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„Mehraufwand ist mit der Typgenehmigung vom Tisch“

Lutz Mahnig und Stefano Mastrogiovanni über Unterschiede in Theorie und Praxis

In Zusammenarbeit mit der DLG TestService hat der Hersteller von Anhängern und gezogenen auswechselbaren Geräten, HAWE Wester GmbH & Co. KG aus Wippingen, fast sein gesamtes Produktsortiment beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) typgenehmigen lassen. Stefano Mastrogiovanni (DLG) und Lutz Mahnig (HAWE Wester) erläutern im Interview für den DLG-Mitglieder-Newsletter die Vorgehensweise.

Während in Deutschland die Einzelbetriebserlaubnis nach § 21 StVZO meist überall problemlos akzeptiert wird, ist das Inverkehrbringen von Fahrzeugen in anderen EU-Mitgliedstaaten mit Einzelgenehmigungen fast nicht mehr möglich. Hintergrund ist die EU-Rahmenverordnung 167/2013, auch bekannt als „Tractor Mother Regulation“. Sie beinhaltet auch die Vorschriften für EU-Typgenehmigungen von land- und forstwirtschaftlichen Anhängern oder gezogenen auswechselbaren Geräten. Hat ein Hersteller dieses  Gesamtfahrzeug-Typgenehmigungsverfahren durchlaufen, kann er anschließend mithilfe einer Übereinstimmungsbescheinigung (engl.: Certificate of Conformity, Abk.: CoC) den Nachweis erbringen, dass seine Fahrzeuge oder Anhänger der EU-Typgenehmigung und damit den Anforderungen der EU entsprechen und sie auf dieser Basis in Verkehr bringen.

Der Hersteller HAWE Wester GmbH & Co. KG in Wippingen hat kürzlich fast sein gesamtes Produktsortiment an Anhängern und gezogenen auswechselbaren Geräten mit Unterstützung der DLG TestService beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) typgenehmigen lassen. Wir haben Stefano Mastrogiovanni, Geschäftsführer der DLG TestService und Leiter des vom KBA benannten technischen Dienstes, sowie Lutz Mahnig, Verkaufsleiter International bei HAWE Wester, zum Ablauf des Projektes befragt.

DLG-Mitglieder-Newsletter: Welche Gründe hat HAWE Wester bewogen, auf das Typgenehmigungsverfahren zu wechseln?

Lutz Mahnig: Bislang haben wir jeden einzelnen Anhänger beziehungsweise auswechselbares Gerät einzeln begutachten lassen. Mit unseren steigenden Produktionszahlen schlagen hier die für eine Einzelabnahme fälligen Gebühren in Höhe von 300 bis 400 Euro immer deutlicher ins Kontor. Auch wenn das Typgenehmigungsverfahren zunächst aufwendiger erscheint – wir haben kalkuliert, dass sich die Kosten schon im zweiten Jahr wieder amortisiert haben.

Gab es weitere Gründe?

Mahnig: Ja, die Verfahrensvereinfachung. Im internationalen Geschäft, das heißt in Frankreich und vor allem in Osteuropa, ist die Nichtanerkennung der deutschen Einzelabnahmen ein Problem. Dieser Mehraufwand zusätzlicher, lokaler Einzelbegutachtungen ist mit der Typgenehmigung ebenfalls vom Tisch.

Wie wurde das Verfahren umgesetzt?

Mahnig: In einer intensiven Vorplanung konnten wir mit Stefano Mastrogiovanni eine stringente Roadmap für unser Produktsortiment entwickeln. Seine langjährige Erfahrung im Typgenehmigungsgeschäft und seine Detailkenntnisse der Verfahren und Vorschriften waren hier sicherlich ein Vorteil. Wir haben es geschafft, die Anzahl der erforderlichen Typgenehmigungen auf nur drei zu begrenzen und konnten so fast das gesamte HAWE Wester-Sortiment mit relativ geringem Aufwand beim KBA typgenehmigen lassen.

Wie sind Sie vorgegangen?

Mahnig: Alle ein- bis dreiachsigen Starrdeichsel-Überladewagen mit einer Breite von bis zu 3,0 Meter wurden beim KBA als gezogene auswechselbare Geräte der Fahrzeugklasse S2a genehmigt. Unter diesen Typ fallen alle Rüben-, Kartoffel- und Silageüberladewagen und auch das dazugehörige Wechselpritschensystem. Bei den Starrdeichselanhängern wurden die Ein- und Zweiachsvarianten als Anhänger der Klasse R3a und die Dreiachs-Anhänger in der Klasse R4a typgenehmigt. Die beiden Typgenehmigungen umfassen alle Dungstreuer, Silagewagen, Abschiebewagen, Muldenkipper sowie ebenfalls das dazugehörige Wechselpritschensystem. Zwar müssen die Anhänger mit zumindest einer Rad-Reifenkombination die maximale Breite von 2,55 Meter einhalten, sie dürfen aufgrund der Bereifung aber auch bis zu 3,0 Meter breit sein.

Gab es technische Einschränkungen?

Mastrogiovanni: Wir machen regelmäßig die Erfahrung, dass Hersteller bei der Typprüfung von Anhängern viele scheinbar neue Anforderungen erleben, die beim Einzelgenehmigungsverfahren oft nur ersatzweise oder vereinfachend angewandt werden. So müssen Anhänger und gezogene auswechselbare Geräte im Rahmen der Typprüfung alle anwendbaren Anforderungen aus dem Anhang I der VO (EU) 167/2013 nachweisen. Genau hier liegt im Einzelgenehmigungsverfahren das Problem im Export, denn diese vereinfachenden Ersatzverfahren sind mit der Hauptgrund, warum deutsche Einzelabnahmen in anderen EU-Mitgliedsstaaten nicht anerkannt werden und dort die Einzelabnahmen deutliche aufwändiger und mit dem Typgenehmigungsverfahren vergleichbar sind.

Um was geht es dabei genau?

Mastrogiovanni: Die Bremsanlage ist hier ein gutes Beispiel. Im Gegensatz zum Ersatzprüfverfahren auf einem Bremsenprüfstand, das in der Regel beim Einzelgenehmigungsverfahren angewandt wird, muss die Bremse im Rahmen der Typgenehmigung die Anforderungen nach der VO (EU) 2015/68 erfüllen, die Bremsprüfungen im Fahrversuch bei kalter und heißer Bremse erfordert. Hier hat dynamische Achslastverlagerung einen entscheidenden Einfluss bei der Erreichung der Abbremsung.

Wie muss man sich das vorstellen?

Mastrogiovanni: Bei der Typ-0-Prüfung mit kalter Bremse bremst die Anhängerbremsanlage den gesamten Zug ab, und aus dem Massenverhältnis wird dann die Abbremsung des Anhängers errechnet, die mindestens 50 Prozent betragen muss. Dies wird im leeren und beladenen Zustand bei technisch zulässiger Achslast geprüft. Die Auswahl der Prüffahrzeuge erfolgt dabei nach Worst-Case Kriterien, das heißt mit der größten technisch zulässigen Achslast und dem größten Reifenradius. So muss die Radbremse das höchste Bremsmoment aufbringen. Der höchstmögliche Schwerpunkt erzeugt den größten Effekt der dynamischen Achslastverlagerung. Die Heißbremswirkung (Typ I oder Typ III) wird, wie bei Anhängerbremsen üblich, durch die Werte aus den Prüfprotokollen der Bezugsbremsen rechnerisch nachgewiesen.

Damit diese Erleichterung für den Fahrzeughersteller möglich ist, lassen die Bremsenhersteller ihre Radbremsen hinsichtlich der Heißbremswirkung durch technische Dienste in der Regel auf Schwungmassenprüfständen prüfen. Am Fahrzeug werden bei der Bremsanlage unter anderem dann auch noch die Ansprech- und Schwellzeiten geprüft. Dabei dürfen 0,4 Sekunden nicht überschritten werden zwischen dem Zeitpunkt, zu dem der vom Simulator in der Steuerleitung erzeugte Druck 6,5 bar erreicht, und dem Zeitpunkt, zu dem der Druck im Bremszylinder des Anhängers 75 Prozent seines asymptotischen Wertes erreicht.

In der Praxis erreichen nur Bremsanlagen diesen Grenzwert, die hinsichtlich der Bremsschläuche und der Leitungsverlegung optimiert wurden. Eine weitere Anforderung betrifft das Feststellbremssystem des Anhängers. Dieses muss den beladenen, vom Zugfahrzeug getrennten Anhänger auf einer Steigung oder einem Gefälle von 18 Prozent im Stillstand halten können. Durch eine handbetätigte Kurbeleinrichtung werden die Bremszylinder über Seilzüge betätigt. Die Betätigungskraft darf dabei maximal 600 Newton betragen.

Gab es hier Schwierigkeiten?

Mahnig: Ja, genau hier, wo wir keine Probleme gesehen hatten, haben wir als Hersteller Überraschungen erlebt. Es hat sich gezeigt, dass die von einem Zulieferer stammende Kurbeleinrichtung anscheinend nur für den einmaligen Gebrauch ausgelegt war, denn bei der Prüfung der Feststellbremsanlage kam es zum Fressen des Gewindes der Kurbeleinrichtung. Für uns war dies ein klarer Hinweis darauf, dass wir als Fahrzeughersteller die Gewährleistung einer gleichbleibenden Produktqualität auch bei unseren Lieferanten sicherstellen und unsere Prozesse dahingehend optimieren müssen und auch können.

Was musste noch beachtet werden?

Mastrogiovanni: Die zwei Ausführungen mit geschraubter oder geschweißter Anbindung der hinteren Unterfahrschutzeinrichtungen der Anhänger wurden auf dem Prüfstand des DLG-Testzentrums in Groß-Umstadt nach den Anforderungen der Verordnung (EU) 2015/208 Anhang XXVI geprüft. Dabei muss unter anderem nachgewiesen werden, dass der Unterfahrschutz ausreichenden Widerstand gegen parallel zur Längsmittelebene des Fahrzeugs wirkende Kräfte aufweist. An fünf Stellen werden nacheinander Prüfkräfte von 50 und 100 Kilonewton (entspricht circa fünf und zehn Tonnen) aufgebracht und die dabei auftretenden maximalen Verformungen ermittelt. Der Abstand vom Heck des Anhängers zum Unterfahrschutz darf dabei maximal 400 mm abzüglich der bei der Prüfung ermittelten maximalen Verformung betragen.

Im Einzelgenehmigungsverfahren werden dabei häufig Festigkeitsberechnungen akzeptiert. Bei der praktischen Prüfung auf dem Prüfstand zeigt sich allerdings oft, dass zwischen Theorie und Praxis entscheidende Unterschiede bestehen. Auch Ergebnisse von FEM-Simulationen sind hier häufig weit weg von den Ergebnissen der praktischen Prüfungen, da gerade Verbindungselemente wie Schrauben oder Schweißnähte auch heute noch nicht so einfach zu simulieren sind.

Wird der Unterfahrschutz nicht häufig ebenfalls zugekauft?

Mastrogiovanni: In der Praxis kommt es tatsächlich häufiger vor, dass hintere Unterfahrschutzeinrichtungen vonseiten des Lieferanten als selbstständige technische Einheit typgenehmigt werden. Der Fahrzeughersteller muss dann nur noch den korrekten Anbau überprüfen lassen. Im Einzelgenehmigungsverfahren wird dabei oft übersehen, dass die Konsolen, die an den Fahrzeuglängsträgern befestigt werden und an denen das Unterfahrschutz-Querprofil befestigt wird, elementarer Bestandteil der Typgenehmigung der selbstständigen technischen Einheit sind.

Wenn diese vom Fahrzeughersteller selbst gefertigt werden oder auch andere Konsolen verwendet werden, dann fehlt der Festigkeitsnachweis, obwohl das Querprofil oft mit dem Typgenehmigungszeichen ausgestattet ist.

Können alle Fahrzeuge mit einem Unterfahrschutz ausgerüstet werden?

Mastrogiovanni: Nein, bei den Dungstreuern sowie den Abschiebe- und Silagetransportwagen passt dies nicht mit dem Verwendungszweck überein. Beim Dungstreuer würde ein hinterer Unterfahrschutz mit dem hinteren Streuwerk kollidieren, weil dieser im Streubereich liegen würde oder keine ausreichende Bodenfreiheit für den Betrieb des Fahrzeugs vorhanden wäre. Beim Abschiebewagen steht die Volumenheckklappe etwa einen Meter über den Fahrwerkrahmen über, somit kann der erforderliche Abstand zum Fahrzeugheck bei der Montage eines hinteren Unterfahrschutzes nicht eingehalten werden.

Auch wenn grundsätzlich ein solcher vorhanden ist, ist dieser nicht nahe genug am Heck – die überstehende Heckklappe aber ist wiederum erforderlich, damit der Abschiebevorgang funktioniert. Beim Silagetransportwagen als drittem Beispiel ist es aufgrund des hinteren Böschungswinkels nicht möglich, dass ein hinterer Unterfahrschutz montiert wird, da ansonsten die erforderliche Geländegängigkeit nicht eingehalten wird.

Wie lässt sich dieses Problem lösen?

Mastrogiovanni: Ganz einfach: Diese Ausnahmen können im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens mitgenehmigt werden, da die Anforderungen des Unterfahrschutzes nicht mit dem Verwendungszweck der Fahrzeuge übereinstimmen. Die EU-Verordnung sieht diese Ausnahmen so vor.

Waren damit alle Anforderungen erfüllt?

Mastrogiovanni: Die Liste der nach Anhang I der VO (EU) 167/2013 einzuhaltenden Anforderungen verweist bei Anhängern mit bauartbedingter Höchstgeschwindigkeit bis 40 Stundenkilometer (Klasse Ra) auf 14 und bei gezogenen auswechselbaren Geräten (Klasse Sa) auf 17 Rechtsakte. Darunter gibt es viele Anforderungen, wie zum Beispiel für die Anbringungsstelle des hinteren Kennzeichens, die auch rein national ähnlich in der StVZO zu finden sind. Daneben gibt es aber teilweise auch ganz andere Anforderungen, wie z. B. das Vorhandensein einer Diebstahlsicherung für gezogene auswechselbare Geräte. Auf der anderen Seite gibt es bei den EU-Anforderungen auch einige Erleichterungen, so existieren beispielsweise keine Festigkeitsanforderungen für Zugdeichseln von Anhängern. Eine Bauartgenehmigung der Zugdeichsel ist daher nicht mehr erforderlich, dies fällt wie die Festigkeit des Fahrzeugrahmens in den Verantwortungsbereich des Fahrzeugherstellers.

Ebenso sind Radabdeckungen bei Anhängern mit einer Höchstgeschwindigkeit bis 40 Stundenkilometer (Unterklassen Sa und Ra) nicht erforderlich. Hier sollte man erwähnen, dass der Hersteller auch nach Paragraph 21 StVZO im Rahmen von Einzelabnahmen vollständig die EU-Bauvorschriften auf seine Fahrzeuge anwenden darf. Denn laut Paragraph 19 Absatz 1 Punkt 3 der StVZO ist ganz klar definiert, dass die Genehmigung zu erteilen ist, wenn ein Fahrzeug die Anforderungen der StVZO oder alternativ die Anforderungen der VO (EU) 167/2013 erfüllt. Damit entfällt bei Anwendung der EU-Rechtsakte dann auch die Bauartgenehmigung der Zugdeichseln, die im Zusammenhang mit Abnahmen nach Paragraph 21 StVZO häufig nach Paragraph 13 der Fahrzeugteile-Verordnung begutachtet wird (Einzel-Bauartgenehmigung nach Paragraph 22 a StVZO mit TP-Nummer).

Grundsätzlich empfehlen wir für die Genehmigung von mechanischen Verbindungseinrichtungen für land- oder forstwirtschaftliche Fahrzeuge die Anwendung der UN ECE-Regelung 147. So wird sichergestellt, dass die Bauteile und selbstständigen technischen Einheiten auch in vielen Staaten außerhalb der EU ohne weitere nationale Genehmigungen in Verkehr gebracht werden können. Diese prüfen wir in unserem Partnerlabor der Brunel Car Synergies GmbH in Dortmund.

Wie bewerten Sie abschließend das Projekt?

Mastrogiovanni: Natürlich erlebt ein deutscher Fahrzeughersteller, der sich an die StVZO gewöhnt hat, im Rahmen der Umstellung auf das EU-Typgenehmigungsverfahren die eine oder andere unliebsame Überraschung. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass sich solche Probleme mit oft kleinen Anpassungen schnell aus der Welt schaffen lassen.

Mahnig: Zusammenfassend könnten wir uns bei HAWE Wester schon die Frage stellen, warum wir die Umstellung nicht schon früher angegangen sind. Auch das Durchlaufen der Hersteller-Anfangsbewertung zeigte, dass man viele im Laufe der Jahre eingeschlichene Prozesse in der Qualitätssicherung optimieren und vereinfachen kann. Durch die intensive Beratung seitens der DLG TestService wussten wir aber genau, welche Unterlagen und Nachweise zu erbringen waren.


Die Fragen stellte Dr. Frank Volz,
Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft, DLG