DLG-Expertenwissen 09/2016
1. Auflage, Stand 09/2016
Autorinnen:
- B.Sc. Kim-Laura Conrad, Ökotrophologin,
Gießen, KL.Conrad@gmx.de - Simone Schiller, Geschäftsführerin Fachzentrum Lebensmittel,
DLG e.V., Frankfurt am Main, S.Schiller@DLG.org
1. Einleitung
Die DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) setzt als führende Organisation für sensorische Qualitätsprüfungen auf die Ausbildung von Sachverständigen zur Erkennung von Skatol (Stallgeruch) und Androstenon (Ebergeruch), um so die Schweinefleischqualität langfristig sicherzustellen.
Die Novellierung des Tierschutzgesetzes lässt nach dem 01.01.2019 eine Kastration männlicher Ferkel ohne Betäubung und anschließender Schmerzbehandlung nicht mehr zu. Bis dahin ist in der ersten Lebenswoche eine Kastration ohne Betäubung mit anschließendem Einsatz von Schmerzmitteln noch zulässig (Jäger 2013).
Das künftige Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration stellt die Fleischproduzenten sowie die Verarbeitungsindustrie vor eine Herausforderung, denn bislang wurde durch die Kastration die Beeinträchtigung der Fleischqualität durch den sogenannten Ebergeruch verhindert.
Eber- und/oder Stallgeruch werden maßgeblich durch die beiden Substanzen Skatol und Androstenon verursacht, deren Geruch als stall- oder fäkalartig bzw. urin- bis schweißartig beschrieben wird. Bei Androstenon handelt es sich um ein fettlösliches Geschlechtspheromon (Steroid), welches in den Hoden von Ebern produziert wird. Im Gegensatz dazu entsteht Skatol bei dem Abbau von Tryptophan im Dickdarm, so dass es sich nicht um eine geschlechtsspezifische Substanz handelt: Skatol kann sowohl bei weiblichen als auch bei männlichen Tieren im Fettgewebe nachgewiesen werden.
Allerdings hemmt Androstenon die Verstoffwechslung von Skatol in den Leberzellen und begünstigt so beim männlichen Tier erhöhte Blutkonzentrationen und eine Einlagerung ins Fettgewebe. Beim Eberfleisch kommt es daher häufiger zu Geruchs- und Geschmacksabweichungen als beim Fleisch weiblicher Tiere. Wie stark Eberfleisch riecht und schmeckt, ist sowohl von tierindividuellen Faktoren als auch von der Fütterung, der Haltung sowie von der Empfindlichkeit der Konsumenten abhängig (Mörlein et al. 2013).
2. Alternativen zur betäubungslosen Kastration
Im September 2008 haben sich der Deutsche Bauernverband (DBV), der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) sowie der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) in der sogenannten „Düsseldorfer Erklärung“ für ein gemeinsames Vorgehen ausgesprochen mit dem Ziel, baldmöglichst auf die betäubungslose Ferkelkastration zu verzichten (DBV/VDF/HDE 2008). Folgende praxistauglichen Alternativen zur betäubungslosen Kastration sind derzeit denkbar: Kastration mit Betäubung, immunologische Hemmung der Androstenonproduktion durch Impfung (sog. Immunokastration) oder Ebermast. Diese Alternativen werden ausführlich im DLG-Expertenwissen Teil 1: Eberfleisch – Basiswissen vorgestellt. Sicher ist, dass es – egal nach welcher Alternative das Fleisch produziert wird – Aufgabe des Qualitätsmanagements der jeweiligen Unternehmen sein wird, das Fleisch auf Ebergeruch zu kontrollieren.
3. Geruchsabweichungen erkennen
Im Jahr 2013 mästeten in Deutschland ca. 10 % der Landwirte Eber (Müller 2013); ca. 70.000 Eber wurden bei Tönnies, Vion und Westfleisch pro Woche geschlachtet und verarbeitet (Jäger 2013). Seitdem ist eine steigende Tendenz erkennbar. Daher ist es die Aufgabe der Schlachtunternehmen, Schlachtkörper mit Geruchsabweichungen sicher zu erkennen und auszusortieren. Nach Untersuchungen von Upmann et al. (2016) scheint eine Verarbeitung gering- und mittelgradig geruchsauffälligen Fleisches in bestimmten Produkten möglich; hochgradig geruchabweichendes Fleisch ist jedoch nach VO 854/2004 Anhang I, Abschnitt II, Kapitel V bei der amtlichen Fleischuntersuchung auszusortieren: „Fleisch ist für genussuntauglich zu erklären, wenn es sich um Fleisch mit pathophysiologischen Veränderungen, Anomalien der Konsistenz, unzureichender Ausblutung (außer bei frei lebendem Wild) oder organoleptischen Anomalien, insbesondere ausgeprägtem Geschlechtsgeruch, handelt.“
Trotz der Problematik der Geruchs- und Geschmacksabweichungen in Eberfleisch, stößt die Ebermast bei Verbrauchern und Tierschutzverbänden auf eine gewisse Offenheit, da den Tieren der operative Eingriff erspart bleibt. Für die Konsumenten ist jedoch auch der Fleischgeschmack ein entscheidendes Kaufkriterium, so dass nun die Hauptaufgabe für die Produzenten darin besteht, eine gute sensorische Fleischqualität zu gewährleisten.
3.1. Prüfmerkmal „Fremdgeruch“ beim DLG-Test
Aus den oben genannten Gründen ist es unumgänglich, Geruchsabweichungen bei der Produktion zu erkennen und das Fleisch gegebenenfalls auszusortieren. Das zeigen auch die Zahlen der Internationalen DLG-Qualitätsprüfungen für Frischfleisch. Denn gerade im Jahr 2012 gab es bei den DLG-Produkttests häufiger bei Frischfleischproben Abzüge aufgrund von Geruchsabweichungen (Stallgeruch/Fremdgeruch). 2012 wurden insgesamt 986 Proben Frischfleisch (gewürzt und ungewürzt) von DLG-Expertenpanels getestet. Dabei wurden bei 55 Proben Geruchsabweichungen festgestellt. Dies sind ca. 5,6 %. 2011 wurden demgegenüber 966 Frischfleisch-Proben (gewürzt und ungewürzt) untersucht. Bei den Prüfmerkmalen Fremdgeruch und/oder Stallgeruch kam es bei 20 Proben zu Punktabzügen. Dies entspricht ca. 2 %. Diese deutliche Zunahme an Fremdgerüchen spiegelt den ansteigenden Anteil vermarkteten Eberfleisches
wider.
Das vermehrte Auftreten von Geruchsabweichungen während der DLG-Qualitätsprüfungen in den letzten Jahren führte dazu, dass das DLG-5-Punkte-Schema® im Prüfmerkmal „Geruch“ um die Fehleransprache „Stallgeruch“ ergänzt wurde. Zudem setzt die DLG als führende Organisation für sensorische Qualitätsprüfungen auf die Ausbildung von speziell geschulten Sachverständigen, die Skatol und Androstenon sicher erkennen können. Diese Experten werden dann in den Qualitätsprüfungen gezielt eingesetzt und tragen zu aussagekräftigen Testergebnissen bei.
3.2. Prüferschulung
Bisher gibt es keine Alternative zur Erkennung von Geruchsabweichungen im Eberfleisch mit der menschlichen Nase, da die elektronische Detektion in naher Zukunft noch nicht verfügbar sein wird. Diese Tatsache erfordert höchstwahrscheinlich eine Implementierung neuer Arbeitsplätze in der Qualitätssicherung mit geschultem Personal. Dieses Personal der Schlachtbetriebe muss regelmäßig geschult und überprüft werden, um Skatol und Androstenon sicher identifizieren und geruchsauffällige Schlachtkörper erkennen zu können. Eine Möglichkeit, wie sie bereits in der Praxis Anwendung findet, ist es, dieses geschulte Personal am Ende des Schlachtbandes an den Eberkörpern riechen zu lassen. Dazu wird das Nackenfett mit Hilfe eines Bunsenbrenners leicht erhitzt, um die beiden Substanzen (Skatol und Androstenon) freizusetzen. Dabei ist es jedoch besonders wichtig, dass das Personal regelmäßige Pausen einhält, da sonst die Wahrnehmungsfähigkeit für die Stoffe abstumpft und somit das Ergebnis nicht mehr als zuverlässig angesehen werden kann (Schweer 2013).
3.3. Wahrnehmungssensibilität
Während Skatol von deutlich mehr Menschen wahrgenommen wird, gibt es bei Androstenon eine große Variabilität in der individuellen Wahrnehmungsfähigkeit. Es treten bei 7–75 % sogar Anosmien für Androstenon auf (Havlicek et al. 2010), das heißt, dass diese Menschen Androstenon gar nicht wahrnehmen können. Studien zeigen, dass Frauen empfindlicher gegenüber Androstenon sind als Männer; Anosmien treten häufiger bei Männern auf als bei Frauen (Müller 2011). Weitere Parameter, wie der kulturelle Hintergrund, die Erfahrung, die Fleischtemperatur und der Grad der Verarbeitung beeinflussen ebenso die Wahrnehmung. In der Literatur findet man folgende Werte zur menschlichen ortho-nasalen Wahrnehmung („Riechen“) der beiden Substanzen:
Neben dem grundsätzlichen Riechvermögen für die Leitsubstanzen ist es notwendig, das Leistungsvermögen der Prüfer für die eigentliche Aufgabe, d.h. die Bewertung von Geruchsabweichungen bei Eberschlachtkörpern, zu bewerten. In der medizinischen Diagnostik bedient man sich dazu der Begriffe von Sensitivität und Spezifität eines Tests (Lalkhen & McCluskey, 2008). Als Sensitivität bezeichnet man den prozentualen Anteil aller wirklich geruchsauffälligen Schlachtkörper, die von der entsprechenden Prüfperson im Test richtigerweise als geruchsabweichend eingestuft werden. Die Spezifität dagegen ist definiert als prozentualer Anteil von in Wirklichkeit nicht abweichenden Schlachtkörpern, die richtigerweise als solche getestet werden.
Das Auftreten partieller Anosmien sowie die unterschiedliche qualitative Wahrnehmung der Ebergeruchskomponenten belegen eindrücklich, dass interindividuelle Unterschiede hinsichtlich des Riechvermögens bestehen. Folglich ist eine qualifizierte Ermittlung der olfaktorischen Leistungsfähigkeit notwendig, um die Auswahl von Prüfpersonen zu objektivieren. Aufgrund der Variation der menschlichen Geruchswahrnehmung ist auch die regelmäßige Überprüfung und Dokumentation dieser Fähigkeiten unabdingbar.
Um den sensorischen Sachverständigen der DLG, aber auch weiteren interessierten Personen aus der Branche die Möglichkeit zu geben, ihre Sensitivität gegenüber Skatol und Androstenon zu testen, wurden von der DLG-Akademie Sensorik-Seminare angeboten. Teilnehmer waren DLG-Sachverständige für Frischfleisch und Fleischerzeugnisse, Beschäftigte aus Qualitätsmanagment und –sicherheit von Schlachthöfen und Fleischverarbeitungsbetrieben und dem Handel sowie Personen aus der Wissenschaft, von Laboren und der Lebensmittelüberwachung. Insgesamt konnten die Ergebnisse von 131 Personen ausgewertet werden.
Im Vorfeld erhielten die Teilnehmer Hintergrundinformationen über die Entstehung von Androstenon und Skatol sowie die Ursachen sensorischer Auffälligkeiten. Die Herausforderungen von Kastration und Ebermast wurden ebenfalls beleuchtet. Eine standardisierte Testreihe, die aus jeweils zehn Dreieckstests für Androstenon und Skatol bestand, führte die Teilnehmer in die praktische sensorische Analyse ein. Bei einem Dreieckstest besteht die Aufgabe der Teilnehmer darin, aus drei Proben (=Triade) die abweichende zu identifizieren. Dreiecksprüfungen werden angewendet, um einen sensorisch wahrnehmbaren Unterschied oder eine Ähnlichkeit zweier Prüfmaterialien festzustellen. Zudem eignet sich die Dreiecksprüfung besonders gut zur Auswahl, Schulung und Leistungsüberprüfung von Prüfpersonen: Je geringer die Unterschiede sind, die eine Prüfperson feststellen kann, desto schärfer ist ihr Unterscheidungsvermögen (DIN EN ISO 4120:2007 Dreiecksprüfung, 2007).
Bei der standardisierten Testreihe, die in den DLG-Seminaren durchgeführt wurde, konnten entweder zwei der Proben das Lösungsmittel Methanol (0) und die dritte Probe entweder Skatol (S) (0,25 µg/g) oder Androstenon (A) (2,0 µg/g) enthalten oder eine Probe wies das Lösungsmittel Methanol und die beiden anderen Proben zum Beispiel Androstenon oder Skatol (Abb. 2) auf. Abbildung 3 verdeutlicht die Theorie des Dreieckstests am Beispiel von Androstenon. Abbildung 4 veranschaulicht die Planskizze für die DLG-Prüferschulung: Es gibt insgesamt zwei Tische, an denen jeweils zehn Dreiecke aufgebaut sind. Die sensorischen Sachverständigen haben pro Tisch jeweils 20 Minuten Zeit, um die Dreiecke zu lösen. Danach gehen sie an den nächsten Tisch, um die jeweils anderen Proben zu testen (DLG 2012).
4.1. Ergebnisse
Für die Auswertung konnten die Ergebnisse von insgesamt 131 Personen mit fachlichem Hintergrund zugrunde gelegt werden. Diese Personen wurden in DLG-Seminaren in den Jahren 2012 bis 2016 geschult. Es handelte sich um 95 Männer und 36 Frauen, die ihre Sensitivität im Hinblick auf Eber- und/oder Stallgeruch getestet haben. Im Durchschnitt konnten die Teilnehmer 8 der 10 Proben mit Skatol richtig identifizieren, dagegen nur 5,6 der 10 Proben mit Androstenon. Diese Ergebnisse sind deckungsgleich mit anderen Studien, die ebenfalls zeigen, dass Androstenon schlechter wahrgenommen wird als Skatol.
Die Hypothese, dass Frauen beide Stoffe besser wahrnehmen können als Männer, konnte aufgrund der kleinen Stichprobe nicht signifikant, aber tendenziell bestätigt werden. Der Mittelwert der Frauen für die Erkennung von Skatol liegt mit 8,5 höher als der Mittelwert der Männer mit 7,6 erkannte Proben. Bei Androstenon liegen die Mittelwerte mit ca. 5,3 (Frauen) und ca. 4,6 (Männer) näher beieinander.
Die Schulungsteilnehmer wurden anschließend in 3 Gruppen eingeteilt (vergleiche Tabelle 1). Der ersten Gruppe wurden 26 Personen zugeordnet. Sie konnten als „Super-Smeller“ bezeichnet werden, da sie sowohl Androstenon als auch Skatol sicher erkennen konnten. Im Mittel wurden in dieser Gruppe von 10 Proben mit Skatol 9,1 und mit Androstenon 8,1 erkannt. Die zweite Gruppe zeichnete sich dadurch aus, dass entweder Androstenon oder Skatol von den Teilnehmern sicher erkannt werden konnte. 75 Personen wurden als „Smeller“ identifiziert. Die letzte Kategorie bildeten Personen, die beide Substanzen nur sehr schlecht erkennen konnten. Hier lag der Mittelwert für Skatol bei rund 5 erkannten Proben und bei Androstenon waren es ca. 4.
Seminarteilnehmer, die den Test erfolgreich abschlossen, erhielten ein DLG-Zertifikat, in dem die Anzahl der richtig erkannten Proben aufgeführt war. Dies ist für das Qualitätsmanagement ein wichtiger Nachweis über die sensorischen Fähigkeiten der verantwortlichen Personen und ihre möglichen Einsatzbereiche.
Auch in Zukunft wird die DLG-Akademie der Branche entsprechende Schulungen für Mitarbeiter anbieten und damit ihren Beitrag zur Qualitätssicherung von Schweinefleisch leisten. Diesem Ziel dienen auch die bei ihr erhältlichen Riechstifte. Hierbei handelt es sivh um Geruchsproben von Skatol und Androstenon, die beim Einsatz von Mitarbeiterscreenings eingesetzt werden können. Eine betriebsinterne Evaluation der „Super-Smeller“ oder „Smeller“ ist somit jederzeit möglich.
Tabelle 1: Ergebnisse der DLG-Prüferschulung im Rahmen der Qualitätsprüfung für frischfleisch im Herbst 2012 in Berlin
Gruppe | Anzahl Personen in dieser Gruppe | von 10 Proben mit Skatol durchschnittlich erkannte Proben | von 10 Proben mit Androstenon durchschnittlich erkannte Proben |
---|---|---|---|
„Super-Smeller“ | 11 | 8,7 | 8,18 |
„Smeller“ | 34 | 8,71 | 72 |
„Non-Smeller“ | 12 | 5 | 4 |
1 Mittelwert der Personen, die Skatol sicher erkannt haben (33 Personen).
2 lediglich eine Person erkannte Androstenon sicher, während sie Skatol nicht sicher erkennen konnte
5. Ausblick
Eine sichere Detektion von Androstenon und Skatol durch die Humansensorik ist nicht in jedem Fall möglich. Jedoch sind derzeit keine in der Praxis einsetzbaren Alternativen auf dem Markt. Dies könnten zum Beispiel chemisch-analytische Methoden sein oder aber auch der Einsatz von instrumenteller Sensorik. Die Gestaltung der Untersuchung, wie sie derzeit durch Personen direkt am Schlachtband durchgeführt wird, kann Unsicherheiten in der Bewertung der Tierkörper beinhalten (Treffsicherheit), zudem sind diese Arbeitsplätze körperlich sehr belastend. Sollte die Ebermast und damit die Eberschlachtung ab 2017 weiterhin erhöht werden, so muss in naher Zukunft die Forschung nach Detektionsmöglichkeiten als Ersatz oder Ergänzung zur Humansensorik intensiviert werden.
Kontakt
Bianca Schneider-Häder - Projektleiterin, DLG-Fachzentrum Lebensmittel - Tel.: +49 69 24788-360 B.Schneider@DLG.org