Eröffnungsrede von DLG-Präsident Hubertus Paetow zu den DLG-Unternehmertagen 2024

Eröffnungsrede zu den DLG-Unternehmertagen 2024 am Mittwoch in Oldenburg – Leitthema "Bürokratie managen - Freiraum schaffen" - Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität erlangt Priorität im agrarpolitischen Diskurs und eröffnet Landwirtschaft Gestaltungschancen – Bürokratieabbau ist Gemeinschaftsaufgabe von Landwirtschaft, Politik und Verwaltung

Herzlich willkommen hier in Oldenburg zum Plenum der DLG-Unternehmertage 2024.

Unternehmertage, das ist traditionell das Treffen der DLG-Community nach der Ernte, wenn der Erfolg des vergangenen Ackerbaujahres beurteilt werden kann. Wir wollen Erfahrungen aus der vergangenen Saison austauschen, aber vor allem soll es darum gehen, nach vorne zu schauen, Verbesserungen in Produktion und Betriebsstrategie auf den Weg zu bringen und gemeinsam den Fortschritt zu diskutieren. 

Ackerbau und Anpassungen an den Klimawandel 

In der öffentlichen Debatte über die Folgen des Klimawandels spielen landwirtschaftliche Erträge eine zentrale Rolle. Die Beeinträchtigung der Nahrungsmittelerzeugung ist neben den Schäden an Gebäuden und Infrastruktur das große wahrgenommene Risiko der Erwärmung. Im allgemeinen Verständnis wird diese Gefahr mit Dürre oder Wüstenbildung in Verbindung gebracht. 

Nach den Dürrekalamitäten, die in den vergangenen Jahren gehäuft aufgetreten sind und die natürlich zu Ertragseinbußen geführt haben, gab es dieses Jahr endlich einmal fast überall genug Niederschlag, in einigen Regionen sogar mehr als genug. 

Die Winterungen haben davon aber nicht durchweg profitieren können - denn das viele Wasser hilft nicht nur den Pflanzen, sondern auch den Pilzkrankheiten, und wochenlange Wassersättigung führt auch durch die Beeinträchtigung von Wurzelwachstum und Nährstoffaufnahme zu Einbußen - wie wir an den Erträgen gesehen haben. So ist die Ernte trotz eines vergleichsweisen normalen Jahres sehr durchwachsen ausgefallen. 

Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass die Intensivierung der letzten Jahrzehnte im Bereich der Fungizide und Wachstumsregler, aber auch bei der Entwässerung von Ackerflächen, durchaus ihren Sinn hatte. Und dass eine technologieoffene, fortschrittliche Intensivierung eine sinnvolle Anpassung an die Folgen des Klimawandels erst ermöglicht. 

Nachhaltige Produktivitätssteigerung bedeutet, den Betriebsmitteleinsatz an die Lage anzupassen und eben keine pauschalen Verbote in willkürlichen Gebietskulissen. Pflanzenschutz, Düngung und Bodenbearbeitung in Zeiten des Klimawandels bedeuten eben nicht Extensivierung oder Ertragsverzicht, sondern gezielte Weiterentwicklung des Einsatzes von Betriebsmitteln – mit verbesserten Prognose- und Entscheidungsmodellen, präziser Sensorik und wirksamen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. 

Wenn die Erntemenge schon nicht zufriedenstellt, dann sollten es doch wenigstens die Preise. Die großen Kalamitäten, ausgelöst durch den Angriff Russlands auf die Ukraine, sind zumindest auf den Agrarmärkten erst einmal vorbei.  

Aktuell sind die Erzeugerpreise und auch die Betriebsmittel- und Energiepreise wieder auf einem Niveau, das eine rentable Produktion ermöglicht – allerdings sind die Kosten sowohl für Investitionsgüter als auch für Kapital immer noch vergleichsweise hoch.  

So betrug die Preissteigerung bei Landtechnik von 2020 bis 2023 über 25 Prozent und die Zinsen für Maschinenkredite stiegen im gleichen Zeitraum von unter 1 Prozent auf über 5 Prozent. Damit steigen die Kapitalkosten einer Maschineninvestition innerhalb von 3 Jahren um 50 Prozent - das engt den Spielraum im Ackerbau selbst bei guten Preisen erheblich ein. Und auch die Lohnkosten sind angesichts des Fachkräftemangels stark gestiegen. Umso wichtiger ist es auf den Betrieben, die Arbeitsplätze attraktiv zu gestalten und gleichzeitig den technischen Fortschritt zur Rationalisierung weiter zu nutzen. 

Tierische Erzeugung: Tierwohl versus Preisgestaltung am Markt

Nicht nur im Ackerbau haben die Preise der letzten Jahre für gute Betriebseinkommen gesorgt, auch in der tierischen Erzeugung sind die Ergebnisse gut. 

Allerdings führt dies nicht wie sonst zu Wachstum oder Innovation in den Betrieben. Der Rückgang in der Schweineproduktion setzt sich auch nach Ende der Corona-Krise und trotz der auskömmlichen Preise weiter fort. So ging die Zahl der geschlachteten Schweine inländischer Herkunft 2023 erneut um fast 8 Prozent zurück.   

Der Grund für diesen Verlust liegt dabei weniger in der aktuellen Rentabilität - die ist bei den gut aufgestellten Betrieben hervorragend.

Die gut funktionierende und im internationalen Vergleich nachhaltige und tiergerechte Wertschöpfungskette Schwein wird gesellschaftlich und politisch systematisch totgeredet.  

Der kluge Ansatz der Borchert-Kommission, nämlich gesellschaftliche Ansprüche ans Tierwohl auch von der Gesellschaft finanzieren zu lassen, scheitert an einer entscheidungsunfähigen Politik. 

Und eine Finanzierung über den Preis scheitert an den dann offenkundig doch nicht so sehr an Tierwohl interessierten Verbrauchern und an der aufkommenden Rezession.  

Dabei spielt auch der Handel eine Rolle – denn marketinggetriebene Botschaften zur Umstellung des Sortimentes auf höhere Haltungsstufen passen einfach nicht zu einem Markt, auf dem schon ITW-Standard nicht mehr kostendeckend abzusetzen ist. 

Da gehört schon eine große Portion Mut dazu, in solch einem Umfeld in einen klassischen Warmstall nach gesetzlichem Standard zu investieren. 

Diskrepanz zwischen Lage und Stimmung

Diese Diskrepanz zwischen Lage und Stimmung zeigt sich besonders deutlich, wenn man die Wirtschaftsergebnisse der beiden vergangenen Jahre betrachtet.  

Über alle Produktionsrichtungen und Betriebsformen wurde gutes Geld verdient, die Betriebe sind wirtschaftlich stabil und solide finanziert. Die Bruttowertschöpfung der Deutschen Landwirtschaft liegt 2022 und 2023 um 50 Prozent über dem Durchschnitt der Vorjahre. 

Und trotzdem wird nicht investiert und die Zahl der Berufseinsteiger geht stetig zurück.  

Diese Lage kann man nun beklagen – oder man kann sich Gedanken machen, was eigentlich wer tun muss, damit es wieder vorwärts geht – und das funktioniert am besten, wenn man sich in der Community trifft und gemeinsam über Wege des Fortschritts nachdenkt, so wie wir es hier und heute tun wollen.  

Wir wollen eben nicht in das Wehklagen über die zahlreichen Krisen einstimmen.  

Krisen hat es immer gegeben und viele Erfolgsgeschichten sind als Folge tiefer Krisen entstanden. 

Genauso entscheidend wie die Märkte und Rahmenbedingungen, ist für eine zukunftsbejahende Positionierung die Stimmung in der Branche selbst.  

Und da liegt eine große Aufgabe von Politik und Verbänden. 

Die Rahmenbedingungen: Politischer Paradigmenwechsel 

Die Story vom politischen Primat von Ökologie und Klimaschutz zieht nicht mehr – Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität haben sowohl national als auch in der EU inzwischen höchste Priorität. 

Klares Indiz dafür ist die ersatzlose Streichung der Stilllegungsverpflichtung im Rahmen der Konditionalitäten für die Direktzahlungen – eine Entscheidung, die auf europäischer wie auch nationaler Ebene vor drei Jahren noch undenkbar gewesen wäre. 

Die Themen Biodiversitätsverlust und Klimawandel sind deswegen aber nicht weniger wichtig geworden oder gelöst - sie sind nur nicht mehr im Fokus der Politik – und das kann ein Vorteil sein, wenn man die Phase der geringeren Aufmerksamkeit klug nutzt. 

Die aktuelle Situation ermöglicht eine konstruktivere Lösungssuche, weil weniger gesellschaftliche und politische Emotionen in der Debatte zu berücksichtigen sind. 

Nochmals das Beispiel Glöz 8: Die Streichung der Konditionalität eröffnet die Möglichkeit, die Überlegenheit unternehmerisch-kooperativer Ansätze zu demonstrieren: Ökoregelungen ermöglichen hochrentable Projekte zur Biodiversitätsförderung über Refugialflächen - je mehr Betriebe jetzt einsteigen und Erfolge vorweisen, umso eher werden Politik und Gesellschaft auf ordnungsrechtliche Feinsteuerung verzichten. 

Vorschläge zu einer tragfähigen Zukunft der Landwirtschaft gibt es genug – gerade hat der strategische Dialog auf EU-Ebene seinen Bericht an die Kommission übergeben, in dem sich breit abgestimmte Vorschläge für Instrumente und Regulierungen finden, wie sie auch schon die ZKL, die Zukunftskommission Landwirtschaft, für Deutschland gemacht hat.  

Die deutsche und europäische Landwirtschaft hat die Chance, den Bereich der Agrar- und Umweltpolitik für längere Zeit in eine für alle Beteiligten gute Richtung zu lenken. Dazu ist es aber notwendig, die aktuelle für die Landwirtschaft positive Situation nicht zum Anlass zu nehmen, sich einem konstruktiven weiteren Dialog zu verweigern und in der Ablehnung von ökologisch relevanten Regulierungen übers Ziel hinauszuschießen. 

Bürokratie und Bürokratieabbau 

Ein großer Kritikpunkt der Branche an der Politik, und daher auch ein großes Versprechen der Politik als Antwort auf die Bauernproteste betrifft den Bürokratieabbau. Dabei ist es wichtig, zwischen den Folgen einer gesellschaftlich geforderten Regulierung und den Folgen einer praxisfernen und überängstlichen Verwaltung dieser Regulierungen zu unterscheiden.  

Erstere, also die Regulierung an sich, kann nur durch einen neuen politischen Ansatz verändert werden. Wenn wir hier weiterkommen wollen, muss Politik sich darauf beschränken, der Branche Ziele zu setzen und zu deren Erreichung auf die Kompetenz und Kreativität der Akteure vertrauen.  

Aber auch in der Verwaltung an sich steckt großes Potential für Vereinfachung, und dieses zu heben ist gemeinsame Aufgabe von Staat und Betrieben. 

Die große Unzufriedenheit in der Landwirtschaft hat ihre Ursache hauptsächlich in der absurden Feinsteuerung der Produktion durch die Regulierung. Diese ist mittlerweile so komplex und teilweise widersprüchlich, dass ihre Einhaltung, aber auch die Kontrolle unmöglich geworden sind. Die Folgen für die Branche sind auch für die eigentlichen Ziele der Regulierung, nämlich die nachhaltige, umwelt- und sozialverträgliche Nahrungsmittelerzeugung, ausgesprochen kontraproduktiv: 

•    Professionelle Betriebe werden kriminalisiert, weil die Regulierung gute fachliche Praxis im Sinne der Nachhaltigkeit unmöglich macht.

•    Kleinere Betriebe  werden abgehängt, weil schon die Informationsbeschaffung zum aktuell gültigen Regularium die Kapazitäten eines ein-Mann/Frau-Betriebes sprengt.

•    Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Agrarverwaltung sind frustriert und verängstigt, weil immer mehr Zeit in Kontrollen offensichtlich sinnloser Vorschriften investiert werden muss, und dadurch die Gefahr von Anlastungen steigt. 

Traditionell ist das Büro eine Problemzone in vielen landwirtschaftlichen Betrieben. Man wird nicht Bauer, weil man so gerne am Schreibtisch sitzt, sondern weil man im Stall und auf dem Acker seinem Handwerk nachgehen will. 

Dabei erspart ein professionell eingerichtetes System zur Planung und Dokumentation betrieblicher Prozesse viel Aufwand bei der Bedienung der steigenden Nachweispflichten. Das muss nicht unbedingt eine teure Schlagkartei-Software sein – schon eine sinnvoll strukturierte digitale Ablage der Informationen hilft weiter. 

Denkbar und vorteilhaft wäre eine einfach zu bedienende Datenspeicherung auf (staatlichen) Cloudplattformen, wie dies zum Beispiel bei den Wirtschaftsdüngerdatenbanken schon der Fall ist.  

Eine solche öffentliche Lösung wäre einerseits ein positives Signal der Transparenz gegenüber Gesellschaft und Verwaltung, andererseits sind die Risiken bei der Freigabe persönlicher und für das Unternehmen sensibler Daten durchaus vorhanden. 

Ein wesentliches Hindernis für eine transparente, digitale Dokumentation ist die Qualität und Praktikabilität des Ordnungsrechtes:  Kaum ein landwirtschaftlicher Betrieb ist heute noch in der Lage, die Vielzahl von Vorschriften rund um die Produktion komplett einzuhalten – selbst, wenn er es wollte.  

Vieles, was wir von Rechts wegen einhalten und auch dokumentieren müssten, ist kompliziert, realitätsfern oder sogar widersprüchlich.  

Selbst professionelle, gut geführte Betriebe kommen daher nicht ohne “doppelte Buchführung” aus – und das ist für mich ein klares Zeichen dafür, dass der Regulierungs- und Dokumentationswahn der Politik weit übers Ziel hinausgeschossen sind ist. 


Meine sehr verehrten Damen und Herren, 

wir wollen uns heute mit einigen Aspekten des Themas Bürokratieabbau beschäftigen. Es gibt aber, wie so häufig, keine einfache Lösung für dieses Projekt, auch wenn viele sich dazu bekennen. Es erfordert ein gutes Zusammenspiel aller Beteiligten – und da gehören wir Landwirte eindeutig dazu. 

“Bürokratieabbau” im Sinne von weniger Belastung durch Regulierung und Dokumentation kann gelingen, wenn: 


•    Die Politik sich auf zielorientierte, evidenzbasierte und akteursbezogene Regulierung beschränkt. 

•    Die Verwaltung einfache, offene und gerne auch digitale Werkzeuge für Information, Dokumentation und Kontrolle anbietet und 

•    Landwirtschaftliche Betriebe ihre regulierungsbezogenen Prozesse professionell und fortschrittlich organisieren. 

Und nun wünsche ich uns eine gute Tagung und hoffentlich viele gute Gedanken, die Sie zuhause umsetzen können, um dem Büro ein wenig den Schrecken zu nehmen.


Bild: DLG / S. Pförtner

DLG_Unternehmertage24_S_Pfoertner_95756.JPG
DLG_Unternehmertage_2024_REDE_Paetow_Begrüßung_Mansukript.pdf