DLG-Lebensmitteltag Sensorik 2025: KI als sinnvoller „Assistent“ in der Qualitätssicherung

Online-Veranstaltung mit rund 100 Teilnehmern – KI hilft aktuelle Herausforderungen zu kompensieren – Effizienz und Nutzen setzen verantwortungsvollen Einsatz voraus

Künstliche Intelligenz (KI) hält auch in immer mehr Bereichen der Lebensmittelindustrie Einzug. Inwieweit sich die diversen Techniken in der sensorischen Qualitätssicherung sinnvoll nutzen lassen, thematisierte der Lebensmitteltag Sensorik 2025 der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft). Wo liegen Potenziale, und was gilt es zu beachten? Neueste Entwicklungen in den Bereichen „Menschenzentrierte KI und Soft Skills“ sowie „Technologiezentrierte KI: Sensoren und Systeme“ wurden in zwei Themenblöcken mit rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern online diskutiert.

KI ist spätestens seit ChatGPT das Gesprächsthema Nummer eins. Aber dass nicht alles KI ist, was als solche beworben wird, und dass nicht immer KI zur Arbeitserleichterung erforderlich ist, zeigte Dr. Andreas Müller, stem-in-foodsafety.de (Hollenstedt), in seinem Vortrag zur Einordnung und Strukturierung von KI. Ein gezielter Einsatz von KI-Techniken, wie generativer KI und intelligenten Sensortechniken, unterstützt Lebensmittelunternehmen im Qualitätsmanagement. Sie können damit effektiv Zeit sparen und gleichzeitig die Qualität ihrer Ergebnissen sichern. Müller verwies zudem auf den seit August 2024 geltenden EU AI-Act (Europäische Verordnung über künstliche Intelligenz) und die rechtliche Compliance hinsichtlich der darin genannten Forderungen beim Einsatz von künstlicher Intelligenz. Verpflichtend ist seit Februar diesen Jahres der Kompetenznachweis von Mitarbeitern im Umgang mit KI-Tools. Da viele Mitarbeiter im Unternehmen Angst vor einem Verlust ihres Arbeitsplatzes hätten, sollte man zunächst Akzeptanz für die modernen Techniken anstreben. Zum anderen käme es in der Praxis bei generativer KI auf eine präzise Formulierung der Prompts im KI-Chat an bzw. bei KI zur Prozessunterstützung auf eine hohe Datenqualität.

Ziele setzen, Vertrauen aufbauen

Genauer auf die Mitarbeiter als Nutzer generativer KI-Tools und auf eine angemessene Zieldefinition in der Praxis ging Julia Hildebrant, Mehr.Wert Qualitätslösungen (Gau-Bischofsheim), ein. Generative KI ist ein leistungsstarkes Werkzeug, dessen Effektivität und Nutzen im Betrieb und in der Qualitätssicherung maßgebend von der Zieldefinition abhängt. Als Mittel der Wahl, um Ängste abzubauen, nannte sie Schulungen und Weiterbildungsmöglichkeiten. Wer verschiedene Tools und ihre Leistungsfähigkeit kenne und sich in der Anwendung sicherer fühle, sei eher motiviert, sich einzubringen und die Tools in den Arbeitsalltag zu integrieren: Etwa bei der Überlegung, welche Prozesse im QM-Bereich mit Hilfe von generativer KI optimiert werden könnten. Oder welches Modell geeignet wäre, um Qualitätsaufgaben zu erleichtern und wobei der Mensch unabdingbar sei. Genau diese Mitarbeiter sind dann auch bei der potenziellen Anwendung in einem Pilotprojekt aktiv dabei, um die maschinell getroffenen Ergebnisse zu überprüfen und zu bewerten.

Kompetenz heißt auch, sensibel für mögliche Risiken im Umgang mit generativer KI sein – Datensicherheit und Datenschutz müssen stets Vorrang behalten. Dieses Thema griff vertiefend Judith Magono, QM-Beraterin und Auditorin (Frankfurt am Main), auf. Sie ging auf Vor- und Nachteile von Bezahl-Versionen versus kostenloser KI-Modelle ein. Denn zu klären ist seitens der Betriebe: Soll es sich um eine Cloud-basierte oder eine lokale generative KI-Lösung handeln? Bietet sich ein Unternehmens-Account, eine lokale Server- oder eine Laptop-Lösung an? Wie sieht es mit den Kosten und dem Aufwand für den fortlaufenden IT-Support aus? Grundlegend empfahl sie, bei kostenlosen generativen KI-Tools keine relevanten internen Unternehmensdaten preiszugeben und in Abhängigkeit von nicht-europäischen Wissensbanken der KI-Systeme auf eventuelle ethische Manipulationen und Fake News zu achten. Exemplarisch wurden Chat GPT, GPT4all, Ollama (lokale Ausführung von anderen KI-Assistenten als open source) oder LM Studio.ai vorgestellt – jeweils mit US-amerikanischem Hintergrund. Ebenso wie Claude oder Gamma.app (für Präsentationen) und als europäische Alternativen etwa Mistral aus Frankreich und Flux.ai (kostenloser Bildgenerator aus dem Schwarzwald). Deutlich wurde, dass künftig mit einem weiteren Anstieg generativer KI-Tools zu rechnen ist, dass nur der richtige Input an Prompts auch zu einem sinnvollen Output führt und dass Mitarbeiter KI in ihr persönliches Life-long Learning-Konzept integrieren sollten.

Vom KI-Konzept zur Anwendung

Können Qualitätsentscheidungen mit Hilfe von KI getroffen werden? Diese Frage hat Symrise (Holzminden) umfassend untersucht und gezeigt, dass KI nicht nur ein IT-Thema ist. Die Ergebnisse präsentierten Gerd Lösing, Vice President Quality Control und Jan Foerstner, Director Quality Assurance. Ziel des Projektes war es, ein KI-Modell zu entwickeln, das zur Beschleunigung bzw. Vereinfachung der Qualitätsentscheidungen führt und damit eine Arbeitserleichterung für Qualitätsverantwortliche darstellt. Sie berichteten, wie eine Arbeitsgruppe zunächst die vielversprechendsten Themen zur Digitalisierung im Bereich Big Data und KI identifizierte. Nach der Priorisierung der Anwendungsideen wurde das Konzept eines Minimal Viable Products (MVP) erarbeitet, also eine Fokussierung auf das einfachste brauchbare Produkt, um schnell und ohne unnötige Kosten aus gemachten Erfahrungen zu lernen. Im Anschluss wurde der zur Verfügung stehende Datenpool zum Trainieren der KI untersucht und geprüft, ob die richtigen Daten in ausreichender Form vorliegen und die Datenqualität für maschinelles Lernen geeignet ist. Dann wurde der Datenpool sinnvoll aufgeteilt und das System angelernt. Nach mehreren Validierungsphasen, auch unter Einbindung der Mitarbeitenden, konnte ein robuster und skalierbarer Prototyp erstellt werden, der für ausgewählte Bereiche mittels „KI Algorithmen Machine Learning“ eine Vorhersage für manuelle Qualitätsentscheidungen treffen kann. Aktuell steht die Pilotintegration für ausgewählte Standorte an.

Anwendungsmöglichkeiten intelligenter Sensortechniken

KI-basierte Sensortechniken finden bereits in vielen Bereichen der (sensorischen) Qualitätssicherung Einsatz. Denn gerade bei standardisierten Prozessen und eindeutig definierten Produktanforderungen unterstützen diese die automatisierten In-Out-Qualitätskontrollen in den Betrieben. Dr. Benjamin Riegger, SmellDect (Deckenpfronn), stellte eine eNase vor, die sich aus mehreren spezifischen Nanosensoren zusammensetzt. Ohne intensive Personalschulung und Probenvorbereitung ermöglichen die Systeme, die sowohl im Labor, als tragbares Gerät oder auch inline im Prozess, z.B. direkt an der Getränkeabfüllung eingesetzt werden können, eine gezielte und schnelle Analyse von Fehlgerüchen. Der Vergleich erfolgt stets gegen einen „angelernten“ Produktstandard, so dass sich die verschiedensten Lebensmittel von Getränken bis hin zu Fisch, Fleisch oder Honig hinsichtlich Lebensmittelsicherheit und -verfälschungen während der Produktion oder im Warenein- bzw. -ausgang beurteilen lassen. Aufgrund des Funktionsprinzips und der Möglichkeit, die eNase – analog zur biologischen Nase – auf verschiedene Gerüche anzulernen, sind die Einsatzmöglichkeiten fast grenzenlos.

Die verschiedensten optischen Sensoren stehen bei Tomra Food im Mittelpunkt. Neben Kamerasystemen findet dabei die Lasertechnik, Spektroskopie, Pulsed LED und auch X-ray Einsatz, die nach und nach immer stärker KI-gestützt arbeiten sollen. Application Manager Dr. Chris Johnson aus Irland verwies darauf, dass es sowohl um die Detektion von gut sichtbaren Fehlern (Farbabweichungen, Schadstellen) als auch um „unsichtbare“ Parameter (Toxine, Dichte) gehe. Ziel sei es, durch ‚Deep Learning‘ bei der automatisierten In-Out-Kontrolle die Spezifität weiter zu erhöhen, um so den Anteil an falsch ausgeschleusten Lebensmitteln und die Ressourcenverschwendung weiter zu senken. Als Beispiele nannte er die von Tomra angebotenen Kameras und Röntgendetektoren, unter anderem zur Sortierung von Früchten (Kerne, Schadstellen) oder Meeresfrüchten (Schalenreste). Mögliche Fehlerquellen wie Wassertropfen im System sollten dabei möglichst als solche erkannt werden. Und: Als Cloud-basierte Plattform mit Informationen in Echtzeit sei auch eine Fernüberwachung möglich.

Imitation des menschlichen Geschmackssinns?

Kann eine Maschine durch Deep Learning und KI sogar den menschlichen Geschmackssinn imitieren und damit das sensorische Qualitätsmanagement und die Produktentwicklung unterstützen? Schließlich reagiert dieser Sinn einerseits sehr sensibel, anderseits ist er aber durch Faktoren wie Alter, Stimmung, Kultur und Erwartung relativ leicht beeinflussbar. Mit dieser Frage beschäftigte sich Michiel Schreurs, VIP KU (Leuven, Belgien). Er berichtete von einer Fallstudie mit Bier. Konkret ging es darum, ob sich das Aroma aus der chemischen Zusammensetzung vorhersagen lässt. Schreurs hat dazu mit seinem Team einen Datenpool aus der chemischen sowie sensorischen Analyse von über 400 Bieren zusammengestellt, der beim Training von unterschiedlichen KI-Modellen zur Anwendung kam. Es habe sich eindeutig gezeigt, dass gute KI-Modelle in der Lage seien, geschmacklich relevante Eigenschaften und (Qualitäts-)Parameter zu erkennen. Dadurch könnten sie nicht nur die Qualitätssicherung  unterstützen, sondern auch eine wertvolle Erleichterung für die Produktentwicklung bieten. Einen entsprechenden Ansatz mit angelernten Prozessparametern hielt er ebenfalls für denkbar. Geeignete Daten und Eingaben seien, ebenso wie Akzeptanz und Kompetenz der Nutzer, entscheidend.

Fazit

Insbesondere in der sensorischen Qualitätssicherung kann künstliche Intelligenz, einschließlich generativer KI und intelligenter Sensortechnologie, wertvolle Unterstützung leisten. KI hilft dabei, aktuelle Herausforderungen, wie etwa Fachkräftemangel und Wissenslücken durch den Generationenwechsel, steigende Gesetzesanforderungen sowie Zeitdruck und Arbeitsüberlast, zu kompensieren und eine gezielte Selektion fehlerhafter Produkte und Fremdkörper automatisiert umzusetzen. Effizienz und Nutzen lassen sich jedoch nur dann erreichen, wenn der Mensch die Oberhand behält und diese neuen Technologien verantwortungsvoll eingesetzt werden. Dazu gehört, dass zuvor die Ziele definiert, die richtigen Tools ausgewählt und die Mitarbeitenden integriert und geschult sind. Dann ist und bleibt KI ein sinnvoller Assistent in der sensorischen Qualitätssicherung.





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PM DLG LMltag Sensorik_2025_Rückblick_Final.pdf