DLG-Lebensmitteltag Spezial 2025: KI als „Secret Ingredient“ und „Copilot“
Online-Veranstaltung mit über 80 Teilnehmenden – KI hilft „Zeitfresser“ in Produktentwicklung zu reduzieren –Tools gezielt und verantwortungsvoll einsetzen und Ergebnisse kritisch reflektieren
Künstliche Intelligenz (KI) eröffnet gerade auch dem Mittelstand vielfältige Möglichkeiten in der Produktenwicklung. Unter Einbeziehung von Verbraucherpräferenzen können Produktideen generiert, Rezepturen entwickelt oder modifiziert werden. Unternehmensintern helfen KI-Tools und ein digitalisiertes Informations- und Wissensmanagement Fachkräften bei der Auswahl von Rohstoffen und Zutaten, bei der Kreation von Prototypen und der Produktionsskalierung. Die sich bietenden Chancen sollten aktiv genutzt und die am Markt angebotenen vielfältigen KI-Tools gezielt und verantwortungsvoll eingesetzt werden, um Personal zu entlasten, Kosten zu sparen und dem immer kürzeren Time-to-Market zu begegnen. So lautet die Botschaft des „Lebensmitteltags Spezial“ der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft), bei dem rund 80 Fach- und Führungskräfte aus der Lebensmittelwirtschaft zum Thema „KI-unterstützte Produktentwicklung: Neue Wege für geschmackvolle Lebensmittelinnovationen“ online diskutierten.
Smart Working in der Produktentwicklung
Die Smarte Revolution ist in vielen Bereichen der Lebensmittelverarbeitung voll im Gang. Automatisierung, Digitalisierung und intelligente Systeme unterstützen die Abläufe und entlasten die Mitarbeitenden. Wie sich die Situation in der Produktentwicklung darstellt, zeigte Prof. Dr. Christian Klein, UMYNO Solutions GmbH (Frankfurt/M.) in seinem Vortrag „KI in der Produktentwicklung – Strukturen, Tools und Perspektiven“. Alle reden über die KI. Klein erklärte, dass es jedoch nicht die „eine“ KI gibt, sondern, dass KI-Tools so vielfältig sind, wie die Prozesse in der Lebensmittelverarbeitung. Zudem entwickeln sich die KI-Tools ständig weiter und werden entgegen so manchem Modetrend nicht mehr vom Markt verschwinden. In der Praxis dominieren derzeit schwache KI-Modelle (engl. narrow AI) – also Systeme, die auf klar abgegrenzte Aufgaben spezialisiert sind, wie etwa die Textverarbeitung. „Eine schwache KI löst immer nur ein Problem. Starke KI-Modelle hingegen sollen über eine allgemeine Problemlösefähigkeit verfügen – ähnlich wie ein Mensch. Einige Experten schätzen, dass eine solche KI in etwa 10 bis 15 Jahren verfügbar sein könnte“, sagte Klein.
KI als Secret Ingredient
Aktuell finden die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen, auch unter Einsatz von KI-Tools, sowie die interne Vernetzung von Datenpools, vor allem in der Produktion, im Vertrieb, teilweise in der Qualitätssicherung und forciert in der Verwaltung und im Personalwesen statt. Die Produktentwicklung hingegen, die eigentlich den Kern eines erfolgreichen Unternehmens bildet, hat noch einen geringen Digitalisierungsgrad und arbeitet vielerorts mit „Insellösungen“ wie Excelsheets, Word- oder PDF-Dokumenten und PowerPoint, um Informationen und Wissen zu speichern. Der Abbau von Medienbrüchen, eine Vernetzung mit anderen Abteilungen und auch die Digitalisierung bzw. Automatisierung von Abläufen sind dringend geboten, um dem Personalmangel und dem immer kürzeren Time-to-Market zu begegnen. KI ist das Secret Ingredient für die Produktentwicklung, welches als Copilot die Fach- und Führungskräfte unterstützt, um „Zeitfresser“ zu reduzieren und wichtige Vorarbeiten zu leisten, so Klein.
Digitalisierung sämtlicher Informationen
Die von der KI generierten Ergebnisse sind anschließend stets von den Fachkräften kritisch, auch auf Gesetzeskonformität, zu prüfen – ggf. gemeinsam im Entwicklungsteam zu modifizieren und final praktisch umzusetzen, so dass der Mensch stets die Oberhand behält und nicht ersetzt, sondern entlastet wird. Klein stellte zudem einige praktische Use-Cases vor, die in Betracht zu ziehen seien. So ermöglichen KI-Tools die automatische Erstellung von Rohstoffspezifikationen der Vorlieferanten, die Entwicklung neuer Rezepturvorschläge sowie Rezepturvergleiche oder auch die Optimierung von Rezepturen bei Zutatenänderungen. Es lassen sich nicht nur die Kundenakzeptanz vorhersagen und damit der Anteil praktischer Konsumententests in der Marktforschung reduzieren, sondern auch automatisiert Projektberichte erstellen. Voraussetzung ist allerdings die Digitalisierung sämtlicher Informationen und deren systematisierte, strukturierte Ablage im innerbetrieblichen Wissensspeicher der Produktentwicklung, auf dem die KI trainiert wird und worauf deren Empfehlungen basieren. So können bestehende Rezepturen und gesammelte Erfahrungen über die Wechselwirkung und multisensorische Interaktion von Inhaltsstoffen digital abgelegt und für zukünftige Produktkonzepte von allen Mitarbeitenden effizient genutzt werden. Neu gewonnene Erkenntnisse und Praxiserfahrungen, gerade auch beim Einsatz alternativer Proteinquellen, können unmittelbar und sukzessive ebenfalls im zentralen Datenpool gesammelt und im Anschluss effizient, auch unter Einsatz von KI-Tools, erneut genutzt werden. Die von UMYNO entwickelten Software-Lösungen unterstützen sämtliche Prozesse in der Produktentwicklung, sind einfach zu bedienende Anwendungen, lassen sich sowohl mit SAP als auch mit anderen betrieblichen Systemen vernetzen und haben sich bei einer Vielzahl von Unternehmen bereits innerhalb kürzester Zeit sowohl finanziell als auch fachlich bewährt.
Höhere Effizienz in der Markt- und Konsumentenforschung
Wie KI-Tools die Markt- und Konsumentenforschung unterstützen und helfen die Anzahl der meist aufwendigen und teuren Feldversuche und Verbrauchertests zu reduzieren, machte Yuwon Song (Symanto Research GmbH, Nürnberg) in ihrem Vortrag „Alle reden über den Geschmack – Möglichkeiten KI-basierter Textanalysen und generativer KI-Tools in der Konsumenten- und Produktforschung“ deutlich. Bereits seit 2010 bietet das Unternehmen KI-basierte Software-Tools zur Informationsgewinnung durch die Verarbeitung natürlicher Sprache. Denn Lebensmittel und Getränke bieten immer Anlass für ein Gespräch, einen Zubereitungs- oder Verzehrstipp sowie auch für Kritik. Diese Angaben umfassen neben den unternehmenseigenen Kundenfeedbacks auch Aussagen im World Wide Web. Denn gerade mit Social Media hat sich die Kommunikation über das, was wir essen und unsere Einstellung dazu noch weiter potenziert, so dass eine Art Big Data im Web entstanden ist, dessen Analyse ein enormes Informationspotenzial birgt. Mit Hilfe spezifischer KI-Tools und in Kooperation mit den verschiedenen Plattform-Anbietern lassen sich so, unter Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben, diese vielfältigen unstrukturierten Textdaten aus Kundenfeedbacks, Vorlieben und Kommentaren in Foren oder Blogs systematisieren, gezielt betrachten und wertvolles Wissen und Consumer Insights generieren. Entwickelt wurden diese digitalen und intelligenten Marktforschungs-Instrumente von internationalen Expertenteams u.a. bestehend aus Linguisten, Psychologen, Kulturwissenschaftlern, Daten-Analysten, IT-Experten und Marketing- bzw. Marktforschungs-Profis, so dass sämtliche Aspekte zur Eruierung und zum Verständnis des Konsumentenverhaltens abgedeckt sind. Es wird nicht nur analysiert was im Netz geschrieben wird, sondern auch welche Einstellungen, Emotionen und Wertvorstellungen damit verbunden sind. Dies liefert zusätzliche Informationen.
Deutlicher Mehrwert
Anhand verschiedener Fallbeispiele machte Song deutlich, wie unter Einsatz von KI-Tools in der Marktforschung neue Märkte und Wachstumspotenziale aber auch interessante alternative Kundengruppen und Produktkonzepte eruiert, Markt- und Produkttrends beobachtet und Wettbewerber analysiert werden können. Zudem lassen sich auch die Prozesse in der Produktentwicklung gezielt unterstützen, indem fokussiert Kundenfeedbacks überprüft und aus den Kritiken sowie dem Benchmarking neue Potenziale und Strategien für das Rezepturmanagement abgeleitet werden. So konnte zum Beispiel einem Kunden, dessen Produktabsatz plötzlich stagnierte und dann rapide abfiel, bei der Identifikation des Problems über eine KI-basierte Textanalyse sehr effizient und zeitnah geholfen werden. Wie so oft, lag es am Geschmack des Produktes. Rezeptorische als auch prozesstechnische Anpassungen waren die Folge und führten zur Wiederherstellung der Kundenzufriedenheit und der Absatzzahlen. Auch die Schnelligkeit und die Kosten dieser KI-Tools sprechen für sich. So sind eine Kostenreduktion im Vergleich zur traditionellen Konsumententests von 70 Prozent und Zeitfenster von ca. drei Tagen bis zur Ergebnislieferung nicht selten. Hinzu kommen, gemäß den Erfahrungen von Symanto, Fallbeispiele, wobei zwei Neuprodukte innerhalb von 11 Monaten gelauncht wurden und in 6 Monaten die Marktführerschaft erreichten.
Lösungen für komplexe Fragen
„Die Art wie Menschen Geschmäcker und Düfte verbal beschreiben und welche Aussagen sich daraus für die Markt- und Konsumentenforschung ableiten lassen, sind immens. Es bieten sich daraus vielfältige Ansätze zur Lösung von Absatzproblemen, für neue Produktkonzepte oder aber für Rezepturmodifikationen. Man sollte diesen Wissensfundus aus dem sich Aromaprofile, kulturelle Präferenzen und psychologische Verhaltensweisen ablesen lassen, nicht unterschätzen, sondern gezielt und effizient nutzen“, so Song in ihren Ausführungen. Symanto bietet neben einfach zu bedienenden KI-Tools auch kompetente Unterstützung für komplexere Fragestellungen, die gerade auch mittelständische Unternehmen in der Lebensmittelbranche entlasten können. Ein weiterer Vorteil dieser entwickelten und permanent überwachten KI-Systeme ist, dass Halluzinationen, also Fehler durch falsche oder irreführende KI-generierte Ergebnisse oder „erfundene“ Quellen, entgegengewirkt wird. Somit können durch diesen „Faktencheck“ bzw. diese Art Qualitätskontrolle künstlich generierte und frei erfundene Antworten, die semantisch korrekt erscheinen aber faktisch falsch sind, ausgeschlossen werden. Ein wichtiger Baustein sowohl im Risikomanagement in den Betrieben, der zudem hilft, eine höher Akzeptanz zu schaffen und bestehende Ängste bzw. Vorbehalte gegenüber dem Einsatz von KI zu begegnen.
Tradition und Moderne pragmatisch verbinden
Wie man Tradition mit Moderne verbindet und Ängsten mit gemeinsamem pragmatischem Handeln begegnet, stellte Alexandra Demuth, Katlenburger Kellerei (Katlenburg) in ihrem Vortrag „Tradition trifft KI – wie ein mittelständisches Unternehmen den ersten KI generierten RTD Cocktail entwickelte“ eindrucksvoll und sehr überzeugend dar. Entstanden ist die Idee der Nutzung generativer KI in der Produktentwicklung dadurch, dass man für die Fachmesse ProWein einen Kommunikationsanlass suchte und ein neues innovatives Produkt entwickeln wollte. Denn die Verbindung von Tradition mit Moderne war und ist schon immer Philosophie bei Katlenburg. Wichtig war die Zielsetzung und ein definiertes Zeitfenster von sechs Monaten, um den Rahmen abzustecken sowie die frühzeitige Einbindung der Mitarbeitenden. Deren Bedenken hinsichtlich Datenschutz, Arbeitsplatzverlust, Technik-Aversion und die Angst vor dem neuen Unbekannten wurden ernst genommen, gesammelt und visualisiert. Alle Themen wurden besprochen, so dass man gemeinsam die Idee verfolgte, Schritt für Schritt umsetzte und mittels verschiedener generativer KI-Tools, wie Neuroflash oder ChatGPT die Entwicklungsprozesse, konkret die Ideengenerierung und Rezepturgestaltung unterstützte. Auch die beteiligte Marketing-Agentur, ließ sich vom KI-Enthusiasmus anstecken und entwickelte inspiriert durch die Midjourney-KI die grafische Gestaltung und Etikettierung. Entscheidend war es, experimentierfreudig zu agieren und die KI stets als Ideengeber zu nutzen, die Fachkräfte bzw. das Team jedoch zur kritischen Reflektion und zur finalen Entscheidungsfindung in der Pflicht zu belassen. So ergab sich eine effiziente Kooperation von Mensch und technischer KI-Intelligenz, deren verschiedene Tools als Copilot gezielt eingesetzt und deren Ergebnisse kritisch betrachtet und final von Fachkräften umgesetzt oder verworfen wurden. Demuth berichtete, wie sie nicht nur das KI-generierte Getränk, sondern auch die innovative, mutige und pragmatische Vorgehensweise in der Kommunikation mit Kunden nutzten und damit eine immense Aufmerksamkeit und große Anerkennung erfahren haben, die bis heute anhält. Die von vielen stets vorgehaltenen Datenschutz-Bedenken konnte man nicht teilen, denn so hoch sensible Daten wurden nicht in die generative KI eingespeist. Und dadurch, dass weiterhin die Fachkraft, also der Mensch bzw. das Produktentwicklungsteam die Führung und Oberhand behielt, waren die Risiken gering bzw. stets unter Kontrolle. Durch diesen erfolgreichen Use-Case zur Entwicklung von Nano FIZZ haben die Mitarbeitenden ihre Ängste gegenüber KI abgelegt und aus dem kreativen Pilotprojekt hat sich ein fest etablierter, die Produktentwicklung beschleunigender und auch zukünftig unterstützend begleitender Prozess entwickelt.
Fazit:
Den immensen Herausforderungen der Produktentwicklung und dem ständig kürzeren Time-to-Market kann mittels Digitalisierung und künstlicher Intelligenz wertschöpfend begegnet werden. Die vielfältigen KI-Tools entlasten sowohl als kreative als auch als administrative Assistenten die verschiedenen Prozesse von der Marktforschung und Ideengenerierung über die Rezepturentwicklung und dem Prototyping bis hin zur Produktoptimierung und Produktionsskalierung. Digitalisierung, Automatisierung und der KI-Einsatz helfen nicht nur den Fachkräftemangel und die Wissenslücken durch den Generationenwechsel zu kompensieren, sondern Zeitfresser und Arbeitsüberlast zu kompensieren. Prozesseffizienz, Kostenreduktion und fachlicher Nutzen lassen sich jedoch nur dann erreichen, wenn die Fachkräfte bei der Mensch-Maschine-Kooperation die Oberhand behalten und diesen neuen Technologien mutig, pragmatisch und verantwortungsvoll begegnen. Dazu gehört, dass zuvor die Ziele und Zeitfenster definiert, die richtigen KI-Tools ausgewählt und die Mitarbeitenden integriert und geschult sind sowie die Ergebnisse stets kritisch reflektiert werden. Dann ist und bleibt KI das Secret Ingredient und der Copilot der Produktentwicklung. Essentiell ist es jedoch anzufangen, um nicht abgehängt zu werden.
Grafik 1: KI-unterstützte Use-Cases in der Produktentwicklung
Quelle: UMYNO Solutions.
Grafik 2: Automatisierte Rezepturvorschläge
Quelle: UMYNO Solutions
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PM DLG LMltag Spezial_2025_Rückblick_final.pdf