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Lebensmittelsensorik: Kontaktlos, digital und online

DLG-Expertenwissen 04/2020

Empfehlungen und Chancen für eine sensorische Evaluation bei eingeschränktem Routinebetrieb

1. Hintergrund

Die Unternehmen der Ernährungsindustrie gelten als systemrelevant. Das bedeutet, dass die Lebensmittelproduktion auch in Krisenzeiten, unter Berücksichtigung des notwendigen Gesundheitsschutzes, aufrecht erhalten bleibt und somit die Versorgung der Bevölkerung gesichert wird.

In besonderen Situationen, wie z. B. der Corona-Pandemie, treten die Krisen- bzw. Notfallpläne der jeweiligen Betriebe in Kraft. Damit verbunden sind, neben der weiterhin strikten Einhaltung bzw. Verschärfung geltender Hygienevorgaben auf dem Betriebsgelände, vor allem auch die Reduktion von persönlichen Kontakten des am Produktionsstandort tätigen Personals. 

Fach- und Führungskräfte werden dabei häufig in feste Teams eingeteilt, die – ohne gegenseitigen persönlichen Kontakt – wechselseitig die Produktionsschichten und systemrelevanten Tätigkeiten wahrnehmen. Verwaltungskräfte und nicht dringend für die Aufrechterhaltung der Produktion vor Ort erforderliches Personal wird ins Homeoffice, in den Urlaub oder zum Überstundenabbau geschickt. Vielerorts werden damit die Tätigkeiten der SensorikerInnen auf die Produktqualität sichernden Maßnahmen wie Rohwareneingangskontrollen, Prozesskontrollen und Endproduktkontrollen reduziert. Darüberhinausgehende Projekte, wie Produktentwicklung, Haltbarkeits- und Produktstabilitätstests, Wettbewerbervergleiche oder ähnliches werden zunächst ausgesetzt. Damit kommt die übliche Panelarbeit mit Verbrauchern (Hedonik) und mit Experten (deskriptive sowie diskriminierende Analytik) weitestgehend zum Erliegen.

Allerdings bieten Krisenzeiten auch Potenzial für Alternativen. So laufen langwierige Entscheidungsprozesse häufig unter Druck sogar zügiger und auch der Mut Neues, zu wagen, weicht dem Bedenkenträgertum. Das gilt nicht nur für Politik und Bevölkerung, sondern auch für einige Bereiche der Wirtschaft und die Lebensmittelverarbeitung.

2. Ziel

Nachfolgend sind erste Ideen und Erfahrungen zusammengestellt. Sie sollen vor allem Fach- und Führungskräften in der Lebensmittelsensorik, also z. B. insbesondere Panelleitern in der Qualitätssicherung und Produktentwicklung, eine Hilfestellung bei der Wiederaufnahme ihrer Projekte im Bereich der analytischen (und ggf. auch der hedonischen) Sensorik geben. Die erste Sammlung praktikabler Ansatzpunkte und der intelligente Einsatz der Digitalisierung eröffnen neue Potenziale für die Humansensorik, die auch über Krisenzeiten hinaus für die praktische Anwendung sensorischer Methoden wertvolle Chancen bieten. 

3. Krise als Chance nutzen

Nach Krisensituationen sind gerade auch Sensorikabteilungen mit den meist limitierten finanziellen und personellen Ressourcen wieder vor immense Herausforderungen gestellt, um begonnene Projekte fortzuführen und neue zu lancieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn die betrieblichen Rahmenbedingungen und damit die tägliche Arbeit weiterhin durch den Krisenmodus bestimmt werden. 

Damit sind folgende Szenarien anhaltend und folglich auch mittelfristig relevant:

a) Strikte Einhaltung definierter Hygienevorschriften

Seitens der Hygieneanforderungen gelten generell für alle Personen im Sensorikbereich, v. a. die mit der Probenvorbereitung und dem Probenmanagement beschäftigt sind:

  • Gründliches sowie regelmäßiges Händewaschen (mind. 20 Sek.) mit Seife und anschließende Desinfektion, ggf. zusätzliches Tragen von Einmalhandschuhen.
  • Ergänzend zur Laborbekleidung und Kopfbedeckung, tragen eines Mund-/Nasenschutzes und Vermeiden des Kontakts der Hände mit Augen, Nase und Mund.
  • Einhalten der „Husten- und Nies-Etikette“ (Armbeuge).
  • Vermeidung von unnötigen Arbeitsunterbrechungen, die bedeuten, dass erneute Reinigung und Desinfektion der Hände ggf. auch Handschuh-/Kleiderwechsel erforderlich werden, und auch keine Störung von Arbeitskollegen/-innen diesbezüglich.
  • Reinigung und Desinfektion von Räumen, Geräten (PC-Tastaturen u. a.) und Oberflächen in den zur Verkostung genutzten Räumen bzw. im Sensoriklabor.
  • Nutzung von Einweggeschirr (Plastikbecher, -besteck usw.).
  • Sicherstellung der persönlichen Arbeitsabstände von 1,5–2 m.

b) Limitierter persönlicher Kontakt und Aufgabenstau

Durch Kontaktsperren von Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiterteams und ggf. infolge klar definierter „personenspezifischer Bewegungszonen“ im Unternehmen, sind sensorische Schulungen und gemeinsame Verkostungen sowohl durch Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen verschiedener Abteilungen als auch durch betriebsfremde Personen ggf. auch VerbraucherInnen im zentralen Sensoriklabor unter standardisierten Bedingungen nicht mehr so ohne weiteres realisierbar. Daraus resultiert ein Aufgabenstau und viele anstehende sensorische Projekte können nicht bearbeitet und Fragestellungen nicht beantwortet werden. 

Aber nach wie vor ist bei Konsumenten weiterhin der Genuss ein wesentliches Qualitätsmerkmal und Kaufkriterium für Lebensmittel. Und bei Fachkräften sind sensorische Methoden ein unverzichtbares Screening-Instrument im Prozessmonitoring. Die Humansensorik bleibt damit eine wichtige wissenschaftliche Disziplin sowohl in der Marktforschung & Produktentwicklung als auch in der Qualitätssicherung inklusive der Überwachung von Lebensmittelsicherheit und Food Fraud. 

Neben der fortschreitenden Digitalisierung kommen der analytischen Sensorik aktuell auch die Erfahrungen aus der sensorischen Marktforschung, hier v. a. aus dem Bereich der Home Use Tests (HUT), zugute. Denn gerade bei letzterem Verfahren erfolgt die sensorische Prüfung durch Verbraucher individuell und im häuslichen Umfeld.  

Sofern man diese Aspekte auch auf die analytische Sensorik überträgt, eröffnen sich neue Potenziale, so dass trotz der Reduktion persönlicher Kontakte die Facharbeit in der Sensorik fortgeführt werden kann, bis sich die Situation „normalisiert“ und dann ggf. auch wieder physische Zusammenkünfte gestattet sind. Das bezieht sich sowohl auf sensorische Projekte rund um Produktqualität und Produktentwicklung als auch auf das Prüfer- und Paneltraining. Denn die kontinuierliche Fortführung der sensorischen Prüfungen – wenn auch in veränderter Form – sollte vor dem Hintergrund erfolgen, dass damit die Prüfer weiterhin anhand des Probenmaterials geschult werden können, um ihre sensorischen Kompetenzen und die erforderliche Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten, weiterzuentwickeln bzw. zu vertiefen. 

Eine intensivere konzeptionelle Vorbereitung, klare Prüfanweisungen, eine fachgerechte und gut durchdachte Probenlogistik, die digitale Ergebnisübermittlung sowie durch den Panelleiter moderierte virtuelle Prüfermeetings bzw. Videokonferenzen sind die Erfolgskriterien für kontaktarme sensorische Prüfungen und Paneltrainings. Wenngleich man bei einer dezentralen Verkostung zunächst davon ausgehen muss, dass die sonst für eine Laborprüfung üblichen standardisierten Umfeldbedingungen nicht vollständig eingehalten werden können, sollte man die sich bietenden Möglichkeiten ergreifen und fortlaufend beobachten, inwieweit dieses Kriterium negativen Einfluss auf die Prüfergebnisse nimmt. 

Im Idealfall versucht man die Situation sukzessive dahingehend zu optimieren, dass mit Hilfe definierter Vorgaben die Einrichtung der dezentralen Prüfarbeitsplätze weitgehend einheitlich gestaltet werden kann. Sofern alternativ zum Sensoriklabor, neben Heimprüfplätzen ggf. Büroräume oder Sitzungszimmer im Betrieb zeitlich begrenzt genutzt werden, sollten auch hier mittelfristig die Umfeldbedingungen (v. a. insbesondere Lichtverhältnisse, Raumtemperatur, Luftfeuchtigkeit, ggf. Probentemperatur) gemäß diesem Standard optimiert werden.

Mit den nachfolgend angeführten Maßnahmen werden Wege für die Durchführung sensorischer Prüfungen und Trainings aufgezeigt, die gerade auch während und nach Krisensituationen mit Gesundheitsgefährdung und eingeschränktem Routinebetrieb implementiert werden können:

3.1 Kontaktarme Prüfung

Für eine kontaktarme Prüfung lassen sich methodisch prinzipiell die nachfolgenden Prüfungsformen unterscheiden:

a) Zentrale Verkostung im Sensoriklabor mit getrennten Prüfkabinen

Sofern eine sensorische Prüfung weiterhin im Sensoriklabor bzw. Sensorikraum mit getrennten Prüfkabinen und vorhandener Probendurchreichung bzw. mit Prüftischen durchgeführt werden kann, ist der Ablauf wie folgt zu modifizieren: 

  • Die Anzahl der zeitgleich anwesenden Prüfer ist zu reduzieren, idealerweise zu halbieren, so dass im Prüfraum der Abstand zwischen den Personen gemäß den Hygieneanforderungen vergrößert werden kann. Dabei sollten nur Personen, die aus einer Abteilung stammen bzw. in ein definiertes Arbeitsteam eingeteilt sind, gemeinsam eingeladen werden.
  • Maßgebend ist zudem die Einhaltung der Hygienevorschriften seitens aller Mitarbeiter (Handhygiene, ggf. Nutzung von Einmalhandschuhen, Mund-Nasen-Schutz) und eine gründliche Reinigung und Desinfektion der Prüfkabinen/-tische sowie der digitalen Eingabegeräte (z. B. Tastaturen, Tabletscreens) bei Prüferwechsel inklusive ausreichender Belüftung/Lüftung.
  • Damit steigt insgesamt der Zeitaufwand pro Prüfungsprojekt, was v. a. bezüglich der Zeitkalkulation bis zum Vorliegen des Prüfergebnisses zu berücksichtigen ist (geringere Anzahl zeitgleich anwesender Prüfer, mehr nacheinander ablaufende Prüfungssitzungen, zusätzliche Reinigung & Desinfektion).

b) Dezentrale Verkostung in Büros, Zuhause (Heimprüfplätze) bzw. in für Verkostungszwecke reservierten Sitzungszimmern

Sofern auf dem Betriebsgelände strikte Zonen definiert sind, durch die der Besuch des zentralen Sensoriklabors bzw. Sensorikraums nicht möglich ist, bieten sich Verkostungen in den jeweiligen Büroräumen an oder in für Verkostungszwecke zeitlich befristet reservierten Sitzungszimmern innerhalb der jeweiligen Zone. Weiterhin wären Verkostungen Zuhause im Heimprüfplatz eine Option. 

Diesbezüglich lassen sich methodisch zwei Prüfvarianten unterscheiden: 

  • Asynchrone Einzelprüfung (Offline-Einzelprüfung)
    Hierbei erfolgt die sensorische Verkostung durch die Prüfer zeitlich unabhängig und offline in den jeweiligen dezentralen Räumlichkeiten (Büro, Sitzungszimmer, Zuhause im Heimprüfplatz), wobei ein definiertes Zeitfenster innerhalb dessen die Prüfergebnisse übermittelt werden müssen, vorgegeben wird. Gut geeignet ist diese Vorgehensweise für Unterschiedsprüfungen. Für deskriptive Prüfungen und Konsensprofilierungen hingegen eignet sich dieses Verfahren nur bedingt und nur dann, wenn die Prüfer routiniert sind und die zu prüfenden Deskriptoren bekannt bzw. bereits geschult wurden.
    Anmerkung: Bei Konsensprüfungen müssen die Einzelprüfergebnisse zu einem Gruppenergebnis zusammengeführt werden, so dass im Nachgang zur Onsite-Einzelprüfung eine gemeinsame Diskussion zu führen ist, die ggf. über einen virtuellen Austausch, z. B. Videokonferenz, erfolgen könnte. Gleiches gilt für Paneltrainings, sofern sich an die Offline-Einzelprüfung ein Erfahrungsaustausch auf digitaler Ebene anschließt.
  • Synchrone Einzelprüfung (Online-Einzelprüfung) 
    Diese Möglichkeit der zeitgleichen Verkostung durch die Prüfer eignet sich sowohl für Unterschieds- als auch für deskriptive Prüfungen (u. a. Profilprüfungen). Hierbei verkosten die Prüfer die Proben einzeln in den jeweiligen dezentralen Räumlichkeiten und dokumentieren dort ihre Prüfergebnisse. Der Kontakt mit dem Panelleiter und den anderen Prüfern erfolgt über digitale Videokonferenzsysteme wie z. B. Skype, Microsoft Messenger, Teams, Zoom, Gotomeeting etc.
    Es können im Vorfeld Fragen gestellt werden und ggf. ist nach den Einzelprüfungen eine Diskussion und anschließende Konsensprüfung möglich. In diesem Fall ist auch vor der eigentlichen sensorischen Prüfung eine Diskussion möglicher Deskriptoren für einer beschreibende Prüfung denkbar.
    Ideal wäre diesbezüglich und v. a. auch bei Paneltrainings eine zeitgleiche digitale Ergebniserfassung mittels z. B. Limesurvey, Surveymonkey oder optimal über Sensorik-spezifische Tools wie Red Jade, etc. Denn damit könnten unmittelbar nach Ende der Einzelprüfung die Ergebnisse vorliegen und als Datenbasis für eine anschließende Paneldiskussion zur Verfügung stehen. 

Beide Varianten erfordern zudem ein klares schriftliches Briefing der Prüfer hinsichtlich des Verhaltens vor der Prüfung (u. a. 1–2 Stunden vorher nicht rauchen, kein Kaffee, kein Parfüm sowie Hygieneregeln …). Zudem sollte eine erneute Sensibilisierung bezüglich des Verhaltens während der sensorischen Prüfung erfolgen, z. B. hinsichtlich Ruhe, Konzentration, regelmäßiges Neutralisieren der Sinne etc. und in Bezug auf die im Idealfall einzuhaltenden räumlichen Umfeldbedingungen (u. a. ausreichend großer Prüfplatz/Tischfläche für Proben, Prüf- und Neutralisationsmittel sowie geruchsneutraler Raum, natürliche Lichtverhältnisse etc.). Die Instruktionen im Vorfeld der Prüfung sind wichtig, um die möglichen negativen Einflussfaktoren zu minimieren, die dadurch entstehen, dass die Prüfung außerhalb der standardisierten Laborbedingungen erfolgt. Auch im Hinblick auf das Probenhandling sollte im Vorfeld ein klares Briefing stattfinden, um unterschiedlich lange Standzeiten vor der Verkostung auszuschließen, welche ggf. eine Veränderung der Verkostungstemperatur, des Aussehens durch Antrocknen oder Phasentrennung etc. zur Folge hätten.

3.2 Gut durchdachtes Probenmanagement

Veränderte Prüfbedingungen und der Einsatz von mehreren dezentralen Prüforten stellen modifizierte Anforderungen an die Probenvorbereitung und die Probenlogistik, die nachfolgend aufgezeigt werden.

a) Probenvorbereitung

  • Eine wichtige Basis für verlässliche Prüfergebnisse in der analytischen Sensorik ist nach wie vor eine fachgerechte und standardisierte Vorbereitung (Verblindung, Codierung, Portionierung etc.) der Proben, die wie bisher im Labor unter definierten Hygienestandards (Personal, Räumlichkeit) gemäß „Guter Sensorikpraxis“ und damit abgeschirmt von den Panelisten und Prüfern erfolgt.
  • Sofern möglich, ist auch hierbei der Einsatz wechselnder Laborteams, die untereinander keinen persönlichen Kontakt haben, zu empfehlen, so dass im Krankheitsfall der Workflow sichergestellt ist.
  • Im Idealfall werden die Prüfproben bereits vorportioniert und jeder Prüfer erhält sein individuelles Probenpaket mit den/dem jeweiligen Probenset(s). Begleitend zu den Proben sind ggf. entsprechende Aufbewahrungs- und Handling-Hinweise beizulegen, so dass der Qualitätserhalt der Prüfproben auch außerhalb des Sensoriklabors sichergestellt ist.
  • Sofern eine Vorportionierung der Proben logistisch nicht möglich ist und dieser Teil am Prüfort und durch den Prüfer selbst stattfinden muss, wären die Übersendung codierter leerer Prüfbehälter und verblindeter originalverpackter Produkte denkbar. Hier müssen den Prüfern dann zusätzlich genaue Portionieranweisungen ggf. auch Zubereitungshinweise mitgeteilt werden.
    HINWEIS: Je mehr Probenhandling an die Prüfer delegiert wird, desto größer ist das Fehlerrisiko.

b) Probentransport

  • Im Rahmen der modifizierten Verkostung im zentralen Sensoriklabor mit Durchreiche hat die gewohnte Probenlogistik weitgehend Bestand.
  • Anders gestaltet sich dies bei dezentralen Verkostungen, denn hier ist eine Kommissionierung sowie eine sachgerechte Verpackung der Prüfproben und Prüfsets (ggf. unter Einhaltung der Kühlkette) erforderlich.
  • Pro Prüfer sind die zu prüfenden verblindeten und codierten Proben inklusive Prüfmittel (Löffel u. a.) sowie einzusetzende Lebensmittel (Neutralisationsmittel) zur Reinigung des Mundraums bzw. zum Geschmacksausgleich individuell zusammenzustellen. Daneben müssen die jeweiligen Probensets gemäß den im Prüfplan aufgeführten sensorischen Tests entsprechend kenntlich gemacht werden.
  • Die Zustellung der Probenpäckchen erfolgt dann je nach dem direkt an den jeweiligen (internen) Prüfer im Betrieb bzw. bei externen Prüfern postalisch nach Hause oder alternativ an einen zentralen Abholort (ggf. innerhalb der definierten Zonen) bzw. über eine andere kontaktlose Möglichkeit der Probenabholung durch den Prüfer selbst.

3.3 Digitale Übermittlung der Prüfergebnisse

Sofern für die Dokumentation der Prüfergebnisse aus sensorisch-analytischen Prüfungen Software-Programme zum Einsatz kommen, ist es ideal, wenn man auf diese nicht nur über die PC´s bzw. Tablets im zentralen Sensoriklabor, sondern auch dezentral über die Computer der Panelisten zugreifen könnte oder wenn man Web-basierte Programme nutzen würde (siehe auch Punkt 3.1 b). Alternativen wären kurz- bis mittelfristig die Nutzung von digitalen oder ausgedruckten Prüfformularen, die dann als PDF oder eingescannt mittels E-Mail an den Panelleiter bzw. verantwortlichen Projektleiter versandt oder auf einem definierten Serververzeichnis abgelegt werden. Unternehmen, die ihre Sensorik bereits digitalisiert haben oder Web- und Cloud-basierte Softwaresysteme nutzen, haben den Vorteil, dass keine Medienbrüche vorliegen und die Zusammenführung der Einzelergebnisse zum Prüferergebnis inklusive der statistischen Auswertungen vereinfacht ist und zeitnah erfolgen kann.

3.4 Web-basiertes Paneltraining und Prüfermanagement

Um auch das Prüfermanagement und das Paneltraining bzw. die Prüferschulung möglichst kontaktlos durchzuführen, bieten die Digitalisierung und verschiedene Web-basierte Software-Tools eine wertvolle Unterstützung. Es gilt, die Information und Kommunikation online zu gestalten, virtuell den Kontakt aufrechtzuerhalten und digital Inhalte sowie Wissen auszutauschen und zu teilen. Dabei lassen sich asynchrone von synchronen Methoden unterscheiden.

a) Asynchrone Schulungsmethoden

Diese Verfahren ermöglichen durch die zeitlich unabhängige Bereitstellung von Informationen in Form von Videos, E-Learning Modulen und digitalen Skripten ein selbstgesteuertes Erlernen von theoretischen Inhalten und sensorischen Methoden. Auch der Einblick in definierte Verkostungssequenzen ist rund um die Uhr, d. h. 24 h pro Tag möglich. 

Neben diesen theoretischen Schulungssequenzen lassen sich auch praktische Übungen asynchron gestalten, sofern – wie zuvor unter Punkt 3.2 Probenmanagement beschrieben – zu testende Proben inklusive detaillierter Instruktionen versandt und nach Abgabe der Prüfergebnisse und Datenauswertung individuelle digitale bzw. Web-basierte Feedbacks durch den Panelleiter gegeben werden.

b) Synchrone Schulungsmethoden 

Diese Möglichkeiten ergänzen die asynchronen Verfahren, indem sie zu definierten Zeiten über moderierte Diskussionsforen, Chats, Telefon- bzw. Videokonferenzen eine zeitgleiche unmittelbare Kommunikation, Diskussion und Information ermöglichen, so dass hier direkt im Dialog Wissen ausgetauscht, Fragen geklärt und ein konkretes Briefing bzgl. einer durchzuführenden Prüfung erfolgen können. So lassen sich über Videokonferenzen, die durch den Panelleiter oder Sensorikverantwortlichen initiiert und moderiert werden, Panelschulungen abhalten bzw. das theoretisch und asynchron im Vorfeld vermittelte Wissen diskutieren und vertiefen.

4. Fallbeispiel sensorische Profilierung: Vergleich von Labordaten und In-Home-Ergebnissen

Eine Evaluation der isi GmbH, Göttingen, zeigt, dass sich sensorisch-analytische Tests in Form von deskriptiven Prüfungen auch außerhalb von standardisierten Prüfumfeldern (z. B. Sensoriklabor) durchführen lassen und so ebenfalls vergleichbare aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden können, sofern man die zuvor genannten Aspekte berücksichtigt.

In einem Projektzeitraum von 8 Wochen wurden Milchprodukte durch ein deskriptives Panel beschrieben. Die Panelisten starteten mit der 1. Messung und einem Teil der 2. Messung von insgesamt 17 Proben im Sensoriklabor (zentral) und setzten während der Laborschließung im Zuge der Corona-Krise ihre Tätigkeit bezüglich der 2. Messung im In-Home-Test (IHT, dezentrale Heimprüfplätze) fort. Der Schwerpunkt der Qualifizierungsphase und die Festlegung der Deskriptoren erfolgte damit im Vorfeld unter gewohnten Bedingungen – also in von der Panelleitung moderierter Gruppendiskussion (face-to-face).

Die Ergebnisse sind in den Abbildungen 1–3 dargestellt. Die PCA (Hauptkomponentenanalyse) in Abbildung 1 zeigt eine gute Übereinstimmung der 3 Profile (1. Messung im Labor, 2. Messung im Labor, 3. Messung IHT). Die Abstände vom Zentrum der Map sind bei der 2. Labormessung mit durchschnittlich 109 % und dem 2. Prüfdurchlauf im IHT mit durchschnittlich 103 % nicht kleiner als bei der 1. Messung im Labor. Somit kommt das Verfahren der IHT Profilierung zu vergleichbar guten Ergebnissen wie eine Profilierung im Sensoriklabor. Untermauert wird diese Aussage durch einen Blick in die in Abbildung 2 dargestellten RV-Koeffizienten (Ähnlichkeitskoeffizienten aus der Multiplen Faktorenanalyse, MFA). Die Ergebnisse aus dem 2. Testdurchlauf, der im IHT durchgeführt wurde, zeigen eine gute Übereinstimmung mit den im Labor erzielten Werten. 

Sowohl die Stichprobenpositionen (vgl. Abbildungen 1 und 2) als auch das detaillierte Profil der sensorischen Eigenschaften eines beispielhaften Produkts (Abbildung 3) zeigen eine hohe Übereinstimmung der In-Lab- und In-Home-Daten. Die Evaluationsdaten der isi GmbH belegen damit eindrucksvoll die Möglichkeiten, die sich durch In-Home-Testing auch für die analytische Sensorik ergeben. In Abhängigkeit von den Wünschen der Auftraggeber und dem Projektauftrag kann dann auch nach der Wiedereröffnung der Sensoriklabore an der In-Home-Projektarbeit festgehalten werden. Damit eventuelle In-Home-Störquellen bestmöglich minimiert werden, ist allerdings eine hohe Expertise bei der Instruktion der Panellisten, bei der Probenvorbereitung und bei den weiteren projektrelevanten Prozessen entscheidend.

5. Fazit

Maßgebend für die zuvor beschriebenen alternativen Möglichkeiten in der analytischen (und ggf. auch hedonischen) Sensorik ist, dass sich zunächst Investitionen in die Bereitstellung der digitalen Technik, in Logistikkonzepte und in personelle Zeitressourcen ergeben. Denn initial ist im Rahmen der Umstellung ein höherer Planungsaufwand seitens des Sensorikverantwortlichen erforderlich.

Dies betrifft sowohl die detaillierte Prüfplanung inklusive einer ausführlichen Beschreibung des Prüfauftrages und Vorgaben, die Handhabung der Proben seitens der Panelisten ebenso betreffend wie die Planung der Probenlogistik. Weiterhin müssen das digital gestützte Panelmanagement und die Prüferschulung detaillierter durchdacht werden, um beispielsweise in Schulungen Elemente des asynchronen Selbststudiums und des synchronen digitalen Informations- und Erfahrungsaustausches geschickt und zielführend miteinander zu verbinden. 

Darüber hinaus sind die erhöhten Hygieneanforderungen an das involvierte Personal und die Räumlichkeiten zu planen und umzusetzen. 

Mittels digitaler Tools, kontaktreduzierter Prüfkonzepte und gut durchdachter Probenlogistik dem eingeschränkten Routinebetrieb in der Lebensmittelsensorik zu begegnen, hat sich in der Praxis bereits bewährt und bietet wertvolle Ansatzpunkte für eine jeweils betriebsspezifische Umsetzung. Die hier ggf. initial zu tätigenden Investitionen amortisieren sich im Zeitverlauf. Damit lassen sich laufende Verkostungen weitestgehend aufrechterhalten, Prüferschulungen im Sinne von Auffrischungsschulungen durchführen und auch die Motivation der bestehenden Prüfer beibehalten, da ihre wichtige Arbeit nun fortgeführt werden kann.

 Dieser modifizierte Prozess lässt sich sicherlich bei bereits routinierten und gut trainierten Prüfern einfacher umsetzen, um eine gewohnt gleichbleibend hohe Übereinstimmung bei den Beurteilungen und damit eine gute Ergebnisqualität zu erzielen. Zudem nimmt auch die Art der zu prüfenden Produktgruppe einen nicht zu unterschätzenden Einfluss, so dass die Ergebnisse der jeweiligen sensorischen Projekte insbesondere auch unter den modifizierten Bedingungen jeweils entsprechend verifiziert und validiert werden müssen.

Aber prinzipiell eröffnen die zuvor genannten Möglichkeiten auch den Neuaufbau von Panels, wenngleich sich dies, sofern die kontaktfrei rekrutierten Personen bislang keinerlei Erfahrungen mit sensorischen Prüfungen vorweisen können, zunächst schwieriger gestaltet. Aber mit Kreativität und anfangs mit nicht allzu hoch gesteckten Schulungszielen und zu komplexen Testproben ist sicherlich auch dieses möglich, um gerade in Krisenzeiten im Sensorikbereich Projekte fort- bzw. durchzuführen. Ideen diesbezüglich liefern u. a. die kostenfrei im Web verfügbaren DLG-Expertenwissen zur Prüfer- und Panelschulung. Darüber hinaus werden sich in diesem modifizierten Arbeitsalltag weitere Potenziale ergeben, die allen Sensorikverantwortlichen dabei helfen, die Krise als Chance zu nutzen und die Methoden der Lebensmittelsensorik in gewohnter Form professionell und zielführend in die Prozesse zur Lebensmittelherstellung zu integrieren, damit weiterhin der Verbrauchergeschmack verlässlich getroffen und der Beitrag der Sensoriker zur Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit des Betriebes geleistet werden kann. Und wenngleich die „kontaktfreie“ Sensorik im Rahmen von Trainings und bei der Durchführung von Prüfungen ungewohnt, in der praktischen Umsetzung schwierig erscheinen mag und auch sicherlich nicht für alle Aufgabenstellungen möglich ist, so sind einige der zuvor genannten Elemente eine wertvolle Investition in die digitale Zukunft der Humansensorik. Sie bieten darüber hinaus das Potenzial, auch nach Krisenzeiten die Effektivität sensorischer Evaluationen zu unterstützen.

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Kontakt

DLG-Fachzentrum Lebensmittel • Bianca Schneider-Häder • Tel.: +49 (0) 69 24 788-360  B.Schneider@DLG.org