"Wir erleben eine Hängepartie der besonderen Art"
DVT-Präsident Cord Schiplage: "Von der Abschaffung der Tierhaltung kann keine Rede sein"
m Kalenderjahr 2022 produzierten die deutschen Mischfutterbetriebe rund 22 Mio. t Futter und damit fast 1,4 Mio. t weniger als im Vorjahr. Das entspricht einem Rückgang um rund 6 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Die rückläufigen Zahlen im zweiten Jahr in Folge waren aufgrund verschiedener wirtschaftlicher Einflussfaktoren leider zu erwarten. Dazu zählt der Rückgang der Tierbestände, besonders bei den Mastschweinen. Diese Reduktion sowie die Aufgabe von landwirtschaftlichen Betrieben sprechen eine deutliche Sprache. Die Erzeugung von tierischen Lebensmitteln wandert in andere Länder, denn wir stellen zugleich fest, dass der Konsum deutlich langsamer zurück geht und Lebensmittel importiert werden. Ob der Standard unseren Vorstellungen gerecht wird, möchte ich bezweifeln. Es wäre ein Verbrechen an der deutschen Landwirtschaft, wenn man die erreichten hohen Standards nunmehr dem globalen Markt preisgibt. Wir plädieren deshalb unbedingt für einheitliche europäische Regelungen und bilaterale Abkommen mit anderen Regionen wie Mercosur, um die Wettbewerbsgerechtigkeit sicherzustellen. Es ist unbestritten, dass Umwelt und Nachhaltigkeit für uns wichtige Themen sind. Wir dürfen uns aber nicht als der Besserwisser aufspielen und glauben, dass in Europa oder Deutschland das Wissen darüber besser ist als in anderen Regionen dieser Welt.
Die Zahl der Mastschweine fiel laut Novemberzählung 2022 des Statistischen Bundesamtes (destatis) unter die 10-Millionen-Grenze auf 9,7 Millionen, was einem Rückgang um rund 11,6 Prozent im Vergleich zu November 2021 entspricht. Auch in weiteren Marktsegmenten sind die Zahlen rückläufig.
Die Reduzierung der Produktion betrifft sowohl Schweinefutter als auch das Wiederkäuer- und Geflügelsegment gleichermaßen. Besonders stark fällt der Rückgang im Bereich Schwein mit rund 900.000 t (gesamt: 8,5 Mio. t) aus. 9,3 Prozent weniger als im Vorjahr sprechen eine deutliche Sprache.
Als Region, die den überwiegenden Teil der Mischfutterproduktion in Deutschland stellt, ist der Norden Deutschlands (Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen) mit knapp 16 Mio. t (-6,3 Prozent) Haupttreiber der Reduzierung – sowohl in der Schweine- (rund 695.000 t) als auch in der Rinderhaltung (rund 255.000 t). Der Osten verliert rund 4,8 Prozent (ca. 160.000 t), die Region Süd verliert 4 Prozent. Auch in der Mineralfutterproduktion setzte sich der allgemeine Trend der Vorjahre fort. Im Jahr 2022 sank die Zahl auf rund 587.000 t (-7,4 Prozent). Im Vorjahr waren rund 635.000 t und ein Rückgang um 2,9 Prozent zu verzeichnen.
Die Umsätze der deutschen Mischfutterhersteller stiegen im Kalenderjahr 2022 von rund 8,3 Mrd. Euro auf 10,5 Mrd. Euro. Grund für den Anstieg sind die höheren Preise für Rohstoffe und Energiekosten und die damit verbundenen direkten Auswirkungen auf den Futtermittelpreis. Mit insgesamt 281 Mischfutterbetrieben sind sechs weniger als im Vorjahr auf dem Markt.
Die Gründe sind vielfältig, bei den Veränderungen wird jedoch eines deutlich: der steigende Verwaltungsaufwand führt zu Kooperationen und dem Bestreben, die zentralen Aufgaben wie den Einkauf der Rohstoffe oder das Qualitätsmanagement gemeinsam zu betreiben. Auch andere Themen wie Energiemanagement, immer umfangreichere Genehmigungsverfahren oder Meldeverpflichtungen im Bereich der Statistik lenken die Unternehmen von ihrer eigentlichen Aufgabe ab, dem ständigen Bestreben, hochwertige Futtermittel für die optimale Ernährung zu liefern.
Von der Politik erhoffen wir uns umfassende Konzepte und Leitlinien, um den Herausforderungen beim Umbau der Tierhaltung in Verbindung mit steigenden Kosten erfolgreich zu begegnen.
Die Mischfutterpreise haben sich in Folge des Kriegsgeschehens in der Ukraine auf einem konstant hohen Niveau eingependelt. Zwar sind die Umsatzzahlen beim Mischfutter gestiegen, letztlich gehen sie aber mit den gestiegenen Preisen für Rohstoffe und Energie und der damit verbundenen Weitergabe einher. Im Ausblick sehen wir derzeit keine durchgreifenden Veränderungen der aktuellen Situation. Das hängt auch mit der politischen Gesamtlage zusammen. Der Ukraine-Krieg hat selbstredend Auswirkungen auf die Energieversorgung und weniger auf die Rohstoffverfügbarkeit. Aber die Tatsache, dass der größte Kostenblock im Mischfutterwerk nach den Rohstoffkosten die Energiekosten sind, macht deutlich, dass wir alles daran setzen müssen, von den Vorteilen der Energiepreisbremsen und möglichen Zuschüssen von Hilfsprogrammen zu profitieren, um die Landwirtschaft beim Kauf ihrer Futtermittel nicht zusätzlich zu den ohnehin schon vorhandenen Beeinträchtigungen weiter zu belasten.
Die Unsicherheit über drohende Tierseuchen wie die Afrikanische Schweinepest und die Geflügelgrippe tun ihr Weiteres, um die Branche unter Spannung zu halten. Wir leben von Tag zu Tag, von Woche zu Woche und befinden uns in der Dauerkrise.
Erwartungen an die Politik
Von der Politik erhoffen wir uns umfassende Konzepte und Leitlinien, um den Herausforderungen beim Umbau der Tierhaltung in Verbindung mit steigenden Kosten erfolgreich zu begegnen. Die gesamte landwirtschaftliche Branche ist leistungsstark und innovativ. Aber um höchste Qualitätsstandards, eine optimale Versorgung und Tierwohl sicherzustellen, brauchen wir – braucht die Landwirtschaft – langfristige Perspektiven mit wirtschaftlicher Absicherung für alle Beteiligten.
Die Einkaufspreise für Lebensmittelerzeuger betreffen alle – von den Mischfutterbetrieben über die Landwirte bis zu den Verbrauchern an der Ladentheke. Zusammen mit den Herausforderungen in der Tierhaltung ist ein politisches Konzept und deren praktische Umsetzung unerlässlich, um wirtschaftliche Existenzen und die Finanzierbarkeit entlang der Wertschöpfungskette zu sichern. Das möchte ich vor allem deshalb unterstreichen, weil die gleichzeitige Verfolgung mehrerer Ziele wie Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Umbau der Tierhaltung eine stabile und kalkulierbare Politik benötigen.
Das, was wir jetzt erleben, ist eine Hängepartie besonderer Art. Obwohl die neue Regierung angekündigt hat, die längst überfälligen Entscheidungen zur Umsetzung in die Praxis zu treffen, warten wir immer noch, weil sich die Koalitionäre offenbar nicht einig werden können. Hier kann ich nur dringend appellieren, mit pragmatischen Ansätzen statt Grundsatzpolitik den Weg für die vielgepriesene Transformation der Tierhaltung zu ebnen.
Abschaffung der Putenhaltung
Die nun von der Regierung eingebrachten Eckpunkte zu den Haltungsbedingungen in der Putenhaltung, die in dieser Form einer Abschaffung dieses Produktionszweiges gleichkommen, fordern uns erneut zu handeln. Da freuen sich bereits die Länder um uns herum, die dann ihrerseits Ware nach Deutschland importieren. Und wir geben in einem weiteren Segment unsere Unabhängigkeit auf. Der Rückgang der Tierzahlen und die Aufgabe von landwirtschaftlichen Betrieben spricht eine deutliche Sprache. Das Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit ist derzeit gering. Unsere Produktion wandert in andere Länder, und wir stellen zugleich fest, dass der Konsum deutlich langsamer zurück geht und Lebensmittel importiert werden. Ob der Standard unseren Vorstellungen gerecht wird, möchte ich bezweifeln. Es wäre ein Verbrechen an der deutschen Landwirtschaft, wenn man die erreichten hohen Standards nunmehr dem globalen Markt preisgibt. Wir plädieren deshalb auch unbedingt für einheitliche europäische Regelungen und bilaterale Abkommen mit anderen Regionen wie Mercosur, um die Wettbewerbsgerechtigkeit sicherzustellen. Wir dürfen uns dabei aber nicht als der Besserwisser aufspielen und glauben, dass in Europa oder Deutschland das Wissen um die Umweltaspekte und die Nachhaltigkeit besser ist als in anderen Regionen dieser Welt. Ein weiterer Aspekt wird in der Diskussion um den Klimaschutz angeführt: die Reduzierung des Konsums, um die Anzahl der Tiere zu reduzieren. Auch wenn von interessierter Seite noch so oft eine Umstellung des Ernährungsverhaltens proklamiert wird, liegt es doch in der Entscheidung des Verbrauchers, was er isst und wie oft er Fleisch konsumiert. Die jüngsten Rücknahmen von veganen Produkten aus den Regalen verschiedener Anbieter in der Systemgastronomie sprechen hierzu eine deutliche Sprache.
Wir sind überzeugt, dass auch zukünftig der Genuss von Fleisch und die Versorgung mit Fleisch und anderen tierischen Lebensmitteln eine große Bedeutung hat, und deshalb ist mir auch nicht bange, wenn ich an die Zukunft der Futtermittelbranche denke. Von der Abschaffung der Tierhaltung kann keine Rede sein. Im Gegenteil: wenn sich die Gemüter zu diesem Thema beruhigt haben, wird sicherlich deutlich, dass im Kreislauf die Verwertung von Co-Produkten über die Veredlung im Tier eine wichtige Rolle spielt und für den Konsum von Gemüse auch die Kuh oder das Schwein erforderlich ist. Natürlich hat sich der Verbrauch von tierischen Lebensmitteln in den vergangenen Jahren reduziert. Und er wird es auch weiter tun, wenn die tierischen Lebensmittel nicht bezahlbar sind und die finanziellen Möglichkeiten des Verbrauchers übersteigen.
Der Trend zu mehr Bioprodukten wird aktuell aufgehalten durch das begrenzt zur Verfügung stehende Haushaltsgeld in einem stark inflationären Umfeld, bei dem die Energiekosten in drastischer Weise das verfügbare Einkommen der Privathaushalte und somit auch die Kaufbereitschaft beeinflussen. Wir sehen aber auch, dass die immer wieder neu entstehenden „Wünsche“ aus dem Lebensmittelsektor zusätzlich belastend wirken, weil sie zu einer weiteren Differenzierung des Marktes führen, deren Folgen teilweise nicht umfassend abgeschätzt werden können.
Eurokraten wenig praxisnah
Ich kann dies am Beispiel der totalen Rückverfolgbarkeit der Rohstoffe deutlich machen, die ab dem Jahr 2025 durch die neue EU-Entwaldungsverordnung gefordert und von einigen in der Lebensmittelkette gefeiert wird. Diese Rückverfolgbarkeit gilt für Kaffee und Kakao genauso wie für Palmöl und Soja. Während beim Kaffee die Sackware eine Rückverfolgbarkeit noch einigermaßen möglich macht, kommen im Futtermittelsektor überwiegend Schiffsladungen, also Schüttgut – mit 60.000 t –, die dann im Einzelnen nach der neuen Verordnung zurückverfolgt werden sollen. Das ist alles möglich, aber auch aufwändig. Die Dokumentation hat dann ihren Preis. Meine Kritik geht an die Eurokraten, die nicht praxisnah agieren und eine Verordnung verabschieden, danach aber erst die Praxistauglichkeit prüfen um dann mühsam mit den Verbänden nach Lösungen zur Umsetzung suchen. Zusätzlich binden diese Themen Kapazitäten in unseren eher mittelständisch geprägten Betrieben. Dies führt zu höheren Kosten, die an unsere Kunden weitergegeben werden müssen und damit die Landwirtschaft zusätzlich belasten. Der Strukturwandel in unserer Branche wird dadurch ebenfalls beschleunigt.
Cord Schiplage, Präsident Deutscher Verband Tiernahrung (DVT),
Geschäftsführer GS agri, Schneiderkrug. Foto: DVT