DLG-MERKBLATT 453

Ferkelkastration unter Injektionsnarkose: Wie optimiere ich meinen Arbeitsablauf?

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DLG-Merkblatt 453
1. Auflage, Stand 05/2020

Autoren:

  • Dr. Astrid van Asten, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen
  • Susanne Gäckler, DLG-Fachzentrum Landwirtschaft
  • Sven Häuser, DLG-Fachzentrum Landwirtschaft
  • Sabine Heckmann, Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, LLH
  • Josef Kühling, JLU Gießen
  • Dr. Christian Lambertz, FiBL Deutschland e.V.
  • Arlinda Richter, JLU Gießen
  • Beate Streuff, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen

Förderhinweis

Das Merkblatt ist im Rahmen der beiden Projekte „Praxiserprobungen der chirurgischen Kastration von Ferkeln unter Betäubung mittels Procain, Isofluran und Ketamin/Azaperon und postoperativer Schmerzausschaltung (PraxiKaPIK/A)/Förderkennzeichen 2817MDT104“ und „Praxisgerechte Ferkelkastration unter Betäubung und postoperativer Schmerzbehandlung in der ökologischen Ferkelerzeugung/Förderkennzeichen 2817MDT101“, gefördert und im Rahmen des Modell- und Demonstrationsvorhabens Tierschutz im Bereich Wissen – Dialog – Praxis mit Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) entstanden.

1. Einleitung

Ab dem 01. Januar 2021 dürfen in Deutschland gemäß § 21 Abs. 1 des Tierschutzgesetzes (TierSchG) männliche Ferkel nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden. Von da an stehen den Ferkelerzeugern die folgenden zugelassenen Verfahren zur Auswahl: die Jungebermast, die Jungebermast mit Impfung gegen Ebergeruch (Immunokastration) und die chirurgische Kastration unter Narkose. Eine in Deutschland für die chirurgische Kastration zugelassene Methode der Allgemeinanästhesie für Ferkel ist die Injektionsnarkose mit der Wirkstoffkombination Ketamin und Azaperon. Dabei wird das Ferkel in einen Zustand fehlenden Bewusstseins versetzt. Dieser ist durch eine Bewusstlosigkeit sowie Dämpfung von vegetativen Reflexen und Schmerzen gekennzeichnet. Das Betäubungsmittel (Anästhetikum) wirkt reversibel auf das zentrale Nervensystem. Dadurch werden mehrere Ebenen des Gehirns und des Rückenmarks gehemmt. Die Operationsstelle ist durch die Muskelerschlaffung und somit fehlender starker Ab­wehr­reak­tionen gut zugänglich. Neben dem Betäubungsmittel wird das Schmerzmittel Meloxicam verabreicht, welches Schmerzen während bzw. Schmerzen, Schwellungen und Entzündungen nach der Operation lindert. 

Die Verabreichung der Narkosemittel darf gemäß § 5 TierSchG nur durch einen Tierarzt/eine Tierärztin erfolgen. Bei einem geringen Prozentsatz der Ferkel wird während der OP allerdings keine ausreichende Schmerzfreiheit erreicht. Auch die bei diesem Verfahren zu beobachtende, vergleichsweise lange Nachschlafphase kann zu Problemen führen. Nicht nur aus arbeitswirtschaftlicher Sicht, sondern auch im Sinne des Tierschutzes ist es erforderlich, die Abläufe der Injektionsnarkose an die betriebsspezifischen Gegebenheiten anzupassen und dabei bestehende Praxiserfahrungen einzubeziehen. 

Dieses Merkblatt soll als Hilfestellung für AnwenderInnen der Injektionsnarkose bei der Optimierung von Arbeitsabläufen dienen und Anwendertipps aus Praxiserhebungen anschaulich darstellen.

2. Verfahrensablauf bei der Injektionsnarkose

Für einen möglichst reibungslosen Arbeitsablauf sind das Ferkelalter und -gewicht entscheidend. Der ideale Zeitpunkt liegt zwischen dem 4. und 7. Lebenstag bei einem Mindestgewicht von 1 kg. Bei jüngeren und leichteren Ferkeln ist die Neigung zu Komplikationen während der Narkose erhöht, ebenso das Risiko der Auskühlung in der Nachschlafphase.

Zu Beginn eines jeden Kastrationstermins werden die Ferkel von der Muttersau separiert und die männlichen Ferkel aussortiert. Schwache und kranke Tiere werden von der Kastration zunächst ausgeschlossen und zu einem späteren Zeitpunkt kastriert. Ebenfalls müssen Ferkel mit anatomischen Anomalien wie z. B. Binnen- und Brucheber gesondert durch den Tierarzt behandelt werden. Für einen guten und flüssigen Arbeitsablauf sowie zur Stressreduzierung für die Ferkel empfiehlt es sich, die Verabreichung des Schmerzmittels Meloxicam (Dosierungsempfehlung: 0,4 mg/kg Körpergewicht) ­bereits während der Separierung vorzunehmen, mindestens jedoch 30 Minuten vor der Kastration. In einem Transportbehälter mit saugfähiger und rutschfester Unterlage werden die Ferkel zur Waage gebracht. Hier wird jedes Ferkel gewogen und entsprechend der gewichtsabhängigen Dosis das Narkosemittel (Dosierungsempfehlung: Ketamin 20 – 25 mg/kg Körpergewicht in Abhängigkeit des Präparates und Azaperon 2 mg/kg Körpergewicht) intramuskulär in den Nacken verabreicht. Da die Dosis des Anästhetikums für eine ausreichende Narkose betriebsindividuell starken Schwankungen unterliegen kann, muss bei der Etablierung des Verfahrens die optimale Dosis gegebenenfalls an den jeweiligen Betrieb angepasst werden. Für die Effizienz der Narkose ist entscheidend, dass das Anästhetikum in den Muskel und nicht in das Fettgewebe gespritzt wird. Daher muss die Kanülengröße dem Ferkelalter und der Genetik (z. B. unterschiedliche Hautdicke) angepasst sein. Ansonsten kann es zu einer unzureichenden Betäubung oder zu einer verlängerten Nachschlafphase führen. Nach der Injektion werden die Ferkel zum Einschlafen, das in absoluter Ruhe erfolgen muss, zurück in das Transportbehältnis gesetzt. Während dieser Zeit muss auf eine gezielte Wärmezufuhr geachtet werden, da die Thermoregulierung der Ferkel durch die Narkose gestört ist und sie dadurch zur Auskühlung neigen. Nach etwa 10 Minuten wird die optimale Narkosetiefe erreicht. Diese wird mit dem Zwischenklauenreflex/Afterklauenreflex überprüft. Bei ausreichender Narkose können die Ferkel nun kastriert werden. Wird das Zeitfenster von 15 Minuten überschritten, lässt die Narkosewirkung bereits nach und die unbedingt zu vermeidende und schwer zu steuernde Nachdosierung wird notwendig.

Für die Kastration werden die Ferkel vorzugsweise in einem Kastrationsständer fixiert. Der Vorteil dabei ist: Freie Hände und eine gut sichtbare Operationsstelle. Dies ermöglicht eine uneingeschränkte Arbeitsweise. 

Die Kastration erfolgt in folgenden Schritten: 

  1. Mit einem Skalpell werden zwei kleine Schnitte (ca. 1,5 cm) längs der Hodenachse gesetzt.
  2. Dann werden die Hoden durch manuellen Druck aus dem Hodensack durch die Wunden vorgelagert.
  3. Mit einem Emaskulator werden die Samenstränge durchtrennt, dieser verbleibt dann noch kurz auf den Samensträngen, um durch das Quetschen die Gefäße effektiv zu verschließen und somit etwaige Nachblutungen zu verhindern, die beispielsweise bei Einsatz eines Skalpells entstehen können.
  4. Für die Desinfektion empfiehlt sich die 2-Becher-Methode anzuwenden, d. h. dass ein Becher mit Wasser zur Reinigung gefüllt ist und einer mit Desinfektionslösung. Skalpell und Emaskulator werden zunächst im Wasser gereinigt und anschließend in der Desinfektionslösung desinfiziert. Dadurch wird die Gefahr der Keimverschleppung verringert.
  5. Anschließend wird die Kastrationswunde mit einem Wundspray versorgt und das Ferkel zurück in den Transportbehälter gelegt.

In der Aufwachphase ist zwingend darauf zu achten, dass den Ferkeln gezielt Wärme (die optimale Temperatur liegt zwischen 30 – 33 °C) zugeführt wird und eine regelmäßige Tierbeobachtung erfolgt. Eine unkontrollierte Wärmezufuhr ohne jegliche Überwachung kann zum Überhitzen, eine fehlende Wärmezufuhr zum Auskühlen der Ferkel führen. Beides kann Ferkelverluste zur Folge haben. Somit ist eine regelmäßige Überwachung in dieser Phase unumgänglich. Bei vollständig geöffneten Augen, sicherem Stehvermögen, guter Orientierung sowie kontrollierten Bewegungen können die Ferkel zur Muttersau zurückgesetzt werden. 

Eine Alternative zur intramusklären Gabe ist die Verabreichung des Narkosemittels direkt in die Ohrvene (intravenös). Da die Ferkel in diesem Alter eine sehr feine Ohrvene haben, ist die Injek­tion schwieriger, die Narkosetiefe jedoch schneller erreicht und die Nachschlafphase kürzer. Beachtet werden muss, dass die Dosis des Narkosemittels niedriger ist als bei der intramuskulären Verabreichung, jedoch eine weitere Person zur Ferkelfixierung benötigt wird.

Die Dauer der Nachschlafphase unterscheidet sich betriebsindividuell sehr stark und variiert zwischen zwei bis fünf Stunden. Entscheidend ist eine regelmäßige Kontrolle und Überwachung der Ferkel während der Nachschlafphase!

3. Managementhinweise

4. Ökonomische Aspekte

Die Dauer der Nachschlafphase hat die größten Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit der Kastration unter Injektionsnarkose. Diese wiederum hängt von der Genauigkeit der Dosierung der Narkosemittel ab und von Stressfaktoren, die auf die Ferkel rund um die Narkose einwirken. Die Nachschlafphase erfordert eine engmaschige Tierkontrolle und die Anwesenheit des Tierarztes. Zudem kann eine sehr lange Nachschlafphase auch für Sauen unerwünschte Folgen haben, vor allem bei Würfen mit vielen männlichen Ferkeln. 

Des Weiteren beeinflusst auch das betriebliche Kastrationsmanagement die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens. Einerseits kommt die Wahl des Ortes für die Kastration und Aufwachphase, ebenso den jeweiligen Transportwegen eine hohe Bedeutung zu. Davon hängt ab, wie viele Personen für die Kastration benötigt werden und mit welchem Zeitaufwand zu rechnen ist. Werden die Narkosemittel intravenös über die Ohrvene verabreicht, muss eine Person bei der Fixierung der Ferkel assistieren. Dies führt entweder zu Verzögerungen beim Ferkeltransport oder erfordert eine zusätzliche Arbeitskraft beim Tierarzt. 

Gegenüber den Arbeitskosten sind die Kosten für Medikamente und Verbrauchsmaterialien bei der Kastration unter Injektionsnarkose eher gering.

Checkliste zur Arbeitsplatzvorbereitung

  • Wärmequellen vorbereiten/einschalten
  • Ggf. Vorbereitung Aufwachraum
  • Gereinigte und desinfizierte Transportbehälter (möglichst fahrbare Behälter oder Transportwagen) für die Ferkel (z. B. Speissfässer oder andere Transportkisten/Behältnisse ohne scharfe Ecken und Kanten mit rutschfesten, saugfähigen Unterlagen)
  • Raumthermometer, Rektalthermometer, Infrarot-Ohrthermometer
  • Ferkelwaage
  • Kastrationsständer oder andere Fixierungsmöglichkeit
  • Desinfektionsspray
  • Spritzen und Kanülen
  • Schmerzmittel (Meloxicam)
  • Narkosemittel (Azaperon + Ketamin)
  • mind. 2 Einmalskalpelle oder einen Skalpellhalter mit Wechselklingen
  • Emaskulator
  • Behälter mit Wasser zur Klingenreinigung und Desinfektionslösung zur Klingendesinfektion
  • Wundspray
  • Abfallbehälter für Hoden
  • Abfallbehälter für gebrauchte Kanülen und Klingen
  • Einmalhandschuhe
  • Verbandskasten
Ferkelverluste vermeiden durch:
  • Optimale Arbeitsplatz- und Wundhygiene (Gefahr von Wundinfektionen)
  • Konsequente Temperaturüberwachung (Überhitzung/Unterkühlung) und Prüfung des Allgemeinzustandes
  • Exakte Dosierung durch Einzeltierwiegung  Unter- und Überdosierung Narkosemittel
  • Einsatz eines Emaskulators (Vermeidung von starken Nachblutungen, v. a. in die Körperhöhle)  
  • Stressvermeidung während des gesamten Kastrationsvorganges, z. B. keine weiteren zootechnischen Maßnahmen (Kupieren der Schwänze, Abschleifen der Eckzähne) vor und nach der Narkose
  • Ausreichend Platz während der Aufwachphase (Erstickungs- und Verletzungsgefahr)
  • Aktivitätskontrolle vor dem Zurücksetzen; Wichtig: nicht zu frühes Zurücksetzen, da u. a. Erdrückungsgefahr, vollständige Bewegungs- und Orientierungsfähigkeit der Ferkel abwarten
  • Beobachtung der Ferkel in den Tagen nach der Kastration (guter Allgemeinzustand, rechtzeitiges Erkennen von Unregelmäßigkeiten).

5. Fazit

Die Injektionsnarkose ist eine der in Deutschland zugelassenen Methoden für die Ferkelkastration unter Narkose. Wichtig ist eine betriebsspezifische Anpassung der Arbeitsabläufe, um das Verfahren sicher durchführen zu können. Hier spielt die optimale Dosierung der Narkosemittel und die Überwachung der Ferkel während der Nachschlafphase eine entscheidende Rolle. Die Arbeitskosten erhöhen sich dadurch, dass die Narkose vom Tierarzt durchgeführt werden muss.
Ein weiteres Merkblatt zur Optimierung der Ferkelkastration unter Inhalationsnarkose mittels Isofluran ist in derselben Reihe erschienen.

6. Weiterführende Literatur

Lambertz C, Albert M, Heckmann S, Häuser S, Gäckler S, Riethmüller A, Reiner G, Kühling J, Richter AE, 2019. Ferkelkastration unter Narkose – Praxiserfahrungen von Öko-Betrieben. BioTOPP, Ausgabe 2, S. 28 – 33.

Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde, 2018. Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration: Stand und Beurteilung im Sinne des Tierschutzgesetzes. DGfZ-Schriftenreihe Heft 74, Bonn. 

Verhaag M, Deblitz, C, 2019. Wirtschaftlichkeit der Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration – Ak­tualisierung und Erweiterung der betriebswirtschaftlichen Berechnungen. Johann Heinrich von Thünen-­Institut, Braunschweig, Thünen Working Paper 110. DOI: 10.3220/WP1542016654000. 

Veit C, Marahrens M, Scharzlose I, Krause ET, Schrader L, 2018. Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration in Deutschland: Überblick zum aktuellen Stand der Forschung. Der Praktische Tierarzt, 99, 798 – 809. DOI: 10.2376/0032-681X-18-30.

Excel-Tool des Thünen-Instituts: https://www.thuenen.de/de/bw/aktuelles-und-service/excel-tool-ferkelkastration/

Steinhoff-Wagner J, Schmid SM, 2019. Narkose bei der Ferkelkastration: Risiken erkennen und minimieren. Praktische Ratschläge für Ferkelerzeuger. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn.

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