Neuartige Lebensmittel, Änderungen an Rezeptur oder Verpackung, kurzfristige Schwankungen in der Verfügbarkeit von Rohstoffen - oder ein neues Produkt soll möglichst schnell auf den Markt eingeführt werden: Die Liste an Gründen, warum das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) eines Lebensmittels möglichst zügig ermittelt oder überprüft werden muss, ist lang. Wenn für Real-Shelf-Life-Tests (RSLT), also die Bestimmung des MHD unter realen Bedingungen, die Zeit zu kurz ist, müssen schnellere Alternativen her. Solche alternativen Möglichkeiten zur Bestimmung der Haltbarkeit von Lebensmitteln standen beim Workshop „MHD neu gedacht“ Anfang Oktober bei der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) in Frankfurt a.M. im Fokus.
Diskussionen über das Verständnis der Verbraucher, neue Anforderungen von Kunden aus dem Lebensmitteleinzelhandel oder schlicht der Umstand, dass Rohstoffe oder Zusatzstoffe kurzfristig nicht verfügbar sind: Die Herausforderungen rund um das Thema MHD sind vielfältig. Das betonte Bettina Krämer aus der Sensorik-Abteilung der Arla Foods Deutschland GmbH in Pronsfeld in ihrem Vortrag.
Beschleunigte Oxidation und verstärkter Lichtfluss
Wenn ein MHD einmal schneller als über einen langwierigen RSLT überprüft werden soll, weil beispielsweise die Rezeptur geändert wird, können Unternehmen Accelerated Shelf-Life Tests (ASLT), also beschleunigte Tests, anwenden. Solche ASLT lassen Produkte vereinfacht gesagt im Zeitraffer altern, indem beispielsweise die Lagertemperatur erhöht, der Lichteinfluss verstärkt oder die Oxidation durch Sauerstoffzugabe beschleunigt wird.
Bettina Krämer hält ASLT grundsätzlich für einen viel versprechenden Weg. Sie weist aber auch darauf hin, dass die Daten der RSLT erforderlich seien, um die Forcierungsmethoden für die beschleunigten Testverfahren wie etwa die Licht-, Temperatur oder Sauerstoffzufuhr erfolgreich aussteuern zu können. Das gilt auch deshalb, weil bei den aufwendigeren RSLT die Produktqualität im Alterungsprozess sowohl unter Standard- oder Idealbedingungen, also den Angaben des Herstellers zu Umgang und Lagerung, als auch unter Worst-Case-Szenarien, also beispielsweise suboptimalen Temperaturbedingungen im heimischen Kühlschrank, getestet wird.
DLG-Expertenwissen: Haltbarkeitstests aus sensorischer Sicht
Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD), welches seit 1981 in Deutschland und seit 2014 EU-weit verpflichtend ist, wird seit vielen Jahren intensiv diskutiert. Es gibt an, wie lange ein Lebensmittel bei fachgerechter Aufbewahrung verzehrsfähig bleibt, ohne seine qualitativen (auch sensorischen) Eigenschaften zu verlieren oder sogar gesundheitsgefährdend zu werden. Das MHD ist darüber hinaus eine Stellschraube, um Lebensmittelverschwendung einzudämmen. Das DLG-Expertenwissen 04/2021: Haltbarkeitstests aus sensorischer Sicht gibt einen kompakten Überblick darüber, was die Haltbarkeit von Lebensmitteln beeinflusst und wann ein Haltbarkeitsdatum überprüft werden sollte.
Bei H-Milch geeignet, bei H-Sahne nicht
Bei H-Milch habe Arla Foods gute Erfahrungen mit ASLT bei verschiedenen Forcierungsmethoden gemacht, so das Fazit von Krämer, bei dem Produkt lieferten die Schnelltests vergleichbare Ergebnisse zu den Realtests. „Man muss jedoch die Grenzen der verkürzten Methode kennen“, gab Krämer zu bedenken. Denn Arla stellte auch fest, dass sich H-Schlagsahne nicht für beschleunigte Lagertests eignet, da sie infolge der eingesetzten Beschleunigungsfaktoren zu schnell aufrahmt.
Ein Ersatz für RSLT sind die Schnelltests bei diesen Produkten daher nach Einschätzung von Krämer nicht. Die ASLT können jedoch als Entscheidungshilfe dienen, wenn ein Unternehmen beispielsweise eine Änderung von Rezepturen, Herstellungsprozesse oder Verpackungen bei einem bereits durch RSLT überprüften Produkt erwäge – und Tendenzen für die Auswirkungen auf die Haltbarkeit ermitteln wolle.
Schnitzel mit verlängertem MHD
Auch laut Anna Fenkes, Expertin für Benchmarking und Sensorik bei dem Tiefkühl-Produkte-Anbieter bofrost* Dienstleistungs GmbH & Co. KG, hat sich folgendes Vorgehen in der Praxis bewährt: Die beschleunigten Tests eignen sich bei einer ersten Einschätzung zur Haltbarkeit von neuen Produkten oder angestrebten Anpassungen von MHD im bestehenden Lebensmittel-Portfolio – sie sollten aber durch Realtests abgesichert werden.
Beim DLG-Workshop zeigte Fenkes Ergebnisse von ASLT bei tiefgekühltem Wiener Schnitzel und Eiswaffeln. Gemeinsam mit der Hochschule Fulda wurde getestet, wie und ob sich diese Produkte verändern, wenn sie unter ASLT-Bedingungen gealtert und sensorisch sowie in weiteren ausgewählten analytischen Parametern getestet werden. So führt bofrost* RSLT unter konstanter Lagerung bei minus 24 Grad Celsius durch. Bei den beschleunigten Tests im Temperaturschrank definierte man zur Produktalterung dagegen Temperaturschwankungen von minus 20 bis minus 10 Grad Celsius.
Die Testergebnisse: Die Eiswaffeln wurden bei der beschleunigten Lagerung weich, das Eis war weniger cremig. Dieser ermittelte ASLT muss noch weiter optimiert werden. Wiener Schnitzel hingegen hielten sensorisch einer verkürzten Lagerung stand, so dass bei diesen Produkten mit „Schnellmethoden zur Haltbarkeitsermittlung“ gearbeitet werden kann.
Digitale Schatten
Ein anderer alternativer Weg, das Mindesthaltbarkeitsdatum zu bestimmen beziehungsweise sich Grenzwerten zu nähern, liegt in rechnerischen Prognose- oder Vorhersagemodellen, an denen etwa das Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising forscht. Dr. Matthias Reinelt, Gruppenleitung Haltbarkeits- und Verpackungsmodellierung am IVV, erläuterte, wie „digitale Schatten“, also digitale Produktprofile von Milch, Kaffee, Olivenöl, Erdbeeren und vielen anderen Lebensmitteln errechnet werden.
Diese digitalen Schatten liefern auf rein mathematischem Weg Aussagen, wie sich das Produkt im Laufe der Zeit verändern wird, so dass sich Haltbarkeiten ermitteln lassen. Diese Daten können etwa genutzt werden, um Qualitätsveränderungen bei der Umstellung einer Verpackung zu simulieren und verkürzen dadurch das Zeitfenster für die praktische MHD-Ermittlung. Erfolgskritisch ist diesbezüglich das Datenmaterial, das den mathematischen Modellen zugrunde liegt. Hieran muss noch weiter geforscht werden.
Sensorik-Prüfung im Schnellverfahren
Inwieweit sich deskriptive sensorische Methoden zur Ermittlung der Haltbarkeit von Lebensmitteln unter Einsatz von Prüfer-Panels, verkürzen lassen, veranschaulichte Dr. Désirée Schneider aus dem Fachbereich Lebensmitteltechnologie an der Hochschule Fulda. Denn ob ein Lebensmittel noch haltbar ist, auch eine Frage der Akzeptanz durch die Verbraucher, oder auch - laienhaft formuliert - des Geschmacks. Dazu stellte Schneider zwei sensorische Schnelltest-Methoden, CATA und RATA, vor.
Bei der CATA-Methode (check all that apply, zu Deutsch etwa: „Prüfe sensorische Kriterien auf ihre Relevanz“) bekommen Testpersonen bei einer Produktverkostung Checklisten mit vorgegebenen Eigenschaften hinsichtlich Aussehen, Geschmack und Mundgefühl eines Lebensmittels und kreuzen die für sie zutreffenden Kriterien an. Die Checklisten werden anschließend anhand von Häufigkeiten der Nennungen ausgewertet. Die RATA-Methode (rate all that apply, zu Deutsch etwa: „Unterziehe anwendbare Kriterien einer Bewertung“) ist eine Abwandlung der CATA-Methode, die zusätzlich ein Ranking der Attribute von beispielsweise „0= gar nicht zutreffend“ bis „3 = stark zutreffend“ ermöglicht. Diese Methode hilft, die Intensitäten der erkannten sensorischen Eigenschaften zu erfassen. Dieser Mehrwert an Informationen dient der tieferen Qualitätsbeurteilung eines Lebensmittels, etwa dahingehend, ob es die typischen und gewünschten Eigenschaften seiner Produktgruppe aufweist.
Anders als bei Experten-Panels müssen bei beiden Methoden keine ausgebildeten Sensoriker zum Einsatz kommen, auch wenn sich eine kurze Schulung der Testpersonen laut Schneider empfiehlt. Und auch hinsichtlich Turnus und Zusammensetzung sind die Schnellmethoden deutlich weniger aufwendig und daher kostengünstiger. Denn gerade kleine Unternehmen könnten häufig keine Expertenpanels aufbauen und trainieren.
Günstige Alternative für wenig komplexe Lebensmittel
Dem gegenüber stehe, dass die Ergebnisse von Expertenpanels genauer und damit verlässlicher ausfielen als solche, die mithilfe der CATA- oder RATA-Methode gewonnen wurden. Denn Panels mit ausgebildeten Sensorikern verfügten über ein gemeinsames Verständnis zu Testmethodik und eine klare und gemeinsame Sprache zur Beschreibung von Produkteigenschaften.
Die vorgegebenen Attribute der CATA- und RATA-Methoden würden zwar den Teilnehmern der Tests Leitplanken setzen, so Schneider weiter, würden aber immer auch die Gefahr der Verfälschung bieten: „Durch das Vorgeben von Attributen wird möglicherweise die Aufmerksamkeit auf Produkteigenschaften gelenkt, die dem Tester von selbst gar nicht aufgefallen wären.“
Schneiders Fazit: Bei weniger komplexen Lebensmitteln seien RATA und CATA durchaus gut anwendbar – bei strategisch wichtigen Markenprodukten rät sie aber zu Expertenpanels und zu den aufwendigeren Profilprüfungen.
Ob Altern im Zeitraffer, mathematische Modellierung oder sensorische Schnelltests – alle Methoden haben Vor- und Nachteile und können die MHD-Ermittlung unterstützen. Es besteht aber noch viel Forschungsbedarf und Potenzial für den fachlichen Erfahrungsaustausch, denn insbesondere auch das Haltbarkeitsdatum spielt eine wesentliche Rolle im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung.
Text: Stefanie Pionke, Regina Hüber; DLG-Newsroom