Agrarantrag in eineinhalb Stunden

Best-Practice-Beispiel für Digitalisierung: Estland

Während die deutsche Wirtschaft überfordernde Bürokratie beklagt, laufen in Estland Verwaltungsprozesse digital und auf Knopfdruck. Wie das dem baltischen Staat gelungen ist und wie genau die digitalen Prozesse dort ablaufen, erläuterte Dr. Til Assmann, Honorarkonsul der Republik Estland in Niedersachsen und Bremen, kürzlich auf den DLG-Unternehmertagen 2024 in Oldenburg. 

Den Agrarantrag, also den Antrag auf EU-Agrarzahlungen, stellt ein landwirtschaftlicher Unternehmer in Estland in rund eineinhalb Stunden. Will sein deutscher Berufskollege Direktzahlungen erhalten, ist er dagegen eineinhalb Tage oder mehr mit der Formalie beschäftigt. 

Diesen Vergleich zog Dr. Til Assmann, Honorarkonsul der Republik Estland in Niedersachsen und Bremen, kürzlich auf den DLG-Unternehmertagen 2024 in Oldenburg. Seine Botschaft: Während Estland konsequent Verwaltungsprozesse digitalisiert und effizient in Hinblick auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger gestaltet habe, wurde hierzulande ein Gewirr aus Dokumentationsvorgängen geschaffen. 

Wohnsitz ummelden bequem vom heimischen PC

Seine Analyse belegte Assmann anhand einer Reihe von Beispielen: Estland habe bereits 1996 – fünf Jahre nach Erlangen der Unabhängigkeit von der Sowjetunion – IT an den Schulen im Land eingeführt und die Schulen mit Computern ausgestattet. Seit dem Jahr 2000 sei die Finanzverwaltung digital, inklusive einer digitalen Steuererklärung per Knopfdruck. Zwei Jahre später, 2002, wurde an estnischen Schulen das digitale Klassenbuch eingeführt. Und für die Ummeldung eines Wohnsitzes muss kein Bürger Estlands mehr das Haus verlassen und eine Amtsstube aufsuchen: Auch das, so Assmann weiter, geschehe ganz selbstverständlich digital. Nach derselben Logik spiele ein estnischer Forstwirt aktuelle Bestandsdaten zu einem Flurstück seines Waldes direkt vor Ort ins Kataster ein. 
 

Datensicherheit ist im Grundgesetz verankert.

Dr. Til Assmann, Honorarkonsul

Folgender Prozess ermöglicht nach Darstellungen des Honorarkonsuls diese scheinbar lückenlose Digitalisierung: Bürger Estlands erhalten mit ihrer Geburt eine Personenidentifikationsnummer, die sie ihr Leben lang begleitet. Unter dieser e-Identität sind Stammdaten eines Individuums in einer Dateninfrastruktur, der sogenannten X-Road, gesammelt. Die X-Road wiederum ist mit Stellen wie Bürgerämtern, dem Kfz-Meldeamt oder der Gesundheitsbehörde vernetzt. Mit ihrer Personenidentifikationsnummer in Kombination mit einer PIN können Bürger vom eigenen Endgerät aus beispielsweise den Wohnsitz oder ihr Fahrzeug ummelden sowie ihre Gesundheitsdaten verwalten. 

Infrastruktur aufbauen und Voraussetzungen schaffen

Dass Estland in den drei Jahrzehnten seit Unabhängigkeit von der UdSSR zum europäischen Beispiel für Digitalisierung avanciert ist, führt der Honorarkonsul darauf zurück, dass das Land zuerst die Voraussetzungen für erfolgreiche Digitalisierung geschaffen, bevor es sich mit verschiedenen Nutzungsvorgängen auseinandergesetzt habe. So sei eine Infrastruktur aufgebaut worden, in der das gesamte Land mit Breitbandanschlüssen ausgestattet sei – denn jeder Bürger in Estland habe das „Recht auf Internetzugang“, betonte Assmann. Dabei sei die Datensicherheit im Grundgesetz verankert. Zudem habe das Land konsequent auf Bildung gesetzt: Die 30.34-Järigen im Land seien zu 48 Prozent Akademiker. 62 Prozent des BIP werde über Dienstleistungen, davon viele im IT-Bereich, erwirtschaftet. 

„Einfach mal machen“ und Prozesse neu aufsetzen, statt nach Hinderungsgründen dagegen zu suchen, lautet Assmanns Appell an Deutschland zur Entbürokratisierung durch effiziente Digitalisierung zum Ende seines Vortrags im Impulsforum der Jungen DLG auf den DLG-Unternehmertagen 2024. 

Text: Stefanie Pionke, DLG-Newsroom
 

Mann gestikuliert auf Bühne: Dr. Til Assmann.
Fassungslos stimmt es Honorarkonsul Dr. Til Assmann, wenn er den Stand der Digitalisierung in Estland und Deutschland miteinander vergleicht. Foto: DLG / T. Jaworr

Die DLG-Unternehmertage 2024 

Die DLG-Unternehmertage 2024 fanden am 10. und 11. September in den Weser-Ems-Hallen in Oldenburg statt. Das Leitthema des zweitägigen Kongresses war „Bürokratie managen – Freiraum schaffen“. Am Dienstag, dem 10. September, standen nicht-öffentliche Sitzungen verschiedener DLG-Ausschüsse sowie der Netzwerk-Abend DLG-Unternehmertreff im Fokus. Am Mittwoch, dem 11. September, wurde das Tagungsthema „Bürokratie managen – Freiraum schaffen“ in verschiedenen Diskussionsformaten mit Praktikern und Experten beleuchtet. Schwerpunkte bildeten Best-Practice-Ansätze zum betrieblichen Dokumentations-Management am Beispiel Düngung, Vorschläge für eine effiziente Digitalisierung im Betriebsmanagement und der öffentlichen Verwaltung, Konzepte für den Stall der Zukunft sowie die Agrarumweltpolitik nach dem Englischen Modell. 

Mehr Informationen zu den DLG-Unternehmertagen
 

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