DAF-Jahrestagung 2024: Ganzheitliche Konzepte für eine Nutztierhaltung im Einklang mit Tierwohl, Umwelt und Ökonomie
DAF-Jahrestagung 2024 bei der DLG in Frankfurt am Main – Führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen Lösungsansätze für Tierwohl in der Nutztierhaltung, verbesserten Umwelt-, Gesundheits- und Emissionsschutz sowie Biosicherheit vor.
Das Tierwohl verbessern, die Biosicherheit erhöhen und den Gesundheitsschutz steigern: Das sind vordringliche Aufgaben in der Nutztierhaltung. Auf der Jahrestagung zum Thema „Nutztierhaltung im Einklang mit Tierwohl, Umwelt und Ökonomie“ im Oktober in Frankfurt am Main diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DAF (Dachverband wissenschaftlicher Gesellschaften der Agrar-, Forst-, Ernährungs-, Veterinär- und Umweltforschung) diese Aufgabenstellungen im Detail. Stattgefunden hatte die Tagung in der Zentrale der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG). Über die Themengebiete Tierwohl, Umweltwirkungen der Tierhaltung, Biosicherheit und One Health sowie Ökonomie hinweg bestand ein Konsens: Die Nutztierhaltung ist elementarer Bestandteil eines nachhaltigen Agrar- und Ernährungssystems in Deutschland. Gleichwohl ist der Sektor gefordert, die Tierwohlleistungen in den Verfahren der Haltung von Rindern, Schweinen und Geflügel sowie Umwelteffekte zu verbessern.
„Die Tierhaltung ist unverzichtbarer Bestandteil einer nachhaltigen Landwirtschaft“, das betonten sowohl DAF-Präsident Prof. Karl H. Mühling als auch Prof. Markus Schick, Leiter der Abteilung Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL), zur Eröffnung der DAF-Jahrestagung. Die Nutztierhaltung könne beispielsweise im Sinne der Kreislaufwirtschaft dazu beitragen, Mineraldünger durch Wirtschaftsdünger zu ersetzen, so Schick. Der Abteilungsleiter im BMEL nahm auch Bezug auf die verbindliche Tierhaltungs-Kennzeichnung. Er betonte in dem Zusammenhang, dass der Ansatz des BMEL darin bestünde, die Bemühungen der Landwirte rund um das Tierwohl sichtbar zu machen und Verbraucheraufklärung zu betreiben. Als Positivbeispiel für beide Aspekte nannte Schick die Kennzeichnung von Frischeiern.
Tierwohl in der Geflügelhaltung: Stellschrauben Auslauf und Wachstumstempo
Das Tierwohl in der Geflügelhaltung nahm Prof. Helen Louton (Foto) in den Blick. Die Inhaberin der Professur für Tiergesundheit und Tierschutz an der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock stellte dar, dass in der intensiven Masthuhn-Haltung Effizienz und schnelles Wachstum ein Spannungsfeld mit Stress und Krankheiten bildeten. Regelmäßige Tierkontrollen sowie das Platzangebot, beispielsweise im Verhältnis der Anzahl der Tiere zu den verfügbaren Fressplätzen, und die Begutachtung der Tierkörper im Schlachthof machten Tierwohl bzw. Tiergesundheit messbar. Um das Tierwohl zu erhöhen, könnten Geflügelhalter den Tieren Auslauf ins Freie gewähren und zum Beispiel Wintergärten verfügbar machen. Zudem könnten langsamer wachsende Rassen in der Mast eingesetzt sowie die Besatzdichte in den Ställen reduziert werden.
Allerdings würden diese Maßnahmen zur Steigerung des Tierwohls ihrerseits Herausforderungen mit sich bringen, so Prof. Louton weiter: Der Zugang zu Wintergärten etwa fördere zwar die Lauffähigkeit der Tiere, berge aber ein höheres Risiko der Verkratzung. Langsam wachsende Rassen wiederum würden die Effizienz in der Mast senken.
Tierwohl in der Rinderhaltung: Mutterkuhhaltung gewinnt an Bedeutung
PD Dr. Harald Michael Hammon (Foto) vom Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf (Landkreis Rostock) analysierte in seinem Vortrag das Tierwohl in der Rinderhaltung. Beim Vergleich von der Mutterkuh- zur Milchviehhaltung arbeitete Hammon heraus, dass Mutterkühe in der Regel auf der Weide seien, während dies bei Milchkühen nur zu 31 Prozent der Fall sei. Stoffwechselbelastungen seien bei den Grundfutter betonten Mutterkühen deutlich seltener anzutreffen als bei den Kraftfutter betonten Milchkühen.
Hammon identifizierte beispielsweise das Tier-Liegeplatz-Verhältnis sowie Mortalität und Lahmheit als wichtige Tierwohl-Indikatoren. Für die Haltung von Milchviehkälbern betonte der Experte die Bedeutung einer ausreichenden Fütterung von Milch in der Aufzucht und dabei speziell, dass ad-libitum, also nach Bedarf gefütterte Kälber, besser an Körpergewicht zunehmen würden und weniger Stress durch Hunger zeigten als restriktiv gefütterte Kälber. Darüber hinaus würde auch die Mutterkuhhaltung in der Milchviehhaltung an Bedeutung gewinnen.
Tierwohl in der Schweinehaltung: Digitale Technologien stärken Transparenz
Prof. Imke Traulsen vom Institut für Tierzucht und Tierhaltung an der Universität Kiel thematisierte in ihrem Vortrag die Potenziale der Digitalisierung für das Tierwohl in der Wertschöpfungskette Schwein. Zunächst verwies sie auf den Strukturwandel in der Schweinehaltung: Dieser führe dazu, dass die Anzahl der Betriebe zurückginge und in den verbleibenden Betrieben die Bestandsgrößen wachsen würden. Die Anforderungen an Tierwohl und Transparenz in der Lebensmittelproduktion würden zudem steigen; in der Schweinehaltung sei beispielsweise der Kupierverzicht ein wichtiger Tierwohl-Indikator, der sich in „Ringelschwanz“-Projekten oder Aktionsplänen wiederfindet.
Digitale Technologien, zum Beispiel Sensortechnik und Auswertung von Bilddaten mit KI, ermöglichten auch in großen Beständen das Monitoring von Tierdaten zu Gesundheit und Tiergerechtheit auf Einzeltierbasis. Diese neuen Technologien hätten das Potenzial, die umfangreichen Dokumentationspflichten für tierwohlbezogene Merkmale in der Wertschöpfungskette Schwein umfassend zu erfüllen, so Traulsen weiter. Gleichzeitig könne durch die so beförderte Transparenz das Verbrauchervertrauen gestärkt werden.
Umweltwirkungen in der Tierhaltung: Zwischen Klimawandel und Emissionen
Im Themenblock „Umweltwirkungen in der Tierhaltung“ stellte Prof. Uta Dickhöfer vom Institut für Tierernährung und Stoffwechselphysiologie an der Universität Kiel die Auswirkungen des Klimawandels auf die Tierhaltung dar. Herausforderungen des Klimawandels zeigten sich unter anderem in schwankendem Angebot und Qualität von Futtermitteln, Hitzestress bei Tieren und einer stärkeren Verbreitung von Tierkrankheiten. Anpassungsstrategien bestünden in der Züchtung hitzetoleranter Nutztierrassen, Veränderungen in der Häufigkeit der Fütterung und Rationsgestaltung sowie in einer Optimierung des Trinkwasserzugangs. Die Haltungsumgebung könne durch Schatten, Ventilation, Berieselung mit Wasser oder reduzierte Besatzdichten optimiert werden.
Ressourcen schonen durch Verfütterung von pflanzlichen Reststoffen
Prof. Eberhard Hartung vom KTBL in Darmstadt richtete in seinem Vortrag den Fokus auf umwelt- und klimarelevante Emissionen aus der Nutztierhaltung. Dr. Franziska Koch vom Forschungsinstitut für Nutztierbiologie in Dummerstorf stellte in ihrem Beitrag die Vorteile einer Kreislaufwirtschaft heraus. Großes Potenzial sieht Koch in der Verwendung von für den Menschen nicht essbarer Biomasse wie zum Beispiel grüne Pflanzenbiomasse für die Fütterung von Nutztieren. Prof. Christian Visscher von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover verwies in dem Zusammenhang auf das Potenzial, das die Verfütterung von für den Menschen nicht verzehrbarer Biomasse und die Nutzung von Nebenprodukten aus dem Pflanzenbau und der Lebensmittelproduktion für eine ressourceneffiziente Tierhaltung hat.
Im Themenfeld „Biosicherheit und One Health“ stellte Prof. Claudia Klein vom Institut für Nutztiergenetik am Friedrich-Löffler-Institut (FLI) in Mariensee die Potenziale dar, die Züchtung und neue genomische Techniken für die Eindämmung von Tierkrankheiten bieten. Prof. Sascha Knauf (Foto) vom Institut für Internationale Tiergesundheit / One Health am FLI in Greifswald, stellte die Bedeutung des One-Health-Ansatzes für die Biosicherheit heraus. Der One-Health-Ansatz beschreibt die Betrachtung der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt im Zusammenhang.
Gesundheit: Eine Frage der Biosicherheitsstandards
Knauf analysierte, dass an der Schnittställe von Primärökosystemen wie Wäldern und menschlichen Siedlungen bzw. Städten sowie in Bereichen mit Haustier- und Nutztierhaltung die Voraussetzung zur Verbreitung von Zoonosen, also von Mensch zu Tier und Tier zu Menschen übertragbaren Krankheiten, in besonderem Maße bestehen. Da Wildtiere nur rund 6 Prozent der globalen Tier-Biomasse ausmachten, seien Nutztiere die primären Verbreiter von Zoonosen.
Der FLI-Experte betonte, dass das Zoonose-Risiko auch immer stark von den Biosicherheitsstandards abhänge – und weniger von der Bestandsdichte. So sei die Biosicherheit in der intensiven Tierhaltung im „globalen Norden“ in der Regel hoch. In armen Ländern des „globalen Südens“ gebe es oftmals nur wenige Tierärzte und die Biosicherheit sei geringer. Zu wirksamen One-Health-Strategien gehören laut Knauf neben einem Meldewesen für Infektionen auch der Zugang zu Gesundheitsversorgung. Prof. Uwe Rösler vom Institut für Tier- und Umwelthygiene an der FU Berlin ging in seinem Vortrag auf die Rolle ein, die multiresistente Keime für Herausforderungen rund um Gesundheit und Biosicherheit spielen.
Ökonomie: Tierwohl zwischen Planungs- und Investitionssicherheit
In der Analyse „Quo vadis Nutztierstrategie? Inwertsetzung von Tierwohlleistungen“ stellte Prof. Folkhard Isermeyer, Präsident des Thünen-Instituts in Braunschweig, anlässlich der DAF-Jahrestagung die hohe Bedeutung der Planungs- und Investitionssicherheit für die landwirtschaftlichen Betriebe heraus. Der Ansatz, durch eine nationale Tierwohl-Strategie verbesserte Planungs- und Investitionssicherheit für Betriebe zu erreichen, hat auf politischer Ebene mit der Auflösung des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung („Borchert-Kommission“) vorerst einen Rückschlag erlitten. Auch wenn die Empfehlungen der Borchert-Kommission nicht alternativlos seien, analysiert Isermeyer in seinem Papier weiter, hätten diese nach wie vor Gültigkeit für das politische Ziel, ein hohes Tierwohl-Niveau in Deutschland in den kommenden 20 Jahren zu erreichen. An Empfehlungen der Borchert-Kommission wie Tierwohl-Zielbilder für alle Tierarten mit klar definierten Indikatoren und einer Kompensation der Mehrkosten für erhöhtes Tierwohl durch Investitionsförderung und Tierwohl-Prämien könne angeknüpft werden, so der TI-Präsident, das Rad müsse „kein zweites Mal erfunden werden“. Gleichzeitig, schreibt Isermeyer in seiner Auswertung, dürfe eine umfassende nationale Nutztierstrategie ihren Blick nicht nur auf die Tierwohlfrage verengen. Stattdessen solle das Zielbündel erweitert werden auf „weniger Tiere, an den richtigen Standorten, mit deutlich mehr Tierwohl, gut planbar für die Landwirte, außerdem eine deutliche Verringerung des Verbrauchs tierischer Produkte“.
Prof. Alfons Balman, Direktor des Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) in Halle, betonte in seinem Vortrag unterdessen, dass Tierwohl nur ein Aspekt gesellschaftlicher Erwartungen sei; hinzu kämen unter anderem Biodiversitätsschutz, Klimaschutz, Bezahlbarkeit von Nahrungsmitteln und die Sicherung Ländlicher Räume. Auch prägten agrarstrukturelle Gegebenheiten die Erwartungen der Verbraucher. Dies werde deutlich, wenn in vieharmen Regionen die Widerstände gegen Tierhaltungsanlagen besonders hoch seien oder in ländlichen Gebieten Bayerns gegen das Verbot der Anbindehaltung und für den Erhalt bäuerlicher Strukturen demonstriert werde. Dass die Landwirtschaft sich verändern wird, steht derweil für den IAMO-Direktor außer Zweifel: Treiber dafür seien auf globaler Ebene neue Technologien wie Digitalisierung und Biotechnologie, die Anpassungen an den Klimawandel sowie veränderte Konsumgewohnheiten.
Weitere Informationen zur DAF-Jahrestagung finden Sie hier.
Bilder sind unter Angabe der folgenden Bildhinweise frei verwendbar:
Foto Helen Louton: "privat"
Foto Harald Hammon: "FBN"
Foto Sascha Knauf: "FotoStube Hornig Göttingen"
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