Präzsisionsfermentation und zelluläre Landwirtschaft im Blick
Fleisch und Milch ohne Kuh und Stall, Fisch ohne Meer, Schokolade und Kaffee ohne endlose Plantagen – das ist die Idee hinter der zellulären Landwirtschaft. Nahrungsmittel, aber auch Nonfood Rohstoffe, wie Leder oder Seide, wachsen nicht mehr in Tier und Pflanze heran. Stattdessen werden sie in-vitro aus Zellen gezogen oder von Mikroorganismen in der Präzisionsfermentation erzeugt, die sich unter optimalen Bedingungen in einem Bioreaktor teilen. Dabei haben sie das Potenzial, zur Lösung der ethischen und ökologischen Herausforderungen der konventionellen Landwirtschaft beitragen zu können.
Präzisionsfermentation
Bei der Präzisionsfermentation werden Protein- oder Lipidsynthese vom Tier in einen Mikroorganismus verlagert. Dazu entnimmt man die Sequenz aus dem Erbgut des Tieres, die den Bauplan des gewünschten Proteins enthält. Diese wird anschließend beispielsweise in ein Bakterium oder eine Hefe eingeschleust. Der Mikroorganismus stellt das Protein nun in einem Bioreaktor her. Dieses Verfahren ist schon längere Zeit erprobt und liefert u.a. Lab für die Käseherstellung.
Neuer sind hingegen Ansätze, auch Proteine der Kuhmilch oder des Hühnereis durch Präzisionsfermentation herzustellen. Denn damit ließen sich alternative Lebensmittel in Geschmack und Textur noch näher an das tierische Original heranbringen. Die Vorteile dafür liegen auf der Hand: Im Gegensatz zur Tierhaltung mit der daran gekoppelten Produktion der Futtermittel hat ein Bioreaktor einen deutlich geringeren ökologischen Fußabdruck. Er belegt sehr viel weniger Fläche, verbraucht weniger Wasser, keinen Kunstdünger und stößt kein Methan aus. Der Vorteil muss jedoch mit der Bereitstellung von klimaneutral hergestellter Energie einhergehen. Die kontrollierten Bedingungen machen den Einsatz von Antibiotika obsolet, und es besteht auch keine Gefahr von Zoonosen. Allerdings müssen gerade Proteine aus der Präzisionsfermentation besonders in Europa eine große Hürde nehmen, welche größtenteils mit der Novel Food-Verordnung in Verbindung zu bringen sind.
Fleisch ohne Tier
Bei der zellulären Landwirtschaft steht hingegen die Kultivierung der Zellen selbst im Mittelpunkt des Interesses. Dazu werden Tieren bestimmte Zelltypen über eine schmerzfreie Biopsie entnommen und über viele Zellgenrationen genutzt, um bestimmte Zelltypen in speziell angepassten Nährmedien zu erzeugen. Im medizinischen Bereich ist das Verfahren schon längere Zeit erprobt – zum Beispiel bei der Zucht von Hauttransplantaten.
Im Food-Bereich erlebt gerade das auch als Cultured Meat bezeichnete in-vitro-Fleisch eine steigende öffentliche Aufmerksamkeit. „In Zukunft wird das Steak nicht mehr nur von einer Kuh kommen, die auf einer Weide grast“, glaubt Nick Lin-Hi, Professor für Wirtschaft und Ethik an der Universität Vechta und Mitglied im DLG-Ausschuss New Feed & Food. „Es wird auch in einem Bioreaktor heranwachsen, und zwar mit einem sehr viel niedrigeren ökologischen Fußabdruck.“ Verschiedene wissenschaftliche Studien stützen seine These. Erst kürzlich kamen niederländische Forscher zu der Erkenntnis, dass kultiviertes Rindfleisch eine 92 Prozent geringere Auswirkung auf den Klimawandel hat als sein konventionelles Pendant. Da dafür außerdem rund 95 Prozent weniger Fläche benötigt wird, könnte es ebenfalls ein Ansatzpunkt in der Biodiversitätskrise sein. Und auch der um 78 Prozent geringere Wasserverbrauch ist ein gewichtiges Argument.
Deshalb verwundert es nicht, dass sich weltweit immer mehr Forschungsinstitute und Start-ups diesem Thema widmen, das im Jahr 2013 mit der Präsentation des ersten Burgers aus Cultured Meat in London bekannt wurde. Dass diese Entwicklung nicht an den Landwirten vorbei geht, sondern von ihnen getrieben wird, hat sich Florentine Zieglowski zur Aufgabe gemacht. Sie ist Mitgründerin des Unternehmens RESPECTfarms und Head of International des gemeinnützigen Vereins CellAg Deutschland e.V sowie Mitglied im DLG-Ausschuss New Feed & Food. „Kultiviertes Fleisch ist kein Konkurrenzmodell zur klassischen Landwirtschaft“, sagt sie. „Es ist vielmehr ein vielversprechendes Modell für landwirtschaftliche Betriebe. Und wir wollen ihnen dabei helfen.“ Das Potenzial dabei, sei riesig, schätzt sie. Sie geht davon aus, dass sich in den kommenden 15 Jahren rund fünf Prozent der Landwirte für den zellulären Weg entscheiden.
Pflanzen aus der Retorte
Dass die zelluläre Landwirtschaft nicht auf das Fleisch beschränkt ist, haben die drei Professoren Tilo Hühn,Regine Eibl-Schindler und Dieter Eibl eindrucksvoll bewiesen. Denn in ihren Laboren an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wurde 2015 eine ganz besondere Schokolade kreiert. Der Kakao dafür wurde aus Kakaozellen im Bioreaktor herangezogen. „Das macht uns unabhängig von Witterungseinflüssen, schont natürliche Ressourcen, wie Wasser oder Boden, und macht den Einsatz von Kunstdünger oder synthetischen Pflanzenschutzmitteln überflüssig“, bringt Tilo Hühn, Vorsitzender des DLG-Ausschuss New Feed & Food, die Vorteile seines Ansatzes auf den Punkt. Die Zellen vermehren sich dabei in einem großen Kunststoffbeutel, der mit einem optimal zusammengesetzten Nährmedium gefüllt ist. Getrocknet und zu einem Pulver vermahlen, kommen die Kakaozellen nach der Ernte in die Röstung und anschließend in den Schokoladentopf. Vom Ergebnis ist Tilo Hühn überzeugt: Die Zellkultur-Schokolade ist in einer Blindverkostung nicht von anderen Schokoladen zu unterscheiden.
Für die Forscher ist das aber nur der Anfang. Neben verschiedenen Gewürzen und Kräutern steht auch die Avocado auf ihrer To-do-Liste. Gerade bei dieser Beere liegen Licht und Schatten sehr nah beieinander. Ihr hoher Anteil an ungesättigten Fettsäuren macht sie ernährungsphysiologisch besonders wertvoll. Der hohe Wasserverbrauch in der Produktion und die Energieaufwendungen für Kühlung und Transport führen aber zu einem hohen ökologischen Fußabdruck. „Ein Teil der neuen Gegenwart der Lebensmittelherstellung kommt aus dem Tank und dabei spielen pflanzliche Zellkulturen eine bislang noch unterschätzte Rolle“, so Tilo Hühn abschließend.
Weitere Informationen rund um das Thema Landwirtschaft aus dem Bioreaktor unter: