EuroTier 2024: Rede des DLG-Präsidenten Hubertus Paetow - Zeitenwende für die Agrarwirtschaft

DLG-Präsident Hubertus Paetow fordert in seiner Eröffnungsrede zur EuroTier 2024 mit dem Leitthema "We innovate animal farming" eine Rückbesinnung auf die zuverlässigen Entscheidungsgrundlagen unternehmerischen Handelns: globale Nachfrage, technischer Fortschritt und Produktinnovation - eine Zeitenwende auch für die Agrarwirtschaft. Die EuroTier 2024 mit ihren vielfältigen, faszinierenden und zukunftsträchtigen Innovationen sei dafür genau der richtige Ort.

[…]Meine sehr verehrten Damen und Herren […], 

herzlich willkommen hier in Hannover zur Weltleitmesse der Tierhaltungstechnik, zur großen Show der vielfältigen, faszinierenden, zukunftsträchtigen Innovationen aus einem vielfältigen, faszinierenden und – ja – zukunftsträchtigen Wirtschaftszweig. Und auch wenn gerade um uns herum sehr viel passiert, was die Aufmerksamkeit auf andere Bereiche des Lebens lenken könnte, so glaube ich, dass wir alle hier und heute an genau dem richtigen Ort sind, auch um alle gemeinsam dazu beizutragen, dass es in unseren Gesellschaften wieder vorwärts geht.  

Die politischen Umbrüche sowohl in den USA als auch in Berlin resultieren zu nicht unerheblichen Teilen aus der Sorge der Menschen um das Wirtschaftssystem, das sie als Grundlage ihres Wohlstandes betrachten und von dem sie bemerken, dass es sich nicht so entwickelt, wie es das könnte. Das gilt für die robuste Wirtschaft in den USA – zumindest in der Wahrnehmung der Menschen, und das gilt ganz besonders hier bei uns in Deutschland, wo die Herausforderungen ungleich größer sind und wo die globalen Verflechtungen ungleich höhere Anforderungen an die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stellen. Das Gebot der Stunde ist also, sich mit aller Kraft für den Fortschritt in der Wirtschaft einzusetzen, sei es in der Politik, aber eben auch und vor allem in den verschiedenen Bereichen der Wirtschaft. 

Unternehmerisch relevante Neuigkeiten im Fokus

Denn auch wenn man angesichts der gesellschaftlichen Diskussion einen anderen Eindruck gewinnen könnte: Tierhaltung ist und bleibt ein Wirtschaftszweig, der zuallererst ökonomischen Grundsätzen folgt. Und als Akteur in einem solchen Wirtschaftszweig muss ich meine strategischen Entscheidungen an den wirtschaftlich relevanten Entwicklungen ausrichten und nicht am Verlauf gesellschaftlicher Diskussionen. Diese Diskussionen mögen Anhaltspunkte für zukünftige Nachfragetrends liefern, aber bei weitem nicht alles das, was in Medien und Politik eine Rolle spielt, wird irgendwann auch ökonomisch relevant.  

Um es kurz zu machen: Hier in Hannover sehen Sie in den nächsten Tagen die unternehmerisch relevanten Neuigkeiten in der Tierhaltung, die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit weiterentwickeln. Dass diese Fortschritte ohne Verbesserungen von Tierwohl und Tier- und Umweltschutz gar nicht möglich sind, ist für die Fachwelt selbstverständlich. 

Entscheidend für die Trends und Strategien in der Tierhaltung ist damit vor allem die globale Nachfrageentwicklung nach tierischen Produkten, und hier ist das Bild durchaus eindeutig: In den wohlhabendsten Ländern der Welt stagniert der Konsum tierischer Produkte – wobei die Volatilitäten durch die Corona-Krise eine genaue Betrachtung erschweren. 

Kompromiss bei Konsum tierischer Produkte erreicht

Nach einem deutlichen Rückgang in den Jahren der Pandemie deutet sich aktuell ein Paradigmenwechsel auch in der Ernährung an. Im Moment spricht vieles für eine Stabilisierung der Nachfrage nach tierischen Produkten auf niedrigerem Niveau. Das ist auch nicht anders zu erwarten, denn auch wohlhabende Gesellschaften werden sich auf absehbare Zeit nicht komplett vegan ernähren. 

Wir haben anscheinend ein Niveau des Konsums tierischer Produkte erreicht, das die Verbraucherinnen und Verbraucher als einen vertretbaren Kompromiss zwischen Genuss und ökologischer Vernunft betrachten. 

In den Schwellenländern, der – was die Konsumentwicklung betrifft – bedeutsamsten Gruppe, lässt sich nach wie vor ein stetiger Anstieg des Konsums tierischer Produkte beobachten, und das wird auch noch eine ganze Zeit so bleiben. Und dieser Trend betrifft nicht nur China, sondern auch Pakistan, Indien und Südamerika.  

Dieser Trend ist für eine Weltleitmesse nicht nur deshalb relevant, weil die Produktion in diesen Ländern mit der Nachfrage Schritt halten muss.  

Insbesondere auch der Aspekt des globalen Handels, der globalen Arbeitsteilung und der Nutzung komparativer Standortvorteile auch in Bezug auf die Nachhaltigkeit der Produktion ist ein wichtiges Thema. 

Globale Nachfrage nachhaltig erfüllen

Viele (in den Bubbles der wohlhabenden Gesellschaften) kritisieren eine Tierhaltung in Deutschland und Europa, bei der auch, wie es heißt, „für den Export“ produziert wird. Das ist für mich eine wenig zielführende, irreführende Debatte. 

Die FAO prognostiziert einen weiteren Anstieg des weltweiten Fleischkonsums um 12 Prozent in der laufenden Dekade.  

Das ist die relevante Zahl für eine europäische Tierproduktion, denn diese globale Nachfrage wird nur dann nachhaltig erfüllt werden können, wenn eine nachhaltige Tierproduktion in Europa einen wesentlichen Teil dazu beiträgt. 

Und das steht in keinem Widerspruch zu den Nachhaltigkeitsstrategien in der Ernährungspolitik, denn was spricht (denn) dagegen, dass wir uns in Europa weniger klimaschädlich ernähren und trotzdem unseren Beitrag dazu leisten, dass in anderen Teilen der Welt die Konsumenten ihren Bedarf an nachhaltig erzeugten tierischen Produkten decken können. Eine politisch verordnete Bindung der Tierproduktion an die nationale Nachfrage dagegen heißt nichts anderes als Protektionismus und Renationalisierung der Wirtschaft. 

Differenzierte Betrachtung des Klimafußabdrucks

Ein weiterer wichtiger Punkt sowohl in der Gesellschaft als auch auf dieser Ausstellung ist der Einfluss der Tierhaltung auf den Klimawandel. Die beliebte pauschale Verurteilung der Tierproduktion im Sinne von „Tierhaltung schadet dem Klima“ und erst recht der irrationale Umkehrschluss „Verzicht auf tierische Produkte ist Klimaschutz“ gehen an der wissenschaftlichen Evidenz vorbei. Vielmehr muss eine Ausrichtung der Ernährung am Klimafußabdruck der einzelnen Nahrungsmittel erfolgen.  

Und hier ist das Bild wesentlich differenzierter, als dies auf den ersten Blick erscheint. Da geht es um die erheblichen Unterschiede zwischen den Tierarten in der Emission, es geht um den positiven Beitrag des genutzten Grünlandes und es geht um die Emissionen bei der Verarbeitung, die auch bei pflanzlichen Lebensmitteln eine Rolle spielen.  

So kann ein Hähnchen aus deutscher Stallhaltung eine genauso gute Treibhausgasbilanz aufweisen wie ein Ersatzprodukt aus importiertem Seitan. 

Die Verbesserung der Klimawirkung unserer Ernährung gelingt eben nicht durch eine Behinderung der Erzeugung, sondern durch eine Ernährungspolitik, die Klimawirkung messbar und transparent macht und darauf aufbauend wirksame Anreize auf der Verbraucherseite setzt.  

Nachhaltigkeitsbewertung in der Branche entwickeln

Eine Grundlage für eine solche Ernährungspolitik ist schon angelegt in den aktuellen Regulierungsaktivitäten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung im Rahmen der verschiedenen Lieferkettengesetze sowie der verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung. Auch wenn die Regulierer in Brüssel und Berlin gerade ihr Bestes tun, diesen an sich zielführenden Ansatz gründlich zu verkorksen, wird diese Entwicklung weiterlaufen, und wir tun gut daran, uns in den Unternehmen darauf einzustellen. 

Die Datengrundlage für diese Systeme muss dabei so einfach und effizient wie möglich zu erfassen sein, und es ist keinem geholfen, wenn sich auch in diesem Bereich die Bürokratie eine Spielwiese schafft. 

Wir müssen schnellstens auch innerhalb der Branche gangbare Systeme der betrieblichen Klimabewertung entwickeln und erproben, sonst tun dies andere, und wohin das führt, sehen wir bei den Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung in Großunternehmen. Lassen Sie uns die nächsten Tage nutzen, auch dieses Thema zu diskutieren, auch dafür ist eine Weltleitmesse der richtige Ort. 

Investitionen als Treibstoff des Wachstums

Investitionen sind der Treibstoff des Wirtschaftswachstums. Die Betriebsergebnisse in der Tierhaltung sind aktuell, und damit meine ich die letzten beiden Jahre, in allen Bereichen sehr gut gewesen, und auch die Perspektive ist zumindest bei Milch und Geflügel sehr positiv.   

Aber: Trotz der guten Liquidität und der anscheinend gegebenen Wettbewerbsfähigkeit sehen wir zumindest in Deutschland wenige Investitionen in Tierhaltungsanlagen, weder in mehr Tierwohl noch in eine Erweiterung der Kapazität. So beklagt der Milchindustrieverband, dass trotz historisch hoher Rohstoffpreise die Anliefermenge nicht ausreicht, um die steigende Nachfrage nach Milchprodukten zu bedienen.  

Und das ist ein Alarmsignal, das uns allen zu denken geben sollte, ja, das es erforderlich macht, dass wir aus der Branche heraus die Initiative ergreifen.  

Denn diese toxische Stimmung, diese Zweifel vor allem bei den jungen Menschen an der Zukunft des Geschäftsmodells Tierproduktion müssen schnellstens überwunden werden. Und das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – hier kann Politik sich nützlich machen und mit preiswerten positiven Botschaften viel erreichen. 

Positive Botschaften statt widersprüchlicher Signale

Die Vorlagen für diese Botschaften liegen auf dem Tisch.  

Hinter uns liegt eine Phase des intensiven und zum größten Teil auch erfolgreich abgeschlossenen Diskurses über die Zukunft von Landwirtschaft und Tierhaltung. Stakeholder-Dialoge wie Borchert und ZKL haben tragfähige Ergebnisse erarbeitet und Wege aufgezeigt, wie gesellschaftliche Anforderungen und wirtschaftliche Realität übereinander zu bekommen sind.  

Das „Aus“ für Borchert bzw. die fehlende Bereitschaft der Politik zur Finanzierung des gesellschaftlich geforderten Umbaus der Tierhaltung sendet nun aber genau das falsche Signal: So ernst ist es uns als Gesellschaft mit dem Umbau der Tierhaltung dann wohl doch nicht, als dass wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine 2 bis 3 Prozent höhere Mehrwertsteuer auf tierische Produkte zumuten wollten. Und auch der Handel überbietet sich zwar bei den Ankündigungen, aber weniger bei den Einkaufspreisen für Tierwohlprodukte. 

Auf solchen widersprüchlichen Signalen aus Politik und Markt lassen sich keine betrieblichen Investitionsstrategien aufbauen. 

Zeitenwende auch im Agrarbereich

Ich meine, es ist an der Zeit, dass wir uns in den Unternehmen und auch in der Politik wieder auf die zuverlässigen Entscheidungsgrundlagen unternehmerischen Handelns besinnen – globale Nachfrage, technischer Fortschritt und Produktinnovation. Wir brauchen eine Zeitenwende auch im Agrarbereich. Nachhaltige Ernährungssysteme ohne Tierhaltung sind zwar denkbar, aber sinnlos. Eine Umerziehung der Menschheit zur veganen Ernährung ist weder wissenschaftlich geboten noch gesellschaftlich gefordert. Und wenn es denn auch in Zukunft Tierhaltung geben wird, dann doch bitte modern, effizient und auch ökonomisch erfolgreich. Und dafür sind Sie alle hier genau am richtigen Ort. 

Dass Fortschritt, Innovationsgeist und Nachhaltigkeit zusammengehören, zeigen nicht nur die vielfältigen Lösungen für die Tierhaltung, die wir hier in Hannover in den kommenden Tagen erleben dürfen. Das verdeutlicht auch die EnergyDecentral als der Branchentreff für die internationale Erneuerbare-Energien-Branche in besonderer Weise. Hier stehen Lösungen aus dem Bereich der dezentralen Energieerzeugung von Biogas über Solarenergie und Windkraft bis hin zu Smart Energy im Fokus. Erneuerbare Energien, Landwirtschaft und Tierhaltung bilden gemeinsam eine Kreislaufwirtschaft. Nachhaltige Lösungen für ein tragfähiges Agrar- und Ernährungssystem von morgen stehen bei der Inhouse Farming – Feed & Food Show im Mittelpunkt mit einem vielfältigen Programm zu Zukunftsthemen wie Aquakultur, Insektenzucht und Controlled Environment Agriculture.  

Neuer Rekord bei Länderpavillons 

Die EuroTier 2024 mit dem Leitthema „We innovate animal farming“ ist eine echte Leuchtturm-Messe. Mehr als 2.200 Aussteller werden hier in den kommenden Tagen ihre Lösungen zeigen, das ist eine deutliche Steigerung gegenüber 2022. Die EuroTier ist die Weltleitmesse für Tierhaltung und Livestock-Management: Rund 65 Prozent der Aussteller kommen aus dem Ausland nach Hannover. Zudem haben wir in diesem Jahr 25 Länderpavillons, das ist ein neuer Rekord. Erfreulich ist auch, dass knapp 40 Start-ups aus 16 Ländern ihre innovativen Konzepte auf der EuroTier präsentieren.  

Mein herzlicher Dank gilt an dieser Stelle besonders dem Team um EuroTier-Projektleiterin Ines Rathke und allen Beteiligten innerhalb der DLG, die unermüdlich daran mitgearbeitet haben, eine solche beeindruckende und inspirierende Messe zu organisieren!  

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Ausstellerinnen und Aussteller, liebe Politikerinnen und Politiker: Ich wünsche Ihnen eine spannende EuroTier mit vielen interessanten Gesprächen und Austausch mit Tierhaltungsprofis aus der ganzen Welt. Das vielfältige Angebot aus mehr als 500 Events und Fachveranstaltung greift die Themen auf, die für die Zukunft unseres Wirtschaftszweiges wichtig sind.  

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Ausstellerinnen und Aussteller, ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Abend mit anregenden Gesprächen und eine spannende EuroTier 2024.  

Fotohinweis: DLG / T. Jaworr

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