Agritechnica 2025: Impulse für nachhaltige Produktivitätssteigerung

Manuskript der Eröffnungsrede des DLG-Präsidenten Hubertus Paetow zur offiziellen Eröffnung der Agritechnica 2025 auf dem Max-Eyth-Abend am Montag, dem 10. Oktober

Es gilt das gesprochene Wort! 

[…]Meine sehr verehrten Damen und Herren […],

herzlich willkommen hier in Hannover zur feierlichen Eröffnung der Weltleitmesse der Landtechnik, herzlich willkommen zur Agritechnica 2025!

In diesem Jahr feiern wir ein ganz besonderes Jubiläum: 40 Jahre Agritechnica (davon 30 hier in Hannover) – vier Jahrzehnte voller Innovation, Fortschritt und internationaler Zusammenarbeit in der Landtechnikbranche.

Herzlich willkommen zum großen Treffen der globalen Landtechnik-Community – und das im wahrsten Sinne des Wortes: 2.829 Aussteller aus 52 Ländern sind heute Abend hier vertreten. Das zeigt eindrucksvoll, wie stark und vielfältig diese Branche weltweit vernetzt ist.

Vielen Dank an unsere Gastgeber hier in Hannover – an die Messe, lieber Dr. Jochen Köckler, aber auch an Stadt und Land, Herr Ministerpräsident Olaf Lies, Herr Minister Grant Hendrik Tonne und Oberbürgermeister Belit Onay – Sie machen vieles möglich, das zum Gelingen der Messe beiträgt, vielen Dank dafür.

Vielen Dank an Sie alle als Aussteller, und stellvertretend für Sie alle an unseren Partner VDMA, lieber Anthony van der Ley, ohne Ihr starkes Commitment und stetige Unterstützung wäre die Agritechnica nicht das geworden, was sie heute ist.

Und einen ganz besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle dem Agritechnica-Team rund um Timo Zipf aussprechen – Ihr habt wieder eine beeindruckende, perfekt organisierte und reibungslos funktionierende Messe auf die Beine gestellt.

Meine Damen und Herren, ich will ehrlich gestehen, dass ich die Woche auf der Messe mit den vielen Begegnungen, Fachgesprächen und der Fülle an Innovationen dieses Mal besonders genieße.

Gewohnte Weltordnung im Umbruch

Denn schauen wir uns die Welt um uns herum im Herbst 2025 an, kommt nicht gerade Begeisterung auf.

Die gewohnte Weltordnung steht im Umbruch, politische Gewissheiten verschwinden in schneller Folge, sei es in Washington, im Kreml, in Gaza oder auch in Berlin. Kaum eine Woche vergeht ohne neue Zolldrohungen, ohne militärische Provokationen oder nationale und europäische wirtschaftspolitische Hiobsbotschaften.

Und wir in Deutschland und Europa, die wir uns doch gerade noch als wirtschaftlich unbesiegbare Musterschüler der nachhaltigen Entwicklung mit Klimaschutz und Lieferkettengesetz gesehen haben, wir sehen uns auf einmal an den Rand gedrängt, sowohl politisch, militärisch als auch ökonomisch.

Green Deal ist politisch gescheitert

Und viele fragen sich: Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass dieses erfolgreiche Staatenbündnis, dieser bedeutende Wirtschaftsraum auf einmal im Konzert der Weltgemeinschaft keine Rolle mehr spielt?

Anscheinend sind wir irgendwann in der Vergangenheit falsch abgebogen. Einer dieser Irrwege, den wir in Europa mit der uns eigenen Gründlichkeit verfolgt haben, ist die sogenannte ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Dieses ehemalige Fortschritts- und Vorzeigeprojekt der liberalen Demokratien Europas, der Green Deal, ist politisch gescheitert.

Gescheitert an den Veränderungen der globalen Rahmenbedingungen, sicher auch an der schwindenden Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, gescheitert aber auch und vor allem an der mangelhaften politischen Durchführung. 

Grundlegendes Missverständnis über ökologischen und ökonomischen Fortschritt

Und diese politische Umsetzung konnte auch gar nicht gelingen. Denn das Paradigma der ökologisch-sozialen Transformation ist aus einem grundlegenden Missverständnis entstanden. Ohne Zweifel haben die Herausforderungen bei Klima und Biodiversität, bei der Einhaltung der Grenzen der Belastbarkeit unseres Planeten in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen. Ohne Zweifel muss der heutige Fortschritt mehr Gewicht auf Ressourcenschonung bei Klima und Biodiversität legen.

Doch aus irgendeinem Grund haben wir geglaubt, der Fortschritt in der ökologisch-sozialen Transformation unterliege anderen Gesetzmäßigkeiten, als dies der Fortschritt in den vergangenen Entwicklungsschritten der Land- und Ernährungswirtschaft getan hat. Wir haben geglaubt, ökologischer Fortschritt würde im Widerspruch zu den klassischen ökonomischen Bewertungsmustern stehen. Wir haben geglaubt, Produktivität und Wachstum seien keine geeigneten Begriffe, um den Fortschritt abzubilden.

Und wir haben geglaubt, die ordnenden Kräfte einer gut organisierten sozialen Marktwirtschaft seien zu schwach für die übergroßen Herausforderungen von Klima und Biodiversität. Und deshalb haben wir geglaubt, die nachhaltige Entwicklung brauche eine ganz andere Wirtschaftspolitik, viel mehr Regulierung, viel mehr Ziele und Verbote und viele haben auch geglaubt, der ökologisch geprägte Fortschritt brauche auch weniger Innovation und Technologie und mehr Verzicht und Verhaltensänderung.

Dabei ist der ökonomische Fortschritt schon lange nicht mehr eindimensional auf mehr Erzeugung ausgerichtet. Schon immer haben begrenzende Faktoren wie Arbeit, Boden und Kapital und eben auch die begrenzten natürlichen Ressourcen für die Bewertung des Produktivitätsfortschritts eine Rolle gespielt.

Nachhaltiger Fortschritt ist hochgradig dynamisch

Nachhaltiger Fortschritt ist seit jeher hochgradig dynamisch, ständig werden neue Lösungen erfunden, verworfen, neu gedacht und erneut entwickelt. Seine Akteure sind mutige Unternehmer, die an die Grenze des Mach- und Denkbaren gehen, ständig auf der Suche nach neuen Chancen, die sich bei der Lösung der Zukunftsfragen für ihre Unternehmen bieten. Und dieses Fortschrittsbiotop wollte man mit den statischen Instrumenten einer bürokratischen Regulierung in das Korsett einer gesellschaftspolitischen Strategie zwängen. Das konnte und kann nicht funktionieren. Heute wissen wir: Deutschland und Europa haben kein Nachhaltigkeitsproblem, sondern ein Produktivitätsproblem.

Ungelöste Fortschrittsfragen brauchen Antworten

Ich gebe ehrlich zu: Meine Trauer um den gescheiterten Green Deal hält sich in Grenzen. Was aber auch nach dem Scheitern des Green Deal bleibt, sind die drängenden und ungelösten Fortschrittsfragen wie Ernährungssicherung, Klimaschutz, Biodiversitätserhalt. Diese Fragen stehen nach wie vor auf der Agenda – nun allerdings nicht mehr allein, sondern gemeinsam mit neuen Anforderungen an die wirtschaftliche und militärische Widerstandsfähigkeit in Deutschland und Europa. Das bedeutet aber ebenso, dass viel Raum entsteht für neue Wege und Lösungen für den Fortschritt.

Wenn Land- und Ernährungswirtschaft nicht mehr so im Fokus des politischen und gesellschaftlichen Interesses steht, dann können wir viel besonnener und sachlicher den Fortschritt der Branche organisieren. Und was noch wichtiger ist: Wir können den Weg in die Zukunft selbst bestimmen und müssen uns den vermeintlichen Fortschritt nicht von anderen diktieren lassen.

Leitlinie für den Fortschritt: Nachhaltige Produktivitätssteigerung

Unsere Leitlinie für diesen Fortschritt ist das Konzept der nachhaltigen Produktivitätssteigerung. Produktivitätswachstum ist der notwendige Treiber des ökonomischen Fortschritts, der wiederum das Fundament jeder nachhaltigen Entwicklung ist. Produktivitätswachstum ist die Basis unseres Wohlstandes als Industrienation und damit auch die Basis für soziale und ökologische Fortschritte.

Nachhaltige Produktivitätssteigerung ist die Erweiterung des klassischen Produktivitätsbegriffes um die ökologischen Ressourcenverbräuche. Das klingt zunächst einfach – aber um den nachhaltigen Produktivitätsfortschritt zu beurteilen, müssen wir uns auf die Messung und Bewertung von Klimaschutz und Biodiversität einigen, genauso wie wir dies bei den Erzeugnissen tun.

Wenn wir durch ein neues Düngungsverfahren im Ackerbau eine Tonne Weizen mehr ernten, dann können wir damit rechnerisch vier Menschen ein Jahr lang ernähren. Dieses Verfahren wird aber unter Umständen mehr Treibhausgase ausstoßen und auch Auswirkungen auf die Artenvielfalt haben. Nachhaltige Produktivitätssteigerung heißt, dass wir am Ende die Frage beantworten müssen, wie viel CO2-Ausstoß, wie viele Schmetterlinge weniger wir für eine Tonne Weizen mehr in Kauf nehmen können – oder auch nicht.

Impulse kommen von klugen Köpfen in den Unternehmen

Mit dem Leitbild der nachhaltigen Produktivitätssteigerung haben wir eine Richtung, in die wir mit dem Fortschritt gehen wollen. Und ich meine: Damit haben wir alles, was wir brauchen. Wir müssen nicht warten, bis andere etwas tun. Den Aufbruch, den wir jetzt in der Landwirtschaft und in der ganzen Gesellschaft so dringend brauchen, den wird keine Politik, keine Zivilgesellschaft, auch keine Europäische Kommission in Gange setzen können. Das müssen wir schon selbst tun. Der Impuls für die Innovation und den nachhaltigen Fortschritt kommt von den Akteuren aus der Branche, von den kreativen Köpfen in Ihren Unternehmen und von den fortschrittlichen Landwirten und Landwirtinnen, die diese Innovationen einfordern und anwenden. Die unbürokratische Regulierung dieser erfolgreichen Innovationen kommt dann von allein, da werden mir die anwesenden Vertreter der Politik sicher zustimmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, genießen Sie diese Woche in Hannover im Kreise der weltweiten Landtechnikfamilie.

Lassen Sie uns diese Woche nutzen, gemeinsam den Blick nach vorne zu richten, auf eine erfolgreiche Zukunft der Landwirtschaft.

Eine Zukunft voller kluger Lösungen für richtig verstandene Herausforderungen.

Eine Zukunft des gemeinsamen Aufbruchs in das Zeitalter der nachhaltigen Produktivitätssteigerung und vor allem eine Woche voller gegenseitiger Ermutigung, den ganz persönlichen Beitrag zu diesem Aufbruch zu leisten.



H_Paetow©DLG_TJaworr.jpg
PM_AGT2025_Manuskript Eröffnungsrede Hubertus Paetow_251110.pdf
DLG_AGT_HPaetow_TJaworr.jpg