Fermentation

Mit kleinen Helfern zur Proteinwende

aus: DLG-Lebensmittel 1/2024

Tierische Proteine sind heute so gefragt wie nie. Der weltweite Verbrauch hat sich in den letzten 60 Jahren glatt verdoppelt. Mit all den Risiken und Nebenwirkungen für Umwelt, Klima, Gesundheit und Gewissen. Doch es gibt Alternativen – die Fermentation eröffnet neue Perspektiven. Denn hochwertige Proteine lassen sich auch aus pflanzlichen Rohstoffen gewinnen, wenn man dafür die richtigen Mikroorganismen nutzt.

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Seit Jahrtausenden bewährt

Wer letztlich dafür sorgte, dass die Lebensmittel umgewandelt, länger haltbar und schmackhafter wurden, war die längste Zeit der Menschheitsgeschichte unbekannt. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts sahen der niederländische Forscher Antoni van Leeuwenhoek und sein britischer Kollege Robert Hooke die ersten Mikroorganismen unter ihren selbst gebauten Mikroskopen. Dass diese für die Fermentation verantwortlich sind, fand erst Louis Pasteur gut 200 Jahre später heraus. Noch einmal so lange dauerte es dann, bis die Fermentation für den Hausgebrauch im Industriezeitalter angekommen war. Denn als Anfang der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts Starterkulturen in der Lebensmittelbranche Einzug hielten, ließen sich nun Qualität und Geschmack in der Massenproduktion gewährleisten.

Doch wozu der Aufwand? Warum hat es sich bewährt, erst Mikroorganismen an die Nahrung zu lassen, bevor man sie sich selber einverleibt? Zum einen, weil es der Gesundheit zuträglich ist. Denn gerade Milchsäurebakterien schaffen ihr eigenes, leicht saures Milieu, beispielsweise bei Brot, Quark oder Joghurt. Doch manche Kleinstlebewesen tun noch mehr: Sie wandeln pflanzliche Stoffe so um, dass wir sie besser verdauen können; dass sie bekömmlicher sind; dass sie uns mit wertvollen Nährstoffen versorgen. Ein bekanntes Beispiel dafür heißt Tempeh und kommt aus Indonesien. Gekochte Sojabohnen und niedere Schimmelpilze werden hier seit Jahrhunderten zu einer hochwertigen Eiweißquelle, die mancherorts als Grundnahrungsmittel gilt.

Fleischersatz im Schnelldurchlauf

Dass man hochwertige Proteine aus Biomasse wie etwa Sojabohnen, aber auch aus diversen Nebenströmen der Pflanzenverarbeitung en masse erzeugen kann, ist schon lange bekannt. Und wird unter der Bezeichnung Biomassefermentation heute im Großmaßstab betrieben. Die fleißigsten Helfer in den stählernen Bioreaktoren stammen aus dem Reich der Pilze. Ihr Myzel durchdringt die Biomasse mit hoher Geschwindigkeit (siehe Kasten). Es dauert nur Stunden, damit sie ihr Gewicht verdoppeln. Dabei verwerten sie das Substrat und bauen daraus wertvolle Eiweiße auf.

Bekannt dürfte hier vor allem Quorn sein – ein Fleisch­ersatzprodukt des gleichnamigen Unternehmens, das 2015 im philippinischen Monde-Nissin-Konzern aufgegangen ist. In den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts kamen Befürchtungen auf, die Menschheit würde auf einen Mangel an proteinreicher Nahrung hinsteuern. Also begaben sich Forscher auf die Suche nach Mikroorganismen und wurden in Bodenproben fündig. Sie stießen auf den Schlauchpilz Fusarium venenatum. Der wird in einer Traubenzuckerlösung kultiviert und anschließend zu einem Nahrungsmittel verarbeitet.

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Proteine nach Maß

Auch wenn die Möglichkeiten der Biomassefermentation riesig sind, haben sie doch ihre Grenzen in der Biologie. Denn es lässt sich nur erzeugen, was die verschiedenen Mikroorganismen auch von Natur aus erzeugen können. Mit diesem Paradigma bricht die Präzisionsfermentation. Denn hier werden die winzigen Helfer so angepasst und programmiert, dass sie ganz spezielle Stoffe herstellen. Möglich machen es biotechnologische Verfahren, mit denen sich das Erbgut der Mikroorganismen verändern lässt. Denn wird zum Beispiel einem gewöhnlichen Darmbakterium der Art Escherichia coli das für die Labproduktion beim Rind verantwortliche Gen eingeschleust, wird das Bakterium zur Labfabrik.

Anders als bei der Biomassefermentation steht hier nicht die Masse im Vordergrund. Stattdessen kommt es darauf an, maßgeschneiderte Proteine zu erhalten. Milchprotein zum Beispiel. Oder Eiprotein. Das lässt sich dann dazu verwenden, die alternativen Lebensmittel noch näher an Geschmack und Textur des tierischen Originals heranzubringen. Dank neuester gentechnischer Verfahren wie der Gen-Schere CRISPR/Cas, Fortschritten in der synthetischen Biologie und der wachsenden Unterstützung durch Algorithmen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz sind der Fantasie hier kaum Grenzen gesetzt.

Superorganismus im Verborgenen

Pilze, die wir essen, haben einen Stiel und einen Hut – so viel ist klar. Champignon, Steinpilz und Co leben unter unseren Füßen. Hyphen nennt man die weißlichen Fäden, die das Erdreich durchziehen. Zusammen bilden sie das Myzel, und das ist der eigentliche Organismus. Und der dehnt sich schon mal über einige Quadratkilometer aus. Die Stiele und Hüte, die da aus dem Waldboden sprießen, sind nur die Fruchtkörper. Und wenn man die essen kann, dann doch auch das Myzel, oder? Das haben Forscher zumindest für einige Speisepilze untersucht und bestätigt. Auf Nebenströmen wie zum Beispiel Apfel­trester lässt sich so ein hochwertiges Lebensmittel gewinnen.

Fleischeslust

Mit dem anhaltenden Bevölkerungswachstum wird sich der weltweite Bedarf an Proteinen nach Einschätzung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Mit tierischen Proteinquellen allein lässt sich der Bedarf nicht decken. Die Treibhausgasemission vor allem bei Wiederkäuern, der hohe Wasserbedarf und der Flächenverbrauch für den Futtermittelanbau – sie treiben den ökologischen Fußabdruck tierischer Lebensmittel in die Höhe. Alternative Proteine aus Pflanzen, kultivierten Zellen, Fermentation oder von Insekten sind deshalb eine wichtige Säule der Proteinwende.

Aus der Luft gegriffen

Eines haben klassische, Biomasse- und Präzisionsfermentation gemeinsam – sie alle setzen pflanzliche Rohstoffe voraus, die von den Mikroben umgewandelt werden. Ginge es vielleicht auch ohne? Ja, es geht. Und zwar, indem man auf wahre Überlebenskünstler der Evolution zurückgreift. Archaeen zum Beispiel. Einige dieser im Volksmund auch als „Urbakterien“ bekannten Kleinstlebewesen bauen sich ihre Proteine schlicht und einfach aus der Luft. Genauer gesagt, setzen sie die Gase Kohlendioxid, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff zusammen sowie einige Spurenelemente zu Aminosäuren – den Bausteinen der Proteine.

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Diesen Ansatz hat das österreichische FoodTec Start-up Arkeon gewählt. Und auch Solar Foods aus Finnland geht einen solchen Weg. Solein heißt ihr Produkt, mit dem sich nach Herstellerangaben nicht nur mit den Ressourcen auf der Erde vernünftig haushalten, sondern auch nach den Sternen greifen lässt. Denn die Finnen denken auch darüber nach, die Gas-Fermentation zur Versorgung von bemannten Missionen in den Weltraum abheben zu lassen.

Das beste Mittel für den Zweck

Doch welche Art der Fermentation ist denn nun hilfreich, wenn es um die Proteinwende geht. Die Antwort ist einfach: alle. Die klassisch fermentierten Lebensmittel können unseren Speiseplan nach wie vor bereichern und erweitern – vor allem, wenn wir an die Köstlichkeiten aus fernen Ländern denken. Mit großen Mengen Proteinen kann die Biomassefermentation aufwarten.

Sie kann eine Basis für Fleisch­ersatzprodukte liefern und dabei auch die nicht ganz so hochwertigen Nebenströme aus der Landwirtschaft wie Presskuchen der Ölgewinnung aufwerten. Die Präzisionsfermentation wiederum kann Zutaten liefern, um pflanzliche Alternativen in Geschmack und Biss noch weiter zu optimieren. Und die Gas-Fermentation könnte sogar die Lebensmittelversorgung ganz von der Landwirtschaft entkoppeln – zumindest dort, wo es auch sinnvoll ist.

Die Player der Proteinwende – eine Auswahl

Mehrere Analysten sehen in den alternativen Proteinen ein wachsendes Marktsegment. Mittlerweile gibt es über 120 Unternehmen auf der Welt, die dafür auf die Fermentation setzen, zehn davon in Deutschland. Eine Handvoll haben wir ausgewählt und stellen sie hier kurz vor.


Der Schlauchpilz und das Urgestein

Quorn, das Produkt des gleichnamigen Unternehmens, kam bereits 1985 in Großbritannien auf den Markt. Schlauchpilze der Art Fusarium venenatum erzeugen dafür Proteine. Die werden anschließend mit Albumin aus Hühnerei gebunden und um Vitamine und Mineralstoffe angereichert. Dann werden sie in Form gebracht und landen als vegetarischer Fleischersatz in Pfanne und auf dem Teller. Im Jahre 2015 wechselte das Urgestein im Markt der alternativen Proteine den Besitzer und gehört nun zum philippinischen Food-Konzern Monde Nissin. 
www.quorn.ph

Grüne Legende vom heimischen Acker

Auch die als Marktführer für Geflügelfleisch bekannte deutsche PHW-Gruppe ist im Geschäftsfeld der alternativen Proteinquellen aktiv. Unter dem Label Green Legend hat das Unternehmen eine eigene Produktlinie für veganen Fleischersatz aufgesetzt. Die Basis dafür sind Proteine aus heimischen Feldfrüchten wie Weizen, Ackerbohnen oder Erbsen. 
www.phw-gruppe.de / www.green-legend.com

Der „unmögliche“ Burger

Seit 2011 versucht das kalifornische Unternehmen Impossible Foods das „Unmögliche“ – ein Burger-Patty ganz aus pflanzlichen Zutaten zu schaffen, das seinen tierischen Pendants in nichts nachsteht. Als Dreh- und Angelpunkt hat das Unternehmen dabei Häm identifiziert. Das Molekül verleiht Blut die Fähigkeit, Sauerstoff zu binden und im Körper zu transportieren. Und es soll laut Forschern des Unternehmens dem Fleisch seinen Geschmack geben. Deshalb haben sie eine Hefe genetisch umprogrammiert, die nun das Häm-Protein aus Pflanzen generiert. Außerhalb Europas ist das Burger-Patty schon im Fast-Food-Markt etabliert. Auf dem alten Kontinent Fuß zu fassen, scheiterte bisher an den Gesetzen zur Gentechnik in der EU.
www.impossiblefoods.com

Fadenpilz mit Potenzial

In Berlin, im renommierten Technologiepark Adlershof wird Nosh.bio als aufsteigender Stern gehandelt. Der Protagonist des FoodTec-Start-ups ist ein Fadenpilz, der in den gläsernen Bioreaktoren wächst. Dort ernährt er sich von Maltose-Extrakt und kann schon nach ein bis zwei Tagen geerntet werden. Seine Proteine sind als Basisrohstoff für die Lebensmittelindustrie gedacht, wo sie zum Beispiel Fleischersatzprodukte in Form bringen und ihnen Halt geben. Der große Vorteil aus Sicht des Start-ups: Der Pilz bringt die Zulassung der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bereits mit, was das Geschäft erheblich vereinfachen dürfte.
www.nosh.bio

© Impossible Foods

Back to the Roots

Auch Mushlabs, das jetzt als Infinite Roots firmiert, hat seine Wurzeln in Adlershof. Pilze spielen bei dem 2018 gegründeten Start-up ebenfalls eine wichtige Rolle. Mit der eigens entwickelten Fermentationsplattform sollen sie zum Proteinlieferanten und Lebensmittel der Zukunft werden – so die Vision des Unternehmens. Das Pilzmyzel wird dabei in Fermentern auf Nebenströme der Agrar- und Food-Industrie geimpft. Die Ernte kann dann zu nachhaltigen Fleisch­alternativen verarbeitet werden.
www.mushlabs.com / www.infiniteroots.com

Say Cheese

Nicht auf Burger-Patty, Würstchen oder Steak, sondern auf Milchprodukte aller Art hat es das Team von Formo abgesehen. Käse, Joghurt, Quark und alles ohne Kuh, das hat sich das Berliner Start-up auf die Fahnen geschrieben. Ihre kleinen Helferlein sind Mikroorganismen, denen genetisch auf die Sprünge geholfen wurde. Mit der richtigen Gensequenz in ihrer DNA können sie nun Molke- und Kaseinproteine herstellen. Im Bioreaktor ergibt das eine Flüssigkeit, die mit Pflanzenfett gemischt und einem Käsereiprozess unterzogen wird.
formo.bio