Herzens wirklich wollen – zum Wohle jedes Einzelnen und damit letztlich auch zum Wohle des Betriebs. 

Seelische Nöte erkennen – und nicht unterdrücken 

Der Berater erlebe immer wieder, dass Tränen flössen, wenn einmal der Damm gebrochen sei: „Viele in der älteren Generation merken ja auch, dass sie sich womöglich stellenweise zu sehr aufgerieben haben für ihren Betrieb - zulasten von Familie und Partnerschaft. Bloß haben sie verinnerlicht, seelische Nöte zu unterdrücken und immer weiter zu funktionieren, auch wenn Grenzen der Belastbarkeit längst deutlich überschritten waren.“  

In seinen Familien-Workshops zeige er den Teilnehmenden folgenden aus seiner Sicht zentralen Widerspruch auf: „Für jeden Landwirt ist völlig unstrittig, dass der Pflanzenschutzberater nicht erst dann bestellt wird, wenn das Feld bereits schwarz ist und der Bestand tot. Auch ist Konsens, dass der Mechaniker kontaktiert wird, sobald der Motor des Schleppers stottert und qualmt – niemand würde in der Situation auf die Idee kommen, das Tempo zu steigern und einfach weiterzufahren. Bei klaren menschlichen Überlastungs- und Erschöpfungssymptomen wie Schlaf- und Rastlosigkeit, Angstzuständen oder Gereiztheit sei dagegen leider oft die Devise, so zu tun, als ob nichts wäre und weiterarbeiten‘“, hält von Czettritz dazu fest. 

Text: Stefanie Pionke, DLG-Newsroom
 

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