Reisebericht zur German Young Agricultural Experts Delegation nach China
Zwischen Tradition und Innovation: Einblicke in Chinas Landwirtschaft der Zukunft
Vom 14. bis 24. Oktober bot sich mir und elf weiteren landwirtschaftlichen Fachkräften die besondere Gelegenheit, als Teil der German Young Agricultural Experts Delegation nach China zu reisen. Die Exkursion, organisiert von der DLG International in Zusammenarbeit mit dem chinesischen Landwirtschaftsministerium (MARA) sowie dem Centre of International Cooperation Service (CICOS), ermöglichte den Teilnehmenden, Einblicke in die moderne Landwirtschaft Chinas zu gewinnen. Im Rahmen der Reise wurden die Hauptstadt Peking sowie die Provinz Jiangsu besucht. Dabei wurden Vertreter führender landwirtschaftlicher Betriebe, Universitäten sowie die Sino-German Agricultural Week, eine agrarwissenschaftliche Fachkonferenz, besucht. Die täglichen Eindrücke und Erkenntnisse waren vielfältig und zeigten, dass sich die chinesische Landwirtschaft trotz großer Herausforderungen dynamisch weiterentwickelt.
Tag 1 & 2: Ankunft, Austausch und Einblicke in Chinas landwirtschaftliche Innovationen
Nach der Ankunft in Peking wurden wir von Vertretern des chinesischen Landwirtschaftsministeriums empfangen. Am Abend fand die Welcome Ceremony statt, bei der das Austauschprogramm vorgestellt wurde. Seit 2015 nahmen über 180 Teilnehmende und 160 Institutionen an dem Kooperationsprojekt teil. Unsere Gruppe – bestehend aus Studierenden, Industrievertretern und Praktikern – war die erste deutsche Delegation seit der Pandemie. Bei einem gemeinsamen, traditionell chinesischen Abendessen konnten wir uns kennenlernen und erstmals fachlich austauschen.
Am nächsten Morgen startete unser erster Exkursionstag mit einem Besuch an der China Agricultural University (CAU) - mit 70.000 Studierenden Chinas größte und bekannteste Agraruniversität. Hier besichtigten wir das Institut für Drohnen- und Pflanzenschutztechnik. Die Vorträge gaben Einblicke in die chinesische Strategie zur Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Das Institut entwickelt zudem vollautomatische Maschinen für den Obst- und Reisanbau, die autonom durch die Felder navigieren können. Es war interessant zu erfahren, dass Deutschland und China in diesem Bereich schon lange eng zusammenarbeiten. Insbesondere die Universität Hohenheim, an der ich aktuell Agrarwissenschaften studiere, ist in gemeinsame Entwicklungs- und Forschungsprojekte zur Pflanzenschutztechnik involviert. Diese Technologien sind für China von entscheidender Bedeutung, da das Land weltweit der größte Verbraucher von Pflanzenschutzmitteln ist. Eine angestrebte Reduktion um nur 20 % soll die Umweltbelastung und den Druck auf die Biodiversität erheblich mindern.
Im Anschluss stand eine Besichtigung des Lehr- und Forschungsmuseums für Futtermittel der Universität auf dem Programm. Dabei konnten interessante Einblicke in die Futtermittelproduktion und den Futtermittelverbrauch gewonnen werden. Bei einem Pro-Kopf-Verbrauch von rund 120 kg Fleisch jährlich in China ist die Futtermittelproduktion von beeindruckender Höhe. Die Ausstellung verdeutlichte zudem die immense Bedeutung von (in Deutschland teilweise nicht mehr verwendbaren) Zusatzstoffen und Innovationen für die Deckung dieser enormen Nachfrage. Am Nachmittag hatten wir die Gelegenheit, die Chinese Association of Animal Science and Veterinary Medicine zu besuchen. Wir erhielten umfassende Einblicke in Chinas Fleisch- und Milchproduktion. Die Zahlen belegen, dass China 45 % des globalen Schweinefleischs und 26 % der weltweiten Fleischproduktion aller Tierarten stellt. Die Geflügelproduktion hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Insbesondere als Reaktion auf die Afrikanische Schweinepest, die viele kleinere Betriebe schwer getroffen hat, haben sich immer mehr große Agrarbetriebe gebildet.
Die 20 größten Betriebe halten aktuell 25 % aller Schweine. Auch die Milchwirtschaft verzeichnet ein Wachstum und birgt Potenzial. Allerdings kann die Inlandsproduktion den steigenden Bedarf hier nicht vollständig decken. Verdeutlicht wurde auch, dass die chinesische Tierproduktion in eine "grüne" und qualitätsorientierte Transition übergehen soll. Im Fokus steht dabei eine effizientere und robustere Versorgung. Die Definition einer "grünen" und qualitätsorientierten Transition, wie wir sie in Deutschland verfolgen, ist jedoch nicht vergleichbar. Haltungsstufen 2, 3, 4 und 5 werden angesichts des Hauptziels der Ernährungssicherung nicht angestrebt.
Jannik Luk Heckel
Hauptpreis DLG Young Talents Award 2024
Jannik Luk Heckel stammt aus Landau in der Pfalz, ist gelernter Landwirt und Student im Bachelorstudium Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim. Die Auswahlkommission stellte sein sehr breit aufgestelltes ehrenamtliches Engagement unter anderem als Team Captain im Junge DLG/Team Hohenheim und sein ausgeprägtes Interesse am Blick über den Tellerrand besonders heraus. So wurde auf seine Initiative hin eine gemeinsam mit einem Kommilitonen selbst organisierte praktische Lehreinheit als Zusatz zum „Grundmodul Anatomie der Nutztiere“ ins Leben gerufen, die mittlerweile fest im Lehrplan etabliert ist.
Tag 3: Chinas Agrarpolitik und Hightech-Pflanzenproduktion in der JD Plant Factory
Am Morgen des dritten Tages hörten wir einen Vortrag von Professor Li Xiande von der Chinese Academy of Agricultural Science (CAAS). Er stellte die Struktur und die Herausforderungen der chinesischen Landwirtschaft vor, die mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von nur 0,6 Hektar pro Betrieb (Stand 2011) immer noch auf sehr kleinem Raum arbeitet. Der Anteil der ländlichen Bevölkerung ist dabei mit 34,8 Prozent und rund 491 Millionen Menschen immer noch sehr hoch. Dennoch trägt die Landwirtschaft nur 7,3 % zum BIP bei, während 24,1 % der Arbeitskräfte in diesem Sektor beschäftigt sind. Bei Getreide, Reis, Gemüse und Fleisch liegt das Land an der Spitze der jährlichen Produktion. Gleichzeitig wachsen die Agrarimporte schneller als die Exporte, was zeigt, dass die Nachfrage nicht allein durch die eigene Produktion gedeckt werden kann. Ein weiterer Schwerpunkt war die Strategie der „Rural Revitalization“, die darauf abzielt, ländliche Regionen durch sektorübergreifende Entwicklung und moderne Technologien zu stärken. Besonders spannend war zudem der Einblick in Chinas Subventionsreformen zur Förderung von Bodenfruchtbarkeit und Nachhaltigkeit. Am Nachmittag besuchten wir die JD Plant Factory, die größte Hydroponikanlage Chinas. Die Anlage kombiniert natürliches und künstliches Licht in einem kontrollierten System, das jährlich etwa 300 Tonnen Blattgemüse produziert. Durch die Kombination von Hydroponik und computergesteuerten Wachstumsbedingungen aus Temperatur und Kühlsteuerung bietet die Fabrik einen Lösungsansatz für den geschützten Gemüseanbau unter allen Bedingungen. Im Gegensatz zur herkömmlichen Blattgemüseproduktion auf dem Feld ermöglicht das System eine ressourcenschonende Gemüseproduktion ohne Erde und Pflanzenschutzmittel. Der Betrieb wird vor allem zu Schulungszwecken genutzt und soll als Grundlage für den Bau weiterer solcher Anlagen dienen.
Tag 4: Nachhaltige Kreislaufwirtschaft und Mastrinderhaltung auf der Doudian Eco Farm
Am vierten Tag führte uns eine Exkursion zur Doudian Eco Farm, einem staatlichen Modellbetrieb für Landwirtschaft und Kreislaufwirtschaft. Der 90 Hektar große Betrieb teilt sich auf in 80 Hektar Getreideanbau (Weizen und Mais) und 10 Hektar Mastrinderhaltung. Von der Futteraufbereitung über die Fütterung bis hin zur Tiergesundheit setzt die Doudian Farm auf hohe Mechanisierung, teilweise auch mit deutschen Fabrikaten. Ein zentraler Aspekt des Betriebes ist die nachhaltige Kreislaufwirtschaft: Der Mist der 6.000 Angus- und Limousin-Rinder wird zu Kompost verarbeitet, der - zusätzlich mit Stickstoff angereichert - als Dünger das Wachstum von Weizen und Mais fördert. Auch Bioabfälle aus der Region wie Gemüseabfälle und Laub werden hier in einem Fermentationsprozess zu Biodünger umgewandelt, so dass jährlich 50.000 Tonnen Kompost entstehen. Der Getreideanbau erfolgt in einer „Double cropping“ Fruchtfolge mit Weizenanbau über die Wintermonate und Silomais im Sommer. Die zweimalige Ernte bringt Erträge von ca. 650-750 kg Weizen pro mu (0,07 ha) bei 28% Feuchte und 60 tFM im Silomais. Beim Pflanzenschutz setzt die Farm auf eine Kombination aus chemischen, biologischen und physikalischen Methoden, wie z.B. UV-Lampen zur Insektenbekämpfung. Die Düngung erfolgt über den selbst produzierten Kompost und eine Harnstoffgabe, die mittels der Wassergabe auf den Feldern ausgebracht wird. Abgerundet wird das Städtekonzept durch einen eigenen Halal-Schlachthof in Doudian, der den Tieren einen stressärmeren Transport von nur drei Kilometern ermöglicht. Die Rinder erreichen in 26 bis 30 Monaten ein Gewicht von 850 bis 950 kg und werden für den dortigen muslimischen Markt halal geschlachtet.
Tag 5: Besichtigung der Chinesischen Mauer und Blick auf die Verbotene Stadt
Am fünften Tag besuchten wir die Chinesische Mauer bei Badaling, ein beeindruckendes Bauwerk, das einen weiten Blick über die umliegende Landschaft und die Stadt Peking bot. Anschließend erkundeten wir das Stadtzentrum und besuchten einen botanischen Garten, von dem aus man einen guten Blick auf die Verbotene Stadt hatte.
Tag 6 und 7: Ankunft in Yancheng und Start der Sino-German Agricultural Week
Der sechste Tag begann mit einer Fahrt im Hochgeschwindigkeitszug von Peking in die Provinz Jiangsu nach Yancheng. Mit Geschwindigkeiten von bis zu 300 km/h und pünktlich bot sich ein Einblick in die landwirtschaftlich geprägte Landschaft: Winterweizen- und Reisanbau dominierten das Bild, ergänzt durch die Ernte und Trocknung von Mais, der in großen Gittertrocknern nachgetrocknet wird. Die Feldbearbeitung zeigte eine Mischung aus Handarbeit und maschineller Unterstützung, während zahlreiche Gewächshäuser und zum Teil auch Agroforstsysteme die Strecke säumten. Auffallend waren die großen Wohnsiedlungen und Hochhäuser, die sich mit der Agrarlandschaft abwechselten. Am Abend trafen wir in Yancheng ein, wo am nächsten Tag die Sino-German Agricultural Week eröffnet wurde. Am siebten Tag nahm die Delegation an der feierlichen Eröffnung der Sino-German Agricultural Week teil. Moderiert wurde die Veranstaltung von SUI Pengfei, Direktor der Abteilung für internationale Zusammenarbeit im chinesischen Landwirtschaftsministerium. Zu den hochrangigen Rednern gehörten LI Jinghui vom chinesischen Landwirtschaftsministerium, die deutsche Staatssekretärin Silvia Bender vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, XIA Xinmin, Vizegouverneur der Provinz Jiangsu, die deutsche Botschafterin Patricia Flor sowie der stellvertretende Parteisekretär der Stadt Yancheng, WU Wei. Der Vormittag wurde mit Keynote Speeches fortgesetzt, darunter die Vorträge „Keep It Complex - How to Heal the System, Not Treat the Symptoms“ und „Sustainable Development in China‘s Agriculture“. Am Nachmittag trafen wir uns mit Staatssekretärin Silvia Bender und der deutschen Botschafterin Patricia Flor, um über das Austauschprogramm zu sprechen. Der Nachmittag war dann dem Networking und der Besichtigung der Stadt Yancheng gewidmet.
Tag 8: Exkursionen und Abschluss der Sino-German Agricultural Week
Am achten Tag der Sino-German Agricultural Week standen verschiedene Exkursionen und Besichtigungen in der Region Yancheng auf dem Programm. Der Tag begann mit einem Besuch des Holland Flower Park im Dafeng District, einem großen Freizeitpark mit über 300 Tulpenarten und mehr als 30 Millionen Tulpenpflanzen. Nach einer Rundfahrt durch die blühende Landschaft und der Besichtigung der Verkaufsräume ging die Tour weiter zum Dongtai Modern Agricultural Industrial Park. Im Dongtai Agricultural Park, einer 7.000 Hektar großen Anbaufläche für „grüne Lebensmittel“, besichtigte die Delegation die Nassreisfelder. Der Betrieb hat sich auf die Produktion hochwertiger Reissorten wie BGlucan- und zinkreichen Reis spezialisiert und fördert grüne Technologien. Neben biologischer Schädlingsbekämpfung bietet der Park umfangreiche Dienstleistungen für die Landwirte an, die mit zusätzlichen Einkommensanreizen für die Produktion von Qualitätsreis gefördert werden. Die Verarbeitung und Verpackung des Reises erfolgt weitgehend automatisiert in eigenen Produktionshallen. Der dritte Besuch des Tages galt dem Gangang Village in der Gemeinde Wulie. Gangang Village ist bekannt für die Integration von Landwirtschaft und Tourismus. Neben der Produktion von hochwertigem Reis hat sich das Dorf mit Attraktionen wie der Gangang Hometown Scenic Area, dem Reisfeld Wandgemälde und Obstgärten als touristisches Ziel etabliert. In Gangang Hometown wurden uns verschiedene traditionelle Herstellungsverfahren wie für Sojamilch, Korbflechterei und Schnitzerei vorgeführt. Gangang wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. als nationales Schlüsseldorf für ländlichen Tourismus und als eine der schönsten Gemeinden Chinas. Der Tag endete mit einer Abschlusszeremonie des Austauschprogramms sowie der Sino-German Agricultural Cooperation Friendship Night, bei der man sich mit Vertretern des BMEL und der chinesischen Delegation austauschen konnte.
Tag 9: Abschlusstag der Sino-German Agricultural Week und Rückreise
Am letzten Tag der Sino-German Agricultural Week stand eine abschließende Themensitzung zur Tiergesundheit und zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen auf dem Programm. Mit Vorträgen zu „Möglichkeiten zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung durch gezieltes Monitoring und modernes Gesundheitsmanagement“, „Zukunftsorientierte Fleckviehzucht in China“, „Modernes Produktionsmanagement und die positiven Auswirkungen auf Tiergesundheit und Tierwohl“ sowie “Risiken von Antibiotikarückständen in der Umwelt im Kontext des ‘One Health’-Ansatzes" konnten die Referentinnen und Referenten Einblicke in die Herausforderungen der Tierhaltung geben. Am Ende der Veranstaltung traten wir nach neun informativen Tagen die Heimreise nach Deutschland an.
Fazit
Die Reise nach China war nicht nur spannend, sondern auch augenöffnend. Vor allem im Hinblick auf die Unterschiede und Herausforderungen, vor denen die chinesische Landwirtschaft steht. Auffallend ist, dass Chinas Agrarpolitik in erster Linie auf Ernährungssicherheit ausgerichtet ist, was zu einem hohen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger führt. Ansätze zur Reduktion werden erprobt, aber die Kombination von Umwelt- und Biodiversitätsschutz mit dem Ziel, 1,4 Milliarden Menschen möglichst selbstständig zu ernähren, ist schwierig. Während in Deutschland strenge Regulierungen und ein bewusster Umgang mit Ressourcen im Vordergrund stehen, setzt China auf eine intensivere Nutzung, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Dieser Ansatz zeigt die Gegensätze zwischen beiden Ländern: Während wir in Deutschland bereits große Fortschritte im Bereich der nachhaltigen Landwirtschaft gemacht haben und versuchen, mit deutlich weniger Pflanzenschutz- und Düngemitteln auszukommen, ist die chinesische Landwirtschaft noch stark von traditionellen, ressourcenintensiven Methoden geprägt. Die deutsche Landwirtschaft hat sich bereits auf den Weg gemacht, Umwelt- und Biodiversitätsziele aktiv in die Produktionsweise zu integrieren. Es wurde deutlich, dass China - trotz ehrgeiziger Klimaziele bis 2050 - noch vor einem langen Transformationsprozess steht und das Spannungsfeld zwischen Ernährungssicherung und Klimaschutz komplex ist.
Neben den landwirtschaftlichen Einblicken waren die faszinierenden kulturellen und kulinarischen Aspekte Chinas ein weiterer Höhepunkt der Reise. Die Möglichkeit, die vielfältige Küche und Traditionen des Landes kennenzulernen, hat meinen Horizont erweitert und mir neue Perspektiven eröffnet. Zudem konnte ich wertvolle Kontakte knüpfen, die mir in Zukunft sowohl beruflich als auch privat von Nutzen sein werden. Es bleibt abzuwarten, wie China seine Herausforderungen in der Landwirtschaft und im Umweltschutz meistert und ob Ernährungssicherheit und Klimaneutralität tatsächlich vereinbar sind. Ich freue mich darauf, das Land eines Tages wieder zu besuchen und die Entwicklungen in der Landwirtschaft und im Umweltschutz im Vergleich mit Deutschland zu beobachten.
Abschließend möchte ich mich herzlich bei der DLG für die Unterstützung durch den DLG Young Talent Award bedanken. Diese Unterstützung hat mir die Teilnahme an dieser lehrreichen Exkursion ermöglicht.