Notfallzulassungen sind keine Dauerlösung
Daphne Huber zum Management gegen die Schilf-Glasflügelzikade
In diesem Jahr haben Landwirte weniger Zuckerrüben als im Vorjahr ausgesät. Niedrige Zuckerpreise sowie die rasante Ausbreitung der Schilf-Glasflügelzikade sind dafür verantwortlich. Die Zikade überträgt die Krankheiten SBR (Syndrome Basses Richesses oder Syndrom der niedrigen Zuckergehalte) und Stolbur und sorgt für massive Ernteeinbußen in Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüse. Die Verbreitung nimmt von Süd- nach Norddeutschland rasant zu. Erkenntnisse aus den Europäischen Innovationsprojekten SONAR und KARTOZIK machen deutlich, dass die Lösung zur Bekämpfung der Krankheiten in einem integrierten Managementansatz liegen muss. Ein wichtiger Baustein ist dabei der Einsatz von Insektiziden. Die eiligen Notfallzulassungen, die das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) gegen die Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade erteilt hat, sind keine Dauerlösung. Die Branche fordert von der neuen Regierung einen generellen Politikwechsel in der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln.
Bundesweit waren 2024 mehr als 100.000 ha Kartoffeln und Zuckerrüben von der Schilf-Glasflügelzikade befallen. Die Ernteeinbußen betragen bis zu 50 Prozent. Zu Totalausfällen kam es im vergangenen Jahr auf den Vermehrungsflächen von Kartoffeln in Süddeutschland. Um die Schäden einzudämmen und den Ursachen auf die Spur zu kommen, arbeiten bundesweit Agrarministerien, Beratungsstellen, internationale Wissenschaftler und Landwirte eng zusammen. Ein ständiger Erfahrungsaustausch aller Beteiligten über erfolgreiche Maßnahmen ist der Schlüssel für den Erfolg. So stärkt eine frühe Saat die Jugendentwicklung der Pflanzen, eine frühe Ernte verhindert größere Schäden. Ferner stehen eine tiefe Bodenbearbeitung und geeignete Zwischenfrüchte, die keine Wirtspflanzen darstellen, im Mittelpunkt.
Gleichzeitig wird die Suche nach resistenten oder toleranten Sorten intensiviert und eine praxisnahe Anbauberatung auf Basis der aktuellen Forschungsergebnisse unterstützt. „Wir brauchen Brückenlösungen, damit nicht die heimische Agrarwirtschaft mit Kartoffeln, Gemüse und Zuckerrüben zusammenbricht, bevor wir Lösungen aus der Züchtung und modernen, alternativen Pflanzenschutzmethoden bekommen“, erklärte Daniela Schmitt (FDP), Agrar- und Wirtschaftsministerin in Rheinland-Pfalz. Das Bundesland hat sich zum Impulsgeber der internationalen Praxisforschung etabliert, wie das Impulsforum: „SBR und Stolbur -Situationsbericht aus Forschung und Praxis“ auf der DLG-Wintertagung im Februar 2025 in Münster zeigte.
Vielfältige Fruchtfolgen
Neben vielfältigen Fruchtfolgen und Schwarzbrache steht die Forschung von Bekämpfungsmaßnahmen im Vordergrund. Potenziale sehen Experten bei Methoden auf Basis von Pilzkulturen, die die Nymphen der Schilf-Glasflügelzikade im Boden angreifen. Aber auch Erfahrungen mit Ablenkstrategien, um die männlichen Zikaden bei der Paarung zu stören, erscheinen erfolgversprechend.
Bundesweites Monitoring im Mai
Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Bereitstellung von Insektiziden gegen die Schilf-Glasflügelzikade. Die Erleichterung ist in der Landwirtschaft groß, nachdem das BVL im April Notfallzulassungen für Insektizide im Zuckerrüben- und Kartoffelanbau bewilligt hat. Damit stehen die Pflanzenschutzmittel für das bundesweite Monitoring, das am 12. Mai 2025 beginnt, zur Verfügung. Die Aktion liefert wichtige Erkenntnisse, um die Verbreitung der Zikade zu stoppen. Die Zulassung der Insektizide sind mit strengen Auflagen verbunden, die Landwirte unbedingt einhalten müssen, ansonsten könnte dieses wichtige Instrument im Management im kommenden Jahr wegfallen.
So sind die Wirkstoffe nur für 120 Tage zugelassen und dürfen nur nach Aufrufen des Warndienstes ausgebracht werden. Um sicherzustellen, dass kein Bienenflug stattfindet, empfiehlt sich eine Ausbringung der systemisch wirkenden Mittel in den frühen Morgen- und späten Abendstunden. Sie sind mengenmäßig begrenzt und daher für Hot-Spot-Regionen und Übergangsstandorte vorgesehen. In Regionen mit geringen Fangzahlen sollen pflanzenbauliche Maßnahmen den Vorrang vor Pflanzenschutz haben, heißt es beim BVL. So setzen sich die Agrarminister von Bund und Ländern für Ausnahmen von den GLÖZ-Vorgaben zur winterlichen Begrünung ein. Mit der Schwarzbrache könnten die Nymphen im Boden ausgehungert werden. In Kürze will das BVL noch einige Korrekturen bei den Notfallzulassungen vornehmen.
Vereinfachte Zulassungsverfahren
Notfallzulassungen sind seit einigen Jahren Standard im Pflanzenschutz. Hingegen geht die Anzahl von Wirkstoffen immer mehr zurück, und damit sind Landwirte in den Bekämpfungsmöglichkeiten eingeschränkt. Reguläre Zulassungen oder neue innovative Mittel sind die Ausnahme. Pflanzenschutzmittelhersteller scheuen den hohen finanziellen Aufwand von der Entdeckung bis zur Marktreife von Pflanzenschutzmitteln. Eine weitere Abschreckung ist das aufwändige Zulassungsverfahren. Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln soll daher nach dem Willen der schwarz-roten Bundesregierung einfacher werden. Im Koalitionsvertrag ist von „transparenten, schnellen und wissensbasierten Verfahren“ die Rede, die den Prozess beschleunigen könnten.
In der Kritik stehen die vielen Behörden, die am Zulassungsverfahren beteiligt sind wie das Julius-Kühn-Institut (JKI), das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) sowie das Umweltbundesamt (UBA). Die Behörden geben ihre Bewertungen im Vorfeld an das BVL als Zulassungsstelle ab. Doch kommt es hier immer wieder zu Verzögerungen, die den Marktzugang von Mitteln in die Länge ziehen.
Anreize für Precision Farming
Durch Anreize für Precision Farming und den integrierten Pflanzenschutz wollen die Koalitionäre laut Vereinbarung „den Umfang und das Risiko beim Pflanzenschutzmitteleinsatz“ verringern. Bis die neue Bundesregierung im Amt ist und politische Entscheidungen für ein vereinfachtes Zulassungsverfahren getroffen werden, heißt es für jeden Landwirt, Geduld zu bewahren und im Kampf gegen die Schilf-Glasflügelzikade die Regel zu befolgen: So früh wie möglich die Ernte von Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüse vom Acker holen, um die Verbreitung zu stoppen.
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