DLG-Unternehmertage 2024: „Die Story vom politischen Primat von Ökologie und Klimaschutz zieht nicht mehr!“
DLG-Präsident Paetow fordert Branche auf, entschiedener und mit einer guten Portion Zukunftsoptimismus an die vielfältigen Krisen heranzugehen – Chance auf positiven Richtungswechsel der Agrar- und Umweltpolitik in Deutschland und Europa, konstruktiver Dialog nötig – Bürokratieabbau ist Gemeinschaftsaufgabe von Landwirtschaft, Politik und Verwaltung
(DLG). DLG-Präsident Paetow eröffnete die DLG-Unternehmertage 2024 mit der Aufforderung an die Agrarbranche, entschiedener und mit einer guten Portion Zukunftsoptimismus an die vielfältigen Krisen heranzugehen. Die DLG-Unternehmertage wurden am 10. und 11. September 2024 in den Weser-Ems-Hallen in Oldenburg von rund 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer besucht und haben sich als jährlich wichtigster Branchentreff nach der Ernte etabliert. Unter dem Leitthema „Bürokratie managen – Freiraum schaffen“ wurde eines der zentralen Hemmnisse für eine prosperierende Branchenentwicklung adressiert. Die Probleme wurden auf den Punkt gebracht, analysiert und viele praktikable Lösungsansätze wurden diskutiert. In seiner Eröffnungsrede blickte Paetow auf das vergangene Erntejahr, beleuchtete den klaffenden Spalt zwischen den Forderungen nach mehr Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz und dem hohen Wettbewerbsdruck und er beschrieb die enormen Potenziale der Agrarbranche. Viele Gründe, die zahlreichen Herausforderungen mit gutem Mut anzugehen.
Paetow: Politischer Paradigmenwechsel eröffnet Möglichkeiten
Laut Paetow steht die Branche vor einem politischen Paradigmenwechsel, denn „die Story vom politischen Primat von Ökologie und Klimaschutz zieht nicht mehr!“ Vor diesem Hintergrund forderte Paetow die Branche auf, zukunftsbejahend an die vielfältigen Krisen der aktuellen Zeit heranzugehen und diese als Gestaltungsauftrag zu erkennen. Die geänderten Rahmenbedingungen bieten laut Paetow eine Chance auf positiven Richtungswechsel der Agrar- und Umweltpolitik in Deutschland und Europa. Hierzu und um den Bürokratieabbau als Gemeinschaftsaufgabe von Landwirtschaft, Politik und Verwaltung zu lösen, sei ein konstruktiver Dialog nötig. Das komplette Redemanuskript von Hubertus Paetow ist hier zu finden.
Feil: Probleme auf Betriebsebene lösen und auf Verbandsebene adressieren
Nach der Rede von DLG-Präsident Paetow betonte Prof. Dr. Prof. Dr. Jan-Henning Feil von der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg in seiner Keynote, dass Regulatorik in der Agrarpolitik durchaus ihre Berechtigung habe – aber eben auch praxistauglich sein müsse. Laut Feil können bürokratische Regeln letztlich nur dann Akzeptanz erlangen, wenn bürokratische Notwendigkeiten langfristig Bestand haben und der Landwirtschaft einen klar definierten unternehmerischen Handlungsrahmen bieten. Insgesamt sieht er die Gefahr, dass steigende Kosten durch Bürokratie und eine zunehmende Verunsicherung in Bezug auf politische Entscheidungen und möglicherweise weitere bürokratische Hürden zumindest den langfristigen unternehmerischen Erfolg in der Landwirtschaft gefährden. Er forderte die anwesenden Praktiker auf, den Bürokratisierungsaufwand auf ihren Betriebe durch Automatisierung und Digitalisierung, Standardisierung, Outsourcing und/oder Kooperationen zu senken. Der DLG als Organisation schrieb Feil die Aufgabe ins Stammbuch, das Feedback der Landwirtinnen und Landwirte zu sammeln und zu bündeln und somit in der Summe sichtbar und relevant zu machen, um dann mit konkreten fachlichen Verbesserungsvorschlägen an Politik und Behörden heranzutreten.
Neues Format: Unternehmer-Pitches
Moderiert von Erik Guttulsröd, stellvertretender Geschäftsführer des DLG-Fachzentrums Landwirtschaft sowie Bereichsleiter Betriebsführung und Nachhaltigkeit und Siv Biada, Leiterin Internationales DLG-Pflanzenbauzentrum stellten im Anschluss vier Landwirtinnen und Landwirte in Unternehmer-Pitches ihre individuellen Lösungsansätzen für die Betriebsorganisation dar: Anna Sophie Claus von der Meine & Claus GbR in Sülzetal (Sachsen-Anhalt), Christoph Döbelt vom Landgut Nemt in Wurzen (Sachsen), Nils Ehlers von der Gebrüder Ehlers Arbste KG in Bruchhausen-Vilsen (Niedersachsen) und Lutz Scheibler aus Poppendorf (Mecklenburg-Vorpommern). „In der Kürze liegt die Würze“, so moderierte Erik Guttulsröd die Pitches an, die als echte Impulse sehr stringent auf wenige Minuten und je drei Themen beschränkt waren. Auf diese Weise blieb viel Gelegenheit, die Ideen und Ansätze auf dem Podium und mit den Zuhörern zu diskutieren.
Wie einer Live-Umfrage unter den Zuhörern zu entnehmen war, sind es vor allem digitale Systeme, von denen sich die Praktiker Entlastung bei bürokratischen Prozessen erhoffen. Immer noch rund 14 % der Anwesenden könnten sich aber auch vorstellen, die Dokumentation an einen Dienstleister abzugeben. Dieses Modell hat beispielsweise Lutz Scheibler gewählt, bei dem ein Dienstleister seines Vertrauens sich um Anträge zur Agrarförderung, Lohnabrechnung, Stofffstrombilanz oder Zertifizierung kümmert. Anna-Sophie Claus hat mit Rücksicht auf die Gewohnheiten der älteren Generation das elterliche Büro mit prall gefüllten Aktenschränken digitalisiert. Alle Mitarbeiter sind mit einem Laptop ausgestattet und können von überall die Daten der Arbeitsprozesse in das System eingeben. Dank einer guten Verschlagwortung der Betriebsdaten ist es sogar möglich nach Dokumenten zu „googeln“. Auch Landwirt Nils Ehles ist im Groben diesen Weg gegangen und hat alle Dokumente in einer Cloud abgelegt, während Christoph Döbelt eine eigene App für die Prozesse in der Hofmolkerei entwickelt hat, was die Datenhaltung nach seiner Schilderung deutlich schneller und weniger fehlerbehaftet gemacht hat. Sein neues Projekt ist ein perfektioniertes Warenwirtschaftssystem von Bestellungen des Lebensmitteleinzelhandels mit Hilfe von künstlicher Intelligenz wie Chat GPT.
Blick auf Details in Themenforen
Der Tag begann mit einem Coffee-Check-In für die Female Agri Fellows, bevor das Plenum den offiziellen Startschuss gab. In den Themenforen am Nachmittag lagen die weiteren thematische Akzente auf der Ordnung des „Dokumentations-Dschungels“ Düngung, Konzepten für den Stall der Zukunft sowie Best-Practice-Beispielen für die Digitalisierung von Betriebs- und Verwaltungsprozessen. Der Blick über den Tellerrand wurde mit Erfahrungsberichten britischer Landwirte gewagt, die über das englische Modell der Agrarsubventionierung nach Umwelt- und Naturschutzleistungen darstellten. Erstmals auf den DLG-Unternehmertagen fand diese Veranstaltung in englischer Sprache statt – ein klares Zeichen für den Führungsanspruch der DLG als international anerkannte wissenschaftliche Fachorganisation.
Dokumentations-Dschungel Düngung: Notwendiges Übel oder pure Zeitverschwendung?
In diesem Impulsforum für den Ackerbau berichteten stellten Dr. Stephan Jung, Referent für Düngefachrecht bei der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Landwirt Franz-Josef Dasenbrock, Landwirt aus Kleinenkneten (Niedersachsen) sowie Jan Henrik Ferdinand, Landwirt und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungs- und Entwicklungszentrum der FH Kiel über ihren Umgang mit den vielfältigen, teilweise sogar gegensätzlichen Anforderungen im Düngungs-Dokumentationsdschungel. Die Sitzung moderierte Jonas Trippner, Projektleiter Pflanzenproduktion im DLG-Fachzentrum Landwirtschaft. Die Entlastung beginnt hier bei den Basics, wie einer gut geführten Ackerschlagkartei oder der konsequenten Nutzung der in der Regel sehr umfassenden und praxisnah gestalteten Angeboten der Offizialberatung.
Stall der Zukunft - Modern. Attraktiv. Effizient?
Im Rahmen des Impulsforums Tierhaltung berichteten Andreas Pelzer, Leiter des Versuchs- und Bildungszentrums Landwirtschaft Haus Düsse und Leiter Fachbereich Rinderhaltung bei der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Dr. Ilka Steinhöfel, Referentin Rinderhaltung vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie sowie Stefan Teepker, stellvertretender Vorsitzender des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG), vielfältig in der DLG engagierter Landwirt und Betriebsleiter der Teepker GbR von ihren aktuellen Erfahrungen mit bürokratischen Anforderungen beim Stallbau. Die Session wurde moderiert von Sven Häuser, Bereichsleiter Tierhaltung und Innenwirtschaft, im DLG-Fachzentrum Landwirtschaft. In diesem Forum zeigten sich vielfältige Gemeinsamkeiten, trotz aller Unterschiede in den Bedürfnissen der Tiere. Zwischen den Impulsgebern und dem Auditorium bestand große Übereinstimmung darin, dass die größten Probleme beim Stallbau in den Themen „Tierwohl bzw. Tiergerechtheit“ und „Genehmigungsprozesse“, sowie „Kosten“ und zunehmend auch der Mitarbeitergewinnung und -bindung liegen. Für die Praxis besonders interessant sind bereits verfügbare Kamera- und KI-basierte Softwarelösungen, die für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus einer Flut von Daten konkrete Handlungshinweise generieren.
Das Englische Modell – Welche Erfahrungen machen die EU-Aussteiger mit dem Geschäftsmodell Umwelt- und Naturschutzleistungen?
Beim Impulsforum Betriebsführung wurde in englischer Sprache berichteten Tom Martin, Landwirt aus Cambridge in England sowie Constantin-Cord Paeschke von der Land- und Forstverwaltung Veltheimsburg darüber, wie es ihnen gelungen ist, Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen zu monetarisieren. Die Session wurde von Erik Guttulsröd moderiert, Bereichsleiter Betriebsführung und Nachhaltigkeit im Fachzentrum Landwirtschaft der DLG. In der Praxis können die britische Landwirte aus rund 100 Einzelmaßnahmen in den den Sustainable Farming Incentives (SFI) der Environmental Land Management Schemes (ELM-Schemes) die für Ihren Betrieb passenden Anreize auswählen. Tom Martin, online auch bekannt als „Farmer Tom“ lobte vor allem die Flexibilität des Systems mit verhältnismäßig kurzen Maßnahmen, jährlichen Anpassungsmöglichkeiten und hoher Akzeptanz in der Bevölkerung. Auch seien manche der Umweltprogramme für die Landwirte durchaus lukrativ. Landwirt Constantin Cord Paeschke, der mit Tom Martin befreundet ist und aus dem gemeinsamen Austausch das neue englische Modell der Agrarsubventionierungen kennt, sieht im Vergleich zur Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) einen Vorteil in den vielfältigen Umweltmaßnahmen, aus denen englische Erzeuger wählen können. Auch Paeschke hält einige der Maßnahmen für finanziell recht interessant.
Digital von A(brechnung) bis Z(ertifizierung) – Wie kann Digitalisierung Bürokratie abbauen?
In diesem Impulsforum, das von der Jungen DLG organisiert wurde, stellten Dr. Til Assmann, Honorarkonsul der Republik Estland für Niedersachsen und Bremen, Andreas Dörr, Landwirt und Betriebsleiter bei der Doerr-Agrar in Oepfershausen (Thüringen) sowie Jan Möllenbrink aus Kiel (Schleswig-Holstein), Projektleiter ERP bei der REBO Landmaschinen GmbH vor, welche Ideen und Erfahrungen es auf verschiedenen Ebenen von Betrieb über Händler und Landmaschinenherstellern bis hin zur Landesstrategie zur praktischen Umsetzung von Digitalisierungsstrategien gibt. Moderiert wurde die Sitzung von Martin Moshake, Landwirt aus Kneitlingen-Eilum vom Leitungsteam der Jungen DLG. Gerade Estland gilt hier international als best practice Beispiel für die gelungene Digitalisierung von Behörden und Verwaltung, wobei laut Honorarkonsul Dr. Til Assmann der Kern der Entlastung tatsächlich auf einem Neu-Denken und Verschlanken vieler Prozesse beruht. Mit der Grundannahme, dass Software die bestehenden Prozesse abbilden sollte, hatte Andreas Dörr kein Glück, was seinen Tüftler-Ehrgeiz geweckt und ihn zum Digital-Pionier hat werden lassen. Er hat inzwischen eine Reihe von Apps und digitalen Tools entwickelt, die seine Bedürfnisse genau treffen.
Interne Sitzungen am Gremientag
Bereits am Gremientag hatten mit den DLG-Ausschüssen „Wirtschaftsberatung und Rechnungswesen“, „Agrar- und Steuerrecht“, „Internationale Partnerschaften“, den Arbeitsgruppen „Banken und Versicherungen“ und „Regenerative Landwirtschaft“, dem Arbeitskreis Junge DLG sowie den DLG-Leitungsgremien Hauptausschuss Landwirtschaft als Dachstruktur aller DLG-Ausschüsse und DLG-Gesamtausschuss als höchstem Entscheidungsgremium des DLG e. V. einige nicht-öffentliche Sitzungen stattgefunden.
Im Hauptausschuss Landwirtschaft als Dachgremium der landwirtschaftlichen Facharbeit in der DLG erhielten die Teilnehmer unter der Leitung von DLG-Vizepräsident Philipp Schulze Esking ein Update zum Sachstand verschiedener wichtiger Themen. DLG-Hauptgeschäftsführer Dr. Lothar Hövelmann stellte den Struktur- und Strategieprozess „DLG 2034“ vor, während Prof. Dr. Hubert Spiekers und Dr. Detlef Kampf die Bedeutung der 2023 komplett neu gefassten „Empfehlungen zur Energie- und Nährstoffversorgung von Milchkühen“ für die Arbeit verschiedener DLG-Ausschüsse skizzierten. Die DLG hat hier die Federführung bezüglich der weiteren fachlichen Umsetzung bis hin zu den Berechnungstools der Offizialberatung übernommen. Dr. Ulrich Rubenschuh gab einen Überblick zum Sachstand im Projekt „Netzwerk zur Validierung von digitalen Systemen in der Landwirtschaft“, während Nicola Bock darüber berichtete, wie die Facharbeit in einem kontrovers bewerteten Thema wie der Anbindehaltung von Milchkühen zu einem erfolgreichen Ergebnis gekommen ist. Schlussendlich fasste Erik Guttulsröd die Eckdaten zum kommenden DLG-Nachhaltigkeitsstandard für die Schweinehaltung zusammen.
Bereits vorher hatte der Gesamtausschuss als höchstes einige organisatorische Änderungen vorgenommen sowie mit Dr. Anna Catharina Voges und Ulrich Westrup zwei neue Vorstandsmitglieder gewählt. Außerdem wurde René Döbelt mit der Max-Eyth-Denkmünze in Gold geehrt, der nicht mehr für einen Platz im DLG-Vorstand kandidierte.
Weitere Informationen zum Programm und eine Aufzeichnung der Sessions gibt es unter https://www.dlg.org/events/landwirtschaft/dlg-unternehmertage-2024, als Ansprechpartner steht Erik Guttulsröd, Bereichsleiter Betriebsführung und Nachhaltigkeit im Fachzentrum Landwirtschaft der DLG unter 069/24788-286 bzw. e.guttulsroed@DLG.org gerne zur Verfügung.
Bildmaterial
Alle Bilder © DLG / Fotograf
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