DLG-Expertenwissen 07/2022
1. Auflage, Stand 07/2022
Autorin:
Dr. Désirée Schneider, D.Schneider@DLG.org
in Zusammenarbeit mit dem DLG-Fachzentrum Lebensmittel und dem DLG-Arbeitskreis Robotik in der Lebensmittelherstellung
- 1. Einleitung/Aktualität
- 2. Einsatz von Robotern entlang der Supply Chain in der Lebensmittelindustrie
- 3. Art der eingesetzten Roboter in der Lebensmittelindustrie
- 4. Motivation für den Robotereinsatz
- 5. Herausforderungen für den Robotereinsatz in der Lebensmittelindustrie
- 6. Chancen & Limitationen
- 7. Optimierungspotenziale durch kinematische Umkehr
- 8. Die zukünftige Rolle von Robotern in der Lebensmittelkette – praktische Beispiele
- 9. Zusammenfassung und Ausblick
- Literatur
1. Einleitung/Aktualität
Traditionell gilt die Lebensmittelindustrie als technologiearm. Insbesondere nach den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie rückt die Automatisierung jedoch in allen Phasen der Lebensmittelproduktion mit Blick auf die Lebensmittelsicherheit und die Gewährleistung der Lebensmittelversorgung immer mehr in den Fokus. Auch eine objektiv alternde Gesellschaft und der Arbeitskräftemangel beschleunigen die Automatisierung. Die „From-Farm-To-Fork“-Strategie der Lebensmittelkette von der Entstehung (from farm – vom Hof) des Lebensmittels bis zum Verbraucher (to fork – zur Gabel) wird zudem immer komplexer. Die Lebensmittelindustrie ist sehr vielfältig und umfasst viele industrielle Tätigkeiten wie Produktion, Verarbeitung, Verpackung, Vertrieb, Zubereitung, Konservierung und Gastronomie.
Industrieroboter werden in jedem Teil der Lebensmittelkette integriert, um die Produktion zu steigern, ein hochwertigeres Produkt herzustellen und die Erwartungen der Kunden zu übertreffen.
So werden Roboter schon bei der Ernte, aber auch während des Transports der Lebensmittel, in der Lebensmittelproduktion selbst oder im Bereich der Verpackung eingesetzt. Auch wenn der Robotereinsatz in der Lebensmittelindustrie im Vergleich zu anderen Industriezweigen noch relativ gering ist (vgl. auch Abbildung 1), gewinnt der Einsatz jedoch immer mehr an Bedeutung. Der Zweck dieser Ausarbeitung ist es, die Robotik in der Lebensmittelindustrie zu identifizieren, zu analysieren und die Chancen und Risiken des Robotereinsatzes zu beleuchten.
2. Einsatz von Robotern entlang der Supply Chain in der Lebensmittelindustrie
Immer mehr Unternehmen erkennen den Wert der Automatisierung, insbesondere der Robotik, die eine entscheidende Rolle bei der Prozessverbesserung spielt. Eine Minderheit zögert noch mit der Einführung von Robotern. Sie argumentieren, dass dadurch Arbeitsplätze abgebaut werden und die Mitarbeiter ihre wertvollen Fähigkeiten verlieren werden.
Im DLG-Trendmonitor 2020 „Roboter in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie“ geben knapp über die Hälfte der befragten Betriebe (52 %) an, Roboter im Einsatz zu haben; 48 % setzen keine Roboter ein. Vor allem in der Molkereibranche, aber auch in den Branchen Getränke, Fleisch, Wurst und Geflügel sowie Backwaren lässt sich ein klarer Trend hin zum Robotereinsatz erkennen. Dabei ist die Anzahl der eingesetzten Roboter im Betrieb sehr unterschiedlich und schwankt zwischen einem und über 100 Robotern, wie aus Abbildung 2 zu entnehmen ist.
Als Hauptgründe für fehlenden Robotereinsatz werden v. a. die hohen Investitionskosten, Platzprobleme oder dass Roboter derzeit wirtschaftlich nicht interessant sind (siehe auch Abb. 3), genannt.
78 % der Betriebe, die bereits Roboter im Einsatz haben, geben jedoch an, zukünftig die Zahl der Roboter erhöhen zu wollen. Somit wird bei Betrieben mit Robotererfahrung der Trend zu einem weiteren Robotereinsatz deutlich.
Dabei können Robotersysteme entlang der Wertschöpfungskette in fast allen Produktionsschritten eingesetzt werden. Die Supply Chain in der Lebensmittelindustrie kann in die fünf Bereiche, die in Abbildung 4 dargestellt sind, untergliedert werden.
Im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Hochschule Hannover mit dem Thema „Systematik und Vergleich von aktuellen und perspektivischen Einsatzvarianten für Robotik über die gesamte „Supply Chain“ der Lebensmittelherstellung“ wurde eine Systematisierung von existierenden Robotertechnologien in der Lebensmittelindustrie vorgenommen.
Im Rahmen dieser Arbeit wurden 80 Beispiele für den Robotereinsatz in den Bereichen Rohstofflieferung, Lebensmittelherstellung, Verpackung und Handel betrachtet. Dabei stellte sich heraus, dass die meist genutzte Kinematik die des Gelenkarmroboters ist und Roboter insbesondere für „Pick und Place“-Aufgaben eingesetzt werden.
In welchen Bereichen die Roboteranwendungen nach Verarbeitungsvorgang eingesetzt wurden, ist Abbildung 5 zu entnehmen.
Von den 59 betrachteten „Pick and Place“-Beispielen wurden der größte Anteil im Bereich Verpackung eingesetzt. Eine besondere Betrachtung fanden hierbei innovative Roboter, die in der Lage sind, komplexere „Pick and Place“-Aufgaben zu lösen, wie das Handeln sensibler Güter.
Auch bei den verarbeitungstechnischen Aufgaben wie „Trennen, Fügen und Formen“ finden Roboter vermehrt Einsatz. Die Betrachtung der 80 Roboteranwendungen nach Supply Chain-Bereich ist Abbildung 6 zu entnehmen.
3. Art der eingesetzten Roboter in der Lebensmittelindustrie
Definition Roboter
Prinzipiell stellt ein Industrieroboter eine universelle, programmierbare Maschine zur Handhabung, Montage und Bearbeitung von Werkstücken dar. Die Maschine besteht aus einem Manipulator (Roboterarm), einer Steuerung und einem Effektor (Werkzeug, Greifer etc.) am Ende des Armes. [Maier 2019]
Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI), Richtlinie 2860, definiert Industrieroboter folgendermaßen: „Industrieroboter sind universell einsetzbare Bewegungsautomaten mit mehreren Achsen, deren Bewegungen hinsichtlich Bewegungsfolge und Wegen bzw. Winkeln frei (d. h. ohne mechanischen Eingriff) programmierbar und gegebenenfalls sensorgeführt sind. Sie sind mit Greifern, Werkzeugen oder anderen Fertigungsmitteln ausrüstbar und können Handhabungs- und/oder Fertigungsaufgaben ausführen.“
Wie bereits erwähnt, finden v. a. Knickarmroboter (Gelenkarmroboter) und Portalroboter Einsatz in der Lebensmittelindustrie. Dies lässt sich unter anderem anhand des Einsatzspektrums der Knickarm- und Portalroboter erklären. Im Bereich Logistik werden Roboter insbesondere im Einsatzbereich „Palettieren“ verwendet, aber auch im Bereich „Depalettieren“ und „Kommissionieren“. Im Bereich Verarbeitung finden Roboter v. a. Einsatz beim „Positionieren“ und „Sortieren“. Im Bereich Verpackung nimmt das „Umverpacken“ den größten Stellenwert ein. Damit spielen immer noch die Ablösung körperlich schwerer Arbeiten wie das Palettieren eine große Rolle beim Einsatz von Robotern. Dies zeigt sich auch in den genannten Hauptgründen „Personaleinsparung (Automatisierung)“, „Erleichterung der Arbeitsbedingungen am Arbeitsplatz“ und „Kosteneinsparung“ für den Einsatz von Robotern. [DLG-Trendmonitor 2020].
Im Folgenden werden die am häufigsten in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie eingesetzten Grundtypen und darauf aufbauende Sonderformen kurz erläutert.
- Knickarm- oder Gelenkarmroboter (sogenannte „Universalroboter“): Dreidimensional bewegliche Universalroboter, die am häufigsten in der Industrie eingesetzt werden. Ihre Kinematik besteht aus mehreren gelenkig miteinander verbundenen Armgliedern, um Greifer oder Werkzeuge führen zu können. Durch die besondere Beweglichkeit werden sie universell eingesetzt. Reichweite und Traglast sind im Allgemeinen hoch, beschränken aber die Bewegungsgeschwindigkeit bzw. reduzieren höhere Geschwindigkeiten die zulässigen Traglasten.
- Portalroboter (Flächenportalroboter v. a. Maschinenbeschickung, Palettierung): Unter Portalrobotern, auch Lineararm-Roboter genannt, werden aufgeständerte Roboteranlagen verstanden, die durch drei lineare Hauptachsen einen kubischen Greifraum aufspannen. Das kranähnliche System ermöglicht die präzise Bewegung in einem quaderförmigen Raum. Die eigentliche Roboterkinematik bzw. die bewegten Achsen befinden sich oberhalb der Aufständerung. Sie eignen sich besonders gut für Transportaufgaben, da auch das Bewegen sehr schwerer Lasten ermöglicht wird.
- Scara-Roboter (engl. Selective Compliance Assembly Robot Arm) (horizontale Gelenk-, Knickarm- oder Schwenkarmroboter): Werden primär durch in horizontaler Richtung dreh- oder schwenkbare Gelenkarme gebildet, wodurch sie einem vereinfachten menschlichen Arm ähneln. Jedes Armglied ist nur mit einem weiteren Armglied verbunden. Sie sind v. a. für Pick and Place-Handhabung geeignet. Scara-Roboter zeichnen sich durch eine vergleichsweise hohe Drehgeschwindigkeit und Präzision aus.
- Delta-Roboter (Parallelroboter): Spezielle Bauform der sogenannten parallelkinematischen Maschinen. Sie verfügen über drei bis vier Gelenkachsen mit stationären Antrieben (spinnenähnlich). Derartige Roboter können eine sehr hohe Geschwindigkeit und Dynamik erreichen. Allerdings ist bauartbedingt die Traglast vergleichsweise gering. Delta-Roboter übernehmen Aufgaben wie Pick and Place-Anwendungen oder Handhabungs-, Montage- und Verpackungsaufgaben am Fließband.
- Dual-Arm-Robotersysteme: Diese Sonderform von Knick- oder Gelenkarmrobotern besteht aus einem Torso und zwei Roboterarmen (Knickarme). Dadurch ähnelt die Arbeitsweise des Systems der des Menschen. Diese Art von Roboter wird aber derzeit noch selten eingesetzt.
- Kombinierte Robotersysteme: Verschiedene Roboterarten können miteinander kombiniert werden. Z. B. Gelenkarmroboter auf Transportschienen (wird auch in der Landwirtschaft genutzt).
- Autonome mobile Roboter (AMR): Diese Systeme erlauben die Bewegung zu Land, zu Wasser oder zu Luft. Sie verfügen nicht über eine festkörpermechanische Spurführung, sondern über Sensoren zur Detektion der Umwelt, einen Plan des Netzes oder eine vordefinierte Logistik, um ihre vorgegebene Aufgabe durchführen zu können. Der Einsatz erfolgt v. a. zum Transport von Waren, aber auch zur Reinigung, Inspektion oder Erkundung.
- Kollaborierende Roboter (kurz: Cobots) – „der menschliche Kollege“: Die Aufgaben von Roboteranlagen werden immer umfangreicher und komplexer. Um diese erhöhte Komplexität ausrichten zu können, ist die direkte Mensch-Roboter-Kollaboration eine mögliche Lösung. Der Cobot ist ein mobiler oder stationärer Roboter, mit dem Mitarbeitende ohne trennende Schutzeinrichtung Hand in Hand zusammenarbeiten. Cobots müssen in einer Arbeitsumgebung als „Teamkollegen“ gesehen werden. Sie sind so konzipiert, dass sie in unmittelbarer Nähe zum Menschen und mit ihm gemeinsam arbeiten können und so die Aufgaben des Menschen erleichtern. Menschen wird dabei mehr Zeit für höherwertige Tätigkeiten verschafft und sie können mehr Aufsichtsfunktionen wie Qualitätskontrolle übernehmen, während die Roboter bei sich wiederholenden, sicherheitskritischen, körperlich anstrengenden Arbeiten unterstützen, die auf lange Sicht für den Menschen schädlich sein können. [Naciri 2019, Hesse 2010]
Je mehr Menschen und kollaborierende Roboter beginnen, gemeinsam an komplexeren Aufgaben zu arbeiten, desto mehr wird eine effektive Kommunikation zwischen Mensch und Roboter notwendig. Kollaborative Roboter werden so gebaut, dass sie bestimmte Sprachbefehle und Handzeichen ihres menschlichen Teamkollegen erkennen. Interaktivität wird in Zukunft eine wichtige Rolle in der Robotik spielen. [Grobbelaar et al. 2021]
4. Motivation für den Robotereinsatz
Der Einsatz von Robotern bringt mehrere Vorteile mit sich. Auf einige dieser Vorteile soll im Folgenden genauer eingegangen werden.
Schutz des Menschen vor monotonen und gefährlichen Arbeiten
Für Mitarbeitende in Unternehmen werden Schutzmaßnahmen in Bezug auf Sicherheit und Schutz der Gesundheit festgelegt. Dennoch können verschiedene Faktoren ein Risiko für den Menschen darstellen. In Tabelle 1 sind einige Beispiele für solche Gefährdungen dargestellt. Durch den Einsatz von Robotern können die Gefährdungen für den Menschen reduziert oder sogar vermieden werden.
Tabelle 1: Mögliche Gefährdungen des Menschen [nach Naciri 2019]
Gefährdungen | Beispiele | |
Physikalische Belastungen |
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Chemische Belastungen |
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Biologische Belastungen |
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Sonstige Belastungen |
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Psychische Belastungen |
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Vor nicht allzu langer Zeit hielt es niemand für möglich, dass Menschen neben einem Roboter arbeiten. Da die Technologie so verändert wurde, dass Roboter ohne Schutzgitter arbeiten können, können Menschen nun Aufgaben mit Mehrwert und Roboter die sich wiederholenden Aufgaben übernehmen. Sie tragen zum allgemeinen Wohlbefinden des Menschen in einer Arbeitsumgebung bei, die ergonomisch schwierig ist, wie zum Beispiel schweres Heben und wiederholtes Schneiden von Obst und Gemüse. Sie können zu einer deutlichen Verringerung von Muskel-Skelett-Erkrankungen beitragen, die in der Lebensmittelindustrie häufig anzutreffen sind.
Ablösung manueller Vorgänge
Häufig sind manuelle Vorgänge allein durch die Personalkosten teuer und können zudem gefährlich sein. Zudem sind insbesondere monotone, sich täglich wiederholende und manuelle Aufgaben sehr unattraktiv für Mitarbeitende. Der Mensch fühlt sich zu mehr berufen, was zu einem Arbeitskräftemangel führt und den fortschreitenden Robotereinsatz unterstützt.
Produktions- und Qualitätssteigerung
Auch die Präzision, Geschwindigkeit und Effizienz der Systeme sind positive Effekte des Robotereinsatzes, da diese produktions- und qualitätssteigernd wirken können. Über die gesamte Supply Chain der Lebensmittelindustrie finden sich mehrere Faktoren, die das Produkt oder die Produktqualität gefährden könnten. Bereits bei der Rohstoffbeschaffung können menschliche Fehler und Ungenauigkeiten zur Gefährdung des Produktes führen. Beispielsweise kann es zu mikrobiellen Kontaminationen bei nicht Einhaltung des HACCP-Konzepts kommen. Haare, Hautschuppen, Schmutz, Blut, aber auch Viren und Bakterien können die Produktqualität und -sicherheit beeinträchtigen.
Auch durch Unachtsamkeit von Mitarbeitenden kann es zu Qualitätseinbußen kommen. Zum Beispiel können durch unsachgemäße Kontrolle und Sortierung mögliche Fehler oder Schadstoffe nicht erkannt werden, die Reinigung kann nicht ausreichend gründlich durchgeführt worden sein oder durch Nichteinhaltung der Verarbeitungszeiten, z. B. zu langes Backen oder Braten, kann die Produktqualität herabgesetzt sein. Hier kann die Automatisierung vorteilhaft einwirken und durch den Einsatz von Robotern die Produktstabilität erhöht werden.
Erhöhte Produktivität
Der Arbeitskräftemangel kann durch den Einsatz von Robotern gelöst werden. Roboter können stundenlang monotone Arbeiten übernehmen, ermüden nicht und brauchen keinen Urlaub.
Bildverarbeitungstechnologien können Fremdkörper und Defekte erkennen und entfernen. Dadurch können auch Lebensmittel nach Farbe und Form sortiert werden. Mit Hilfe von Laserbeleuchtung lässt sich der Chlorophyllgehalt bestimmen, der anzeigt, ob das Produkt frisch ist oder nicht. Automatisiertes Sortieren, Waschen und Schälen kann die Qualität der Produkte verbessern. Die Robotertechnik verbessert nicht nur den Prozessablauf im Sortierbereich, sondern senkt auch die Kosten erheblich, ohne dass ein Mensch eingreifen muss. [Grobbelaar et al. 2021]
Kostenreduzierung
Verletzungen von Mitarbeitenden kosten Unternehmen der Lebensmittelindustrie jährlich Millionenbeträge. Die häufigsten Verletzungen in der Lebensmittelindustrie sind Verbrennungen, wiederholte (Über-)Belastungen, Schnittwunden und Prellungen. Die Kosten für Verletzungen lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: direkte und indirekte Kosten. Zu den direkten Kosten gehören medizinische Unterstützung, Arbeitnehmerentschädigung und juristische Dienstleistungen. Indirekte Kosten können Produktionsausfälle, Verlust, Einkommensverluste, Wiederbeschaffungskosten und Ausbildungskosten sein.
Unternehmen können die Kosten für die Entschädigung bei Verletzungen senken, indem sie ihre Mitarbeitenden in Sachen Sicherheit schulen und die Sicherheitsverfahren verbessern. Durch den Einsatz von Robotern in der Lebensmittelproduktion lassen sich die Ursachen für verletzungsbedingte Ansprüche reduzieren.
Die Automatisierung kann die Betriebs- und Wartungskosten in der Lebensmittelindustrie senken. Wenn neue Standards eingeführt werden, können die Hersteller, um diese zu erfüllen – zumindest über einen planbaren Zeitraum –, die vorhandene Hard- und Software aktualisieren. Vorbeugende Wartung kann durch Automatisierung unterstützt werden, was die langfristigen Kosten senkt. [Grobbelaar et al. 2021]
Ablösung uneffektiver maschineller Vorgänge/Übernahme neuer Vorgänge
Langsame, störungsbehaftete und qualitätsgefährdende maschinelle Vorgänge können durch gezielte Robotertechnologien ersetzt werden.
Auch neue, bisher nicht vorhandene Vorgänge, die hochflexibel und modular sind, könnten durch den Robotereinsatz implementiert werden.
Umgang mit Pandemien und anderen Ereignissen
Der Einsatz von automatisierten Systemen in verschiedenen Formen kann die kontinuierliche Herstellung und Lieferung von Lebensmitteln auf täglicher Basis sicherstellen, selbst während einer Schließungsperiode (Lockdown). Automatisierte Systeme können ferngesteuert und überwacht werden, ohne dass der Produktionsbereich betreten werden muss. So kann die Fabrik aus der Ferne arbeiten.
Dies kommt der Produktion während der aktuellen COVID-19-Pandemie und künftigen, analogen Situationen zugute, da automatisierte Systeme die Hersteller dabei unterstützen, die Risiken von Personalverlusten oder Lebensmittelkontaminationen zu vermeiden.
5. Herausforderungen für den Robotereinsatz in der Lebensmittelindustrie
Lebensmittel sind aufgrund der natürlichen Rohstoffe bis auf Ausnahmen keine starren Festkörper, oft zerbrechlich und/oder leicht quetschbar (plastisch oder elastisch). Darüber hinaus sind Lebensmittel anfällig für bakterielle Verunreinigungen und ihre Eigenschaften werden stark von Umweltbedingungen wie Temperatur, Feuchtigkeit und Druck beeinflusst. Diese Eigenschaften von Lebensmitteln bringen viele Herausforderungen bei der Entwicklung und dem Einsatz von Robotersystemen mit sich. Auf die wichtigsten wird im Folgenden kurz eingegangen:
Entwicklung von verschiedenen Roboter-Endeffektoren
Die Entwicklung von peripheren Komponenten wie Sensoren, die die Fähigkeit des Roboters „zu fühlen, zu berühren, zu greifen und zu sehen“ verbessern, ist unumgänglich.
Um der großen Vielfalt und den unterschiedlichen Eigenschaften von Lebensmitteln gerecht zu werden, müssen verschiedene Roboter-Endeffektoren (oft kurz Greifer genannt) entwickelt werden. Robotergreifer müssen den Umgang mit der Textur, den unebenen Oberflächen und den uneinheitlichen Formen von Lebensmitteln bewältigen können und die hygienischen Anforderungen erfüllen. Darüber hinaus müssen sich Roboter-Endeffektoren auch an die Lebensmittel anpassen, z. B. an nasse und klebrige Oberflächen. Aus Gründen der Kontamination müssen die Roboter-Endeffektoren so wenig mechanische Komponenten wie möglich enthalten, damit diese nicht in das Lebensmittelprodukt gelangen. Zudem müssen sie mit hoher Geschwindigkeit betrieben werden, um eine angemessene Taktzeit erreichen zu können. Darüber hinaus sollten die Effektoren kostengünstig sein und den Prinzipien des Hygienedesigns entsprechen. Möglichkeiten des Greifens sind in Abbildung 7 dargestellt.
Wird das Greifprinzip betrachtet, sind nur Endeffektoren gut untersucht und kommerzialisiert, die an der Oberseite und Seitenflächen greifen. Endeffektoren, die von der Unterseite und von allen Oberflächen aus greifen, sind hingegen kaum untersucht worden. Solche Endeffektoren sind jedoch für die Handhabung verschiedener Arten von Lebensmitteln erforderlich, insbesondere bei der Handhabung von rutschigen, schweren und flachen Lebensmitteln.
Erkennen von Lebensmitteln
Die Schwierigkeiten bei der Erkennung von Lebensmitteln variieren erheblich je nach Einsatzszenarien. So müssen 2D- oder 3D-Techniken eingesetzt werden, was teilweise noch eine große Herausforderung darstellt.
Grundlegende Informationen
Um eine erfolgreiche Handhabung von Lebensmitteln zu erreichen, kann eine effektive Handhabungsstrategie sehr hilfreich sein. Zum Beispiel muss die Greifkraft klein genug sein, um eine Beschädigung des Lebensmittels zu vermeiden. Sie muss aber auch groß genug sein, sodass das Lebensmittel sicher gehalten wird. Außerdem spielt die Greifgeschwindigkeit eine wichtige Rolle, insbesondere wenn die Viskosität des Lebensmittels berücksichtigt wird.
Grundlegende Informationen, um die korrekten „technischen“ Eigenschaften von Lebensmitteln zu modellieren, wie z. B. Größe, Form, Gewicht, Weichheit, Oberflächenbeschaffenheit, Reibungskoeffizient, Viskoelastizität, Rheologie, Zerbrechlichkeit und Druckempfindlichkeit fehlen jedoch oft.
Forschungen in diesem Bereich sind rar, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Zuhilfenahme eines Roboters. Es gibt spezifische Maschinen oder Geräte zur Messung dieser Eigenschaften, die für Forschungszwecke eingesetzt werden. Leider sind solche Daten für die Roboterhandhabung kaum verfügbar, aber sie sind wichtig für die Entwicklung von Endeffektoren und die Erforschung von Greifstrategien.
Um die Kosteneffizienz eines Roboters zu maximieren, ist es wichtig zu untersuchen, wie viele Kategorien von Lebensmitteln ein Endeffektor verarbeiten kann.
Es ist angesichts der großen Vielfalt unwirtschaftlich, experimentelle Tests für jedes einzelne Lebensmittelprodukt durchzuführen. Daher muss eine Kategorisierung von Lebensmitteln unter dem Gesichtspunkt der Roboterhandhabung vorgenommen werden, um die Entwicklung zu erleichtern.
Auch die Entwicklung spezifischer Datenbanken und digitaler Zwillinge wird künftig helfen. Derzeit gibt es jedoch nur Datenbanken, die sich auf Teilbereiche wie das Nährstoffprofil, die Lebensmittelzusammensetzung und die Lebensmittelinhaltsstoffe beziehen. Es gibt noch keine Datenbanken, die sich direkt auf die Handhabung durch Roboter anwenden lassen. [Wang et al. 2022]
6. Chancen & Limitationen
Hygieneanforderungen an Robotersysteme in der Lebensmittelherstellung
Eine der größten Herausforderungen bei der Automatisierung ist die Einhaltung der HACCP-Normen und damit alle Aspekte der Hygiene in jedem Schritt der Produktion. Daher sollten die Roboter so hergestellt werden, dass sie leicht zu reinigen sind, keine losen Drähte mit den Robotern verbunden sind und das Material, aus dem der Roboter hergestellt ist, muss lebensmittelecht sein.
Bei der Übertragung von Keimen auf Lebensmittel spielt der Mensch eine entscheidende Rolle. Ziel ist es, die Übertragung von Verschmutzungen, Bakterien und Viren auf Lebensmittel durch personalhygienische Maßnahmen zu verhindern oder auf ein Minimum zu reduzieren. Cobots gehören durch die direkte Zusammenarbeit von Mensch und Roboter und die daraus resultierende „offene Produktion“ zu besonders kritischen Prozessen mit hohen hygienischen Anforderungen an die Mitarbeitenden. Ebenfalls zu beachten ist, dass Personen, wie beispielsweise Betriebsfremde, die Reparaturen oder Wartungen an den Cobots vornehmen, eine entsprechende saubere Arbeitskleidung tragen.
Welche Gefahrenquellen bei Lebensmitteln eine Rolle spielen, ist in nachfolgender Tabelle 2 zusammengefasst (nach Ullmer 2015):
Das Risiko, dass ein Lebensmittel kontaminiert wird, ist immer vorhanden, muss jedoch auf ein zulässiges Minimum beschränkt werden. Die Lebensmittelhygiene ist entlang der gesamten Wertschöpfungskette unverzichtbar. Im Folgenden wird jedoch der Fokus auf die Produktionshygiene, speziell auf die lebensmittelverarbeitenden Anlagen, gelegt.
Tabelle 2: Gefahrenkategorien bei Lebensmitteln [nach Ullmer 2015, Makowski 2021]
Kategorie | Beschreibung | Beispiele |
Biologische Gefahren | Unerwünschte Mikroorganismen, Krankheitserreger oder von Mikroorganismen produzierte Toxine, die in das Produkt gelangen oder sich im Produkt entwickeln können. | Schimmelpilze, Hefen, Bakterien, Viren, Schädlinge etc. |
Chemische Gefahren | Unerwünschte chemische Substanzen, die das Erzeugnis für den Verbraucher unsicher machen. Diese Gefahren können in Rohstoffen bereits vorhanden sein oder während der Produktion, Lagerung und Transport in das Erzeugnis gelangen oder darin entstehen und dieses verunreinigen. | Pestizide, Schwermetalle, Acrylamid, Umweltschadstoffe, Dioxine, Schmierstoffe, Reinigungsmittel, Additive aus Verpackungsmaterialien, Druckfarben |
Physikalische Gefahren | Fremdbestandteile, die in Rohstoffen vorhanden sein oder die während Produktion, Lagerung und Transport in das Produkt gelangen können. | Fremdkörper, insbesondere Splitter oder Partikel von Glas, Kunststoff, Holz, Metall, Verpackungsmaterial |
Hygienic Design (kurz HD)
Hygienic Design (Hygienische Gestaltung) beschreibt eine reinigungsgerechte Gestaltung von Baukomponenten, Geräten und Produktionsanlagen in der Lebensmittelherstellung. Auch Robotersysteme müssen für den Einsatz mit Lebensmitteln den fachlichen und rechtlichen Vorgaben entsprechen.
Für die Bewertung und hygienegerechte Gestaltung müssen folgende technologischen Aspekte beachtet und umgesetzt werden:
Konstruktionswerkstoffe beeinflussen die Reinigung und bestimmen die Herstellungsmöglichkeit. Bei Nahrungsmittelmaschinen kommen aus Sicht der hygienischen Gestaltung nach der EU-Maschinenrichtline weitere Anforderungen dazu. Werkstoffe von Teilen, die mit den Produkten in Berührung kommen oder kommen können, müssen den betreffenden Richtlinien entsprechen. Dazu zählen, dass diese physiologisch unbedenklich sind, von ihnen darf keine Migration unzulässiger Materialbestandteile in die herzustellenden Lebensmittel erfolgen, die Oberflächen müssen mit der erforderlichen Oberflächenqualität fehlerfrei herstellbar sein und die Oberflächenqualität sollte sich während der Lebensdauer der Werkstoffe möglichst nicht verschlechtern.
Die verwendeten Schmiermittel in mechanischen Gelenken müssen alle lebensmittelrechtlichen Anforderungen auf nationaler und internationaler Ebene erfüllen, gesundheitlich unbedenklich sein und dürfen keinen Einfluss auf die Sensorik haben.
Bei der Ausführung der Oberflächen sind die grundlegenden Kriterien bei der Gestaltung von Anlagen, Apparaten, Bauteilen und Geräten nach hygienischen Gesichtspunkten zu beachten. Die leichte Reinigbarkeit kann bspw. durch die Einhaltung bzw. Beachtung grundlegender Konstruktions- und Gestaltungsprinzipien erfüllt werden. Dazu gehören zum Beispiel die Herstellung geeigneter, ausreichend glatter Mikrostrukturen an produktberührten Oberflächen in Abstimmung mit den charakteristischen Eigenschaften der verwendeten Werkstoffe, die Vermeidung von Poren, Rissen und Spalten jeglicher Art und eine strömungsgünstige Gestaltung von Produktbereichen.
Das Schweißen ist die am meiste verwendete Verbindungsart für Edelstahl im Apparatebau der Lebensmittelindustrie. Bei allen schweißbaren Werkstoffen bietet eine Schweißverbindung eine optimale technische und bei entsprechender Ausführung nach HD Standards auch mikrobiologische Sicherheit.
Lösbare Verbindungen (v. a. Schraubverbindungen) sollten nur eingesetzt werden, wenn das Demontieren bzw. Lösen von Bauelementen unbedingt erforderlich ist. An solchen Verbindungen entstehen aus hygienischer Sicht eine Vielzahl von Problemstellen. Diese hängen mit den Verbindungen der Bauteile, den Formen von Schraubköpfen und Muttern sowie den Toleranzen in den Gewinden bzw. den Bohrungen zusammen.
Die häufig sensibelsten Elemente im Hinblick auf reinigungsgerechte Gestaltung sind produktberührende Dichtungen. Sie bestehen oft aus Elastomeren und Gummis, die sich bei Temperaturschwankungen ausdehnen oder zusammenziehen können. Dies kann zu Undichtigkeit und Kontaminationen führen.
In der Praxis sind oft nicht unmittelbar sichtbare Rekontaminationen von Produktchargen durch nicht hygienegerechte Dichtstellen vorhanden. Die Reinigung und Sterilisation ist an diesen Problemstellen oft nicht zuverlässig. In der Praxis sind viele Kontaminationen auf eine nicht erfolgreiche Reinigung von Spalten, Toträumen von Dichtungen und in Rissen von Dichtungen zurückzuführen. Rückrufaktionen von kontaminierten Produkten können jedoch zu hohen Kosten führen.
Von entscheidender Bedeutung für die Reinigung von Anlagen, Komponenten und Apparaten ist die konstruktive, HD gerechte Gestaltung der Geometrie von Oberflächen im Produktbereich. Oberflächen müssen glatt, kontinuierlich durchgehend oder abgedichtet sein. Winkel und Ecken sollten ausgerundet werden, Stufen, Spalten sowie Toträume vermieden werden und die Entleerbarkeit sichergestellt sein.
Neben den technologischen Aspekten gibt es auch produktspezifische Risikofaktoren. Bei einem Roboter, von dem ursprünglich keine Gefährdung ausgeht, kann es dann zu einem hygienischen Risiko kommen, wenn ein Lebensmittel auf der Anlage produziert wird. Dabei sind alle Wechselwirkungen zwischen dem Robotersystem und dem Lebensmittel zu berücksichtigen. So greifen z. B. nicht pH-neutrale Lebensmittel vorgenannte Dichtungen, Einhausungen und allgemeine Oberflächen an. Die hygienische Sensibilität ist umso höher, je höher die Verderblichkeit des Produktes ist bzw. je stärker die Vermehrung pathogener Keime gefördert wird.
Zudem spielt bei der Risikobeurteilung als weitere Basisgröße die Reinigung von produktberührten Bereichen eine Rolle, weil das Produktrisiko dadurch reduziert und evtl. sogar eliminiert werden kann. [Hauser 2008, Makowski 2021] Andererseits ist auch die Auswirkung der Reinigungsmedien auf das Robotersystem zu berücksichtigen.
Neben den zu realisierenden hygienischen Aspekten gilt es auch, einen Fremdkörpereintrag (z. B. Metalle, Glas- oder Holzsplitter, Fliegen, Dichtungsteile etc.) in Lebensmittel u. a. durch die Identifikation und Vermeidung potentieller Eintragswege sicher zu verhindern.
Verpackung
Bei der Unterteilung Primär-, Sekundär- und Endverpackung ist aus mikrobiologischer Sicht zu berücksichtigen, dass die Primärverpackung direkten Kontakt mit dem Lebensmittel hat. Aufgrund dessen ist die Primärverpackung als besonders kritisch anzusehen. An Sekundärverpackungen (Sammelpackungen) und Endverpackungen werden kaum noch mikrobiologische Anforderungen gestellt. Verdeutlicht wird es am folgenden Beispiel:
Käsescheiben werden mit Hilfe eines Delta-Roboters mit dem Pick and Place-Vorgang aufgenommen und präzise in die dafür vorgesehene Verpackung, z. B. Blister, gelegt (Primärverpackung).
Beispiele für Sekundärverpackungen (Sammelverpackungen) sind das Einlegen (Topload) der Käseblister mit Hilfe von Scara-Robotern in Versandschachteln oder das Befüllen von Mehrwegboxen mit Knickarmrobotern. Die Palettierung der Versandschachteln mit Hilfe eines Knickarmroboters ist ein Bespiel für eine Endverpackung.
Delta-Roboter haben durch ihre Parallelkinematik Vorteile. Durch die schräg vertikal verlaufenden Arme wird verhindert, dass sich Produktrückstände ansammeln können oder Reinigungsmittel zurückbleiben. Portalroboter und Scara-Roboter haben den Nachteil, dass Produktreste oder Reinigungswasser durch die horizontalen Flächen schlecht abfließen können. Außerdem ist das Abdichten des Portalroboters über längere Wegstrecken deutlich schwerer umzusetzen. Bei Knickarmrobotern sind viele bewegliche Teile aus hygienischer Sicht zu beachten.
Instandhaltung der Roboter
Robotersysteme müssen den Gegebenheiten in der Lebensmittelherstellung, wie z. B. einer nassen, kühlen Umgebung und einer hohen Luftfeuchtigkeit, Reinigungs- und Desinfektionsmitteln mit unterschiedlichen pH-Werten standhalten. Eine Gefährdung der Lebensmittel durch die Ablösung von Materialien wie beispielsweise Farbanstriche, Glassplitter oder Korrosionen muss ausgeschlossen sein. Eine fachgerechte Instandhaltung ist zudem wichtig für den Arbeitsschutz.
Reinigung und Desinfektion
In lebensmittelherstellenden Betrieben haben Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen zum Ziel, Kontaminationsketten zu unterbrechen. Produktionsrückstände wie Proteine bei der Fleisch-, Fisch- und Milchverarbeitung oder tierische und pflanzliche Fette, aber auch Kohlenhydrate, Tannine, anorganische Verschmutzungen (z. B. Calciumphosphat, Wasserhärte…), Stabilisatoren und Emulgatoren müssen entfernt werden. Wie bereits beschrieben, sollten die eingesetzten Roboter beständig gegenüber den Reinigungs- und Desinfektionsmitteln sein. Zur Reinigung und Desinfektion bedarf es geschultes Personal, welches die Schwachstellen (z. B. Ecken, Dichtungen…) des Roboters kennt.
Durch den Einsatz von Robotern in der Reinigung und Desinfektion verringert sich jedoch gleichzeitig die Gefahr einer Kontamination durch Personal, da das Personal keinen direkten Kontakt zu den Lebensmitteln hat und stattdessen die Arbeiten von Robotern übernommen werden. Die Reinigung erfordert hohe Sorgfalt und damit hohen Zeitaufwand inkl. der damit verbundenen Personalkosten. Der Einsatz von Robotern, die ihren strikt programmierten Prozess abarbeiten, kann Verunreinigungen vorbeugen und auch Kosten reduzieren. Beispielsweise werden in der Medizin mobile Systeme eingesetzt, die mit Hilfe von UV-Strahlung Oberflächen von mikrobiellen Belastungen befreien. Hier gilt es Kosten und Nutzen abzuwägen. [Brünger 2021]
7. Optimierungspotenziale durch kinematische Umkehr
Die kinematische Umkehr beschreibt die Veränderung der Bewegungsmuster von zwei Objekten zueinander. In der Robotik beschreibt sie die Umkehr von Bewegungen von dem Werkzeug, das sich zum Gut bewegt, hin zum Gut, das sich zum Werkzeug bewegt. Ziel dieser Umstrukturierung ist z. B. eine Erhöhung der Effizienz, eine Optimierung des Ressourcenverbrauchs (Platz, Energie oder Zeit) oder Verbesserungen von Sicherheits- und Hygienebedingungen.
Die Entwicklung von Kosten für Robotik zeigt einen sinkenden Verlauf. Der sich außerdem stark vergrößernde Markt an Robotern bietet immer mehr Lösungen für verschiedene Anwendungsbereiche und bedient damit inzwischen auch immer mehr spezielle Lösungen. Kinematische Umkehr könnte hier mit unterschiedlichen Lösungen behilflich sein. Generell lässt sich feststellen, dass der Einsatz von kinematischer Umkehr dann sinnvoll ist, wenn Werkzeug oder Gut trotz der kleineren Masse des Gegenstücks bewegt wird. Auch das Zusammenführen gleichartiger Bewegungen kann wertvoll sein. Statt gleichartige Bewegungen nacheinander auszuführen, können die Bewegungen parallel abgearbeitet und somit Ressourcen gespart werden.
Aufgrund des aktuellen Trends der steigenden Energiekosten sind jedoch Aussagen bezüglich Kosten und Nutzen immer individuell zu betrachten und zu prüfen. [Brünger 2021]
8. Die zukünftige Rolle von Robotern in der Lebensmittelkette – praktische Beispiele
Vor einigen Jahrzehnten hielt es niemand für möglich, dass Menschen und Roboter als Team zusammenarbeiten. Früher erfüllten Roboter nur eine einzige Aufgabe und wurden regelrecht „verbarrikadiert“, um den Menschen nicht zu gefährden. Die Zukunft der Zusammenarbeit von Robotern und Menschen (HRI oder Human Robotic Interaction) in einer Arbeitsumgebung scheint vielversprechend und schreitet weiter voran.
Cobots benötigen nicht den gleichen Platzbedarf wie ein Standardindustrieroboter. Sie sind so konzipiert, dass sie neben dem Menschen auf engem Raum arbeiten, die menschlichen Fähigkeiten verbessern und Prozesse optimieren können. Über eingebaute Sensoren sind diese sehr sicher und weitaus zuverlässiger als Roboter der Vergangenheit. Cobots sind vollkommen mobil und können ohne jede Anstrengung von einem Ort zum anderen gelangen.
Die kollaborativen Roboter gewinnen von Tag zu Tag an Interesse in der Branche. Weitere Entwicklungen spielen zudem eine entscheidende Rolle. Einige Beispiele sind in Tabelle 3 kurz zusammengefasst.
Tabelle 3: Roboter und die neuesten Entwicklungen in der Lebensmittelkette in 2020
[Beispiele nach Grobbelaar et al. 2021]
Beschreibung | Merkmale | Einsatz v. a. in folgenden Branchen |
Drohnen | Drohnen verschaffen den Landwirten einen Überblick über ihre Landwirtschaftsflächen und helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen, die die Ernteproduktion maximieren, indem sie fortschrittliche Sensoren und Bildgebungstechnologien, Hyperspektral- und Wärmebildtechnik nutzen. | Landwirtschaft |
Cobots | Cobots können die Euter von Kühen desinfizieren, ohne ein Risiko für Mensch und Tier darzustellen, die Kuh erfolgreich melken sowie Eier aus dem Hühnerstall holen. | Milchvieh- und Geflügelbetriebe, Lebensmittelproduktion, Verpackung und Palettierung |
Bildgesteuerte Roboter | Bildverarbeitungsgesteuerte Roboter werden für die Sortierung nach Farbe, Form oder Größe eingesetzt, und die verbesserte Greifertechnologie kann bei empfindlichen Produkten helfen, wie z. B. bei der Pizzaproduktion und bei Keksen. | Bäckerei, Snackindustrie |
Verpackungsroboter | Verpackungsroboter können Verpackungen öffnen, befüllen, verpacken, versiegeln und für den Versand an den Endverbraucher korrekt etikettieren. | Massenproduktion |
Landwirtschaft
Die Welt braucht mehr Nahrungsmittel, da die Weltbevölkerung wächst. Das Interesse der jungen Generation, in landwirtschaftlichen Betrieben zu arbeiten, nimmt ab, was zu einem Arbeitskräftemangel in den landwirtschaftlichen Betrieben weltweit führt. Die Robotik kann den Arbeitskräftemangel z. B. beim Melken und Füttern von Milchvieh und beim Einsammeln von Eiern auf dem Hof beheben. Roboter können ein wichtiger Beitrag sein, um die Nahrungsmittelkrise einzudämmen.
Das richtige Timing und die richtige Handhabung von Früchten sind das A und O bei der Obsternte. Obst und Gemüse lassen sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Größen und Formen nur schwer mit einem Roboter handhaben. Außerdem muss sehr vorsichtig gearbeitet werden, um Schäden zu vermeiden. Die Forschung von flexiblen Greifern für zum Beispiel Himbeeren und Erdbeeren schreitet voran.
Lebensmittelherstellung/-verarbeitung
Die Anforderungen der Kunden ändern sich aufgrund der zunehmenden Informationen ständig. Cobots können die Flexibilität in der Fertigung verbessern und die körperliche Arbeit verringern.
Auch in Schlachthöfen finden Roboter Einsatz. Aufgrund der Art der Arbeit in dieser Branche wird die Robotik getrennt vom Menschen eingesetzt, um das Risiko für die Mitarbeitenden zu senken. Schlachtkörper sind sehr unterschiedlich und variieren in Größe, Form und sogar in der Anzahl der Rippen. Einige Tätigkeiten im Schlachtvorgang sind einfacher zu automatisieren als andere. Zum Schneiden von Rippen wird eine Hochgeschwindigkeitskreissäge benötigt, was eine sehr gefährliche, sich wiederholende Arbeit ist. Wenn das Personal ermüdet oder durch persönliche Probleme abgelenkt ist, steigt das Risiko für Verletzungen. Roboter können Abhilfe schaffen.
Eine beeindruckende Anwendung ist die robotergestützte Kuchendekoration. Dabei wird ein Roboterarm ähnlich wie ein 3D-Drucker eingesetzt, um Zuckerguss auf einen Kuchen zu spritzen. Die menschliche Kreativität kann dadurch aber nicht ersetzt werden.
Lebensmittelverpackung
Es gibt immer weniger Arbeitskräfte, die bereit sind, das Verpacken und Palettieren von Lebensmitteln als Arbeit zu übernehmen. Immer mehr Lebensmittelproduktionsbetriebe setzen Roboter zum Verpacken und Palettieren ein. Sie verringern die monotonen, sich wiederholenden Aufgaben des Menschen sowie die allgemeine Gesundheitsbelastung des Personals. Es wird geschätzt, dass mehr als 90 Prozent der Lebensmittelhersteller bereits Roboter einsetzen, die sie bei dieser Aufgabe unterstützen. Roboter können sowohl bei der Primär-, Sekundär- als auch Tertiärverpackung eingesetzt werden.
Lieferservice
Lieferroboter haben ein geringes Gewicht und können Bestellungen bis zu 10 kg autonom ausliefern. Sie sind z. B. mit 360-Grad-Kameras ausgestattet und sollen sich gleichermaßen durch Straßen als auch unebenes Gelände navigieren und bewegen können.
Drohnen wurden in ländlichen Gebieten für die Lieferung von medizinischen Gütern bereits erfolgsversprechend getestet. Drohnen, die Lebensmittel und kritische Medikamente in verschiedene Gebiete liefern, sind denkbar. Es müssen jedoch noch weitere Forschungen und Tests durchgeführt werden, bevor dies zu unserem Alltag gehört.
9. Zusammenfassung und Ausblick
In anderen Industriezweigen, insbesondere in der Automobilindustrie, ist die Anzahl an Fertigungsrobotern groß, jedoch gewinnt auch der Einsatz von Robotern in der Ernährungsindustrie immer mehr an Bedeutung. Insbesondere im Bereich der Landwirtschaft (Rohstofflieferung), aber auch im Bereich Konsum (Catering) wird Forschungsarbeit in die Entwicklung von Robotern gesteckt, um eine erfolgreiche Automatisierung zu erzielen. Die Entwicklung in diesem Bereich hängt vorrangig mit dem Mangel an Arbeitskräften zusammen. Trotz neuartiger Entwicklungen an Lösungen ist der Bedarf weiterhin hoch.
Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter findet zunehmend industrielles Interesse. Dies bringt eine fortschreitende Entwicklung an Cobots mit sich.
In der Lebensmittelindustrie werden Robotersysteme besonders im Verpackungsbereich benutzt, um den Menschen bei monotonen und körperlich schweren Arbeiten zu entlasten. Bei der Produktherstellung müssen jegliche Risikofaktoren beachtet werden, die das Lebensmittel aus hygienischer Sicht beeinträchtigen könnten.
Doch Roboter können den Menschen nie komplett ersetzten. Bis heute können Roboter keine Kreativität und Leidenschaft oder Liebe zum Essen erzeugen. Roboter werden vorzugsweise für gesundheitsgefährdende und/oder monotone, sich wiederholende Arbeiten eingesetzt.
Beim Einsatz von Robotern in der Lebensmittelindustrie müssen zahlreiche Anforderungen beachtet werden, insbesondere im Bereich der Hygiene. Doch neben den Risiken bringt der Einsatz von Robotern auch viele Chancen mit sich. Der wachsende Bedarf an Produktionsverbesserungen, die ständige Notwendigkeit, Aufgaben schneller zu erledigen, die vielen Herausforderungen des Arbeitskräftemangels und die immer höher werdenden Kundenanforderungen in Bezug auf die Produktkonsistenz können für den Einsatz von Robotern sprechen.
Wie jede strategische Entscheidung ist auch die Investition in die Robotik für jedes Unternehmen ganzheitlich zu betrachten.
Literatur
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- Ullmer, D: HACCP. Antworten auf die häufigsten Fragen aus der Praxis. Fragen und Antworten. Hamburg, Behr´s Verlag, 2015
- Wang, Z; Hirai, S; Kawamura, S: Challenges and Opportunities in Robotic Food Handling: A Review. Frontiers in Robotics and AI. 8:789107, 2022. doi: 10.3389/frobt.2021.789107
- Weiß, M: 5. DLG Forum FoodTec – Vortrag: „Integration von Robotern in bestehende Lebensmittelanlagen – Lokalisation von Potenzialen und Erschließungsaufwand über die gesamte Prozesskette“, 2016
Kontakt
Simone Schiller - Geschäftsführerin DLG-Fachzentrum Lebensmittel - Tel: +49 69 24788-390 S.Schiller@DLG.org