Der Druck auf die Landwirtschaft steigt
Prof. Stephan von Cramon-Taubadel zur globalen Versorgungslage und Nachhaltigkeit
Der völkerrechtswidrige Krieg in der Ukraine hat die globalen Märkte für Getreide und Ölsaaten stark belastet. Sowohl die Produktion als auch der Export von Getreide und Ölsaaten in der Ukraine gingen seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 zurück. Die Preise für Agrarprodukte sind weltweit gestiegen. Wenn wir jetzt nach einem Jahr Krieg zurückblicken, stellen wir jedoch fest: es hätte noch schlimmer kommen können. Wir haben das erste Jahr des Krieges besser überstanden als vor einem Jahr befürchtet.
Dieser Umstand ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Ernte 2022 in den anderen Hauptproduktionsregionen wie der EU und Nordamerika vergleichsweise gut ausgefallen ist. Vor allem Russland hat mit geschätzten 134 Mio. t Getreide rund 20 Mio. t mehr geerntet als 2021. Mit Blick auf die vollen Lager muss Russland im laufenden Wirtschaftsjahr 2022/23 Weizen exportieren. Ansonsten wäre denkbar gewesen, dass der russische Präsident Wladimir Putin versucht hätte, Exporte zurückzuhalten, um die Weltmärkte noch mehr unter Druck zu setzen.
Hinzu kommt der Erfolg des zwischen Russland und der Ukraine unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen ausgehandelten Getreideabkommens. Seit Ende Juli 2022 konnte die Ukraine innerhalb von sieben Monaten 22,5 Mio. t Getreide und Ölsaaten auf dem Seeweg exportieren. Das sind weitaus mehr als die von Marktbeobachtern zunächst erwarteten rund 2 Mio. t pro Monat. Diese Exportflüsse aus den ukrainischen Häfen um Odessa haben zu einer Entschärfung der Lage auf den Weltagrarmärkten beigetragen. Schnellte der Weizenpreis nach Kriegsbeginn im März auf über 400 €/t, sind die Preise bis Februar 2023 auf unter 300 €/t gesunken.
Nachhaltigkeitsziele und Klimaschutz sind jedoch weiterhin von höchster Priorität und dürften in der EU wegen des Krieges und der wachsenden Ernährungsunsicherheit weltweit nicht zurückgestellt werden.
Niedrige Endbestände
Doch gibt es keinen Grund zur Entwarnung, es könnte durchaus wieder schlimmer kommen. Die Preise sind weiterhin volatil und liegen über Vorkriegsniveau, das "Stocks-to-Use"-Verhältnis zwischen globalen Endbeständen und Verbrauch ist weiterhin niedrig. Die Ukraine wird 2023 deutlich weniger ernten als im Vorjahr. Schätzungen zufolge wurden bisher mehr als 25 Prozent des landwirtschaftlichen Kapitalstocks in der Ukraine zerstört oder beschädigt, rund 13,5 Mio. ha Ackerfläche sind von Kriegshandlungen beschädigt und teilweise vermint. Die Betriebe in der Ukraine leiden unter einem extremen Liquiditätsmangel aufgrund der eingeschränkten Vermarktung der letztjährigen Ernte, entsprechend fehlt das Geld für Saatgut, Dünger und Pflanzenschutz. Folglich ist die Aussaat von Winterungen um 40 Prozent geringer ausgefallen als im Vorjahr, und die Sommerungen dürften die Lücke nicht aufholen können.
Preise befinden sich in einer Zwischenphase
Es ist daher nicht auszuschließen, dass wir uns derzeit preislich lediglich in einer Zwischenphase befinden. Die globale Versorgungslage bleibt eng und könnte noch enger werden. Fällt die Ernte 2023 in einer der Hauptproduktionsregionen der Welt enttäuschend aus, könnten die Preise wieder stark steigen. Und das in einer Zeit, in der sich die Welternährung ohnehin in einer sehr kritischen Phase befindet. Der Anteil der Hungernden in der Welt liegt bei 10,5 Prozent der Weltbevölkerung. Zuletzt verzeichneten wir große Rückschritte im Kampf gegen Hunger, erst als Folge der Corona-Pandemie und nun aufgrund von Russlands Angriffskrieg.
In dieser Situation gewinnt das Thema Ernährungssicherheit verständlicherweise an Bedeutung im agrarpolitischen Diskurs. Nachhaltigkeitsziele und Klimaschutz sind jedoch weiterhin von höchster Priorität und dürften in der EU wegen des Krieges und der wachsenden Ernährungsunsicherheit weltweit nicht zurückgestellt werden. Andernfalls werden zukünftige Generationen noch viel größere Probleme mit der Nahrungsmittelversorgung haben. Die Erreichung des Ziels, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, wird immer unwahrscheinlicher. Jüngsten Prognosen zufolge werden die 1,5 Grad Celsius Mitte des Jahrhunderts überschritten und erst gegen Ende des Jahrhunderts, wenn entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, wieder erreicht. Je größer das zwischenzeitliche "overshooting" des Ziels ausfällt, desto häufiger ist mit Überschwemmungen, Dürren und starken Ertragsrückgängen in der Landwirtschaft zu rechnen, die Hunger, Migration und Terrorismus auslösen können. „Klimapolitik ist Sicherheitspolitik“ war daher auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar zu hören, auf der ich zu einer Veranstaltung über die globale Ernährungslage beitragen durfte.
EU-Taxonomie versus nationale Interessen
Vor diesem Hintergrund ist das Ziel der EU-Taxonomie, Anreize für die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit bei Investitionen zu stärken, nachvollziehbar. Nachvollziehbar sind aber auch die Bedenken der Agrarwirtschaft, die vor einer Gefährdung der Kreditversorgung und einer Zunahme der Bürokratie warnt. Unklar bleibt, wie detaillierte Nachhaltigkeitskriterien für die Landwirtschaft festgelegt und im Zeitablauf infolge technischer Erneuerungen angepasst werden sollen. Unklar bleibt auch, ob und wie globale Landnutzungsänderungen in der Taxonomie berücksichtigt werden sollen. Schließlich zeigt die 2022 getroffene Entscheidung über Nachhaltigkeitskriterien für Gaskraftwerke, dass politische Erwägungen und nationale Interessen bei der Taxonomie eine wichtige Rolle spielen können. Um eine Fremdsteuerung mit planwirtschaftlichen Zügen zu vermeiden, ist es wichtig, dass sich die Landwirtschaft aktiv "einmischt" und Alternativen wie zum Beispiel das DLG-Indikatorensystem "Nachhaltige Landwirtschaft Ackerbau" vorschlägt.
Prof. Stephan v. Cramon-Taubadel war Key-Note-Speaker auf der DLG-Wintertagung 2023 im Plenum: Nachhaltigkeit in Krisenzeiten: Neubewerten – Aufgeben – Weiterführen?
Text: Daphne Huber,
DLG-Newsroom, agrarticker.de
d.huber@dlg.org