DLG-Kolloquium 2025: Mit KI, Credits und Innovationen zur Nachhaltigen Produktivitätssteigerung
DLG-Kolloquium 2025 am 2. Dezember in Berlin – Neues DLG-Leitbild Nachhaltige Produktivitätssteigerung als Gamechanger für Ertragswachstum und Artenvielfalt – Praktiker und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft diskutieren Vereinbarkeit von Ressourcenschutz, Effizienz und globaler Wettbewerbsfähigkeit
Nachhaltige Produktivitätssteigerung – Innovationen, Modelle, Pioniere: Unter dem Titel stand das Kolloquium 2025 der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) am Dienstag, dem 2. Dezember, in Berlin. Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Praxis zeigten auf, wie Ressourcenschutz, Wettbewerbsfähigkeit und Effizienzzuwächse Hand in Hand gehen können. KI basierte Lösungen im Ackerbau und in der Tierhaltung haben hierzu viel Potenzial. Auch in Sachen marktbasierter Anreizsysteme gibt es vielversprechende Ansätze, um das Konzept der Nachhaltigen Produktivitätssteigerung weiter in der landwirtschaftlichen Praxis zu verankern. Bereits gelebte Beispiele für das Fortschrittsverständnis sind weite Fruchtfolgen und höhere Haltungsform-Stufen in der Tierhaltung.
Die Nachhaltige Produktivitätssteigerung sei „ein neues Leitbild für die Landwirtschaft zur Verbindung von Wettbewerbsfähigkeit und Schutz der Artenvielfalt“. Mit diesen Worten fasste DLG-Präsident Hubertus Paetow gleich zu Beginn des Kolloquiums die Zielsetzung hinter dem neuen DLG-Fortschrittskonzept zusammen. Ein neues Leitbild sei erforderlich, da das EU-Wirtschaftskonzept des Green Deal seine ambitionierten Ziele im Artenschutz, in der Emissionsreduktion und der wirtschaftlichen Entwicklung bis dato nicht erreicht habe, erläuterte Paetow weiter. So strebe die EU eine Verringerung des Treibhausgasausstoßes um 55 Prozent bis 2030 an – erreicht würden Prognosen zufolge bei bestehen Maßnahmen lediglich zwischen 43 und 47 Prozent.
Beim Zustand der Biodiversität in Europa stellten Studien zwar keine deutliche Verschlechterung fest, aber auch keine Verbesserung oder gar Trendwende. In ökonomischer Hinsicht hätten Landwirte in der EU auch nicht vom Green Deal profitiert, analysierte der DLG-Präsident zudem: Mit Ausnahme der Zeit zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, hätten die Einkommen der EU-Landwirte in den vergangenen Jahren unter dem Schnitt der Einkommen in der EU-Gesamtbevölkerung gelegen, betonte Paetow.
Auch in puncto benötigter Ertragszuwächse für die weltweite Ernährungssicherung fiel die Bilanz des DLG-Präsidenten für den Gunststandort Europa ernüchternd aus. Berechnungen der Universität Göttingen sowie der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO zufolge sei global betrachtet ein jährliches Produktionswachstum in der Landwirtschaft von 2,03 Prozent erforderlich, um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren: Die EU hingegen hatte im Zeitraum 2013 bis 2022 sogar ein leichtes Minuswachstum zu verzeichnen.
Technologische Innovationen als Grundvoraussetzung
Die Landwirtschaft habe nun die Chance, mit dem Fortschrittskonzept der Nachhaltigen Produktivitätssteigerung auf diese Entwicklung zu reagieren. In die Produktionsformel für landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Getreide fließe bei diesem Konzept die Bereitstellung von Umweltleistungen ebenso mit ein wie Treibhausgasemissionen und Artenschwund. Damit Nachhaltige Produktivitätssteigerung in der Praxis gelingen kann, seien technologische Innovationen dringend erforderlich – und deren Bewertung in objektiven Verfahren mit einer realistischen Einschätzung von Risiko und Gefahr, erläuterte Paetow. Zudem müsse Biodiversität in Wert gesetzt werden, um Leistungen zu deren Schutz angemessen zu entlohnen – und den Erhalt der Artenvielfalt auch mit Produktionszuwächsen in Verhältnis zu setzen. Bislang sei Biodiversität jedoch „absolut gesetzt worden“ statt sie zu messen und zu bewerten, kritisierte der DLG-Präsident.
Damit Nachhaltige Produktivitätssteigerung und internationale Wettbewerbsfähigkeit vereinbar seien, müsse das Konzept „an den Außengrenzen unseres Wirtschaftsraumes geschützt werden vor internationalem Wettbewerb“, der keine vergleichbaren Leistungen zum Ressourcenschutz erbringe. Nur so, schlussfolgerte Paetow, könne eine ökologisch verantwortbare mit einer wettbewerbsfähigen Produktion in Einklang gebracht werden.
Biodiversität ist ein Produkt
Dr. Jürgen Metzner, Geschäftsführer des Deutschen Verbands für Landschaftspflege (DVL), legte dar, unter welchen Bedingungen Nachhaltige Produktivitätssteigerung aus seiner Sicht zum „Gamechanger“ für den Artenschutz werden kann. Generell werde Artenvielfalt durch Strukturvielfalt in der Landwirtschaft gefördert, also beispielsweise durch einen Mix an Bewirtschaftungsformen. Auch sei eine extensive Form der Landwirtschaft förderlich, die sich durch einen reduzierten Einsatz von Dünger und Pflanzenschutz sowie geringere Schlagkraft auszeichne. Biodiversitätsschutz gelinge nicht in gewünschtem Maße, weil es zu wenig Schnittmengen der Artenvielfalt mit der Produktion gebe, analysierte Metzner. Daher sollten Bewirtschaftungsformen mit einer möglichst großen Schnittmenge zwischen Biodiversitätserhalt und Produktion gestärkt werden, zum Beispiel die Weidetierhaltung. Auch müsse der Produktionsbegriff weiter gefasst werden: „Biodiversität ist ein Produkt“, unterstrich Metzner.
Unter Bezug auf die Erfahrung mit der Gemeinwohlprämie des DVL, einem Punktesystem für Agrarumweltmaßnahmen innerhalb der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP), lauten Metzners Empfehlungen für die erfolgreiche Umsetzung der Nachhaltigen Produktivitätssteigerung in der Praxis: Das Konzept müsse „gerecht“ sein, sprich: Landwirte, die viel für das Gemeinwohl leisteten, müssten entsprechend auch „mehr Geld“ bekommen. Zudem sollte die Vereinbarkeit von Produktivitätszuwächsen und Ressourcenschutz auf einfache Weise über „gängige Maßnahmen“ erfolgen, die im bestehenden Verwaltungssystem umsetzbar seien. Zur Sicherstellung der Wirksamkeit von Naturschutzmaßnahmen müsste unterschiedliche fachliche Qualität auch unterschiedlich gewichtet werden. Die Effizienz des Systems sei dann gewährleistet, wenn Entscheidungen auf der Betriebsebene kalkuliert und getroffen werden.
Privatwirtschaftliche Investoren sollen Finanzierungslücke schließen
Dr. Elke Plaas, Wissenschaftlerin am Thünen-Institut, wiederum ging in ihrem Vortrag auf einen neuen Ansatz zur Finanzierung von Agrarumweltmaßnahmen in der Landwirtschaft ein: die von der EU-Kommission im Sommer 2025 vorgeschlagenen Nature Credits. Mit dem System soll eine Finanzierungslücke bei der Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz natürlicher Ressourcen geschlossen werden. Den finanziellen Bedarf für die Umsetzung von Umweltschutz schätze die Kommission auf 20 Mrd. Euro im Jahr. Nature Credits sollen dazu dienen, hier Finanzierungslücken zu schließen, indem sie einen freiwilligen Markt für private Investitionen in den Schutz natürlicher Ressourcen eröffnen.
Über das System der Nature Credits, so Plaas weiter, würden Naturschutzmaßnahmen quantifizierbar und somit handelbar gemacht. Ähnlich wie beim Handel mit CO2-Zertifikaten sollen Unternehmen dabei Credits erwerben, über die dann wiederum Naturschutzprojekte umgesetzt würden. Das Konzept der Nature Credits steht noch ganz am Anfang; der Zeitplan der EU-Kommission sieht eine erste Ausgabe von Credits bis 2027 vor. Für Plaas liegt eine Chance des Ansatzes darin, Umweltmaßnahmen über Geld in Wert zu setzen. Risiken bestünden unter anderem in einer zu bürokratischen Umsetzung des Konzeptes.
Kurze Fruchtfolgen führen langfristig zu pflanzenbaulichen Problemen
Wiebeke Mohr von der Hanso-Agro Unternehmensberatung legte wiederum dar, inwiefern weite Fruchtfolgen ein Beispiel für Nachhaltige Produktivitätssteigerung in der Praxis sind. Eine ihrer Erkenntnisse: Ob weite Fruchtfolgen auch ökonomisch nachhaltig sind, ist eine Frage des Standortes. Auf guten Standorten sind weite Fruchtfolgen auch ohne Förderung wettbewerbsfähig, erläuterte Mohr. Auf leichten Standorten hingegen sei beispielsweise eine fünfgliedrige Fruchtfolge der dreigliedrigen Fruchtfolge aus Raps, Winterweizen und Wintergerste nur mit zusätzlicher finanzieller Förderung überlegen. Langfristig führten kurze Fruchtfolgen allerdings zu pflanzenbaulichen Problemen und stark reduzierter Wirtschaftlichkeit. Nachhaltige Fruchtfolgen seien daher ein Produktivitätsfortschritt, bilanzierte Mohr.
Ein Beispiel für Nachhaltige Produktivitätssteigerung in der Tierhaltung steuerte Philipp Schulze Esking, DLG-Vizepräsident und Landwirt, bei. So habe er auf seinem Betrieb positive Erfahrung mit der Umstellung der Schweinehaltung auf Haltungsform Stufe 2 gemacht: Das dadurch erhöhte Tierwohl habe zu einer Leistungssteigerung der Schweine geführt – bei weniger Input durch Futter, so Schulze Esking. Weniger Input wiederum bedeute geringere CO2-Emissionen - womit auch ein Zugewinn im Sinne der Nachhaltigkeit vorliege.
Prof. Jan Henning Feil von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg analysierte, inwieweit Digitalisierung und KI der Nachhaltigen Produktivitätssteigerung Vorschub leisten. Die Landwirtschaft werde bereits zunehmend digitaler, stellte Feil zu Beginn seines Vortrags fest. Das zeige sich an der weit verbreiteten Nutzung von GPS gesteuerten Landmaschinen oder digitalen Ackerschlagkarteien. KI-Systeme seien im Vergleich dazu „weit abgeschlagen“.
Herausforderung liegt in Vielzahl heterogener landwirtschaftlicher Betriebe
Der Wissenschaftler analysierte, wodurch die weitere Verbreitung von KI-Systemen in der Landwirtschaft gegenwärtig gebremst werde. Er begründete dies zunächst mit der „atomistischen Marktstruktur“ der Landwirtschaft in Deutschland: Es gebe ganze 255.000 landwirtschaftliche Betriebe; andere Wirtschaftsbereiche seien bei weitem nicht so kleinteilig strukturiert. Dies machte Feil am Vergleich zur Chemie- und Pharmabranche deutlich, die in Deutschland lediglich rund 2.100 Unternehmen zähle. Hinzu komme die große Heterogenität der Landwirtschaft, bedingt durch regionale Unterschiede der Standortbedingungen sowie die Abhängigkeit von Umwelteinflüssen. Das alles bringe Herausforderungen hinsichtlich der Standardisierbarkeit mit sich – die aber eine Voraussetzung für die erfolgreiche Arbeit mit KI-Systemen sei.
Auch die Datenverfügbarkeit und -qualität sei noch ein Hemmschuh für eine stärkere Verbreitung von KI-Systemen in der Landwirtschaft: Es gebe häufiger Datenlücken, vor allem bei kleineren Betrieben, so Feil. Zudem fehlten standardisierte Datenformate. Hinzu komme, dass insbesondere kleinere Betriebe nur begrenzte Ressourcen für die Entwicklung und Implementierung von KI-Lösungen hätten.
KI erkennt Krankheiten bei Pflanze und Tier frühzeitig
Das Potenzial von KI für Nachhaltige Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft sei gleichzeitig enorm, machte der Wissenschaftler weiter deutlich: Im Ackerbau beispielsweise könnten KI-Lösungen im Bereich der Präzisionslandwirtschaft eingesetzt werden. So könnten KI gestützte Bilderkennungssysteme Pflanzenkrankheiten frühzeitig erkennen – und dem Landwirt entsprechend ein frühes Gegensteuern ermöglichen. Auch könne KI gestützte Ungräser-Erkennung dazu beitragen, die Intensität des Pflanzenschutzeinsatzes deutlich zu reduzieren – was sowohl die Einträge in die Umwelt begrenze, als auch den Landwirten Kosten spare. In der Tierhaltung können KI-gestützte Systeme im Stall Kamerabilder und Daten von Sensoren analysieren und so Auffälligkeiten im Verhalten der Tiere frühzeitig feststellen. Das ermögliche dem Tierhalter wiederum, bei Krankheiten frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen. Das erhöhe das Tierwohl und steigere die Tierleistung.
Um die Verbreitung von KI in der Landwirtschaft zu verbessern, empfahl Feil unter anderem überbetriebliche Kooperationen bei der Implementierung der neuen Technologie. Außerdem muss seiner Einschätzung nach datengestütztes Betriebsmanagement stärker in Lehre und Ausbildung Berücksichtigung finden.
Potenzial für kontinuierliche Datenerhebung
Prof. Nils Borchard, Leiter Forschung und Innovation im DLG-Fachzentrum Landwirtschaft und Lebensmittel, ging auf die Bedeutung qualitativ hochwertiger Datensätze für ein automatisiertes Monitoring von Biodiversität ein. Daten müssten verfügbar gemacht werden in Datenräumen und internationalen Datenstandards zur globalen Vernetzung entsprechen. Generell müssten KI-Systeme zum Monitoring von Biodiversität noch besser trainiert werden, um beispielsweise zwischen unterschiedlichen Vogel- und Insektenarten unterscheiden zu können, führte Borchard aus. Des Weiteren müssten Geräte zum KI gestützten Monitoring robust genug sein, um stabil und dauerhaft in der freien Natur zu funktionieren. Ihr Potenzial sieht der Experte in der Kosteneffizienz, da sie perspektivisch aufwendiges Monitoring durch menschliche Spezialisten ersetzen könnten. Außerdem hätten automatisierte Monitoring-Lösungen Potenzial im Sinne einer zuverlässig kontinuierlichen Datenerhebung.
Bildmaterial unter Angabe der Bildquelle „DLG / S. Semmer“ frei verwendbar.
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