Die durchschnittlichen Rohproteinwerte beim Weizen sind mit 11,4 Prozent in diesem Erntejahr besonders niedrig ausgefallen. Qualitätsware ist gesucht. Diese Entwicklung war aufgrund der eingeschränkten Stickstoff(N)-Düngung in den besonders mit Nitrat belasteten "Roten Gebieten", wie sie die Düngeverordnung vorschreibt, sowie den zunehmenden Witterungsextremen in der Vegetation vorhersehbar. Die Mühlen sehen die Lage entspannt. Sie können Weizen mit niedrigen Rohproteinwerten technisch aufbereiten oder sichern sich über den Vertragsanbau sortenreine Partien mit den gewünschten Backqualitäten. Hingegen schlägt der Agrarhandel Alarm. Mit Werten unter 12 Prozent Rohprotein erfüllt ein Großteil der Ware nicht mehr die Kriterien für den Export von Weizen. Deutschland ist dabei, seinen Exportschlager Qualitätsweizen zu verlieren, warnen Marktteilnehmer.
Bei der Erfassung bestimmt der Rohproteingehalt, der einen Schnelltest ermittelt wird, den Erzeugerpreis. Alle Beteiligten der Wertschöpfungsketten suchen deshalb nach Sorten, die trotz geringerem Proteingehalt ausgezeichnete Backqualität liefern. Die Hoffnungen ruhen auf einem vom Bundesagrarministerium (BMEL) geförderten Forschungsprojekt rund um die Entwicklung nachhaltiger Backweizensorten, an dem auch die Wertschöpfungskette beteiligt ist.
Vielfältige Ursachen
In diesem Jahr war die Spannung wegen der Qualitäten der Weizenernte beim Erntegespräch der Branche im Max-Rubner-Institut (MRI) in Detmold besonders groß. 47 Prozent der diesjährigen Winterweizenmenge ist Futterweizen, weil die erforderlichen 12 Prozent Rohproteinwert für den Brotweizen nicht erreicht wurden. Damit setzt sich der Trend rückläufiger Proteinwerte fort. Denn schon im vergangenen Jahr fiel der Wert mit 11,9 Prozent schwach aus, teilte Dr. Angela Hüsken vom MRI in Detmold mit. “Derzeit lasse sich schwer abschätzen, in welchem Ausmaß Ertragsschwankungen, hohe C02-Gehalte in der Luft sowie Restriktionen der Düngeverordnung die Rohproteingehalte beeinflussen”, sagte Hüsken.
Abweichungen nehmen zu
Ein interessanter Aspekt der diesjährigen Ernte ist, dass in allen ostdeutschen Bundesländern durchweg höhere Erträge gegenüber Westdeutschland sowie Rohproteinwerte über 12 Prozent beim Weizen zu verzeichnen sind. Das Schlusslicht bildet Nordrhein-Westfalen mit 10,3 Prozent Rohprotein.
In Normaljahren ist es eher umgekehrt. So kamen die schwachen, aber durchlässigen Sandböden mit dem vielen Regen besser zurecht als die schweren Lehmböden. Hier beeinträchtigte Staunässe den Sauerstofftransport zur Pflanze. Witterungsextreme gefährden zunehmend die Ertragssicherheit. Seit 2002 nehmen die negativen Abweichungen wegen Dürre oder Nässe zu, das zeigen Auswertungen des MRI. Der Anteil von A-Weizensorten ist auf knapp 54 Prozent gesunken, nicht zuletzt weil sich EU-Sorten größerer Beliebtheit bei den Landwirten erfreuen.
Warnung vor dänischen Verhältnissen
Der Agrarhandel warnt vor dänischen Verhältnissen, dass deutsche Verarbeiter künftig Qualitätsweizen importieren müssen, weil es hierzulande nur noch Futterqualitäten gibt. Die Menge an Weizen mit mehr als 14 Prozent Protein sank von 5,8 Mio. t im letzten Jahrzehnt auf nunmehr nur noch 2 Mio. t, warnt Agrarhändler Ludwig Striewe, BAT Agrar GmbH & Co. KG . Besonders kritisch sieht er die geringen Ertragssteigerungen in Europa im Vergleich zu den USA. Dort stiegen durch Innovationen und den Einsatz neuer Techniken in den vergangenen 20 Jahren die Erträge um zwischen 40 und 60 Prozent. Hingegen sei der Fortschritt in Europa mit mageren 4 Prozent nicht ansatzweise ausreichend, um die Verpflichtung bei der Versorgung der stetig wachsenden Weltbevölkerung zu erfüllen, sagte Striewe beim Treffen der Branchenorganisation Der Agrarhandel. „Gerade in Deutschland berauben wir uns selbst der Möglichkeiten, die wir als Gunststandort eigentlich hätten, kritisierte Striewe.
An der Gosse ist der Rohproteingehalt immer noch das Abrechnungskriterium Nummer eins beim Weizen. Doch passt die darauf ausgerichtete Bezahlung nicht zu den Anforderungen einer verminderten Düngung. So ist der Rohproteingehalt seit 2020 nicht mehr Bestandteil der Qualitätsbeschreibung von Weizen in den Sortenlisten. Dort ist das Kriterium Backqualität neu aufgeführt. Somit fehlt es an alternativen Bezahlparametern.
Mühlen setzen auf Vertragsanbau
Züchterhäuser wie die KWS arbeiten bereits mit Sorten, die trotz geringerem Proteingehalt ausgezeichnete Backqualität liefern. Mit der Züchtung von modernen, stickstoffeffizienten Weizensorten sollte der Agrarhandel die Regeln zur Entlohnung für Landwirte anpassen und weniger den Fokus auf die Proteinquantität legen. Im Vordergrund sollte die Proteinqualität und ihre Zusammensetzung stehen, denn sie sichert am Ende die Backqualität und kann mit modernen Sorten und geringerem Düngemitteleinsatz erreicht werden. Nicht alle im Gesamtprotein des Weizenkorns enthaltenen Eiweiße tragen zu einer guten Backqualität bei. Das wissen auch die Mühlen, die mit ihrem Vertragsanbau sortenreine Partien erhalten, mit denen sie die gewünschten Mehle herstellen können.
Zeitgemäße Schnelltests zur Bestimmung der Proteinzusammensetzung und -qualität wären hier zielführend. Die Vorgehensweise müsse vergleichbar zu den im Erfassungshandel eingesetzten NIR-Handgeräten sein. Untersuchungen im Projekt „BetterWheat“ zeigen, dass es mittels Spektralanalysen möglich ist, indirekte Backqualitätsparameter sowie Endqualitäten wie Backvolumen vorherzusagen.
Anbau innovativer Sorten
Seit Anfang 2024 veranstaltet das BMEL mit der Wertschöpfungskette Backweizen Verbändegespräche über die Zukunft von Backweizen. In einer gemeinsamen Erklärung haben sich die Teilnehmer – darunter die DLG – verpflichtet, bis 2030 die Qualitätskriterien von Backweizen weiterzuentwickeln. Parallel dazu fördert das BMEL mit 1 Mio. € bis 2017 das Projekt „MAGIC-KlimaBack“, um Backweizensorten zu entwickeln, die bei gleichbleibender Backqualität mit weniger Stickstoffdüngung auskommen. Dies trägt zur Reduktion von Treibhausgasen bei. Mitte September 2024 übergab Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) die Förderbescheide an die fünf Projektpartner Max Rubner-Institut, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Universität Bielefeld, Julius Kühn-Institut und KWS. Die Wissenschaftler sind zuversichtlich, dass künftig Landwirte, die innovative Weizensorten anbauen, weniger Stickstoff düngen und hervorragende Backqualitäten abliefern, auskömmliche Preise erzielen können.