Die visuelle Qualitätserkennung durch Künstliche Intelligenz erlebt eine rasante Entwicklung. Im Projekt Movi-Q arbeiten Forschende an einem System, bestehend aus Spektralkameras und KI, etwa um Schadstellen auf Produkten in Echtzeit zu erkennen. Die Lösung, die am Ende prozessübergreifend anwendbar sein wird, verspricht für die Fleischinspektion viel Potenzial, „da sich beispielsweise auch Einblutungen oder Fremdkörper sicher aufspüren lassen“, wie der Projektverantwortliche Jens Schröder, Abteilungsleiter Automatisierungstechnik beim DIL Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e.V., im Interview erklärt. Die Förderung des Vorhabens erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Projektträger ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.
Herr Schröder, Klassifizierungssysteme nehmen in der Lebensmittelindustrie eine wichtige Rolle ein, um fehlerhafte Produkte zu entfernen. Welche Rolle spielt die Bildverarbeitung dabei, um Produkte in Echtzeit zu sortieren und zu überwachen?
Jens Schröder: In der Lebensmittelindustrie müssen Produkte an unterschiedlichen Stellen der Verarbeitungskette bewertet werden, um fehlerhafte Zwischen- oder Endprodukte auszusortieren und hierdurch die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. Vielfach werden die Bewertungen noch manuell vorgenommen. Bildverarbeitungssysteme erlauben nun die Produktbewertung in gleichbleibender Qualität sowie mit definiertem und skalierbarem zeitlichem Aufwand.
Im Projekt Movi-Q arbeiten Sie an der Umsetzung eines automatisierten Systems, das produkt- und prozessübergreifend anwendbar ist. Welches Potenzial versprechen Sie sich davon für die Fleischverarbeitung?
Schröder: Die Fleischverarbeitung stellt unabhängig vom Produkt und Prozess häufig vergleichbare Anforderungen an die Qualitätsbewertung. Durch intelligente Klassifizierungssysteme lassen sich automatische Bewertungen realisieren, und dies unabhängig davon, ob eine Putenkeule, ein Schweinefilet oder ein Rindersteak analysiert werden muss.
Welche Qualitätsparameter lassen sich erfassen?
Schröder: Es können beispielsweise zu hohe Fettanteile, Knochen- oder Knorpelpartikel, Einblutungen oder Fremdkörper erkannt und anschließend für jedes betrachtete Produkt die Weiterverarbeitung individuell gesteuert werden.
Wie setzt sich das System zusammen und an welchen Stellen in der Produktion soll es seinen Einsatz finden?
Schröder: Der Movi-Q-Aufbau besteht im Wesentlichen aus unterschiedlichen optischen Erkennungssystemen, einer Gesamtsteuerung und einem User-Interface. Die Technologie ist somit zunächst für die Bewertung von Produkten auf Transportsystemen, wie Förderbändern oder Rollenverlesetischen, vorgesehen. Da bereits ein Großteil der Produktion auf Transportsysteme ausgelegt ist, kann ein solches Klassifizierungssystem von der Eingangskontrolle über die eigentliche Verarbeitung bis zur finalen Qualitätskontrolle in einem breiten Bereich der Prozesskette der Fleischverarbeitung integriert werden.´
Auch transparente Fremdkörper oder Partikel, welche fleischähnliche Färbung aufweisen, können gut „sichtbar“ gemacht werden.
Klassische Vision-Systeme überprüfen die Qualität von Objekten, indem sie bestimmte Fehlermerkmale an der Oberfläche erkennen. Was leistet bei Ihrem System der Einsatz von Spektralkameras?
Schröder: Die Hyperspektraltechnologie erlaubt gegenüber klassischen Farbkamerasystemen den Einbezug eines breiteren Wellenlängenbereichs für die Analyse der Produkte. Ermöglichen Farbkamerasysteme in der Regel die Aufnahme von Wellenlängen im Bereich von rund 400 bis 780 Nanometer, so werden in unserem System mithilfe der Hyperspektraltechnologie beispielsweise Wellenlängen von
400 bis 1.700 Nanometer berücksichtigt.
Welchen Vorteil bietet dies?
Schröder: Dadurch werden Qualitätsmerkmale „sichtbar“, die klassische Kamerasysteme nicht oder lediglich mit hohem technischem Aufwand erkennen. Hierdurch lassen sich unter anderem Druckstellen auf Obst und Gemüse sowie Blutergüsse auf Fleischprodukten oder Verschmutzungen, wie Fettrückständen, auf Verpackungs-Trays anzeigen und somit analysierbar machen.
Zudem gelingt es Ihnen mithilfe der hyperspektralen Bildverarbeitung, Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung organischer Stoffe festzustellen. Was genau bedeutet das?
Schröder: Wir betrachten bei der Hyperspektraltechnologie das Absorptionsspektrum von chemischen Verbindungen. Entsprechend werden die Produkte über ein Beleuchtungssystem mit weitem Wellenlängenbereich und möglichst gleichbleibender Intensität bestrahlt, sodass sich die Reflexion über die Kameraoptik aufnehmen lässt. Für jeden Pixel wird die Intensität der Absorption des Produktes für den gesamten Wellenlängenbereich aufgenommen. Somit erhält man in jedem Pixel ein individuelles Absorptionsspektrum über den Wellenlängenbereich des Kamerasystems.
Wie wirkt sich die höhere Informationsdichte je Pixel aus?
Schröder: Im Wesentlichen in der Möglichkeit, die Spektren definierter chemischer Verbindungen und Eigenschaften von Produkten auszuwerten. Selbst bei optischer Gleichheit werden diese Bereiche eindeutig sichtbar gemacht und können voneinander getrennt werden. So hat Muskelfleisch andere Reflexions- beziehungsweise Absorptionseigenschaften wie Einblutungen oder Bereiche mit Fett.
Hyperspektrale Kameras liefern ein zweidimensionales Bild der Produkte. Stoßen Sie damit an Grenzen, beispielsweise wenn es um die Aussortierung defekter „dreidimensionaler“ Lebensmittel geht?
Schröder: Richtig, hyperspektrale Kameras liefern erst mal keine Höheninformation. Die Oberfläche räumlicher Produkte lässt sich hierüber aber trotzdem analysieren. Für eine vollumfängliche Bewertung ist gegebenenfalls ein Wenden der Produkte erforderlich, um durch zwei separate Aufnahmen, sowohl die Ober- als auch die Unterseite, analysieren zu können. Um jedoch auch die Höheninformation in die Gesamtbetrachtung der Qualitätserkennung miteinzubeziehen, etwa zur Detektion von zu kleinen, zu großen oder unförmigen Produkten, ist in unserem Aufbau zusätzlich ein 3-D-Profilsensor eingebracht. Dieser kann entsprechende Merkmale in hoher Genauigkeit einbeziehen.
Welche Rolle spielen die KI und Machine-Learning-Verfahren sowie moderne Transfer-Learning-Modelle bei der Klassifizierung?
Schröder: KI und Mechanismen des maschinellen Lernens bieten die Möglichkeit, durch die Generierung hochqualitativer Trainingsdaten und die Umsetzung entsprechender Algorithmen auch für komplexe Anwendungen sehr performante Lösungen zu erreichen. Die Fleischindustrie ist hierfür ein sehr gutes Beispiel …
… welche Hürden galt es hier zu meistern?
Schröder: Produkte einer Klasse sind teilweise einheitlich, aber nie identisch. Hier wird die Abdeckung aller möglichen Zustände und Eventualitäten durch klassische Methoden der Bildverarbeitung sehr aufwendig und ist nicht immer realisierbar. Speziell in Bereichen, wo vorwiegend einheitliche Produkte auf Abweichungen kontrolliert werden sollen, können sicherlich einige Fehlerfälle auch mit klassischer Bildverarbeitung gut abgedeckt werden. Auch solche Anwendungsfälle treten vielfach in der Lebensmittelindustrie auf. Entsprechende Systeme stoßen jedoch oftmals an Grenzen, wenn bereits die fehlerfreien Produkte stark schwanken und gleichzeitig die Fehlerfälle sehr vielfältig ausgeprägt sein können.
Was bedeutet der KI-Einsatz für die Performance von Movi-Q?
Schröder: Die Technologie lässt sich deutlich einfacher auf unterschiedliche Produkte und Anwendungen anpassen. Durch die Generierung prozessbezogener Trainingsdaten lässt sich eine Überführung auf den jeweiligen Anwendungsfall realisieren. Was die Performance der KI-Modelle angeht, so lässt sich sagen, dass die verwendeten KI-Modelle mit geeigneter Hardware in Echtzeit Vorhersagen für die Produktion treffen können, sodass die Leistungsfähigkeit der KI-Modelle kein Bottleneck darstellen wird.
Welche Fremdkörper lassen sich auf diese Weise mit Movi-Q aufspüren?
Schröder: Die Systematik lässt die Erkennung von Fremdkörpern, wie Metall- oder Kunststoffpartikel, zu. Speziell das Thema der Kunststofferkennung ist in der Fleischverarbeitung ein wichtiger Punkt. Rückstände von Transportkisten oder auch Verpackungstrays müssen sicher identifiziert werden, um eine Gefährdung der Verbraucher und Rückrufaktionen zu verhindern. In diesem Zusammenhang bietet die Hyperspektraltechnologie ein großes Potenzial, da anhand der chemischen Zusammensetzung eine gute Trennung von Fleischwaren zu den Fremdkörpern erfolgen kann.
Was ist beispielsweise mit transparenten Fremdkörpern?
Schröder: Auch transparente Fremdkörper oder Partikel, welche fleischähnliche Färbung aufweisen, können gut „sichtbar“ gemacht werden. In Verbindung mit einer Auswertung über KI-basierte Architekturen lassen sich so kontinuierliche Fremdkörperkontrollen durchführen.
Was sind die nächsten Schritte im Projekt?
Schröder: Als nächster Schritt steht die Überführung der Systematik vom Labor in die Praxis an. Die Erkenntnisse aus dem Laboraufbau werden in einen Hardwareaufbau integriert, welcher den komplexen Anforderungen der Lebensmittelindustrie gerecht wird. Konkret wird der Aufbau in einem fleischverarbeitenden Betrieb installiert und dort Datenerhebungen vorgenommen, um den Einsatz in der Industrie zu erproben. Hierdurch ergeben sich dann neben der finalen Leistungsfähigkeit des Systems auch Erkenntnisse zur Bedienung des Systems, sodass der Aufbau fortlaufend optimiert werden kann. Dies soll eine ideale Nutzung für unterschiedlichste Betriebe gewährleisten.
Interview: Mareike Bähnisch, Freie Fachjournalistin für Prozesstechnik