Faire Verhandlungen auf Augenhöhe
Perspektiven von Bioware im LEH - Verbandsware erhöht Einflussnahme
Die Absatzdelle auf dem Markt für ökologisch erzeugte Produkte ist durchschritten. Der klassische Lebensmitteleinzelhandel (LEH) sowie Discounter dominieren mit einem Anteil von fast 70 Prozent die Bio-Umsätze in Deutschland. Damit verändern sich für Landwirte und Anbauverbände die Lieferbedingungen. Über ein faires Miteinander und die Perspektiven des Absatzes von Bioprodukten diskutierten im Juni 2024 auf den DLG-Feldtagen in Erwitte Staatssekretärin Silvia Bender vom Bundesagrarministerium (BMEL), Josef Schmidt, Bioland-Landwirt und Vorstand beim Anbauverband Bioland, Jörg Große-Lochtmann, Vorstand Marktgesellschaft der Naturland-Bauern AG, René Döbelt, DLG-Vizepräsident und Biolandwirt sowie Prof. Andreas Gattinger vom Lehrstuhl Ökolandbau der Universität Gießen.
Die Bundesregierung hält fest an ihrem Ziel, bis 2030 einen Anteil des Ökolandbaus von 30 Prozent an der gesamten landwirtschaftlichen Fläche zu erreichen. EU-weit liegt die Vorgabe bis 2030 bei 25 Prozent der Flächen. Bislang bewirtschaften Ökobetriebe in Deutschland 11 Prozent. Das höre sich ambitioniert an, doch habe das 30-Prozent-Ziel gute Gründe, so die BMEL-Staatssekretärin Bender (Grüne) auf den DLG-Feldtagen. Eine ökologische Wirtschaftsweise sei geeignet, die Folgen von Klimawandel und Artenschwund, die die Ernten bedrohen, nachhaltig zu bewältigen. Auf der Podiumsdiskussion auf den DLG-Feldtagen zur Zukunft des Ökolandbaus sprach Bender vom Öko-Mainstream als Innovationstreiber, der beispielsweise mit der Hacktechnik auch im konventionellen Anbau Einzug hält.
Bender weiß um den Einbruch nach dem Hype in der Corona-Pandemie auf dem Markt für Ökoprodukte. Der inflationsbedingte Preisanstieg in den vergangenen zwei Jahren habe zu Kaufzurückhaltung und Umsatzeinbrüchen geführt. Ungeachtet dessen schätzen die Verbraucher ökologisch angebaute Produkte aus der Region. Dieses Segment bringe eine hohe Wertschöpfung in die Betriebe. Um den Ein- und Umstieg in die Ökolandwirtschaft attraktiver zu machen, „wollen wir den Austausch mit der Branche und besonders mit jungen Leuten intensivieren“, so Bender.
Das 30-Prozent Bioanteil bis 2030 hat gute Gründe.
Silvia Bender, Staatssekretärin im Bundesagrarministerium
Ein weiteres wichtiges Feld sei der Aufbau von Wertschöpfungsketten und die Stärkung von Bioprodukten im Außer-Haus-Verzehr. Bender bedauert, dass die EU-Kommission die vom BMEL gewünschten Änderungen „Green by concept“ im nationalen Strategieplan der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ab 2025 nicht bewilligt habe (siehe Infobox).
Ausnahmen bei der Bodenbedeckung
Die EU-Kommission hat im März 2024 einen Vorschlag zu den Änderungen bei der Konditionalität, bei GLÖZ 5 ( Begrenzung von Wasser- und Winderosion) und GLÖZ 6 (Bodenbedeckung) „Green by concept“ vorgelegt. In den Beratungen auf EU-Ebene hat sich das BMEL dafür eingesetzt, dass bei zertifizierten Öko-Betrieben – ähnlich wie schon bei GLÖZ 7 (Fruchtwechsel)– auch bei GLÖZ 5 und GLÖZ 6 ohne weitere Kontrollen davon ausgegangen werden kann, dass diese die Bewirtschaftungsvorgaben der GLÖZ-Standards 5 und 6 erfüllen, wie es das „Green by concept“ vorsieht.
Die EU-Kommission ist dem BMEL-Vorschlag, Ökobetriebe nicht zusätzlich zu kontrollieren, nicht gefolgt. Die Basisverordnungen wurden ohne eine Berücksichtigung von „Green by concept“ geändert. Gleichwohl eröffnet das geänderte EU-Recht den EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Ausnahmen von den Verpflichtungen bei GLÖZ 5 zuzulassen. Davon könnten Biobetriebe profitieren.
Hohe Preise wirken abschreckend
Vom einem Wachstum mit angezogener Handbremse sprach Jörg Große-Lochtmann, Vorstand Marktgesellschaft der Naturland-Bauern AG. „Die Verbraucher wollen Öko-Produkte konsumieren“, stimmte Große-Lochtmann der Staatssekretärin zu. Jedoch werden viele von den hohen Preisen abgeschreckt.
Ökolandwirten rät er, mutiger in der Zusammenarbeit mit dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) aufzutreten. So lassen sich die Preise für regionale Verbandsware nicht 1:1 wie in der konventionellen Landwirtschaft von den Börsenkursen ableiten. „Wir müssen mehr miteinander sprechen“, betonte Große-Lochtmann, der sich für den Erhalt langfristiger Lieferverträge ausspricht. Landwirte müssen zum Beispiel die Besonderheiten des Weizenanbaus in die Verhandlungen mit einbringen und die Vertreter des LEH darüber aufklären.
Für mehr Professionalität im Umgang mit dem LEH und den Discounten setzt sich Ökolandwirt und DLG-Vizepräsident Rene Döbelt ein. Deshalb sei ein Netzwerk der Erzeugergemeinschaften, wie es die Marktgesellschaft der Naturland-Bauern darstelle, wichtig. Der Ökolandbau habe sich aus der Nische zu einem Segment entwickelt. Der LEH ist mit im Boot, und wir Ökobauern müssen „Menge produzieren“, so Döbelt.
Josef Schmidt, Biolandwirt und Bioland-Vorstand, kann keine Abkehr der Verbraucher von Ökoprodukten erkennen. Vielmehr gebe es einen Wandel weg von den Bio-Fachgeschäften hin zu anderen Einkaufsstätten. Die hohen Bioumsätze im LEH zeigen, dass die Kunden weiterhin Ökoprodukte im Alltag konsumieren.
Den ökologischen Landbau in der Forschung voran bringen, dafür setzt sich Prof. Andreas Gattinger vom Lehrstuhl Ökolandbau an der Universität Gießen ein. Als Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Julius Thünen Instituts berichtete er in der Diskussion von vielversprechenden Getreide-Züchtungen für den Ökolandbau.
AHV-Logo informiert über Bio-Mahlzeiten
Als ein noch unterentwickeltes Terrain bezeichnete Moderator Dr. Achim Schaffner vom DLG-Fachzentrum Landwirtschaft die Bio-Außer-Haus-Verpflegung (AHV). „In den Kantinen finden die Gäste nicht die Produkte, die sie suchen“, bestätigte Staatssekretärin Bender. Diesen Absatzkanal will das BMEL mit der Bio-AHV-Verordnung seit 2023 voranbringen. Sie regelt die Kontrolle und Kennzeichnung von Bio-Lebensmitteln in der AHV. Das Bio-AHV-Logo informiert Gäste über Bio- Mahlzeiten auf der Speisekarte. Mit dem Förderprogramm Ökologischer Landbau finanziert das BMEL dazu Informationskampagnen und den Aufbau von Wertschöpfungsketten beispielsweise von vorverarbeiteten Produkten, die vor der Zubereitung regeneriert werden. „Wir kehren auch vor der eigenen Haustür“, sagte Bender. Ziel sei, in allen Kantinen von Bundeseinrichtungen den Anteil der Bio-Speisen auf 30 Prozent zu steigern.
Nachhaltige Wertschöpfungsketten aufbauen
Die Zusammenarbeit zwischen Verbänden und LEH sieht Bender positiv. Schon seit vielen Jahren ermögliche das Bio-Sortiment im Supermarkt den schnellen Einkauf und führe viele Menschen an „Bio“ heran. „Doch vermarktet der LEH nicht die Fruchtfolge, sondern nur einzelne Produkte“, stellte Bender fest. Hier seien Innovationen gefragt, um die gesamte Bio-Palette im LEH zu platzieren. Angesprochen auf die „harten Bandagen“ in den Verhandlungen mit dem LEH stellte Bender klar, dass eine auskömmliche Bezahlung für alle Landwirte Vorrang habe. Sie weiß um die starke Marktmacht von LEH und Discountern gegenüber der schwächeren Position der Landwirte. Um ein besseres Gleichgewicht für konventionelle und Öko-Landwirte herzustellen, werde das BMEL das Lieferkettengesetz nachbessern. Zusätzlich bestehe die Möglichkeit, so die Politikerin, mit der Anwendung von Artikel § 148 A der Gemeinsamen Marktordnung (GMO) nachhaltige Wertschöpfungsketten aus bestimmten kartellrechtlichen Vorgaben herauszulösen und damit Preisabsprachen über Lieferungen zu treffen. Dieses Instrument sollte stärker eingesetzt werden, um Bio-Produkte in den konventionellen Lieferkanälen auskömmlich bezahlt zu bekommen.
Artikel § 148 A erlaubt Wertschöpfungsketten aus kartellrechtlichen Vorgaben herauszulösen und Preisabsprachen zu treffen.
Silvia Bender, Staatssekretärin im Bundesagrarministerium
Gemeinsame Verhandlungsbasis
Ein Problem für Ökolandwirte sieht Naturland-Vorstand Große-Lochtman in der vom LEH geforderten sofortigen Bereitstellung von großen Mengen. Der LEH nehme keine Rücksicht auf eine dreijährige Betriebsumstellung von Öko auf Konventionell. Ferner entscheiden die Manager von Aldi & Co. darüber, Produkte aus dem Sortiment zu nehmen, wenn die Preisoptik nicht mehr passe. Hier würden plötzlich Ökowaren auf einem Spezialmarkt vakant, deren Austauschmöglichkeiten nicht so gegeben seien wie bei konventionellen Waren. Diese Besonderheiten müsse der LEH berücksichtigen.
Wie die Staatssekretärin plädierte auch Große-Lochtmann für stabile Wertschöpfungsketten sowie das Zustandekommen von langfristigen Lieferverträgen für Bioware. Darin sollte sichergestellt sein, dass, wenn die Preisvolatilität durchschlage, nicht ständig nachgebessert werden müsse. Denn die Lagerkapazitäten von Bioware seien vergleichsweise klein. Die Erzeugerpreisorientierung sollte in den Verhandlungen die Basis bilden, so Große-Lochtmann. Dabei gehe es nicht um Preisabsprachen, sondern um eine kostenbasierte, gerechte Entlohnung für den Landwirt. Denn wer sich langfristig für die ökologische Erzeugung entscheidet, könne nicht alle Jahre je nach Marktlage zwischen konventionell und ökologisch hin und her switchen.
Mehrfach in der Milch ertrunken
Ökolandwirt Josef Schmidt sprach im Hinblick auf die Zusammenarbeit von Bioland und Lidl von einer mutigen Entscheidung. „Hätten wir den Vertrag vor fünf Jahren entgegen vieler kritischen Stimmen nicht vereinbart, wäre vieles nicht in den Fluss gekommen, gerade was die Liefervereinbarungen betrifft“, so Schmidt. „Wir wären mehrfach in der der Milch ertrunken, hätte es die Kooperation von Bioland und dem LEH nicht gegeben. Der Absatz von regional erzeugter Biomilch habe dadurch an Dynamik gewonnen. Nunmehr arbeiten auch Edeka und Naturland zusammen. Dadurch sei es gelungen, die von Große-Lochtmann angesprochene Austauschbarkeit der Waren zu reduzieren, „weil der LEH mit uns zusammenarbeiten muss“.
Ökoeinkauf bis 24 Uhr
Die Gespräche mit dem LEH seien nicht einfach, so der Bioland-Vorstand. Es gehe darum, den Verhandlungspartnern zu erklären, warum der höhere Preis gerechtfertigt ist. Die Einkäufer entwickeln aber langsam ein Verständnis für die Zusammenhänge eines Betriebes und dafür, dass Landwirte wegen der Fruchtfolge nicht jedes Jahr die gleiche Menge Weizen liefern können.
Schmidt sprach sich für ein Verbandsware-Sortiment im Supermarkt aus. Damit sei ein Ökoeinkauf bis Mitternacht möglich, wenn der Fachhandel längst geschlossen habe. Die Kunst sei es, eine Balance zwischen Handels- und Herstellermarken zu finden. Doch würden wir Bioerzeuger nicht mitmachen, würde der Discounter das Bio-Segment ohne uns gestalten, ist Schmidt überzeugt. Durch diesen Einstieg könnten die Verbands-Warevertreter Einfluss auf die Handelsware dahingehend nehmen, dass die Qualitätsstandards eingehalten werden.